Lieselotte Pongratz: Unterschied zwischen den Versionen

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1954 begann Lieselotte Pongratz mit dem Studium der Soziologie, Kriminologie, des Jugendstrafrechts und der Psychologie; zunächst in Hamburg und dann an der London School of Economics and Political Science. Sie promovierte 1963 im Rahmen eines Stipendiums bei dem Soziologen Prof. Dr. Kluth an der Universität Hamburg über die Sozialisation und das soziale Lebensschicksal von Prostituiertenkindern.
1954 begann Lieselotte Pongratz mit dem Studium der Soziologie, Kriminologie, des Jugendstrafrechts und der Psychologie; zunächst in Hamburg und dann an der London School of Economics and Political Science. Sie promovierte 1963 im Rahmen eines Stipendiums bei dem Soziologen Prof. Dr. Kluth an der Universität Hamburg über die Sozialisation und das soziale Lebensschicksal von Prostituiertenkindern.


Von 1963 bis 1966 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Hamburg. In Zusammenarbeit mit den beiden Senatsbeauftragten, Prof. Bondy und Prof. Sieverts ist sie an dem Aufbau des Sozialpädagogischen Zusatzstudiums für Sozialwissenschaftler, Juristen, Mediziner und and. Fachrichtungen der Universität Hamburg beschäftigt.  
Von 1963 bis 1966 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Hamburg. In Zusammenarbeit mit den beiden Senatsbeauftragten, Prof. Bondy und Prof. Sieverts war sie mit dem Aufbau des Sozialpädagogischen Zusatzstudiums für Sozialwissenschaftler, Juristen, Mediziner und and. Fachrichtungen der Universität Hamburg beschäftigt.  


1966 wurde Lieselotte Pongratz Wissenschaftliche Rätin am Seminar für Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Sie führte hier eine fundierte Methodenausbildung ein und entwickelt den Schwerpunkt der Soziologie des abweichendes Verhaltens, der Jugend und Familie. Aus dieser Tätigkeit heraus war sie mit im Aktionsforschungsprojekt in der Hamburger Übergangsstrafanstalt für Strafgefangene in der Alsenstraße.
1966 wurde Lieselotte Pongratz Wissenschaftliche Rätin am Seminar für Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Sie führte hier eine fundierte Methodenausbildung ein und entwickelt den Schwerpunkt der Soziologie des abweichendes Verhaltens, der Jugend und Familie. Aus dieser Tätigkeit heraus war sie mit im Aktionsforschungsprojekt in der Hamburger Übergangsstrafanstalt für Strafgefangene in der Alsenstraße.
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Nachdem sie mehrere Rufe an andere Universitäten abgelehnt hatte, wurde sie 1973 Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg und baute den Bereich "Abweichendes Verhalten und soziale Kontrolle" weiter aus.
Nachdem sie mehrere Rufe an andere Universitäten abgelehnt hatte, wurde sie 1973 Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg und baute den Bereich "Abweichendes Verhalten und soziale Kontrolle" weiter aus.


