Kadizadeli: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Kadizadeli-Bewegung war eine fundamentalistische (salafistische), insbesondere dem Sufismus feindlich gesonnene Strömung des Islam, die im 17. Jahrhundert von Imam Mehmed von Birgi inspiriert und von Kadizade Mehmed Efendi (*1582) ins Leben gerufen worden war. Zwischen 1630 und 1680 attackierte die Kadizadeli in Predigten und Handgreiflichkeiten zahlreiche für nicht-islamisch erklärte osmanische Praktiken und setzten sich für ein Ende der Korruption ein. Kadizade Mehmed Efendi sah seinen Hauptgegner im Sufi-Meister Sivas Efendi; er bekleidete das Amt des Vorbeters in der Sultan-Murat-Moschee in Istanbul und in der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee. - Er wurde auch Berater von Sultan Mehmed IV. (1648-1687) und erlangte großen Einfluss bei Hofe. Zu den ketzerischen Neuerungen, gegen die er mit seinen Predigten ankämpfte, gehörten u.a. der Bau von Qubbas, das Feiern des Geburtstags des Propheten, das Rauchen, das Kaffeetrinken und die sufischen Praktiken des Gottesgedenkens (zikr).
Die Kadizade - auch '''Kadizadeli'''-Bewegung - war eine fundamentalistisch orientierte Reformbewegung innerhalb des Osmanischen Reiches, die sich im 17. Jahrhundert vehement gegen den schiitischen Islam, aber auch gegen zahlreiche Praktiken des Sufismus und gegen Gepflogenheiten wie den Konsum von Alkohol, Tabak und Kaffee wandte.
 
Die Bewegung ging auf Kadızade Mehmed Efendi (*1582) zurück, einen Schüler des Imams Birgiyi und Lehrer von Katib Çelebi. Birgiyi forderte eine Rückkehr zum einfachen Leben wie zu Zeiten Mohammeds und wandte sich gegen alles was er als unislamisch ansah - so etwa das Rauchen oder das Kaffeetrinken. Auch erwähnte Birgiyi erstmals den Begriff "Tariqat Muhammadiya."
 
Schon Imam Birgivi konnte Ende des 16. Jahrhunderts einigen Einfluss unter Sokollu Mehmed Pascha bis zu dessen Ermordung (1579) ausüben. Erst die energischen Predigten von Mehmet Efendi in den Istanbuler Sultan-Murat- und Yavuz-Sultan-Selim-Moscheen, in denen er zu Verboten der von Musik und Tanz begleiteten Derwischtänze sowie von Kaffee, Opium, Wein und Tabak aufrief, veschafften ihm die Gunst des Hofes unter Sultan Murad IV. - allerdings war das noch ein Jahrhundert zuvor von  Scheichülislam Mehmed Ebussuud Efendi für halāl erklärte Kaffeeverbot umstritten.
 
Kadizade und Sufiorden (tariqa) bekämpften sich oftmals in großen Straßenkämpfen.
 
In den Regierungszeiten von Murad IV. (1633) und Mehmed IV. (1662) kam es zu Verboten von Kaffeehäusern und Tavernen. Viele Kaffeehäuser und Tavernen wurden in Istanbul zerstört und Sultan Murad IV. legte auf seinem Safawidenfeldzug 1638 eine Spur der Hinrichtung von Leuten, die diesem Konsum nachgingen. So ließ er 20 Janitscharen unterwegs hinrichten, weil man bei ihnen Tabak fand. 1667 wurden Einrichtungen des Bektaşiten-Ordens und Türben bei Edirne zerstört. Der Bostancıbaşı ließ Derwische in Üsküdar inhaftieren, diese werden jedoch nach Kritik wieder freigelassen.
 
Kadizade Mehmet wurde ein Berater von Sultan Mehmed IV. (1648-1687) er und seine Nächsten Einfluss erlangten.1685 wurde selbst Nichtmuslimen der Genuss von Wein untersagt.
 
Zwischen 1630 und 1680 kam es zu den heftigsten Auseinandersetzungen zwischen der Kadizade-Bewegung und ihren Gegnern.
 
Mehmed IV. unterstützte Kadizade, doch mit der Ernennung von Köprülü Mehmed Pascha 1656 zum Großwesir (Vezziri Āzam) schrumpfte diese Unterstützung. Mehmed Pascha fürchtete nicht die Aktionen der Sufi-Orden und Stiftungen wie der Sultan, sondern er sah die inzwischen verbreitete Selbstjustiz unter den Kadizade als bedrohlicher an.
 
Ein ausschlaggebendes Ereignis war, als bewaffnete Anhänger der Kadizade sich in Richtung der Fatih-Moschee in Istanbul aufmachten. Mehmed Pascha handelte schnell und ließ die Gruppe verhaften und nach Zypern verbannen. Dies war ein verheerender Verlust an Ansehen in der Öffentlichkeit für die Kadizade, wonach sie ab diesem Zeitpunkt an Unterstützung verloren.
 
