Maßregeln der Besserung und Sicherung

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Allgemeines

Etymologie

Im Spätmittelhochdeutschen stand "maz" für das Maß und die Maßeinheit, im Mittelhochdeutschen bezeichnete "mez" das Maß. Der indoeuropäische Stamm des Verbs messen" med-," bedeutet ermessen oder bedacht sein.

Die Regel (lat. regula, ahd. regula, mhd. regele, regel) bezeichnet heute die Richtschnur, Vorschrift, Gewohnheit. Vom lateinischen Verb regere (gerade richten, lenken, leiten) leiten sich folgende Wörter ab: Regime, Regent, Rex, regieren, Regie, Richter, etc. Der germanische Stamm *regul- bezeichnet auch den Riegel und das Richtholz.

Die Maßregel bezeichnet die Festsetzung des Maßes, eine als genau einzuhaltende Richtlinie geltende Maßnahme, Vorschrift, Weisung.
Das mittelhochdeutsche "bezzerunge" bedeutet Besserung, Entschädigung, Vorteil, Buße. Der althochdeutsche Stamm des Verbs büßen (buozen) benennt büßen, bessern, heilen, gut machen, sühnen, befreien.

Das mittelhochdeutsche "sicherunge" steht für Sicherung, Sicherstellung. Synonyme für Sicherung sind wegschließen, bewachen und jemanden hinter Schloß und Riegel bringen. Der germanische Stamm *sleutan bedeutet schließen, einen Riegel geben. Das verwandte Wort Schloß mit dem germanischen Stamm *sluta, *slutam steht auch für Riegel.

Definition

"Eine Maßregel der Besserung und Sicherung ist in Deutschland eine vom Strafrichter verhängte Rechtsfolge für eine rechtswidrige Tat".

Die Maßregel unterscheidet sich von der Strafe insofern, als dass sie auch gegen schuldunfähige Straftäter verhängt werden kann.
Sie ist keine Strafe im eigentlichen Sinn. Es geht nicht darum, die betreffende Person für etwas zu bestrafen, sondern die Maßnahme ist ausschließlich auf die Zukunft gerichtet und soll die Allgemeinheit vor weiteren erheblichen Straftaten schützen, die Gefahren für Rechtsgüter wie Leib, Leben, Eigentum etc. bergen.
Aufgrund dieser Unterscheidung zwischen Strafe und Maßregel, spricht man von einem System der Zweispurigkeit im deutschen Strafrecht.
Ein zweispuriges System ist ebenfalls in der Schweiz, in Österreich, Italien, Belgien, Norwegen, Spanien, Polen, Ungarn und in den Niederlanden anzutreffen. In der Ausgestaltung dieser Zweispurigkeit bestehen jedoch erhebliche Unterschiede. (vgl. Meier, 2001: 219)

In Deutschland gibt es nach §61ff. StGB sechs Maßregeln der Besserung und Sicherung:

- Freiheitsentziehende Maßregeln:

  • Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§63)
  • Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§64 StGB)
  • Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§66 StGB)

und

- Maßregeln ohne Freiheitsentzug:

  • Entziehung der Fahrerlaubnis (§69 StGB)
  • Berufsverbot (§70 StGB)
  • Führungsaufsicht (§68ff. StGB)

Entstehungsgeschichte

Die Wurzeln der Institution "Maßregeln der Besserung und Sicherung" reichen (zumindest) zurück bis zum Marburger Programm und zur Idee der schuldunabhängigen Sicherung der Gesellschaft vor weiteren Taten gefährlicher und unverbesserlicher Täter (von Liszt, 1883: 38, zitiert nach Schewe, 1999: 3). Während Franz v. Liszt die Strafe überhaupt zugunsten der Maßregeln aufgeben wollte, setzte sich dann als Kompromiss die Idee des Nebeneinanders von Strafen und Maßregeln (Carl Stooss) durch. Stooss sah die Strafe als schuldabhängig, wollte aber auch bei schuldunfähigen gefährlichen Tätern eine sichernde Sanktion ermöglichen. Deshalb baute er in seinen Vorentwurf des allgemeinen Teils des schweizerischen Strafrechts erstmalig sichernde Maßnahmen in das vorhandene Strafrecht ein.