1975 nahm Lieselotte Pongratz den Ruf für eine Professur für Kriminlogie am Fachbereich Rechtswissenschaft II der Universität Hamburg an. Nach Anne-Eva Brauneck (Prof. für Kriminologie, Universität Gießen), war sie die zweite Professorin in der Bundesrepublik für Kriminologie. Hier arbeitete sie im Teilbereich Abweichendes Verhalten und strafrechtliche Sozialkontrolle, in dem die Forschungs- und Lehraktivitäten zusammengefaßt sind, die sich auf die strafrechtliche Sanktionierung abweichenden Verhaltens und die dadurch ausgeübte soziale Kontrolle beziehen. Kennzeichnend für die wissentschaftliche Ausrichtung ist die Integration von Recht- und Sozialwissenschaften auf den Gebieten des Strafrechts und der Kriminologie.(...geprägt durch interdisziplinäre Forschungsaktivitäten.) Darüber hinaus ist sie zusammen mit Strafrechtlern des Fachbereiches an einer Reform der Juristenausbildung; zunächst der Einstufigen Juristenausbildung und nach dessem Abbruch, ab dem WS 1985/86 im Rahmen der Reformierten Zweistufigen Juristenausbildung.
1975 nahm Lieselotte Pongratz den Ruf für eine Professur für Kriminlogie am Fachbereich Rechtswissenschaft II der Universität Hamburg an. Nach Anne-Eva Brauneck (Prof. für Kriminologie, Universität Gießen), war sie die zweite Professorin in der Bundesrepublik für Kriminologie. Hier arbeitete sie im Teilbereich Abweichendes Verhalten und strafrechtliche Sozialkontrolle, in dem die Forschungs- und Lehraktivitäten zusammengefaßt sind, die sich auf die strafrechtliche Sanktionierung abweichenden Verhaltens und die dadurch ausgeübte soziale Kontrolle beziehen. Darüber hinaus arbeitete sie zusammen mit Strafrechtlern des Fachbereiches an einer Reform der Juristenausbildung ; zunächst der Einstufigen Juristenausbildung und nach dessem Abbruch, ab dem WS 1985/86 im Rahmen der Reformierten Zweistufigen Juristenausbildung.


Von 1979 an war Pongratz maßgeblich an der Gründung des Aufbau- und Kontaktstudiums für Kriminologie, dessen Lehrbetrieb 1984 aufgenommen wird, beteiligt. Die Vorarbeiten begannen 1979 u.a. mit der Einsetzung einer Gemeinsamen Kommission des Akademischen Senats der Universität. Aufgrund Ihres persönlichen Einsatzes wurde die erforderliche Finanzierungszusage ein Jahr vor Aufnahme des Lehrbetriebes für das Kriminologiestudiums gegeben. Diese Modelleinrichtung, zunächst unter der wissenschaftlichen Leitung von Fritz Sack und heute Sebastian Scheerer, war die erste Diplom- Ausbildung für Kriminologie in der Bundesrepublik.
Von 1979 an war Pongratz maßgeblich an der Gründung des Aufbau- und Kontaktstudiums für Kriminologie, dessen Lehrbetrieb 1984 aufgenommen wird, beteiligt. Die Vorarbeiten begannen 1979 u.a. mit der Einsetzung einer Gemeinsamen Kommission des Akademischen Senats der Universität. Aufgrund Ihres persönlichen Einsatzes wurde die erforderliche Finanzierungszusage ein Jahr vor Aufnahme des Lehrbetriebes für das Kriminologiestudiums gegeben. Diese Modelleinrichtung, zunächst unter der wissenschaftlichen Leitung von Fritz Sack und bis heute (2007) von Sebastian Scheerer, war die erste Diplom- Ausbildung für Kriminologie in der Bundesrepublik.


Zum WS 1985/1986 erfolgte ihre Emeritierung.
Zum WS 1985/1986 erfolgte ihre Emeritierung.
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== Wissenschaftliche Arbeit und Forschung ==
== Wissenschaftliche Arbeit und Forschung ==


