Labeling Approach: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Labeling approach'''
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== 1. Etymologie ==
Der Begriff ''label'' (engl.) geht auf das Alt-Französische ''label,'' ''lambel'' (später ''lambeau'') zurück und wurde dort wahrscheinlich von dem Fränkischen ''labba'' oder dem wortverwandten ''lappa'' aus dem Althochdeutschen abgeleitet.
In seiner ursprünglichen Verwendung bedeutete er soviel wie Fetzen oder Lumpen und wurde dann später für Zettel verwendet, die zur Kennzeichnung an verschiedenste Objekte befestigt wurden. Dementsprechend kann label ''n'' heute wörtlich mit Etikett, Kennzeichnung oder Markierung bzw. label-''ing v'' mit etikettieren, kennzeichnen oder markieren übersetzt werden.
Der Begriff ''approach'' (engl.) n, geht auf das Mittelenglische approchen zurück. Abgeleitet wurde er vom Alt-Französischen ''aprochier'' (jetzt approcher) und wurde dort von dem Lateinischen ''appropiare'' übernommen. In seiner wörtlichen Übersetzung bedeutet er soviel wie Annäherung n bzw. v sich annähern an, an etwas herantreten.
== 2. Definition ==
Der L.A. kennzeichnet eine in den 50er-Jahren aufgekommene und Ende der 60er-Jahren in Deutschland rezepierte kriminalsoziologische Strömung, deren Vertreter in Abgrenzung zu vorangegangenen Erklärungsversuchen abweichendes Verhalten nicht als Merkmal individueller Anlagen oder Qualität einer bestimmten Handlung, sondern als das Produkt gesellschaftlicher Definitions- und Zuschreibungsprozesse qualifizieren.
In den Labeling-Ansätzen wird also nicht mehr nach täter- oder situationsspezifischen Ursachen für abweichendes bzw. kriminelles Verhalten, sondern danach gefragt, wie sich der Prozess der Kriminalisierung vollzieht. Sehr unterschiedlich wird dabei auf makrosoziologischer Ebene mit der Definitions- und Selektionsmacht der Kontrollinstanzen und /oder mikrosoziologisch mit den Erfahrungen von Etikettierung und Stigmatisierung als Ursache für die Verfestigung devianter Verhaltensmuster argumentiert. Allen gemein ist aber, dass die Bedeutung der sozialen Reaktion auf bestimmte Verhaltensweisen den zentralen Bezugspunkt für die Erklärung abweichenden Verhaltens Einzelner bzw. der Konstitution von Kriminalität in der Gesellschaft insgesamt darstellt und in diesem Zusammenhang der Einfluss der sozialen Kontrolle in ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen und Ausprägungen zum Gegenstand der Überprüfung gemacht wird.   
Die Ansicht, dass „Abweichung“ und „Kriminalität“ nicht länger als deskriptive Kategorien gelten können, deren Erscheinung sich an objektiven Kriterien festmachen lässt, sondern vielmehr das Rechts- und Normenverständnis als solches und die dort stattfindenden Definitions- Interpretations- und Aushandlungsprozessen zu analysieren sind, markiert einen klaren Bruch mit dem Selbstverständnis der traditionellen Kriminologie und ihrer Anbindung an staatliche und juristische Institutionen , da es v.a. das Handeln der Akteure der sozialen Kontrolle ist, welches hier in den Fokus gerät. Aus diesem Grund hat sich für diese Perspektive auch die Bezeichnung „neu“, „kritisch“ bzw. in Bezug auf spätere Ausführungen auch „radikal“ durchgesetzt.
Die z. T. sehr unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der Labeling-Ansätze machen es nahezu unmöglich, so etwas wie eine allumfassende Argumentationslinie für diese Perspektive aufzuzeigen. Sehr verallgemeinert dargestellt wird in den Grundzügen zum einen die Auffassung vertreten, dass „Abweichung“ in einer Gesellschaft erst dadurch entsteht, als dass bestimmte Verhaltensweisen von den formellen wie auch den informellen  Kontrollinstanzen zunächst als „abweichend“ definiert werden (Fokussierung der Normsetzungsebene) und diese Definition dann personen- bzw. gruppenspezifisch unterschiedlich angewendet, das Merkmal insofern nur bestimmten Personen(-kreisen) zugeschrieben wird (Fokussierung der Normanwendungsebene). Relevant werden in diesem Zusammenhang schichtspezifische Unterschiede und Aspekte politischer bzw. allgemein gesellschaftlicher Macht, die es bestimmten Personen(-gruppen) überhaupt erst ermöglicht, andere „erfolgreich“ als abweichend definieren bzw. behandeln zu können. 