Eingeführt wurden die Maßregeln der Besserung und Sicherung in Deutschland durch das (NS-) Gewohnheitsverbrechergesetz (= Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933).

Als Maßregeln der Besserung und Sicherung beinhaltete das Gewohnheitsverbrechergesetz die Maßregel der Unterbringung von Zurechnungsunfähigen in einer Heil- und Pflegeanstalt, die, sog. „Trunkenbolde und Gewohnheitstrinker“ in Entziehungsanstalten, die Unterbringung sog. „Asozialer“ in Arbeitshäuser, die Kastration „gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher, die Ausweisung von Ausländern und die Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern in der Sicherungsverwahrung.
Einzelne frühere Vorschläge aus der Weimarer Zeit werden vom Naziregime derartig umgebogen, um sie als Instrumente für die Durchsetzung politischer Zwecke nützlich zu machen. Zum Beispiel wurde im Zusammenhang mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ bereits im Sommer 1933 über eine Vorschrift beraten, die die Sterilisation und Kastration von Straftätern möglich machen soll. Hitler gibt ein Sondergesetz über die „Entmannung von gemeingefährlichen Sexualverbrechern und die Unfruchtbarmachung von Gewohnheitsverbrechern“ in Auftrag. (vgl. Müller: 1997, 34 ff.)
Die gesetzlichen Hürden für die Sicherungsverwahrung wurden so niedrig gesetzt, dass die Anordnungen beliebig ausgedehnt werden konnten. Diese Maßnahmen gipfelten dann zwischen 1939 und 1945 in organisierten Tötungsaktionen, die u. a. auch "PatientInnen" der psychiatrischen Maßregel und Sicherungsverwahrte betraf. (vgl. Dessecker, 2004: 98 ff.)
Nach 1945 wird die Maßregel der „Entmannung“ als nationalsozialistisches Unrecht aufgehoben. Die 1941 eingeführte Todesstrafe für Gewohnheits- und Sittlichkeitsverbrecher wurde abgeschafft. (vgl. Müller: 1997, 95) In der amerikanischen Zone wird vorübergehend das Arbeitshaus abgeschafft.
Die DDR übernimmt die Sicherungsverwahrung nicht. Auch im Einigungsvertrag wird sie erst nicht mit übernommen. 1995 wird sie dann auch in den neuen Bundesländern eingeführt.

Erst im Rahmen der Strafrechtsreform von 1969 erfuhr das Maßregelrecht in der BRD eine erste größere Umgestaltung. Hier wurden die Begriffe dann umgestellt und der Besserungsgedanke rückte in den Vordergrund. Das System der Zweispurigkeit wurde dabei nicht mehr in Frage gestellt. Das Gesetz wurde an die neueren rechts- und kriminalpolitischen Entwicklungen angepasst. So ist beispielsweise das Arbeitshaus endgültig abgeschafft, das mit dem Grundgesetz eingeführte Verhältnismäßigkeitsprinzip gestärkt, und die Führungsaufsicht neu gestaltet worden. (vgl. Meier, 2001: 219)

Grundlagen

Strafe und Maßregel

Während Strafen als Reaktion auf vergangene Handlungen gedacht sind, sollen Maßregeln der Besserung und Sicherung künftige Gefährlichkeit verhindern. Letztere sind somit kriminalpräventive Institutionen. (Siehe Grundbegriff Prävention)

Verhältnismäßigkeit

Bevor eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet werden kann, muss zuvor eine eingehende Prüfung der Verhältnismäßigkeit stattgefunden haben. Nach § 62 StGB darf die Massregel weder zur Bedeutung der vom Täter begangenen Tat, noch zum Grad der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit außer Verhältnis stehen.

Gefährlichkeitsprognose

Weiterhin setzen alle Maßregeln eine Prognose der Gefährlichkeit voraus, die in ihren Bezugspunkten jedoch variiert. Für die sechs Maßregeln zeigt der Gesetzestext kein einheitliches Bild, was die rechtlichen Vorraussetzungen und die Anwendungspraxis betrifft.