Der kriminologische Forschungsansatz von Lieselotte Pongratz war stark geprägt von ihrem sozialpädagogischen Praxisbezug und ihrer methodischen Ausbildung. Sie initiierte verschiedene Projekte auf der Grundlage der empirischen Sozialforschung (u.a. soziale Lernprozesse von Kindern einer bestimmten Wohngegend). Ihr Name stand in den 60 er Jahren für "Empirische Sozialforschung". Der Ansatz war nicht der einer abstrahierenden Unverbindlichkeit, vielmehr waren "Theorien Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck". Ihre Aufgabe als Kriminologin sah Lieselotte Pongratz vor allem darin, mit kriminologischem Wissen die Situation der von der Kriminalpolitik Betroffenen tatsächlich zu verändern. Es ging ihr maßgeblich um die Herausarbeitung belastender Lebensumstände, die objektiv strukturell auf Menschen einwirken und die durch deren Handeln wiederum reproduziert werden. Sie zeigte auf, wie Menschen mit gleichen Umständen unterschiedlich umgehen, sie bewältigen oder an ihnen scheitern. Aufgrund der Kombination aus Wissenschaftlerin und Kriminalpolitikerin hob sie sich von der rein wissenschaftlichen, theorienorientierten wie auch von der üblichen kriminalpolitischen Betrachtungsweise ab. Ihr Engagement zielte maßgeblich auf die tatsächliche und praktische Umsetzung - unabhängig auf welcher Grundlage (theoretisch oder praktisch)- von Maßnahmen für die Betroffenen.
Der kriminologische Forschungsansatz von Lieselotte Pongratz war stark geprägt von ihrem sozialpädagogischen Praxisbezug und ihrer methodischen Ausbildung. Sie initiierte verschiedene Projekte auf der Grundlage der empirischen Sozialforschung (u.a. soziale Lernprozesse von Kindern einer bestimmten Wohngegend). Ihr Name stand in den 60'er Jahren für "Empirische Sozialforschung". Der Ansatz war nicht der einer abstrahierenden Unverbindlichkeit, vielmehr waren "Theorien Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck". Ihre Aufgabe als Kriminologin sah Lieselotte Pongratz vor allem darin, mit kriminologischem Wissen die Situation der von der Kriminalpolitik Betroffenen tatsächlich zu verändern. Es ging ihr maßgeblich um die Herausarbeitung belastender Lebensumstände, die objektiv strukturell auf Menschen einwirken und die durch deren Handeln wiederum reproduziert werden. Sie zeigte auf, wie Menschen mit gleichen Umständen unterschiedlich umgehen, sie bewältigen oder an ihnen scheitern.  
Aufgrund der Kombination aus Wissenschaftlerin und Kriminalpolitikerin hob sie sich von der rein wissenschaftlichen, theorienorientierten wie auch von der üblichen kriminalpolitischen Betrachtungsweise ab. Ihr Engagement zielte maßgeblich auf eine zielorientierte Umsetzung von Maßnahmen für die Betroffenen.
Kennzeichnend für ihre wissentschaftliche Ausrichtung ist die Integration von Rechts- und Sozialwissenschaften auf den Gebieten des Strafrechts und der Kriminologie, insbesondere durch interdisziplinäre Forschungsaktivitäten. Dabei war es ihr Anliegen die empirische Forschung, die in Deutschland in den 60 er Jahren -anders als in z.B. den Niederlanden, England und vor allem den USA- völlig unterrepräsentiert war, in die Kriminologie einzubringen.
   
   
== Initiativen /Mitgliedschaften==
== Initiativen /Mitgliedschaften==


Lieselotte Pongratz war Mitbegründerin des Arbeitskreises Junger Kriminologen (AJK), die sich am 12. Juni 1969 zu der interdisziplinären Arbeitsgruppe mit dem Ziel zusammenschlossen, ein kritisches und unabhängiges Diskussionsforum für Nachwuchswissenschaftler über neue Forschungsarbeiten zu bieten. Ihre Motivation war hauptsächlich das Bedürfnis nach Offenheit in der Kommunikation und Bündelung der in den unterschiedlichen (Teil-)Disziplinen vorhandenen Erkenntnisse an bzw. zu neuen und neuentwickelten kriminologischen Fragestellungen, aber auch einen Überblick über die aktuelle Forschung und Projekte in Deutschland zu schaffen. Das Ziel sollte sein, Forschungskonzepte zu entwickeln, die deutlich machen sollten, in welchen Bereichen Forschungen vorrangig anzusetzen sind.  
Lieselotte Pongratz war Mitbegründerin des Arbeitskreises Junger Kriminologen (AJK), die sich am 12. Juni 1969 zu dieser interdisziplinären Arbeitsgruppe mit dem Ziel zusammenschlossen, ein kritisches und unabhängiges Diskussionsforum für Nachwuchswissenschaftler über neue Forschungsarbeiten zu bieten. Ihre Motivation war hauptsächlich das Bedürfnis nach Offenheit in der Kommunikation und Bündelung der in den unterschiedlichen (Teil-)Disziplinen vorhandenen Erkenntnisse an bzw. zu neuen und neuentwickelten kriminologischen Fragestellungen. Ihre Absicht bestand hauptsächlich darin einen Überblick über die aktuelle Forschung und Projekte in Deutschland schaffen. Das Ziel sollte sein, Forschungskonzepte zu entwickeln, die deutlich machen sollten, in welchen Bereichen Forschungen vorrangig anzusetzen sind.  
 
