Jugendkriminalität: Unterschied zwischen den Versionen

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== Häufigkeit und Erscheinungsformen ==
== Häufigkeit und Erscheinungsformen ==


Aktuelle Situation. Jugendkriminalität ist in Deutschland in erster Linie ein männliches und ein Unterschichtenphänomen. Es ist insofern auch ein Ausländerphänomen, als ausländische Jugendliche doppelt so häufig als Straftäter in Erscheinung treten wie deutsche. Allerdings ist laut Christian Pfeiffer das Gewaltpotential eines türkischen Jugendlichen mit guten Sozialisations- und Ausbildungsbedingungen nicht größer als das eines Deutschen als vergleichbaren Verhältnissen. Auch betrage der Anteil der Ausländer an den Gewaltdelikten nicht die Hälfte, sondern nur rund 20%. "Rechnet man die Personen mit fremdem ethnischem Hintergrund hinzu, werden 43 Prozent der Gewalttaten in Großstädten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund begangen. Auf dem Land und in Kleinstädten seien es 17 Prozent. Im deutschen Durchschnitt dürften die Migranten an allen Gewalttaten Jugendlicher einen Anteil von etwa 27 Prozent haben" (Müller 2008).
Aktuelle Situation. Jugendkriminalität ist in Deutschland in erster Linie ein männliches und ein Unterschichtenphänomen. Es ist insofern auch ein Ausländerphänomen, als ausländische Jugendliche doppelt so häufig als Straftäter in Erscheinung treten wie deutsche. Allerdings ist laut Christian Pfeiffer das Gewaltpotential eines türkischen Jugendlichen mit guten Sozialisations- und Ausbildungsbedingungen nicht größer als das eines Deutschen aus vergleichbaren Verhältnissen. Auch betrage der Anteil der Ausländer an den Gewaltdelikten nicht die Hälfte, sondern nur rund 20%. "Rechnet man die Personen mit fremdem ethnischem Hintergrund hinzu, werden 43 Prozent der Gewalttaten in Großstädten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund begangen. Auf dem Land und in Kleinstädten seien es 17 Prozent. Im deutschen Durchschnitt dürften die Migranten an allen Gewalttaten Jugendlicher einen Anteil von etwa 27 Prozent haben" (Müller 2008).


Türken. "Weil die Jugendlichen türkischer Herkunft laut Pfeiffer den höchsten Anteil an Gewalttätern stellen und weil sie zugleich die größte ethnische Minderheit in Deutschland sind, ist der Anteil dieser Gruppe an allen gewalttätigen Auseinandersetzungen merklich höher als der anderer Migrantengruppen. Türken sind häufig Täter, aber selten Opfer" (Müller 2008).
Türken. Einerseits lassen bundesweite Befragungen von (14 300) Schülern nach ihren Gewalterfahrungen (durch Christian Pfeiffer/KFN) keinen Zweifel daran, dass nichtdeutsche Jugendliche in Deutschland gewalttätiger sind als deutsche Jugendliche, und dass türkische Jugendliche fast doppelt so gewalttätig sind wie deutsche. "Weil die Jugendlichen türkischer Herkunft laut Pfeiffer den höchsten Anteil an Gewalttätern stellen und weil sie zugleich die größte ethnische Minderheit in Deutschland sind, ist der Anteil dieser Gruppe an allen gewalttätigen Auseinandersetzungen merklich höher als der anderer Migrantengruppen. Türken sind häufig Täter, aber selten Opfer" (Müller 2008). Andererseits vermutet Pfeiffer selbst, dass der Grund dafür in der mangelnden Bildungsintegration der türkischen Jugendlichen liegt - und dass bei Kontrolle dieser Variablen kein Unterschied mehr festzustellen sei.