Freiheitsentziehende Maßregeln

§63 StGB-Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Nach § 63 StGB werden diejenigen Straftäter untergebracht deren Schuldunfähigkeit aufgrund einer Störung aufgehoben oder erheblich gemindert ist. (Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störung: § 20 StGB; Verminderte Schuldunfähigkeit: § 21 StGB.) Die Störung darf nicht nur vorübergehender Natur sein, die zu erwartenden Straftaten müssen eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit darstellen und in engem Zusammenhang mit der Erkrankung stehen, was bedeutet, dass Anlasstat und die befürchtete Tat aus ein und derselben psychischen Störung resultieren müssen Jährlich findet eine richterliche Anhörung vor einer Strafvollstreckungskammer statt, in der darüber entscheiden wird, ob eine Entlassung erfolgen kann. Eine Entlassung ist erst möglich, wenn ein Gutachten bescheinigt, dass aufgrund der psychischen Erkrankung keine Gefahr mehr von der jeweiligen Person ausgeht. Im Extremfall kann die Unterbringung lebenslänglich andauern.

Zur Behandlung von Psychisch Kranken oder zur Suchttherapie werden die Straftäter in “Maßregelvollzugskliniken“ oder “forensischen Kliniken“ untergebracht. Wesentlicher Bestandteil der Behandlung ist die Auseinandersetzung mit dem Delikt selbst, den Ursachen und den Folgen. Das Angebot reicht von Einzel- und Gruppentherapien, Ergotherapie bis hin zu Sport- und Bewegungstherapie. Außerdem werden Möglichkeiten zur beruflichen Aus- und Weiterbildung angeboten. Ebenso wie die Justizvollzugsanstalten sind Maßregelvollzugseinrichtungen von erheblichen Überbelegungen betroffen, obwohl ständig neue Plätze geschaffen werden. Nicht nur die Zahl, sondern auch die durchschnittliche Unterbringungsdauer der PatientInnen, ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen, Einer der Gründe für diese Entwicklungen sind die Verschärfungen im Zuge des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten. Im Jahr 2002 waren ca. 1.150 Plätze für den Maßregelvollzug vorhanden, bei einem Bedarf von ca. 1.800 Plätzen. (§§ 63 und 64 StGB) Da die Unterbringung grundsätzlich unbefristet ist, sind die Betroffenen zusätzlich mit der Unbestimmtheit über einen Entlassungstermin konfrontiert. Eine lange Unterbringungsdauer birgt die Gefahr einer Hospitalisierung. Sowohl für die Untergebrachten als auch für das Personal führt dies zu größeren Stressfaktoren.

§64 StGB-Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Im Grunde genommen ähnelt der § 64 StGB in vielerlei Hinsicht dem § 63 StGB. Grundsätzlich unterscheidet er sich aber darin, dass hier nicht mehr von einer psychischen Störung, sondern von einem „Hang“ zu Suchtstoffen die Rede ist, deren Abhängigkeit als Krankheit bewertet wird. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist unabhängig von verminderter Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit und ist auf 2 Jahre begrenzt. Gemäß einer Entscheidung des BVerfG vom 16. März 1994 darf sie nur angeordnet werden, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht auf Erfolg besteht.

Aufgrund der neu entbrannten Diskussion infolge der Entscheidung des BVerfG hat A. Dessecker 1996 eine erstmals breite und für die westlichen Bundesländer repräsentative Studie über die Anordnung, Vollstreckung und Erledigung der Maßregel herausgebracht. (Dessecker, 1996)

Bis Mitte der 70er Jahre bewegten sich die Zahlen der Anordnungen meist zwischen 200 bis 300 pro Jahr. Seit der Strafrechtsreform begannen die Zahlen deutlich und kontinuierlich zu steigen und 1993 waren die Anordnungen bereits auf über 800 angestiegen. Seit 1976 werden jährlich mehr Verurteilte in einer Entziehungsanstalt untergebracht als in einem psychiatrischen Krankenhaus. Somit ist heute die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die quantitativ bedeutsamste freiheitsentziehende Maßregel, und die Entziehungsanstalten sind ebenso mit dem Problem der massiven Überbelegung konfrontiert.

