Liwat: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Liwat''' (''liwāt'') beschreibt in der islamischen Rechtswissenschaft (''fiqh'') den Akt des Penetrierens des Anus eines Anderen bis zu mindestens der Eichel. Vergleichbar, aber nicht identisch, ist Liwat mit dem christlich-westlichen Begriff der [http://de.wikipedia.org/wiki/Sodomie Sodomie]. Die Bewertung und Bestrafung von Liwat war und ist in der islamischen Rechtsprechung umstritten.
'''Liwat''' (''liwāt'') beschreibt in der islamischen Rechtswissenschaft (''fiqh'') den Akt des Penetrierens des Anus eines Anderen bis zu mindestens der Eichel. Vergleichbar, aber nicht identisch, ist Liwat mit dem christlich-westlichen Begriff der [http://de.wikipedia.org/wiki/Sodomie Sodomie]. Die Bewertung und Bestrafung von Liwat war und ist in der islamischen Rechtsprechung umstritten.


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Eine präzise Übersetzung von Liwat ist "(die) Pedicatio – an Knaben, Jünglingen, aber auch an Männern und Frauen". Etymologisch lehnt sich Liwat an den Namen des Propheten [http://de.wikipedia.org/wiki/Lot_(Altes_Testament) Lot] an, wie auch "die Taten von Lots Volk" ein juristisches Synonym für Liwat ist<ref name="Schmitt">[http://www.uib.no/jais/v004/schmitt1.pdf Schmitt, Arno, ''liwāt im fiqh: Männliche Homosexualität?'', Journal of Arabic Studies 4 (2001-2002)]</ref>.
Eine präzise Übersetzung von Liwat ist "(die) Pedicatio – an Knaben, Jünglingen, aber auch an Männern und Frauen". Etymologisch lehnt sich Liwat an den Namen des Propheten [http://de.wikipedia.org/wiki/Lot_(Altes_Testament) Lot] an, wie auch "die Taten von Lots Volk" ein juristisches Synonym für Liwat ist<ref name="Schmitt">[http://www.uib.no/jais/v004/schmitt1.pdf Schmitt, Arno, ''liwāt im fiqh: Männliche Homosexualität?'', Journal of Arabic Studies 4 (2001-2002)]</ref>.


Die Übersetzung von Liwat mit Homosexualität oder Päderastie ist insofern falsch, da Liwat im juristischen Kontext ausschließlich eine Handlung beschreibt und indifferent ist gegenüber dem Geschlecht des Handelnden (''luti'') beziehungsweise dem der betroffenen Person<ref name="Schmitt">[http://www.uib.no/jais/v004/schmitt1.pdf Schmitt, Arno, ''liwāt im fiqh: Männliche Homosexualität?'', Journal of Arabic Studies 4 (2001-2002)]</ref>.
Die Übersetzung von Liwat mit Homosexualität oder Päderastie ist insofern falsch, als Liwat im juristischen Kontext ausschließlich eine Handlung beschreibt und indifferent ist gegenüber dem Geschlecht des Handelnden (''luti'') beziehungsweise dem der betroffenen Person<ref name="Schmitt">[http://www.uib.no/jais/v004/schmitt1.pdf Schmitt, Arno, ''liwāt im fiqh: Männliche Homosexualität?'', Journal of Arabic Studies 4 (2001-2002)]</ref>.


Erst in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts etablierte sich mit ''schudud dschinsi'' eine Neuwortschöpfung für Homosexualität, bestehend aus ''schādd'' ("unregelmäßig", "abweichend") und ''dschins'' ("Genus", "Art"). Dies geschah aufgrund eines zunehmenden westlichen Einflusses und der Aufnahme des westlichen Konzepts des "Sexes", wodurch sich auch die Verwendung des eigentlich neutralen ''dschins'' für Geschlechtlichkeit erklärt<ref name="elrouayheb"></ref><ref>Für eine ausführliche Behandlung der "Importierung" der westlichen Vorstellung von Sexualität und Geschlecht vgl. Klauda, 2008, S. 51 - 56</ref>.
Erst in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts etablierte sich mit ''schudud dschinsi'' eine Neuwortschöpfung für Homosexualität, bestehend aus ''schādd'' ("unregelmäßig", "abweichend") und ''dschins'' ("Genus", "Art"). Dies geschah aufgrund eines zunehmenden Einflusses des Westens und der Aufnahme des westlichen Konzepts des "Sexes", wodurch sich auch die Verwendung des eigentlich neutralen ''dschins'' für Geschlechtlichkeit erklärt<ref name="elrouayheb"></ref><ref>Für eine ausführliche Behandlung der "Importierung" der westlichen Vorstellung von Sexualität und Geschlecht vgl. Klauda, 2008, S. 51 - 56</ref>.