Als Mitbegründerin und -autorin des Kriminologischen Journals (KrimJ)- das auf ihre Veranlassung hin erstmalig im Juli 1969 erschien - war es ihr Anliegen, keinem theoretischen Programm verpflichtet zu sein, sondern vielmehr die kriminologische Forschung von den verschiedenen Disziplinen her zu integrieren.
Als Mitbegründerin und -autorin des Kriminologischen Journals (KrimJ)- das auf ihre Veranlassung hin erstmalig im Juli 1969 erschien - war es ihr Anliegen, keinem theoretischen Programm verpflichtet zu sein, sondern vielmehr die kriminologische Forschung von den verschiedenen Disziplinen her zu integrieren.
Insbesondere war es ihr Anliegen empirische Forschung, die in Deutschland in den 60 er Jahren -anders als in z.B. den Niederlanden, England und vor allem den USA- völlig fehlte, in die Kriminologie einzubringen.


Ende der 70 er Jahre gründete sie den "Norddeutschen kriminologischen Gesprächskreis", der den Informationsaustausch auf regionaler Ebene etablierte. Standort...
Lieselotte Pongratz war an dem 1972 eröffneten Moritz-Liepmann-Haus beteiligt. Dieses war ein bundesweites Modellprojekt, das für den Übergang von der Haftzeit auf die Freiheit konzipiert wurde und die seinerzeit einzige Einrichtung in Hamburg.


1973 war sie Mitbegründerin (?) der European Group for the study of deviance and social control, der sie bis zuletzt angehörte.
1973 war sie Mitbegründerin (?) der European Group for the study of deviance and social control, der sie bis zuletzt angehörte.


Zu Beginn der 70 er Jahre war Lieselotte Pongratz Mitglied und später, vier Jahre lang, Vorsitzende des Bundesjugendkuratoriums. Auf ihre Initiative hin, kam es zu einem Hearing "Jugend und Terrorismus" (1979) und, in den Beratungen zur Reform des Jugendhilferechts, zum Symposium über Erziehung in geschlossenen Heimen ( Mai 1981).  
Zu Beginn der 70'er Jahre war Lieselotte Pongratz Mitglied und später, vier Jahre lang, Vorsitzende des Bundesjugendkuratoriums. Auf ihre Initiative hin, kam es zu einem Hearing "Jugend und Terrorismus" (1979) und, in den Beratungen zur Reform des Jugendhilferechts, zum Symposium über Erziehung in geschlossenen Heimen ( Mai 1981).
 
Ende der 70 er Jahre gründete Lieselotte Pongartz den "Norddeutschen kriminologischen Gesprächskreis", der den Informationsaustausch auf regionaler Ebene etablierte.  


Seit 1981 war sie Anstaltsbeirätin in der hamburgischen offenen Männeranstalt Glasmoor und später in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg.
Seit 1981 war sie Anstaltsbeirätin in der hamburgischen offenen Männeranstalt Glasmoor und später in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg.


Lieselotte Pongratz war ferner an der Einrichtung des Moritz-Liepmann-Hauses beteiligt. Das bei seiner Eröffnung im Jahr 1972 ein bundesweites Modellprojekt und die seinerzeit einzige Einrichtung in Hamburg, die für den Übergang von der Haftzeit auf die Freiheit konzipiert wurde. (MLH ist seit 2005 geschlossen)Standort...