Der Entwurf eines Gesetzes des Bundesministeriums der Justiz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt will dazu beitragen „die vorhandenen und neugeschaffenen Kapazitäten des Maßregelvollzugs besser und zielgerichtet zu nutzen“. Bereits jetzt laufen immer mehr Unterbringungen auf die Feststellung von "Aussichtslosigkeit" und damit auf die Verlegung in den kostengünstigeren Strafvollzug hinaus. Nach dem Gesetzesentwurf sollen künftig die Gerichte bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Diese Umkehrung der Vollstreckungsreihenfolge soll auch für jene gelten, denen Abschiebung oder Ausweisung droht. (vgl. Neue juristische Wochenschrift, 16) Dieser Entwurf läuft entgegen der jahrelang erfolgreichen Praxis des Vorwegvollzuges der Maßregel, mit dem Ziel den Täter frühzeitig von seiner Sucht zu befreien, denn es spricht vieles dafür, dass, je eher die Behandlung erfolgt, desto kürzer ist deren Dauer. Folgen dieser Entlastung des Maßregelvollzuges wird eine weitere dramatische Überbelegung der Strafvollzugsanstalten sein und damit die Gefährdung der Resozialisierung (als Vollzugsziel) von Strafgefangenen. Letztendlich geht es um Einsparungen von kostenaufwendigen Therapieplätzen und damit der Abwendung von einem Behandlungsvollzug hin zu einem reinen Verwahrvollzug.

§66 StGB-Sicherungsverwahrung

Im Gegensatz zu den vorher genannten Maßregeln (nach den §§ 63 und 64 StGB) Untergebrachten, steht bei der Sicherungsverwahrung die "sichere Unterbringung" zum Schutz der Allgemeinheit im Vordergrund (§ 129 StVollzG). Unter dem Einfluss des Prinzips der Resozialisierung sollen jedoch auch hier Angebote zur Wiedereingliederung gemacht werden. Alle zwei Jahre muss gerichtlich geprüft werden, ob die Maßnahme weiterhin notwendig ist, oder ob eine Entlassung auf Bewährung möglich ist.
Durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 1. April 1998 wurde die zwingende Entlassung aus der ersten Sicherungsverwahrung nach Ablauf von 10 Jahren aufgehoben. Wird festgestellt, dass die Gefahr besteht, dass der Sicherungsverwahrte infolge seines Hanges weitere erhebliche Straftaten begehen wird, kann die Maßregel über die 10 Jahre hinaus vollstreckt werden. Für die Betroffenen heißt das im schlechtesten Fall lebenslänglich.
Seither ist es, unter dem Druck einzelner Bundesländer, zu einer beträchtlichen Aufwertung der Sicherungsverwahrung gekommen. 2002 wurde durch § 66a StGBdie Möglichkeit eingeführt, dass ein noch unentschlossenes Tatgericht sich eine spätere Einweisung in die Sicherungsverwahrung ausdrücklich vorbehalten kann. 2004 ging der Bundestag einen Schritt weiter und beschloss in § 66b StGB die Möglichkeit der nachträglichen Verhängung der Sicherungsverwahrung für den Fall, dass sich während des Vollzuges Anhaltspunkte für eine künftige Gefährlichkeit ergeben. Die Entscheidung darüber muss die zusändige Strafvollstreckungskammer treffen. 2008 wurde die Sicherungsverwahrung auch im Jugendstrafrecht eingeführt.

Fazit

Seit Bestehen der Maßregeln waren diese immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt.
Der wohl älteste Vorwurf ist der des Etikettenschwindels. Er wurde bereits vor Einführung der Maßregeln, von Moritz Liepmann erhoben (Dessecker, 2004, S. 25) und dauert bis heute an. Kritisiert wird, dass sich Strafe und Maßregel (insb. die Sicherungsverwahrung) in ihrer Ausgestaltung faktisch nicht voneinander unterscheiden.