== Quoran ==
== Quoran ==
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<blockquote> "Heutige Paare stehen nicht mehr vor der Aufgabe, möglichst viele eigene Kinder aufzuziehen, um die Gemeinschaft und das eigene Alter zu sichern; man kümmert sich mit um die Kinder des Partners aus einer früheren Ehe, man versucht, in schwierigen Zeiten seinen Job zu behalten oder einen zu finden; bemüht sich, ein paar Träume zu verwirklichen, gleichzeitig realistisch zu sein und in dem ganzen Chaos halbwegs anständig zu bleiben. All das tun viele Menschen lieber zu zweit als allein; und wieso soll es nicht mit einem Partner gleichen Geschlechts möglich sein? Eben deswegen kann ich mir so schlecht vorstellen, dass Gott etwas dagegen haben soll, wenn sich zwei Menschen lieben. Egal, wie ihre Körper aussehen. Was zählt, denke ich, ist, wie sie miteinander umgehen: ob sie ehrlich sind, vertrauensvoll, zärtlich, hilfsbereit. Das ist wichtig." <ref>[http://www.swr.de/contra/-/id=5743576/property=download/nid=7612/1y2433/Hilal+Sezgin%2C+Januar+2010.pdf Hilal Sezgin, ''Liebe und Gottgefälligkeit'', 2010]  </ref></blockquote>
<blockquote> "Heutige Paare stehen nicht mehr vor der Aufgabe, möglichst viele eigene Kinder aufzuziehen, um die Gemeinschaft und das eigene Alter zu sichern; man kümmert sich mit um die Kinder des Partners aus einer früheren Ehe, man versucht, in schwierigen Zeiten seinen Job zu behalten oder einen zu finden; bemüht sich, ein paar Träume zu verwirklichen, gleichzeitig realistisch zu sein und in dem ganzen Chaos halbwegs anständig zu bleiben. All das tun viele Menschen lieber zu zweit als allein; und wieso soll es nicht mit einem Partner gleichen Geschlechts möglich sein? Eben deswegen kann ich mir so schlecht vorstellen, dass Gott etwas dagegen haben soll, wenn sich zwei Menschen lieben. Egal, wie ihre Körper aussehen. Was zählt, denke ich, ist, wie sie miteinander umgehen: ob sie ehrlich sind, vertrauensvoll, zärtlich, hilfsbereit. Das ist wichtig." <ref>[http://www.swr.de/contra/-/id=5743576/property=download/nid=7612/1y2433/Hilal+Sezgin%2C+Januar+2010.pdf Hilal Sezgin, ''Liebe und Gottgefälligkeit'', 2010]  </ref></blockquote>


== Hadithen ==
== Ahadith ==


In den Hadithen gesammelt finden sich die Überlieferungen über Mohammed, aus denen vor allem viele Verbote und religiös-moralische Warnungen abgeleitet werden, die im Koran selbst keine Erwähnung finden oder kein explizites Strafmaß geäußert wird. Jedoch ist bei vielen Hadithen zweifelhaft, ob sie tatsächlich von Mohammed stammen oder aus unterschiedlichen Interessen heraus nachträglich gefälscht wurden. <ref name="Schmitt"></ref>
In den Ahadith (oder auch:Hadithen) gesammelt finden sich die Überlieferungen über Mohammed, aus denen vor allem viele Verbote und religiös-moralische Warnungen abgeleitet werden, die im Koran selbst keine Erwähnung finden oder kein explizites Strafmaß geäußert wird. Jedoch ist bei vielen Hadithen zweifelhaft, ob sie tatsächlich von Mohammed stammen oder aus unterschiedlichen Interessen heraus nachträglich gefälscht wurden. <ref name="Schmitt"></ref>


Analkverkehr wird in diversen Hadith explizit abgelehnt:
Analkverkehr wird in verschiedenen Hadithen explizit abgelehnt:


<blockquote>"He who has intercourse with his wife through her anus is accursed"—Narrated by Sunni view of Abu Huraira|Abu Hurairah, Book of Marriage, Sunan Abu Dawood 2157<ref>[http://www.searchtruth.com/book_display.php?book=11&translator=3&start=0&number=2155 Hadith (Hadis) Books (Sahih Al-Bukhari, Sahih Muslim, Sunan Abu-Dawud, and Malik's Muwatta)]</ref></blockquote>
<blockquote>"He who has intercourse with his wife through her anus is accursed"—Narrated by Sunni view of Abu Huraira|Abu Hurairah, Book of Marriage, Sunan Abu Dawood 2157<ref>[http://www.searchtruth.com/book_display.php?book=11&translator=3&start=0&number=2155 Hadith (Hadis) Books (Sahih Al-Bukhari, Sahih Muslim, Sunan Abu-Dawud, and Malik's Muwatta)]</ref></blockquote>
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Verschiedene Gelehrte wie Ibn Al-Jawzi und [http://en.wikipedia.org/wiki/Sunan_al-Tirmidhi Sunan al-Thirmidi] bezeugen die Verurteilung von Liwat durch Mohammed und dessen Forderung einer Todesstrafe<ref name="Schmitt"></ref>. Des Weiteren soll der erste Kalif [http://de.wikipedia.org/wiki/Abu_Bakr Abu Bakr], Mohammeds Stiefvater und Nachfolger, einen Mann wegen liwat lebendig begraben haben lassen, während der vierte Kalif, [http://de.wikipedia.org/wiki/%CA%BFAl%C4%AB_ibn_Ab%C4%AB_T%C4%81lib 'Ali ibn Abi Talib], einen Mann wegen liwat von einem Minarett stürzte <ref name="pellat">Pellat, Charles, ''Liwat'' in: Schmitt und Sofer (Hrsg.), ''Sexuality and Eroticism Among Males in Moslem Societies'', New York: Haworth, 1992</ref>. Dabei ist unklar, ob es sich bei diesen Urteilen um Auslegungen gängigen Rechts handelte oder um souveräne Herrscherentscheidungen, die erst rückwirkend rechtlich legitimiert wurden <ref name="Klauda"></ref>.
Verschiedene Gelehrte wie Ibn Al-Jawzi und [http://en.wikipedia.org/wiki/Sunan_al-Tirmidhi Sunan al-Thirmidi] bezeugen die Verurteilung von Liwat durch Mohammed und dessen Forderung einer Todesstrafe<ref name="Schmitt"></ref>. Des Weiteren soll der erste Kalif [http://de.wikipedia.org/wiki/Abu_Bakr Abu Bakr], Mohammeds Stiefvater und Nachfolger, einen Mann wegen liwat lebendig begraben haben lassen, während der vierte Kalif, [http://de.wikipedia.org/wiki/%CA%BFAl%C4%AB_ibn_Ab%C4%AB_T%C4%81lib 'Ali ibn Abi Talib], einen Mann wegen liwat von einem Minarett stürzte <ref name="pellat">Pellat, Charles, ''Liwat'' in: Schmitt und Sofer (Hrsg.), ''Sexuality and Eroticism Among Males in Moslem Societies'', New York: Haworth, 1992</ref>. Dabei ist unklar, ob es sich bei diesen Urteilen um Auslegungen gängigen Rechts handelte oder um souveräne Herrscherentscheidungen, die erst rückwirkend rechtlich legitimiert wurden <ref name="Klauda"></ref>.


Eine Erklärung für den scharfen Kontrast dieses Strafmaßes zu dem des Korans wird u.A. durch den zunehmenden Einfluss oströmischer Rechtsprechung und der Einflussnahme christlicher und jüdischer Konvertiten aus der Oberschicht erklärt <ref name="greenberg">Greenberg, David F., ''The Construction of Homosexuality'', Chicago: University of Chicago Press, 1993, S.173</ref>.  Eine weitere Interpretation ist, dass die [http://de.wikipedia.org/wiki/Ulama islamischen Rechtsgelehrten](''ulamā'') durch die Aufnahme eines Strafmaßes für Liwat in die religiöse Rechtswissenschaft die Willkür der Herrscher zügeln wollten <ref name="Klauda"></ref>.
Eine Erklärung für den scharfen Kontrast dieses Strafmaßes zu dem des Korans wird u.A. durch den zunehmenden Einfluss oströmischer Rechtsprechung und der Einflussnahme christlicher und jüdischer Konvertiten aus der Oberschicht erklärt <ref name="greenberg">Greenberg, David F., ''The Construction of Homosexuality'', Chicago: University of Chicago Press, 1993, S.173</ref>.  Eine weitere Interpretation ist, dass die [http://de.wikipedia.org/wiki/Ulama islamischen Rechtsgelehrten] (''ulamā'') durch die Aufnahme eines Strafmaßes für Liwat in die religiöse Rechtswissenschaft die Willkür der Herrscher zügeln wollten <ref name="Klauda"></ref>.