Anderen Ansätzen hingegen wird die Annahme zugrunde gelegt, dass die auf eine Person erfolgreich angewendete Definition „Abweichung“ und die damit verbundene gesellschaftliche Degradierung eine Sich-Selbsterfüllende-Prophezeihung („selffulfilling-prophecy“) bei dem Betroffenen in Gang setzt, der zufolge er sich zunehmend selbst als Abweichler begreift, dieser ihm zugeschriebenen Rolle entsprechend handelt und so immer weiter in die kriminelle Rolle hineingedrängt wird.
Je nachdem, wo die Schwerpunkte der Argumentation gesetzt werden, wird der L.A. auch als Definitions-, Etikettierungs- oder Reaktionsansatz und aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem früher vorherrschenden ätiologischen (>Ätiologie) Bezugsrahmen in der Kriminologie z.T. auch als Kontrollparadigma bezeichnet (zum Paradigmenstreit vgl. u.a. Keckeisen 1976, 23ff. ; Lamnek 1997, 25ff.).
== 3. Entwicklung des Ansatzes ==
Die Entwicklung des L.A. kann hier nur überblicksartig anhand der Annahmen derer erfolgen, die wohl als seine Hauptvertreter zu nennen sind:
''Frank Tannenbaum'' war 1938 der erste, der mit der Formulierung ''„the young delinquent becomes bad, because he is defined as bad“'' (vgl. 1953, 17) auf die Bedeutung sozialer Reaktionen für abweichendes Verhalten hingewiesen hat, jedoch diesbezüglich kaum Beachtung fand. Populär geworden ist der L.A. erst durch das Wiederaufgreifen diesen Gedankens durch ''Edwin M. Lemert'' und ''Howard S. Becker'' (1951). Welcher von beiden als der eigentliche Wiederentdecker des L.A. gilt, ob ''Lemert'' mit der ''erstmaligen Formulierung der'' für den (gemäßigten) L.A. ''zentralen Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Devianz'' oder ''Becker'', dessen  Formulierung “''the deviant is one to whom that label has been successfully applied: deviant behavior is behavior that people so label''“ (vgl. 1963, 9) dem L.A. möglicherweise erst seine Bezeichnung verliehen hat, ist strittig. Jedenfalls haben beide etwa zeitgleich ihre Arbeiten publiziert.
Unter Zugrundelegung der Annahmen der durch ''George H. Mead'' geprägten ''Theorie des symbolischen Interaktionismus'' beschreibt Lemert, wie Reaktionen des sozialen Umfeldes auf das ursprünglich abweichende Verhalten einer Person, welches er primäre Devianz nennt  – angeführt werden in diesem Zusammenhang Bestrafung, Isolierung und soziale Kontrolle – in dem Adressaten das Bewusstsein hervorgerufen können, „abweichend“ zu sein, dieser sodann in Bemühung um die Konsistenz seiner Identität beginnt, sich der ihm zugeschriebenen Rolle anzupassen und weitere Ausgrenzungen und stärkere Stigmatisierungen schließlich dazu führen können, dass der Betroffene sein Selbstbild soweit ändert, dass er seine neue soziale Rolle akzeptiert und infolgedessen weitere Abweichungen zeigt. Diese weitergehenden Abweichungen sind es dann, die er als sekundäre Devianz bezeichnet (1975,434f.).
Der primären Devianz schreibt er insgesamt eine nur untergeordnete Rolle zu ; die für ihn maßgebliche (sekundäre) Devianz manifestiert sich erst in Handlungen, die der Betroffene vornimmt, weil er aufgrund des ihm verliehenen Etiketts „kriminell“ (zunehmend) zu der Überzeugung gelangt, dass entsprechende Verhaltensmuster ohnehin von ihm erwartet werden. Die Verfestigung krimineller Verhaltensmuster vollzieht sich dabei in einem Aufschaukelungsprozess zwischen immer stärker werdenden Stigmatisierungen seitens der Gesellschaft auf der einen und der Anpassung des Betroffenen an die Rolle des Abweichlers auf der anderen Seite und kann in der stärksten Ausprägung zu einer völligen „Reorganisation des Selbst“ und damit der Übernahme einer kriminellen Identität führen.