Maßregeln ohne Freiheitsentzug

§69 StGB-Entziehung der Fahrerlaubnis

Im Gegensatz zum Fahrverbot nach § 44 StGB, welches ein zusätzlicher Denkzettel für den Verkehrsteilnehmer sein soll, ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB die Folge einer Verurteilung wegen einer (oder mehrerer) rechtswidriger Tat(en) im Zusammenhang mit dem Führen von Kraftfahrzeugen und richtet sich gegen diejenigen, welche sich zum Fahren eines Kraftfahrzeuges als ungeeignet erwiesen haben. Das Gericht kann eine Sperrfrist zwischen 6 Monaten und fünf Jahren verhängen.
Das Fahrverbot als Maßregel wurde durch das 1. StVerkSichG am 19.12. 1952 eingeführt. Man wollte die Alleinzuständigkeit über die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr nur den Verwaltungsbehörden überlassen. In Anbetracht des zunehmenden Verkehrs und der damit verbundenen größeren Gefahren durch Unfälle waren bereits seit Ende des 2. Weltkrieges Überlegungen im Gange, wie man die Allgemeinheit vor Gefahren im Straßenverkehr schützen kann. Demzufolge sah man die Notwendigkeit, dem Strafrichter die Befugnis zuzusprechen ein Fahrverbot zu verhängen, wenn es sich um eine mit Strafe bedrohte Handlung im Straßenverkehr handelt. (vgl. Gronemeyer, 2001: 15-16) Heute ist diese Maßregel die am häufigsten angeordnete. Im Jahr 2000 wurde sie 138.023 mal verhängt. Zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis muss, nach Ablauf der vom Gericht verhängten Sperrfrist, das Gutachten einer amtlichen medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle beigebracht werden. An diese Eignungsbeurteilung sind gewisse Anforderungen geknüpft. Stand jemand unter Drogen- oder Alkoholeinfluss müssen bereits während der Sperrfrist Laborwerte erbracht werden, um nachzuweisen, dass die betroffene Person nicht (mehr) abhängig ist. Auch bezüglich des medizinisch-psychologischen Tests wissen viele nicht, was sie erwartet und wie man sich richtig verhält. Zum Beispiel kann es sinnvoll sein, sich schon lange vorher von einem Arzt untersuchen zu lassen und gegebenenfalls notwendige Schritte einzuleiten.


§70 StGB-Berufsverbot

Der Zweck des Berufsverbotes ist die Allgemeinheit vor Gefahren zu schützen die im Zusammenhang mit der Berufs- oder Gewerbeausführung eines Täters stehen. Dem Betroffenen wird die Ausübung seiner Tätigkeit untersagt. Dies kann von 1 Jahr bis zu 5 Jahren gehen, und im Extremfall auch für immer angeordnet werden. Im Jugendstrafrecht darf das Berufsverbot nicht ausgesprochen werden.
Quantitativ ist das Berufsverbot die am wenigsten bedeutsame Maßregel. Im Schnitt werden 200 Straftäter pro Jahr nach § 70 StGB verurteilt.


§68ff StGB-Führungsaufsicht

Die Führungsaufsicht kann angeordnet werden oder kraft Gesetztes eintreten. In Verbindung mit den Maßregeln tritt sie dann ein, wenn die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, (§ 67b Abs. 2 u. 67c Abs. 1 StGB) nach einer erstmaligen Sicherungsverwahrung (§ 66, § 67d IV StGB) oder wenn die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen Aussichtslosigkeit für erledigt erklärt wurde (§ 67d Abs. 5 StGB). Kommt jemand der Weisung einer Therapie nicht nach oder willigt nicht ein, so kann die Führungsaufsicht auch unbefristet verhängt werden.
Die Führungsaufsicht wurde durch die 2. Strafrechtsreform eingeführt und ist am 1. Januar 1975 in Kraft getreten. Sie löste die bis dahin bestehende umstrittene Polizeiaufsicht ab. (Zum Gesetzgebungsverfahren siehe: Floerecke, 1989)
Die amtlichen Statistiken des Statistischen Bundesamtes weisen Führungsaufsicht nur auszugsweise, nur in ausgewählten Jahrgängen, und außerdem nicht stets in gleichartiger Form aus. Die jüngsten verfügbaren Angaben findet man in der Strafverfolgungsstatistik des Jahrgangs 2002. In diesem Bezugsjahr gab es 75 Anordnungen von FA, darunter bei 44 Erwachsenen, 18 Heranwachsenden und 13 Jugendlichen.