Entwicklungsverlauf. Seit 1998 geht die polizeilich registrierte Kriminalität unter Jugendlichen und Heranwachsenden zurück. 1998 wurden noch 8,2 Prozent der Jugendlichen und 8,9 Prozent der Heranwachsenden polizeilich als tatverdächtig registriert. Bis 2006 sank der Wert auf 7,4, bzw. 8,4 Prozent. Allerdings nahm - im Gegensatz zum Rückgang von Mord, Totschlag und Raubdelikten - die Häufigkeit schwerer Körperverletzungen unter Jugendlichen und Heranwachsenden zu. "Gefährliche und schwere Körperverletzung wird nach der Definition im Gegensatz zur einfachen Körperverletzung von mehreren Tätern begangen oder mit Gegenständen ausgeführt, sei es durch Messerstiche oder Stiefeltritte. Unter Jugendlichen stieg von 1998 bis 2006 die entsprechende Tatverdächtigenziffer je 100 000 Personen von 669,46 auf 931,66, unter den Heranwachsenden von 707,61 auf 1008,4" (Müller 2008).
Entwicklungsverlauf. Seit 1998 geht die polizeilich registrierte Kriminalität unter Jugendlichen und Heranwachsenden zurück. 1998 wurden noch 8,2 Prozent der Jugendlichen und 8,9 Prozent der Heranwachsenden polizeilich als tatverdächtig registriert. Bis 2006 sank der Wert auf 7,4, bzw. 8,4 Prozent. Allerdings nahm - im Gegensatz zum Rückgang von Mord, Totschlag und Raubdelikten - die Häufigkeit schwerer Körperverletzungen unter Jugendlichen und Heranwachsenden zu. "Gefährliche und schwere Körperverletzung wird nach der Definition im Gegensatz zur einfachen Körperverletzung von mehreren Tätern begangen oder mit Gegenständen ausgeführt, sei es durch Messerstiche oder Stiefeltritte. Unter Jugendlichen stieg von 1998 bis 2006 die entsprechende Tatverdächtigenziffer je 100 000 Personen von 669,46 auf 931,66, unter den Heranwachsenden von 707,61 auf 1008,4" (Müller 2008).
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Praktiker der Jugendhilfe sehen die Ursachen der Jugendkriminalität regelmäßig in Defiziten des sozialen Nah- und Fernraums, also etwa im Bereich der (gewalttätigen, überforderten) Familien, der mangelnden Erfolge bzw. Angebote im Schul- und Ausbildungsbereich und einer allgemeinen Perspektivlosigkeit.
Praktiker der Jugendhilfe sehen die Ursachen der Jugendkriminalität regelmäßig in Defiziten des sozialen Nah- und Fernraums, also etwa im Bereich der (gewalttätigen, überforderten) Familien, der mangelnden Erfolge bzw. Angebote im Schul- und Ausbildungsbereich und einer allgemeinen Perspektivlosigkeit.


Christian Pfeiffer sieht die Ursachen der hohen Gewaltbereitschaft vor allem der jungen Türken in deren kultureller Prägung und ihrer Lebenssituation. Ihre Familien sind besonders stark von Arbeitslosigkeit und von Gewalt in der Familie, bzw. Erziehung, betroffen. Die jungen Türken besuchten besonders häufig die Hauptschule und besonders selten weiterführende Schulen. Nur wenige junge Türken strebten das Abitur an (14%; Deutsche: 45%). Türken unterscheiden sich von anderen Gleichaltrigen am deutlichsten in der Akzeptanz gewaltlegitimierender Männlichkeitsnormen: "Die Türken-Machos und rechtsextreme deutsche Jugendliche sind Zwillinge im Geiste" (Pfeiffer, zit. n. Müller 2008).
Christian Pfeiffer sieht die Ursachen der hohen Gewaltbereitschaft vor allem der jungen Türken in deren kultureller Prägung und ihrer Lebenssituation. Ihre Familien sind besonders stark von Arbeitslosigkeit und von Gewalt in der Familie, bzw. Erziehung, betroffen. Die jungen Türken besuchten besonders häufig die Hauptschule und besonders selten weiterführende Schulen. Nur wenige junge Türken strebten das Abitur an (14%; Deutsche: 45%). Türken unterscheiden sich von anderen Gleichaltrigen am deutlichsten in der Akzeptanz gewaltlegitimierender Männlichkeitsnormen: "Die Türken-Machos und rechtsextreme deutsche Jugendliche sind Zwillinge im Geiste" (Pfeiffer, zit. n. Müller 2008). Ob die Kovariation von Bildungsmangel und Kriminalität - oder andersherum: "Je besser die Bildungsintegration, desto günstiger die Kriminalitätsentwicklung" - auf einen kausalen Zusammenhang verweist und womöglich auch schon die richtige Präventionsstrategie nahelegt ("Bildung ist Prävention"), ist damit noch nicht geklärt. Der Berliner Oberstaatsanwalt Roman Reusch erklärt jedenfalls: "Jugendliche aus solchen (ausländischen) Problemfamilien dazu anzuhaltne, zu lernen und zu arbeiten, kommt dem Versuch gleich, Waser mit eine m Sieb aufzufangen."