Auch ''Becker'' argumentiert in seinem Modell der ''„abweichenden Laufbahn“'' damit, dass die Sanktionierung der als abweichend definierten Verhaltensweisen aufgrund ihrer Stigmatisierungswirkung zu einer Reduzierung der Möglichkeiten des Betroffenen führt, sich normkonform zu verhalten (vgl. 1975,23ff.) erweitert dieses jedoch um einen weiteren Gedanken, indem er über den Aspekt der Zuschreibung des Merkmals „Abweichung“ und den sich daraus ergebenen Problemen für die Betroffenen hinaus auch den der Normsetzung in seine Theorie mit einbezieht: Seiner Meinung nach enthält keine Verhaltensweise per se die Qualität „Abweichung“, sondern wird erst von den Normsetzern einer Gesellschaft als eine solche definiert ; insofern plädiert er auch dafür, in Fällen von Normverstößen zunächst von Regelverletzungen zu sprechen (vgl. 1975, 21f). Wirksam wird diese Definition aber erst mit ihrer Anwendung, wobei insofern selektiv vorgegangen wird, als dass gleichartige Verhaltensweisen situations- und personenspezifisch unterschiedlich – als entweder abweichend oder nicht-abweichend – definiert werden.
Mit dem Hinweis darauf, dass nur bestimmte Mitglieder einer Gesellschaft die Möglichkeit zur Formulierung und Durchsetzung von Normen haben, nämlich die, deren Stellung ihnen die dazu erforderlichen „Waffen“ und Macht gibt (vgl. 1975,22) erweitert Becker die Labeling-Perspektive um eine gesellschaftspolitische Dimension.
Weitergeführt wurde dieser Gedanke wenig später von ''John I. Kitsuse'' und ''Kai T. Erikson'', die in ihren Ansätzen (1963) jedoch eine weitere wichtige Differenzierung hinsichtlich mikro- und makrosoziologischer Aspekte vornehmen. Beide zeigen, wie eine zunächst auf der Mikroebene erfolgte Etikettierung später auch von der Makroebene übernommen werden kann.
Die Ende der 60er- Anfang der 70er - Jahre beginnende Rezeption des L.A. in Deutschland ist der Verdienst von ''Fritz Sack'' mit der Formulierung seines radikalen Ansatzes (1968).
Als „radikal“ deswegen bezeichnet, weil er im Gegensatz zu anderen Vertretern jede Ursachenforschung ablehnt und ausschließlich auf Definitions- und Zuschreibungsprozesse der Gesellschaft als Grund für das Auftreten von Kriminalität in der Gesellschaft abstellt. Seinen Annahmen, die er 1968 als „''Neue Perspektiven in der Kriminologie''“ vorgestellte, liegen die v.a. durch ''Harold Garfinkel, Aaron V. Cicourel und Harvey Sacks'' geprägten Grundzüge der ''Ethnomethodologie'' zugrunde, welche ihrerseits die der ''Phänomenologie von Alfred Schütz'' mit denen des ''symbolischen Interaktionismus'' verbindet.
Vorangestellt wird die Behauptung, dass abweichendes Verhalten ''ubiquitär'', d.h. gleichmäßig über alle Bevölkerungsschichten verteilt, also eine normale Erscheinung ist und erst durch die Instanzen der sozialen Kontrolle die Entscheidung getroffen wird, wem das Attribut „abweichend“ tatsächlich zugeschrieben wird.
Strafrechtlichen Normen erkennt er insofern ein eigenständiges Definitionspotential ab, als dass die Qualifizierung eines Verhaltens als „abweichend“ seiner Meinung nach entscheidend von der Interpretation des darunter subsumierten Sachverhaltes durch die Parteien eines Rechtsstreites (mit-) beeinflusst wird (vgl. 1968,465). Es ist für ihn somit nicht das Geschehen als solches, sondern die Interpretation und Rekonstruktion desselben, wodurch Kriminalität in der Gesellschaft erzeugt wird.
Da die Definitions- und Selektionsmacht der – vor allem, aber nicht ausschließlich – formellen  Kontrollinstanzen geeignet ist, die soziale Struktur ständig neu zu produzieren,  plädiert Sack dafür, Kriminalität nicht als ein Verhalten, sondern als ein „negatives Gut“ analog zu den positiven Gütern wie Vermögen oder Einkommen zu verstehen, dessen Verteilung ebenso ein Produkt gesellschaftlicher Auseinandersetzung ist wie solche, die die Verteilung positiver Güter in einer Gesellschaft regeln (1968,469f.). Die Zuweisung in kriminelle Rollen hinein hängt dabei seiner Meinung nach maßgeblich von der sozialen Schicht und der Familiensituation des Betroffenen ab, da Personen aus schlechten sozialen Verhältnissen  eher von anderen als abweichend bzw. als kriminell definiert werden, als Personen höherer Schichten.(vgl.1968,472f.). Diese Selektionsmechanismen konstruieren Sacks Meinung nach so die „soziale Realität“ dessen, was in einer Gesellschaft auf der einen Seite als normgerechtes und auf der anderen als abweichendes Verhalten gilt (1968,475).