Wie die Bezeichnung schon ausdrückt, hat diese Maßregel zwei Aufgaben: die Führung und Aufsicht. Der Schwerpunkt liegt dabei in der Überwachung der Lebensführung und der Erfüllung der Weisungen. Im Jahr 2002 wurde sie 75 mal angeordnet. (Die Führungsaufsicht kraft Gesetzes bliebt hier außer Betracht.) Kriminalpolitisch ist diese Maßregel umstritten. Einerseits wird anerkannt, dass sie einen positiven Einfluss auf die Aussetzung einer Maßregel zur Bewährung hat. Durch die Möglichkeit weiterhin ambulant auf die Person einzuwirken, um weitere Straftaten zu verhindern kann dem Einzelnen ein längerer Freiheitsentzug erspart bleiben.
Andererseits wird vom Gesetzgeber eine enge Zusammenarbeit zwischen den beiden an der Führungsaufsicht beteiligten Organen - der Führungsaufsichtsstelle und der Bewährungshilfe- gefordert. Dieses Nebeneinander der beiden Institutionen führt jedoch oft zu Kooperationsproblemen aufgrund unklarer Kompetenzzuweisungen und mangelnder Koordinierung, dienstrechtlicher Regelungen und Hierarchieproblemen, sowie professioneller Eigeninteressen und Handlungsorientierungen. Somit wurde in den letzten Jahren immer wieder eine Reform der Führungsaufsicht gefordert. Die Überlegungen gingen bis dahin sie abzuschaffen. Dass dies wohl nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist, zeigt, dass durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten die zeitliche Dauer der Maßregel noch einmal beträchtlich erweitert worden. (§§ 68c Abs. 2, 68e Abs. 4 StGB) Die Führungsaufsichtsstellen sind überwiegend den Landgerichten angegliedert. Schwerpunktmäßig sind deren Aufgaben der Kontakt zu anderen Behörden – im wesentlichen zu den Gerichten und Strafvollstreckungskammern-, sowie Kontakte zu einzelnen Probanden in Konfliktsituationen (Kooperationsverweigerung oder neue Straftat).
Die Aufgaben der Bewährungshilfe werden von staatlich anerkannten SozialarbeiterInnen wahrgenommen. Führungsaufsichtsprobanden stellen eine besondere Herausforderung für BewährungshelferInnen dar. Das Klientel ist sehr heterogen mit unterschiedlichen Risikoprognosen und Problemen. Diese haben immer eine freiheitsentziehende Maßnahme hinter sich, grundsätzlich wird von einer negativen Sozialprognose ausgegangen. Es handelt sich in der Regel um KlientInnen mit einer gefestigten Persönlichkeitsstruktur auf dem Erfahrungshintergrund einer kriminellen Kariere. Zudem unterliegen BewährungshelferInnen der schwierigen Verpflichtung des doppelten Mandats. Das bedeutet, dass sie einerseits ein Vertrauensverhältnis zu ihren KlientInnen herstellen müssen, um effektiv arbeiten zu können, andererseits sind sie den Aufsichtsstellen gegenüber dazu verpflichtet in regelmäßigen Abständen Bericht zu erstatten. Sollte jemand z.B. Weisungen nicht nachkommen so ist dies zu melden. Da Menschen mit langjährigen Hafterfahrungen ihr gesamtes Leben neu organisieren müssen, sind sie bei ihrer Entlassung mit zahllosen Problemen konfrontiert. Das fängt an beim Umgang mit Ämtern, finanziellen Schwierigkeiten, der Wohnungs- und Arbeitssuche bis hin zur Knüpfung neuer Sozialkontakte, der Einhaltung eventueller Bewährungsauflagen und, wie § 2 StVollzG formuliert, ein Leben in sozialer Verantwortung und ohne Straftaten zu führen. Für Sexualstraftäter kommt erschwerend eine starke gesellschaftliche Ablehnung hinzu. Die umfangreichen Aufgaben verlangen eine intensive Begleitung, die jedoch aufgrund der Vielzahl der zu Betreuenden (oftmals an die 70 Probanden und mehr) derzeit nicht zu verwirklichen ist (vgl zur Anwendungspraxis der Führungsaufsicht: Floerecke 1990).