== Veröffentlichungen/Herausgeberschaften ==
== Veröffentlichungen/Herausgeberschaften ==
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Pongratz, L.  
Pongratz, L.  
Indikationen vormundschaftsgerichtlicher Maßnahmen aus soziologischer Sicht, in: AFET (Hrsg.) : Vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen und Indikationen (1968)
Indikationen vormundschaftsgerichtlicher Maßnahmen aus soziologischer Sicht, in: AFET (Hrsg.) : Vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen und Indikationen (1968)
Haag, F. und Pongratz, L.
Forschungsstrategien für sozialtherapeutische Anstalten, in KrimJ 1970, Heft 1, 10 f.


Friedrichs, J. und Pongratz,L.
Friedrichs, J. und Pongratz,L.

Version vom 23. Oktober 2007, 21:19 Uhr

Lieselotte Pongratz (geb.am 24.12.1923 - gest.am 05.09.2001 in Hamburg) war eine deutsche Kriminologin und die zweite Frau in der Bundesrepublik, die einen Lehrstuhl für Kriminologie erhielt (1975).

Lebenslauf

Der Lebenslauf von Lieselotte Pongratz ist für eine wissenschaftliche Laufbahn ungewöhnlich und geprägt durch den Nationalsozialismus.

Die politisch bedingte Arbeitslosigkeit des Vaters, er war Kommunist, verwehrte ihr den Besuch einer höheren Schule. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter gelang es ihr aufgrund ihrer Kontakte nicht in nationalsozialistische Heimerziehung zu kommen, sondern bereits als Minderjährige ein eigenständiges Leben zu führen. Lieselotte Pongratz besuchte die Volksschule und leistet ein "Pflichtjahr" in der Landwirtschaft ab. Anschließend machte sie eine kaufmännische Lehre, die sie mit der Gehilfenprüfung abschloss; es folgte eine Kriegdienstverpflichtung und bis 1945 Reichsarbeitsdienst in Ostpreußen.

Nach dem Krieg begann Lieselotte Pongratz 1946 eine Ausbildung zur Fürsorgerin am Sozialpädogogischen Institut Hamburg, machte dort 1949 Examen und arbeitete anschliessend als Sozialarbeiterin bei der Jugendbehörde Hamburg.

Der wissenschaftliche Weg von Lieselotte Pongratz begann 1953. Sie wurde für eine wissenschaftliche Untersuchung über Jugendliche in Heimen der offenen Tür und die Längsschnittuntersuchung über das Lebensschicksal von Fürsorgezöglingen von der Jugendbehörde freigestellt. Im Rahmen dieser Arbeit entwickelten sich Kontakte zu einer Gruppe junger Soziologen um den Hamburger Prof. Schelsky, insbesondere zu dem späteren Soziologieprofessor Heinz Kluth, der sie unterstützte die Begabtenprüfung zu machen.

1954 begann Lieselotte Pongratz mit dem Studium der Soziologie, Kriminologie, des Jugendstrafrechts und der Psychologie; zunächst in Hamburg und dann an der London School of Economics and Political Science. Sie promovierte 1963 im Rahmen eines Stipendiums bei dem Soziologen Prof. Dr. Kluth an der Universität Hamburg über die Sozialisation und das soziale Lebensschicksal von Prostituiertenkindern.

Von 1963 bis 1966 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Hamburg. In Zusammenarbeit mit den beiden Senatsbeauftragten, Prof. Bondy und Prof. Sieverts war sie mit dem Aufbau des Sozialpädagogischen Zusatzstudiums für Sozialwissenschaftler, Juristen, Mediziner und and. Fachrichtungen der Universität Hamburg beschäftigt.

1966 wurde Lieselotte Pongratz Wissenschaftliche Rätin am Seminar für Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Sie führte hier eine fundierte Methodenausbildung ein und entwickelt den Schwerpunkt der Soziologie des abweichendes Verhaltens, der Jugend und Familie. Aus dieser Tätigkeit heraus war sie mit im Aktionsforschungsprojekt in der Hamburger Übergangsstrafanstalt für Strafgefangene in der Alsenstraße.

Nachdem sie mehrere Rufe an andere Universitäten abgelehnt hatte, wurde sie 1973 Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg und baute den Bereich "Abweichendes Verhalten und soziale Kontrolle" weiter aus.