== Reaktionen ==
== Kriminalpolitische Reaktionen ==


In den meisten Staaten wechseln sich Zyklen der Härte mit solchen einer eher verständnisvollen Hilfe ab, ohne dass mit der einen oder anderen Reaktionsweise durchschlagende Erfolge erzielt werden. Im Grunde genommen sind die Pendelschläge ein Ausdruck der Hilflosigkeit.
In den meisten Staaten wechseln sich Zyklen der Härte mit solchen einer eher verständnisvollen Hilfe ab, ohne dass mit der einen oder anderen Reaktionsweise durchschlagende Erfolge erzielt werden. Im Grunde genommen sind die Pendelschläge ein Ausdruck der Hilflosigkeit.
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Der Berliner Oberstaatsanwalt Roman Reusch, der Chefermittler gegen Intensivtäter in Berlin - dem TV-Auftritte von der Behördenleitung untersagt wurden - zählte allein für Berlin 495 Intensivtäter mit mindestens zehn schweren Straftaten. Ein Viertel davon seien Jugendliche, etwa 44% Heranwachsende. 80% der Tatverdächtigen seien Ausländer oder hätten mindestens einen ausländischen Elternteil. 20 Prozent seien Deutsche oder Rußlanddeutsche. Reusch meint, nicht die Türken, sondern Araber stellten die meisten Täter, insbesondere Palästinenser sowie Großfamilien mit türkisch-kurdisch-libanesischen Wurzeln. "Selbst kurzzeitige Freiheitsentziehungen wie vorläufge Festnahmen und Arreste gehen scheinbar spurlos an ihnen vorbei. Nicht einmal der Erlass von Haftbefehlen mit sofortiger Haftverschonung oder die drohende Verurteilung zu einer Jugendstrafe mit Bewährung respektive Vorbewährung kann die übergroße Mehrheit von ihnen von weiterer serienmäßiger Begehung schwerer Straftaten abhalten. Selbst in einer solchen Lage lassen sie die Hauptverhandlungen  in gelangweilt-belästigter Attitüde über sich ergehen und sind von ihren Verteidigern nur unter großen Mühen zu einigen Floskeln des Bedauerns und vorgetragener Einsicht zu bewegen. Es gibt nur eine einzige Maßnahme, die sie wirklich beeindrucken könnte, nämlich die Haft" (BILD Hamburg 04.01.08: 10).  
Der Berliner Oberstaatsanwalt Roman Reusch, der Chefermittler gegen Intensivtäter in Berlin - dem TV-Auftritte von der Behördenleitung untersagt wurden - zählte allein für Berlin 495 Intensivtäter mit mindestens zehn schweren Straftaten. Ein Viertel davon seien Jugendliche, etwa 44% Heranwachsende. 80% der Tatverdächtigen seien Ausländer oder hätten mindestens einen ausländischen Elternteil. 20 Prozent seien Deutsche oder Rußlanddeutsche. Reusch meint, nicht die Türken, sondern Araber stellten die meisten Täter, insbesondere Palästinenser sowie Großfamilien mit türkisch-kurdisch-libanesischen Wurzeln. "Selbst kurzzeitige Freiheitsentziehungen wie vorläufge Festnahmen und Arreste gehen scheinbar spurlos an ihnen vorbei. Nicht einmal der Erlass von Haftbefehlen mit sofortiger Haftverschonung oder die drohende Verurteilung zu einer Jugendstrafe mit Bewährung respektive Vorbewährung kann die übergroße Mehrheit von ihnen von weiterer serienmäßiger Begehung schwerer Straftaten abhalten. Selbst in einer solchen Lage lassen sie die Hauptverhandlungen  in gelangweilt-belästigter Attitüde über sich ergehen und sind von ihren Verteidigern nur unter großen Mühen zu einigen Floskeln des Bedauerns und vorgetragener Einsicht zu bewegen. Es gibt nur eine einzige Maßnahme, die sie wirklich beeindrucken könnte, nämlich die Haft" (BILD Hamburg 04.01.08: 10).  


Empfehlungen aus der Wissenschaft. Christian Pfeiffer empfiehlt insbesondere gegenüber der türkischen Jugendgewalt in Deutschland "eine Frühförderung, die mit der 'pränatalen Intervention' durch speziell geschulte Hebammen beginnen solle, über gemeinsames Sandkastenspiel von 'Mehmet und Max' und kostenlose Nachhilfe für Schüler bis zur 'Kultur der Ehre' als Unterrichtsthema reichen müsse, um diese Subkultur als dysfunktional zu entlarven. Als Therapiegegen den Medienabusus verordnet Pfeiffer die Ganztagsschule" (Müller 2008).
Empfehlungen aus der Wissenschaft.