Kriminologische Relevanz

Die Maßregeln sollen kriminelles Verhalten, was einem straffällig Gewordenem für die Zukunft prognostiziert wird, verhindern. Dabei stellen sich immer wieder Fragen nach der Feststellung der Schuldfähigkeit bzw. Schuldunfähigkeit und /oder die Beurteilung der Gefährlichkeit. Nach § 66 StGB muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Kritiker entgegnen, dass die Frage ungeklärt sei, wie sich ein „Hang“ zu schweren Straftaten bestimmen lasse. Das Merkmal des Hanges ist nicht eindeutig definiert und birgt dadurch außerdem die Gefahr der Ungleichbehandlung vor Gericht.
Hier ist der Labeling – Ansatz relevant, weil das Merkmal des Hanges eine Persönlichkeitseigenschaft ist, die bestimmten Menschen zugeschrieben wird. Einer doppelten Stigmatisierung unterliegen Maßregelvollzugspatienten nach den §§ 63 und 64 StGB. Sie gelten als delinquent und krank.

Die Forderungen der Gesellschaft nach härteren Strafen von Gewalt- und Sexualstraftätern haben innerhalb der letzten Jahre zu einer Reihe von gesetzlichen Verschärfungen geführt. Die immer stärker werdende präventive Ausrichtung der Strafrechtspflege ruft viele Kritiker auf den Plan.

Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftätern vom 26.01.1998 kam es zu erheblichen Gesetzesverschärfungen, obwohl sich bereits damals mehrere Experten, insbesondere aus Gründen der Prognoseunsicherheiten, dagegen aussprachen. Kinzig monierte die Wiederbelebung der Sicherungsverwahrung, ohne dass zuvor eine kritische Auseinandersetzung mit der umstrittensten Maßregel des deutschen Sanktionensystems in der strafrechtswissenschaftlichen Literatur stattfand. (vgl. Kinzig, 2003, 8) Diese Gesetzesänderung ist nur ein Beispiel für die zunehmend stärker werdende präventive Ausrichtung des Strafrechts, der Untergrabung von Menschenrechten und der Aushebelung des Resozialisierungsgedankens. Es lassen sich noch andere Beispiele nennen, die diese Entwicklung sichtbar machen.

Deutlich wird die zunehmende Betonung von Kriminalprävention per Gesetz auch verbal. Sie finden ihren Ausdruck in der Bezeichnung neuer sog. Bekämpfungsgesetze: Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten, Wirtschaftskriminalität, organisierter Kriminalität, Umweltkriminalität, sowie die Drogen- und Terrorismusbekämpfung.
Es wird nicht mehr nur auf eine erfolgte Rechtsgüterverletzung, sondern bereits weit in deren Vorfeld hinein reagiert. Zur Vorverlagerung der Strafbarkeit kommt, dass keine entsprechende Reduktion der Strafe erfolgt.
So ist die Bekämpfung von Kriminalität weit im Vorfeld auch zu einer polizeilichen Aufgabe geworden. Als Reaktion auf die Anschläge der RAF erfolgten bereits 1977 Änderungen des Polizeigesetzes, die erste Ansätze in diese Richtung aufweisen. (z.B. die Ausweisung an bestimmten Orten)
Analog finden sich auch hier begriffliche Änderungen: Vom „Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft“ zur „Ermittlungsperson“ bis hin zum „crime fighter.“

Diese Prävention weitet sich personenbezogen aus. Damit einher gehen Maßnahmen, die immer mehr Menschen in ihren Grundrechten einschränken und potentiell jeden betreffen. Zu denken wäre an die ständigen Intensivierungen von Überwachungsmaßnahmen, die aufgrund immer neuerer technologischer Entwicklungen möglich sind. Dazu zählt z.B. die Telekommunikationsüberwachung (Internet, E-Mail, Voice over IP, Telefonüberwachung), die geplante Ausweitung des Lauschangriffs auf Ärzte, Pfarrer, Journalisten und Anwälte, Flugdatenüberwachung, Biometrie in Ausweispapieren, Videoüberwachung, Rasterfahndung, Finanzdatenüberwachung, etc.