1975 nahm Lieselotte Pongratz den Ruf für eine Professur für Kriminlogie am Fachbereich Rechtswissenschaft II der Universität Hamburg an. Nach Anne-Eva Brauneck (Prof. für Kriminologie, Universität Gießen), war sie die zweite Professorin in der Bundesrepublik für Kriminologie. Hier arbeitete sie im Teilbereich Abweichendes Verhalten und strafrechtliche Sozialkontrolle, in dem die Forschungs- und Lehraktivitäten zusammengefaßt sind, die sich auf die strafrechtliche Sanktionierung abweichenden Verhaltens und die dadurch ausgeübte soziale Kontrolle beziehen. Darüber hinaus arbeitete sie zusammen mit Strafrechtlern des Fachbereiches an einer Reform der Juristenausbildung ; zunächst der Einstufigen Juristenausbildung und nach dessem Abbruch, ab dem WS 1985/86 im Rahmen der Reformierten Zweistufigen Juristenausbildung.

Von 1979 an war Pongratz maßgeblich an der Gründung des Aufbau- und Kontaktstudiums für Kriminologie, dessen Lehrbetrieb 1984 aufgenommen wird, beteiligt. Die Vorarbeiten begannen 1979 u.a. mit der Einsetzung einer Gemeinsamen Kommission des Akademischen Senats der Universität. Aufgrund Ihres persönlichen Einsatzes wurde die erforderliche Finanzierungszusage ein Jahr vor Aufnahme des Lehrbetriebes für das Kriminologiestudiums gegeben. Diese Modelleinrichtung, zunächst unter der wissenschaftlichen Leitung von Fritz Sack und bis heute (2007) von Sebastian Scheerer, war die erste Diplom- Ausbildung für Kriminologie in der Bundesrepublik.

Zum WS 1985/1986 erfolgte ihre Emeritierung.

2000 gründete Lieselotte Pongratz, anfänglich unter ihrem Vorsitz, eine Stiftung, die es Studierenden und Promovierenden der Kriminologie und der sozialen Arbeit ermöglichen soll, ihre Forschungsprojekte erfolgreich zu Ende zu bringen. Hinter- und Beweggrund der Errichtung dieser Stiftung war, dass ein ihr gewährtes Stipendium während der eigenen Promotion auslief und sie diese Zeit nur Hilfe von Freunden überbrücken konnte. Die Stiftung, unter dem Vorsitz von Prof.Dr. Timm Kunstreich (seit 2002 ?), hat bis heute (Oktober 2007) 5 Stipendien vergeben und verschiedentlich Zuschüsse gewährt.

Wissenschaftliche Arbeit und Forschung

Der kriminologische Forschungsansatz von Lieselotte Pongratz war stark geprägt von ihrem sozialpädagogischen Praxisbezug und ihrer methodischen Ausbildung. Sie initiierte verschiedene Projekte auf der Grundlage der empirischen Sozialforschung (u.a. soziale Lernprozesse von Kindern einer bestimmten Wohngegend). Ihr Name stand in den 60'er Jahren für "Empirische Sozialforschung". Der Ansatz war nicht der einer abstrahierenden Unverbindlichkeit, vielmehr waren "Theorien Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck". Ihre Aufgabe als Kriminologin sah Lieselotte Pongratz vor allem darin, mit kriminologischem Wissen die Situation der von der Kriminalpolitik Betroffenen tatsächlich zu verändern. Es ging ihr maßgeblich um die Herausarbeitung belastender Lebensumstände, die objektiv strukturell auf Menschen einwirken und die durch deren Handeln wiederum reproduziert werden. Sie zeigte auf, wie Menschen mit gleichen Umständen unterschiedlich umgehen, sie bewältigen oder an ihnen scheitern. Aufgrund der Kombination aus Wissenschaftlerin und Kriminalpolitikerin hob sie sich von der rein wissenschaftlichen, theorienorientierten wie auch von der üblichen kriminalpolitischen Betrachtungsweise ab. Ihr Engagement zielte maßgeblich auf eine zielorientierte Umsetzung von Maßnahmen für die Betroffenen. Kennzeichnend für ihre wissentschaftliche Ausrichtung ist die Integration von Rechts- und Sozialwissenschaften auf den Gebieten des Strafrechts und der Kriminologie, insbesondere durch interdisziplinäre Forschungsaktivitäten. Dabei war es ihr Anliegen die empirische Forschung, die in Deutschland in den 60 er Jahren -anders als in z.B. den Niederlanden, England und vor allem den USA- völlig unterrepräsentiert war, in die Kriminologie einzubringen.