Unter dem Imam Vâni Mehmed Efendi, der ebenfalls Berater des Sultans wurde, konnte die Bewegung nochmal an Stärke gewinnen, verlor nach dem Tod Vânis 1685 jedoch endgültig an Bedeutung. Bereits zwei Jahre zuvor, nachdem die Zweite Wiener Osmanenbelagerung mit einer schweren und unerwarteten Niederlage für die Osmanen ausging, verloren die Kadizade erneut an Einfluss.
 
Der Einfluss der Kadizade auf die Politik, wurde als eine der Ursachen der Niederlage dargestellt. So schränkte der Sultan 1683 die Unterstützung der Kadizade ein und entfernte sie von ihren Posten.
 
Ansichten
In seinem Werk „Tarîkat-ı Muhammediyye“, in dem er sich vor allem auf die Ansichten des ibn Taimiyya stützt, nennt Birgivi folgende Handlungen als unerlaubte Erneuerung und bezeichnet sie als verboten:
 
Gegen Entgelt den Koran zu rezitieren oder zu lehren.
 
Den Koran zu rezitieren, indem man mit dem Kopf wackelt.
 
Neben einer Qubba oder Türbe ein Tier zu schlachten, der Bau ist ebenfalls verboten.
 
Zu besonderen Islamischen Feiern Kerzen anzuzünden.
 
Im Todesfall eine spezielle „Feier“ abzuhalten.
 
Das Einsetzen von „Vermittlergestalten“ zu Gott beim Gebet.
 
Reisen zu unternehmen mit der formulierten Absicht, das Grab des Propheten oder anderer Heiliger zu besuchen.
 
Den Erlass von Fatwas, ohne Belege aus Koran oder Sunna vorlegen zu können.
 
Das Feiern des Mawlid an-Nabi sowie das Abhalten anderer Mawlids.
 
Katib Çelebi behandelt in seiner Abhandlung Mīzān al-ḥaqq fī iḫtiyār al-aḥaqq („Die Waage der Wahrheit bei der Wahl des Berechtigteren“) eine Anzahl von religiösen und ethischen Streitfragen, die zu seiner Zeit intensiv diskutiert wurden. Dazu gehören der Genuss von Tabak (Kap. 5), Kaffee (Kap. 6), und verschiedenen Drogen (Kap. 7), Händeschütteln (Kap. 15), Verbeugungen (Kap. 16) sowie die Kontroverse zwischen dem Chalwati-Sufi Abdülmedschid Efendi und seinem Gegenspieler Qadizade (Kap. 21). Katib Çelebi bietet zu allen Streitfragen eigene Lösungen an und versucht, zwischen den Extrempositionen zu vermitteln. Das Buch wurde von Geoffrey L. Lewis unter dem Titel The Balance of Truth 1957 ins Englische übersetzt.


== Weblinks und Literatur ==
== Weblinks und Literatur ==
*Goffman, D. The Ottoman Empire and Early Modern Europe. Cambridge. 2002
*Zilfi, C. Madeline C. The Kadizadelis: Discordant Revialism in Seventeenth Century Istanbul. Journal of Near Eastern Studies. 1986.
*Zilfi, C. Madeline C.The Politics of Piety: The Ottoman Ulema in the Post-Classical Age (1600–1800). Journal of Near Eastern Studies. 1995.
*Zilfi, C. Madeline C.The Politics of Piety: The Ottoman Ulema in the Post-Classical Age (1600–1800). Journal of Near Eastern Studies. 1995.

Version vom 23. November 2019, 18:18 Uhr

Die Kadizade - auch Kadizadeli-Bewegung - war eine fundamentalistisch orientierte Reformbewegung innerhalb des Osmanischen Reiches, die sich im 17. Jahrhundert vehement gegen den schiitischen Islam, aber auch gegen zahlreiche Praktiken des Sufismus und gegen Gepflogenheiten wie den Konsum von Alkohol, Tabak und Kaffee wandte.

Die Bewegung ging auf Kadızade Mehmed Efendi (*1582) zurück, einen Schüler des Imams Birgiyi und Lehrer von Katib Çelebi. Birgiyi forderte eine Rückkehr zum einfachen Leben wie zu Zeiten Mohammeds und wandte sich gegen alles was er als unislamisch ansah - so etwa das Rauchen oder das Kaffeetrinken. Auch erwähnte Birgiyi erstmals den Begriff "Tariqat Muhammadiya."

Schon Imam Birgivi konnte Ende des 16. Jahrhunderts einigen Einfluss unter Sokollu Mehmed Pascha bis zu dessen Ermordung (1579) ausüben. Erst die energischen Predigten von Mehmet Efendi in den Istanbuler Sultan-Murat- und Yavuz-Sultan-Selim-Moscheen, in denen er zu Verboten der von Musik und Tanz begleiteten Derwischtänze sowie von Kaffee, Opium, Wein und Tabak aufrief, veschafften ihm die Gunst des Hofes unter Sultan Murad IV. - allerdings war das noch ein Jahrhundert zuvor von Scheichülislam Mehmed Ebussuud Efendi für halāl erklärte Kaffeeverbot umstritten.

Kadizade und Sufiorden (tariqa) bekämpften sich oftmals in großen Straßenkämpfen.

