Kriminelle Karriere

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Achtung Baustelle- betreten auf eigene gefahr == 21.03.2011

Begriff

Karrieremodelle

janssen: Unter krimineller Karriere werden die Entwicklungsverläufe von vereinzelt Auffälligen zu dauerhaften Abweichlern verstanden. Der Begriff "kriminell" kann hierbei sowohl das Selbstbild der Akteure als auch das Fremdbild seitens der "Reakteure", also der Instanzen der Sozialkontrolle, bezeichnen. Der Begriff kriminelle Karriere selbst ist ein Widerspruch in sich, da er einerseits das durchweg negativ besetzte Konzept "kriminell" mit dem Begriff (Konzept) der Karriere kombiniert, der im allgemeinen Sprachgebrauch als erfolgreicher beruflicher Aufstieg verwandt wird.

Die Erforschung krimineller Karrieren beinhaltet den Beginn, die Entwicklung (Verlauf) und den Abbruch von Karrieren. Dementsprechend unterscheidet Wulf zwischen "Karriere im engeren Sinn" und "Karriere im weiteren Sinn". Unter Karriere im engeren Sinn wird die kontinuierliche Kriminalitätsbegehung verstanden. Kriminelle Karriere im weiteren Sinn bezeichnet den Wechselprozeß zwischen Kriminalität, Konformität und erneuter Kriminalität bzw. anderen sozial abweichenden Verhaltensweisen. Sie kann einerseits als Ursachenforschung traditionell individualistisch-orientierter Art, andererseits als Verursachungsforschung (im Sinne des Etikettierungsansatzes, *Krimina-litätstheorien) erfolgen. Forschungen zur kriminellen Karriere sind üblicherweise retrospektiv (rückblickend) angelegt. Ausnahmen bilden die zumeist in den USA durchgeführten Kohortenstudien (*Forschungsmethoden), die prospektiv (vorauschauend) angelegt sind und durch ihren Ansatz relativ exakte Kontrollgruppen einbeziehen.

Über Ursachen oder Verursachung des Beginns von abweichenden Karrieren ist in der Wissenschaft bisher weder eine einheitliche Theorie, noch ein gemeinsamer Grundkonsens erzielt worden. Selbst die von Haferkamp u. a. vertretenen "sozialen Mängellagen", die am Beginn einer Karriere nahezu bei allen Untersuchten zu finden sind, lassen sich relativieren, da diese Defizite (individuelle und soziale) nur im Rahmen der Stigmatisierungs- und Krimina-lisierungsprozesse die für die Reakteure bedeutsame soziale Relevanz gewinnen. Insofern sind die von Opp erhobenen Thesen, daß der Karriereansatz Teilbereich einer umfassenden Etikettierungstheorie ist, durchaus berechtigt. Quensel vertritt in seinem Karrieremodell die These, daß durch systematische Verringerung positiver informeller Lösungsmöglichkeiten individueller Probleme die Wahrscheinlichkeit des Abgleitens in eine kriminelle Karriere steigt. Er sieht dies als direktes Produkt der Negativsanktionen der am Prozeß beteiligten Reakteure. Unter diesem Aspekt stellt eine kriminelle Karriere keine Besonderheit individuell soziopathologischen Verhaltens, sondern eine vom System der Sozialkontrolle systematisch produzierte, konsequent-logische Überle-benstrategie von Individuen dar, die durch den staatlich formellen Zugriff in ihrem Selbstkonzept geschädigt worden sind. Als Ergebnis der verschiedenen Forschungen zur kriminellen Karriere läßt sich festhalten, daß es bisher keinerlei verläßliche (d. h. für den zu prognostizieren-den weiteren Verlauf von abweichenden Lebensmodellen verwendbare) Kriterien gibt, die den Beginn prospektiv erkennen lassen. Es mag zwar Anhaltspunkte geben, die die Möglichkeit solcher Karriereverläufe als (mehr oder weniger) wahrscheinlich erscheinen lassen. Sie sind aber dadurch noch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit prognostizierbar.

(Ja) Literatur: - Göppinger, H.: Der Täter in seinen sozialen Bezügen. Heidelberg 1983. - Haferkamp, H.: Kriminelle Karrieren. Reinbek 1975. - Kerner, H-J.; Janssen, H.: Rückfall nach Jugendstrafvollzug-Betrachtungen unter dem Aspekt von Lebenslauf und krimineller Karriere. In: Kerner, H.-J. u. a.: Festschrift für Leferenz. Heidelberg 1983, 211-232. - Quensel, St.: Wie wird man kriminell. Kritische Justiz 1970, 375-382. - Wulf, B.: Kriminelle Karrieren von "Lebenslänglichen". München 1979.