Initiativen /Mitgliedschaften

Lieselotte Pongratz war Mitbegründerin des Arbeitskreises Junger Kriminologen (AJK), die sich am 12. Juni 1969 zu dieser interdisziplinären Arbeitsgruppe mit dem Ziel zusammenschlossen, ein kritisches und unabhängiges Diskussionsforum für Nachwuchswissenschaftler über neue Forschungsarbeiten zu bieten. Ihre Motivation war hauptsächlich das Bedürfnis nach Offenheit in der Kommunikation und Bündelung der in den unterschiedlichen (Teil-)Disziplinen vorhandenen Erkenntnisse an bzw. zu neuen und neuentwickelten kriminologischen Fragestellungen. Ihre Absicht bestand hauptsächlich darin einen Überblick über die aktuelle Forschung und Projekte in Deutschland schaffen. Das Ziel sollte sein, Forschungskonzepte zu entwickeln, die deutlich machen sollten, in welchen Bereichen Forschungen vorrangig anzusetzen sind.

Als Mitbegründerin und -autorin des Kriminologischen Journals (KrimJ)- das auf ihre Veranlassung hin erstmalig im Juli 1969 erschien - war es ihr Anliegen, keinem theoretischen Programm verpflichtet zu sein, sondern vielmehr die kriminologische Forschung von den verschiedenen Disziplinen her zu integrieren.

Lieselotte Pongratz war an dem 1972 eröffneten Moritz-Liepmann-Haus beteiligt. Dieses war ein bundesweites Modellprojekt, das für den Übergang von der Haftzeit auf die Freiheit konzipiert wurde und die seinerzeit einzige Einrichtung in Hamburg.

1973 war sie Mitbegründerin (?) der European Group for the study of deviance and social control, der sie bis zuletzt angehörte.

Zu Beginn der 70'er Jahre war Lieselotte Pongratz Mitglied und später, vier Jahre lang, Vorsitzende des Bundesjugendkuratoriums. Auf ihre Initiative hin, kam es zu einem Hearing "Jugend und Terrorismus" (1979) und, in den Beratungen zur Reform des Jugendhilferechts, zum Symposium über Erziehung in geschlossenen Heimen ( Mai 1981).

Ende der 70 er Jahre gründete Lieselotte Pongartz den "Norddeutschen kriminologischen Gesprächskreis", der den Informationsaustausch auf regionaler Ebene etablierte.

Seit 1981 war sie Anstaltsbeirätin in der hamburgischen offenen Männeranstalt Glasmoor und später in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg.


Veröffentlichungen/Herausgeberschaften

Pongratz, L. und Lohmar, U. (1955) Zielsetzung und Wirksamkeit im Heim der offenen Tür, in: Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge (Hrsg.): Das Heim der offenen Tür. Eine Untersuchung westdeutscher und westberliner Freizeitstätten.

Pongratz, L. und Hübner H.-O. Lebensbewährung nach öffentlicher Erziehung - eine Hamburger Untersuchung über das Schicksal aus der Fürsorge-Erziehung und Freiwilligen Erziehungshilfe entlassener Jugendlicher, Darmstadt, Luchterhand (1959)

Pongratz, L. Prostituiertenkinder. Umwelt und Entwicklung in den ersten acht Lebensjahren; Stuttgart, Fischer Verlag (1964)

Schüler-Springorum,H. und Pongratz, L. Sozial auffällige Jugendliche, Juventa, (1964)

Pongratz, L. Indikationen vormundschaftsgerichtlicher Maßnahmen aus soziologischer Sicht, in: AFET (Hrsg.) : Vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen und Indikationen (1968)

Haag, F. und Pongratz, L. Forschungsstrategien für sozialtherapeutische Anstalten, in KrimJ 1970, Heft 1, 10 f.