In den Regierungszeiten von Murad IV. (1633) und Mehmed IV. (1662) kam es zu Verboten von Kaffeehäusern und Tavernen. Viele Kaffeehäuser und Tavernen wurden in Istanbul zerstört und Sultan Murad IV. legte auf seinem Safawidenfeldzug 1638 eine Spur der Hinrichtung von Leuten, die diesem Konsum nachgingen. So ließ er 20 Janitscharen unterwegs hinrichten, weil man bei ihnen Tabak fand. 1667 wurden Einrichtungen des Bektaşiten-Ordens und Türben bei Edirne zerstört. Der Bostancıbaşı ließ Derwische in Üsküdar inhaftieren, diese werden jedoch nach Kritik wieder freigelassen.

Kadizade Mehmet wurde ein Berater von Sultan Mehmed IV. (1648-1687) er und seine Nächsten Einfluss erlangten.1685 wurde selbst Nichtmuslimen der Genuss von Wein untersagt.

Zwischen 1630 und 1680 kam es zu den heftigsten Auseinandersetzungen zwischen der Kadizade-Bewegung und ihren Gegnern.

Mehmed IV. unterstützte Kadizade, doch mit der Ernennung von Köprülü Mehmed Pascha 1656 zum Großwesir (Vezziri Āzam) schrumpfte diese Unterstützung. Mehmed Pascha fürchtete nicht die Aktionen der Sufi-Orden und Stiftungen wie der Sultan, sondern er sah die inzwischen verbreitete Selbstjustiz unter den Kadizade als bedrohlicher an.

Ein ausschlaggebendes Ereignis war, als bewaffnete Anhänger der Kadizade sich in Richtung der Fatih-Moschee in Istanbul aufmachten. Mehmed Pascha handelte schnell und ließ die Gruppe verhaften und nach Zypern verbannen. Dies war ein verheerender Verlust an Ansehen in der Öffentlichkeit für die Kadizade, wonach sie ab diesem Zeitpunkt an Unterstützung verloren.

Unter dem Imam Vâni Mehmed Efendi, der ebenfalls Berater des Sultans wurde, konnte die Bewegung nochmal an Stärke gewinnen, verlor nach dem Tod Vânis 1685 jedoch endgültig an Bedeutung. Bereits zwei Jahre zuvor, nachdem die Zweite Wiener Osmanenbelagerung mit einer schweren und unerwarteten Niederlage für die Osmanen ausging, verloren die Kadizade erneut an Einfluss.

Der Einfluss der Kadizade auf die Politik, wurde als eine der Ursachen der Niederlage dargestellt. So schränkte der Sultan 1683 die Unterstützung der Kadizade ein und entfernte sie von ihren Posten.

Ansichten In seinem Werk „Tarîkat-ı Muhammediyye“, in dem er sich vor allem auf die Ansichten des ibn Taimiyya stützt, nennt Birgivi folgende Handlungen als unerlaubte Erneuerung und bezeichnet sie als verboten:

Gegen Entgelt den Koran zu rezitieren oder zu lehren.

Den Koran zu rezitieren, indem man mit dem Kopf wackelt.

Neben einer Qubba oder Türbe ein Tier zu schlachten, der Bau ist ebenfalls verboten.

Zu besonderen Islamischen Feiern Kerzen anzuzünden.

Im Todesfall eine spezielle „Feier“ abzuhalten.

Das Einsetzen von „Vermittlergestalten“ zu Gott beim Gebet.

Reisen zu unternehmen mit der formulierten Absicht, das Grab des Propheten oder anderer Heiliger zu besuchen.

Den Erlass von Fatwas, ohne Belege aus Koran oder Sunna vorlegen zu können.

Das Feiern des Mawlid an-Nabi sowie das Abhalten anderer Mawlids.

Katib Çelebi behandelt in seiner Abhandlung Mīzān al-ḥaqq fī iḫtiyār al-aḥaqq („Die Waage der Wahrheit bei der Wahl des Berechtigteren“) eine Anzahl von religiösen und ethischen Streitfragen, die zu seiner Zeit intensiv diskutiert wurden. Dazu gehören der Genuss von Tabak (Kap. 5), Kaffee (Kap. 6), und verschiedenen Drogen (Kap. 7), Händeschütteln (Kap. 15), Verbeugungen (Kap. 16) sowie die Kontroverse zwischen dem Chalwati-Sufi Abdülmedschid Efendi und seinem Gegenspieler Qadizade (Kap. 21). Katib Çelebi bietet zu allen Streitfragen eigene Lösungen an und versucht, zwischen den Extrempositionen zu vermitteln. Das Buch wurde von Geoffrey L. Lewis unter dem Titel The Balance of Truth 1957 ins Englische übersetzt.

Weblinks und Literatur

  • Goffman, D. The Ottoman Empire and Early Modern Europe. Cambridge. 2002
  • Zilfi, C. Madeline C. The Kadizadelis: Discordant Revialism in Seventeenth Century Istanbul. Journal of Near Eastern Studies. 1986.
  • Zilfi, C. Madeline C.The Politics of Piety: The Ottoman Ulema in the Post-Classical Age (1600–1800). Journal of Near Eastern Studies. 1995.