Wie oben schon angedeutet, sind eine Vielzahl weiterer Ansätze mit ganz unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen formuliert worden, die in diesem Artikel nicht berücksichtigt werden können. Insofern als weitere Vertreter aus dem angloamerikanischen Raum nur beispielhaft genannt seien:  Arnold Rose, Alfred Lindesmith und Edwin M. Schur.
Für den deutschsprachigen Raum ist v.a. noch ''Stephan Quensel'' zu nennen, der in seinem ''„Teufelskreis-Modell“'' den Labeling-Gedanken mit psychoanalytischen und sozialisationstheoretischen Überlegungen verbindet (1970, 377ff.). In seinem 8-stufigen Modell beschreibt er, wie verschiedene Phasen fehlgeschlagener Interaktionen zwischen Jugendlichen und den Instanzen sozialer Kontrolle die Verfestigung abweichenden Verhaltens zur Folge haben können.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist, dass delinquentes wie kriminelles Verhalten von Jugendlichen immer der Versuch ist, ein bestehendes Problem zu lösen (1970,377.). Bleibt dieses (ursprüngliche) Problem ungelöst und kommt es infolge weiterer Abweichungen zu stärkeren Stigmatisierungen, verfestigt sich die kriminelle Karriere. Der Prozess der Kriminalisierung wird dabei je eher und wahrscheinlicher eintreten bzw. voranschreiten, desto stärker die Sozialisationsbelastungen und -bedingungen des Jugendlichen sind, desto früher dessen kriminelle Karriere begonnen hat und desto später dabei das (ursprüngliche) Problem erkannt wurde sowie je fehlgeschlagener die Reaktion auf die Abweichung ausgefallen ist.
== 4. Kritik ==
Kritik haben die Vertreter des L.A. vor allem aus zwei Richtungen erfahren:
Aus ätiologischer Sicht bzgl. der Vernachlässigung objektiver Kriminalitätsursachen und dabei insbesondere des Verhaltensaspektes bzw. deren Ausblendung in der radikalen Position von Fritz Sack sowie aus ethnomethodologischer Sicht bzgl. der Unschärfe des Ansatzes.
Vielfach angemerkt wurde, dass sich abweichendes Verhalten nicht allein mit Zuschreibungen erklären lasse und insofern auch die Überbetonung sekundärer Devianzphänomene nicht nachvollziehbar sei.
Zu Bedenken gegeben wurde in diesem Zusammenhang auch, dass der L.A. – jedenfalls in seiner radikalen Ausprägung – den Weg zu Präventivmaßnahmen gänzlich verstellt, hier „mit zunehmender Verabsolutierung des Ansatzes die Möglichkeiten, beim Kriminellen selbst mit Erfolg zu intervenieren oder auch antizipierend auf die Vermeidung delinquenten Handelns vorzubereiten“ immer geringer eingeschätzt und somit therapeutische Forschungen und praktische Anstrengungen vernachlässigt bzw. gänzlich aufgehoben werden (so v. Engelhardt 1975,125) oder weiter noch: der L.A. sozialpädagogisches Handeln „schlechthin delegitimiert, weil seine Umkehrung im Kern das Nichts-Tun, die Non-Intervention fordert“ (vgl. Peters 1996,112).
> wird ausgeführt
== 5. Zusammenhänge mit der materiallen Realität ==
Die seit der Rezeption in einer Vielzahl durchgeführten empirischen Untersuchungen zum L.A. lassen sich nicht annähernd dokumentieren. An dieser Stelle bleibt nur zu sagen, dass sich diese sog. Instanzenforschung auf das Handeln nahezu aller Institutionen sozialer Kontrolle erstreckt hat, wobei es insbesondere die Polizei war, die hier ein „geradezu exponential wachsendes“ Forschungsinteresse auf sich gezogen hat (so Sack 1993, 504). Nach anfänglichen Untersuchungen zur Selektivität bei Verdachtsgewinnung und Kriminalisierung, wie u.a. bei Feest/Lautmann (1971) oder Feest/Blankenburg (1972), wurde der Blick später auch auf Faktoren gerichtet, die einen generellen Einfluss auf die Ausfüllung polizeilicher Handlungsspielräume haben können (vgl. Lehne 1993, 393, der hier u.a. die Rekrutierung und Ausbildung sowie die Organisationsstruktur der Polizei nennt).