Entnommen mit freundlicher Genehmigung des Kriminalistik-Verlages Heidelberg aus der gedruckten Version des Kriminologie-Lexikons, Stand der Bearbeitung: 1991

Helmut Janssen Karriere ist ein Wort für Laufbahn. Man macht Karriere als Unternehmer und erlebt einen raschen oder langsam Aufstieg, manchmal kommt es zu einem Knick in der Karriere. Die Karriere kann auch stagnieren und beendet werden. Man kann auch eine Karriere als Rennfahrer machen und danach eine neue Karriere, etwa als Künstler oder Politiker, starten. Eine kriminelle Karriere ist eine Laufbahn im Bereich der Kriminalität. Man kann als Ladendieb anfangen und als Chef eines millionenschweren Kartelles im Rotlicht-Milieu seine Karriere beenden. Auch hier gibt es Karriere-Knicks und den Abschluss einer ersten und den Beginn einer neuen Karriere. In die Kriminologie wurde der Begriff der kriminellen Karriere von Soziologen eingeführt, die sich außer mit der Soziologie des abweichenden Verhaltens auch mit Organisations- und Berufssoziologie befassten und dabei auf den Gedanken kamen, die Kategorien der Berufssoziologie auf die Laufbahnen devianter Akteure anzuwenden. Insbesondere ist es ein Verdienst von Howard S. Becker, diese Transferleistung erbracht zu haben.


Spezielle Karriere-Modelle

Spezielle Karriere-Modelle erheben den Anspruch, die Laufbahnen, die zu einer bestimmten Form der Abweichung führen, idealtypisch darzustellen. Dahinter steht häufig die Erwartung, Abfolgen von Schritten zu finden, die sich auch für andere abweichende Laufbahnen bewähren könnten und so zu einer allgemeingültigen Vorstellung von dem Beginn und dem Verlauf krimineller Karrieren beitragen zu können. Dies war sicherlich bei Howard S. Becker und seiner Darstellung, "Wie man Marihuana-Gebraucher wird", der Fall, aber auch bei Stephan Quensel ("Wir wird man kriminell") und bei Henner Hess ("Das Karriere-Modell und die Karriere von Modellen").

Wie man Marihuana-Gebraucher wird (Howard S. Becker)


Wie wird man kriminell?



Wege in den Heroingebrauch

Wege in die Prostitution

Wege in den Terrorismus

Eine Studie von Mitchell D. Silber und Arvin Bhatt (New York Police Department Intelligence Division) unter dem Titel "Radicalization in the West. The Homegrown Threat" (2007) unterscheidet anhand der Analyse von elf vereitelten Terroranschlägen in Nordamerika und Europa vier Phasen der Radikalisierung von Muslimen, während derer sie scheinbar unverändert ihrem Alltag nachgehen: (1) Präradikalisierung. Die spezifisch muslimische Identität spielt keine bestimmende Rolle. (2) Selbstidentifizierung als zunehmend radikaler Muslim (oftmals durch Einschnitte im Leben wie z.B. Arbeitsplatzverlust oder rassistische Übergriffe) (3) Beschleunigung der Indoktrinierung durch das Internet (4) Dschihadisierung und Gewaltanwendungsbereitschaft.

Während der Vorsitzende des Ausschusses für Heimatschutz im Senat, Joseph Lieberman, den Bericht als "bahnbrechend" für die Terrorbekämpfung lobte, sprach der Vorsitzende des Arabisch-Amerikanischen Komitees gegen Diskriminierung, Kareem Shora, von einer "unglückseligen Stereotypisierung einer ganzen Gruppe von Menschen" (FAZ 17.08.07: 4).


Allgemeine Karriere-Modelle



Literatur

  • Harrendorf, Stefan (2010) Rückfälligkeit und kriminelle Karrieren von Gewalttätern. Göttingen: Göttinger Universitätsverlag.
  • Hess, Henner (1978) Das Karriere-Modell und die Karriere von Modellen, in: Hess/Störzer/Streng, Sexualität und soziale Kontrolle. Beiträge zur Sexual-Kriminologie, Heidelberg: 1-29.
  • Piquero, Alex & Mazerolle, Paul J., eds. (2012) Criminal Career Findings and Life-course Studies: Worldwide Research and Perspectives. London: Routledge.
  • Piquero, Alex R., David P. Farrington, Alfred Blumstein (2007) Key Issues in Criminal Career Research: New Analyses of the Cambridge Study in Delinquent Development. Cambridge: Cambridge University Press.

Links