Friedrichs, J. und Pongratz,L. Soziale Erwartungen. Voruntersuchung an einer Stichprobe von Arbeitern, in: KrimJ 1970, Heft 2, S. 233ff.

Rehn, G. und Pongratz, L. Probleme und Zielfindung in einem Aktionsforschungsprojekt im Strafvollzug, in: Haag u.a. (Hrsg.): Aktionsforschung (1972)

Haag, F./ Parow, E./ Pongratz, L./ Rehn, G. Überlegungen zu einer Metatheorie der Sozialarbeit, in Schneider, O.: Gesellschaftliche Perspektiven der Sozialarbeit (1973)

Pongratz, L./ Schäfer M./ Jürgensen, P./ Weiße, D. Kinderdelinquenz Daten, Hintergründe und Entwicklungen Juventa Verlag, München( 1975)

Pongratz, L. Herkunft und Lebenslauf, Längsschnittuntersuchungen über Aufwuchsbedingungen und Entwicklung von Kindern randständiger Mütter, (unter Mitarbeit von Peter von Rönn); Weinheim, Juventa Verlag 1988

Pongratz, L. und Jürgensen, P. Kinderdelinquenz und kriminelle Karrieren, Eine statistische Nachuntersuchung delinquenter Kinder im Erwachsenenalter, Centaurus, Pfaffenweiler (1990)

Pongratz, L. und Jürgensen, P. Karrieren drogenabhängiger Straftäter, Soziale Integration nach therapeutischer Behandlung in der Fachklinik Brauel?-Forschungsarbeit, 1997

Bundesjugendkuratorium (Hrsg.), Jugend und Terrorismus: ein Hearing des Bundesjugendkuratoriums (26.-27. September 1978), München, Juventa 1979

Bundesjugendkuratorium (Hrsg.) Erziehung in geschlossenen Heimen, Ein Symposium, München, Juventa Materialien, 1982

Kriminologisches Journal, Begründerin und Mitherausgeberin (seit 1969)

Hamburger Studien zur Kriminologie Herausgegeben von Lieselotte Pongratz, Fritz Sack, Klaus Sessar und Bernhard Villmow.

Quellen

  • Baumann, Immanuel (2006) Dem Verbrechen auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminologie und Kriminalpolitik in Deutschland 1880-1980. Göttingen, Wallstein Verlag (besonders S. 310 f.).
  • Brusten, Manfred (1998) "Was bewegt die Wissenschaft?" in Devianz im Wandel in Oldenburger Universitätsreden Nr.102; Helge Peters zum 60. Geburtstag, Oldenburg, Brusten/Menzel/Lautmann(S.16)
  • Gipser, Dietlinde/ Kunstreich, Timm/ Rehn, Gerhard u.a., Lieselotte Pongratz zum Gedenken (24.12.1923 -05.09.2001) in np, neue praxis, Heft 6/2001, S. 623 ff.
  • Haag, Fritz: Lieselotte Pongratz: Von der Sozialarbeit zur Kriminalpolitik; in uni hh Bd. 17( 1986), 2, S. 60 f.
  • Ostendorf, Heribert (Hrsg.) Integration von Strafrechts- und Sozialwissenschaften, Festschrift für Lieselotte Pongratz, München (1986)
  • Lieselotte Pongratz und Dorothee Bittscheid-Peters (1998)Gespräch darüber, wie alles anfing und was es bewirkte, in Krim.Journal 30. Jg. 1998 H 1,S. 7 ff.
  • Quensel, Stephan (2001) Nachruf für Lieselotte Pongratz (24.12.1923 - 5.9.2001) in Krim.Journal 33.Jg. H 4, S. 310 f.