Wie für die Polizei (>vgl. Polizei, Polizeiforschung) haben sich im Gefolge des L.A. auch um die Justiz bzw. das Handeln aller der am Strafverfahren beteiligten Vertreter (vgl. >Justiz, Justizforschung) und später auch um das Anzeigeverhalten eigenständige Forschungsfelder etabliert.
Weiter zu nennen und nur beispielhaft aufgeführt sind zudem Studien in den Bereichen der Sozialarbeit wie von Manfred Brusten (1973) und Helge Peters / Helga Cremer-Schäfer (1975), zu Stigmatisierungsprozessen in Schulen wie von Manfred Brusten / Klaus Hurrelmann (1973) sowie zur Stigmatisierung durch Heimerziehung (vgl. Bürger, 1990).
Allerdings lässt sich trotz der Fülle an durchgeführten Untersuchungen keine klare Aussage über die Gültigkeit des L.A. treffen. Grund für die z. T. sehr unterschiedlichen Ergebnisse (den Einfluss des L.A. bestätigend u.a. Feest/Blankenburg 1972 ; verneinend hingegen Boy 1984, Bürger 1990) sind wohl die Vielseitig- und Vielschichtigkeit der den Studien zugrundegelegten Fragestellungen und die bereits oben genannten gestaltungstheoretischen und methodischen Probleme.
Anzumerken bleibt jedoch, dass spätere Untersuchungen z. T.  hochsignifikante Ergebnisse bzgl. kausaler Beziehungen zwischen Stigmatisierung und krimineller Karriere hervorgebracht haben (vgl. u.a. Kaplan 1980) und in diesem Zusammenhang wohl auch unbestritten ist, dass solche Ergebnisse wesentlich zu der Verbreitung des Diversionsgedankens (vgl. >Diversion) beigetragen haben.
== 6. Bilanz ==
Versucht man die Bedeutung bzw. den Einfluss dieses ja doch verhältnismäßig jungen Ansatzes zu bilanzieren, muss bemerkt werden, dass er für sich gesehen längst nicht mehr so populär ist wie noch in den 70-er Jahren.
So stellt Peters in seiner Bilanz für den deutschsprachigen Raum fest, dass während zu jener Zeit „noch jede Randgruppe unter die etikettierungstheoretische Perspektive gerückt wurde, derartige Arbeiten in den 80-er Jahren schon zu suchen waren“ und ätiologisches Denken die Disskussion wieder beherrscht (vgl. 1996, 107). Ähnlich formulieren Raymond Paternoster und Lee Ann Iovanni für den angloamerikanischen Raum, dass seine Gültigkeit vor dem Hintergrund der Kritiken immer mehr in Frage gestellt und er 1985 schließlich für tot erklärt wurde (vgl. 1984, 359).
Peters führt diese „feststellbare Abneigung von Kriminologen, sich am labeling zu orientieren“ (so 1996, 107) jedenfalls nicht auf die vermeintlichen Mängel des Ansatzes, sondern darauf zurückführt, dass „die Kriminalitätsentwicklung den Kriminologen immer weniger Chancen bietet, ihre Gesellschaftskritik über den L.A. zu artikulieren“ (a.a.O.), womit er eine faktische Parteilichkeit eingesteht. Insbesondere die seit den 80-Jahren aufgekommene Gewalt von rechts sei es gewesen, welche die Etikettierungstheoretiker entmutige, denn „wer sähe Skinheads gern als Adressaten der Stigmatisierung von Instanzen sozialer Kontrolle, als deren Konstrukt?“ (vgl. 1996, 113.).
> wird ausgeführt
== 7. Zusammenhänge mit anderen Begriffen ==
== 8. Kriminologische Relevanz ==
Die kriminologische Relevanz des L.A. lässt sich nicht messen. Auch wenn seitens der Kritiker wiederholt sein „Scheitern“ postuliert wurde, bleibt festzuhalten, dass die Kriminologie mit seiner Rezeption um eine Perspektive erweitert worden ist, deren Grundzüge in keiner Analyse mehr unberücksichtigt bleiben können. Um es mit Fritz Sack auf den Punkt zu bringen, besteht sein Verdienst darin „mit dem Insistieren auf die Bedeutung der sozialen Reaktion für die Kriminologie die soziologische und politische Dimension der Kriminalität auch in ihren Alltagserscheinungen und Mikrostrukturen“ zur Geltung gebracht zu haben (so 1993, 504).
Die kriminalpolitische Relevanz des L.A. mit seiner Forderung nach Nicht-Intervention bzw. einem „Weniger“ zeigt sich in der Bedeutung der alternativen Reaktionen zum Strafrecht und Diversionsprogrammen.
Literatur:
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Version vom 19. Januar 2006, 11:21 Uhr