== Fiqh ==  
== Fiqh ==  
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== Prozessrecht ==
== Prozessrecht ==


Eine Besonderheit im islamischen Prozessrecht betreffend ''hadd''-Strafen ist, dass Indizienbeweise unzulässig sind und es entweder eines Geständnises oder Zeugenaussagen bedarf<ref name="peters"></ref>.
Eine Besonderheit im islamischen Prozessrecht betreffend ''hadd''-Strafen ist, dass Indizienbeweise unzulässig sind und es entweder eines Geständnises oder einer Zeugenaussagen bedarf<ref name="peters"></ref>.


Nur ein explizites Geständnis vor dem Richter (inklusive einer juristisch korrekten Benennung der Tat) oder eine nahtlose Zeugenaussage von mindestens zwei Augenzeugen sind zulässig. Ein Geständnis außerhalb des Gerichtssaals oder eine verspätete Zeugenaussage sind hinfällig ebenso wie Zeuge bei nicht tadellosem Lebenswandel keine Aussagekraft hat.
Nur ein explizites Geständnis vor dem Richter (inklusive einer juristisch korrekten Benennung der Tat) oder eine nahtlose Zeugenaussage von mindestens zwei Augenzeugen sind zulässig. Ein Geständnis außerhalb des Gerichtssaals oder eine verspätete Zeugenaussage sind hinfällig ebenso wie Zeugen bei nicht tadellosem Lebenswandel keine Aussagekraft haben.


Des Weiteren sind Zeugen bei Liwat oder ''zina'' nicht zu einer Aussage verpflichtet und es gilt als moralisch richtig, die Tat zu verschweigen. Die in diesem Fall mindestens vier Augenzeugen müssen die Tat bis ins intimste Detail beschreiben ("so wie man einen Eimer in den Brunnen gehen sieht") und machen sich im Falle einer falschen Aussage oder einer unbewiesenen Aussage selbst eines ''hadd''-Vergehens schuldig, der Verleumdung wegen ''zina'' (''qadf''), die mit 80 Peitschenhieben geahndet wird<ref name="Klauda"></ref>.
Des Weiteren sind Zeugen bei Liwat oder ''zina'' nicht zu einer Aussage verpflichtet und es gilt als moralisch richtig, die Tat zu verschweigen. Die in diesem Fall mindestens vier Augenzeugen müssen die Tat bis ins intimste Detail beschreiben ("so wie man einen Eimer in den Brunnen gehen sieht") und machen sich im Falle einer falschen Aussage oder einer unbewiesenen Aussage selbst eines ''hadd''-Vergehens schuldig, der Verleumdung wegen ''zina'' (''qadf''), die mit 80 Peitschenhieben geahndet wird<ref name="Klauda"></ref>.
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Ebenso wird der in Koran und Sunna oft wiederholte Wunsch nach Verhüllung (''satr'') über eine Ahndung der Unzucht gestellt<ref name="Schmitt"></ref>, während im Koran das Spionieren sowie die Enthüllung von ''zina'' mit Strafen belegt wird<ref name="Klauda"></ref>.
Ebenso wird der in Koran und Sunna oft wiederholte Wunsch nach Verhüllung (''satr'') über eine Ahndung der Unzucht gestellt<ref name="Schmitt"></ref>, während im Koran das Spionieren sowie die Enthüllung von ''zina'' mit Strafen belegt wird<ref name="Klauda"></ref>.
Von besonderer Qualität ist die Rechtslage zu Liwat im Iran. Auch wenn das iranische Gesetz unter die Auflagen des religiösen Prozessrecht fällt, ist es dem Richter gestattet, bei einem Liwat-Vergehen auch auf "Grundlage seinens Wissens" ein Urteil zu fällen. Dies ist eine historische Besonderheit der dscha'faristische Doktrin, die es im modernen Iran ermöglicht Richtern durch krimaltechnische Untersuchungen (etwa Proben des Intem-/oder Analbereichs) ''hadd''-Urteile zu fällen, ohne auf Zeugenaussagen oder Geständnisse angewiesen zu sein<ref name="Klauda"></ref>.
== Weblinks ==
* [http://en.wikipedia.org/wiki/Islamic_views_on_anal_sex Islamic views on anal sex] in der engl. Wikipedia
* [http://de.wikipedia.org/wiki/Homosexualit%C3%A4t_im_Islam Homosexualität im Islam] in der dt. Wikipedia


== Literatur ==
== Literatur ==
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