Prävention wird verstärkt in die Hände staatlicher Behörden gelegt und auf abweichendes Verhalten wird zunehmend mit Hilfe des Strafrechts reagiert. Dass, unter anderem, dies nicht unerhebliche Gefahren birgt, präziser gesprochen, eine Beschneidung der Bürgerrechte und Einschränkungen der Freiheit zur individuellen Lebensgestaltung, wurde bereits angedeutet. Zudem sind Sicherheitsinteressen nicht eindeutig definiert, so dass den präventiven Maßnahmen wenig Schranken gesetzt sind, und beliebig ausgeweitet werden können.
„Die Suche nach möglichst perfekter Sicherheit hat zur Folge, daß möglichst alles abweichende Verhalten ausgeschlossen werden muß.“ (Narr, 1997, S. 2)

Literatur

  • Floerecke, Peter: Die Entstehung der Gesetzesnormen zur Führungsaufsicht: die Gesetzgebung von 1962 bis 1975 und die Anwendungspraxis der Führungsaufsicht. Bonn: Forum Verl. Godesberg, 1989
  • Floerecke,Peter: Was leistet die Führungsaufsicht? Empirische Daten zu Ressourcen,Kooperationsstrukturen und Kontrollstrategien eines umstrittenen Rechtsinstituts; in: Dertinger, Ch./Marks, E. (Hg.), Führungsaufsicht. Versuch einer Zwischenbilanz zu einem umstrittenen Rechtsinstitut, Bonn 1990, S.51-76
  • Dessecker, Axel: Suchtbehandlung als strafrechtliche Sanktion. Eine empirische Untersuchung zur Anordnung und Vollstreckung der Maßregel nach § 64 StGB. Wiesbaden: Kriminologische Zentralstelle, 1996
  • Dessecker, Axel: Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit. Eine Untersuchung zum Maßregelrecht. Berlin: Dunker&Humblot, 2004
  • Gronemeyer, D. Zur Reformbedürftigkeit der strafrechtlichen Fahrerlaubnisentziehung und des strafrechtlichen Fahrverbots, Frankfurt am Main: Lang, 2001
  • Kaiser, G.: Befinden sich die kriminalrechtlichen Maßregeln in der Krise? Heidelberg: C.F. Müller,1990
  • Mushoff, T.: BVerfG zur Sicherungsverwahrung. Forum Recht Heft 2 (2004), S. 66
  • Meier, B.-D.: Strafrechtliche Sanktionen. Berlin u. a.: Springer, 2001, S. 217-307
  • Müller, Christian: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24.11.1933. Kriminalpolitik als Rassenpolitik. Baden-Baden, Nomos, 1997
  • Neue juristische Wochenschrift: Bundesjustizministerium kritisiert bayerisch-sachsenanhaltinische Gesetzesinitiative zum Maßregelvollzug. Heft 27 (2004) S. 16
  • Norbert, Nedopil: Forensische Psychiatrie. Klinik, Begutachtung und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht, 2.Auflage. Stuttgart; New York: Thieme, 2000
  • Schewe, J.: Die Geschichte der Sicherungsverwahrung. Entstehung, Entwicklung und Reform. Hamburg, 1999
  • Volckart, B.: Maßregelvollzug, 5.Auflage. Neuwied, Berlin, Kriftel: Luchterhand, 1999
  • Weber, H-M., Reindl, R.: Sicherungsverwahrung. Argumente zur Abschaffung eines umstrittenen Rechtsinstitut, in: Neue Kriminalpolitik 13/1, 2001, S. 16-21

Internetadressen


Weitere Informationen zum Stichwort Maßregelvollzug finden Sie im Kriminologie-Lexikon ONLINE unter Maßregelvollzug.