= Inland =
Wolfgang Heinz verfasste im Januar 2008 eine "Stellungnahme zur aktuellen Diskussion um eine Verschärfung des Jugendstrafrechts", die sich gegen die CDU-Vorschläge zur Verschärfung aussprach und der sich binnen weniger Tage über 600 Fachleute anschlossen.
 
Christian Pfeiffer verweist auf Erfolgsbeispiele. Im Gegensatz zu München, wo sich während der letzten sieben Jahre die Zahl der Mehrfachtäter (mind. 5 Straftaten) verdoppelt habe, habe sie sich in Hannover halbiert. In Oldenburg (Niedersachsen) gebe es die geringste Jugendgewalt in Deutschland - und den aktivsten Präventionsrat (Soldt u.a. 2008).
 
== Prävention ==


Prävention betreibt die Bundesregierung auf verschiedenen Wegen. Nicht alle der Prävention günstigen Programme treten auch unter diesem Titel auf. So etwa die im Januar 2008 von der Regierung beschlossene Qualifizierungsinitiative. Deren teuerstes Programm heißt "Aufstieg durch Bildung" und soll per Zuschußgewährung an Unternehmen bis Ende 2010 rund 100 000 zusätzliche Lehrstellen für "ältere und schlecht qualifizierte Jugendliche" schaffen. Das rund eine halbe Milliarde Euro schwere Programm soll die Zahl der minderqualifizierten und sozial benachteiligten Jugendlichen abbauen, die trotz mehrmaliger Anläufe nur schwer eine Lehrstelle finden. Rund einer Drittel der Jugendlichen, die nach der Schule mindestens ein Jahr lang keinen Ausbildungsplatz finden, stammt aus Migrantenfamilien: "In der Altersgruppe bis 29 Jahre gibt es inzwischen 1,3 Millionen Menschen ohne berufliche Qualifizierung, das ist ein Anteil von 15 Prozent dieser jungen Frauen und Männer" (FAZ: "Ein Bonus für die schwierigen Fälle", 10.01.08: 13).
Prävention betreibt die Bundesregierung auf verschiedenen Wegen. Nicht alle der Prävention günstigen Programme treten auch unter diesem Titel auf. So etwa die im Januar 2008 von der Regierung beschlossene Qualifizierungsinitiative. Deren teuerstes Programm heißt "Aufstieg durch Bildung" und soll per Zuschußgewährung an Unternehmen bis Ende 2010 rund 100 000 zusätzliche Lehrstellen für "ältere und schlecht qualifizierte Jugendliche" schaffen. Das rund eine halbe Milliarde Euro schwere Programm soll die Zahl der minderqualifizierten und sozial benachteiligten Jugendlichen abbauen, die trotz mehrmaliger Anläufe nur schwer eine Lehrstelle finden. Rund einer Drittel der Jugendlichen, die nach der Schule mindestens ein Jahr lang keinen Ausbildungsplatz finden, stammt aus Migrantenfamilien: "In der Altersgruppe bis 29 Jahre gibt es inzwischen 1,3 Millionen Menschen ohne berufliche Qualifizierung, das ist ein Anteil von 15 Prozent dieser jungen Frauen und Männer" (FAZ: "Ein Bonus für die schwierigen Fälle", 10.01.08: 13).
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Um Rückfallverhütung bemühen sich auch viele Vereine. In Hannover kümmert sich z.B. der Verein für Bildungsmaßnahmen im Arbeits- und Freizeitbereich (BAF) seit 1981 um mehrfach straffällig gewordene Jugendliche. In Baden-Württemberg leistet das "Projekt Chance e.V." Nachsorge für Strafentlassene bis zu 26 Jahren.
Um Rückfallverhütung bemühen sich auch viele Vereine. In Hannover kümmert sich z.B. der Verein für Bildungsmaßnahmen im Arbeits- und Freizeitbereich (BAF) seit 1981 um mehrfach straffällig gewordene Jugendliche. In Baden-Württemberg leistet das "Projekt Chance e.V." Nachsorge für Strafentlassene bis zu 26 Jahren.


= Ausland =
Bürgerinitiativen. Praktische Arbeit mit Gefangenen verbindet der "Kölner Appell gegen Rassismus e.V. " mit Bemühungen um die Aufklärung der Öffentlichkeit über die Haftbedingungen der jungen Gefangenen. Unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Bundesinnenministers Gerhard Baum (FDP) organisierte der "Kölner Appell" z.B. 2007/2008 eine Wanderausstellung unter dem Titel "Menschen statt Mauern", um den Reformbedarf im Jugendstrafvollzug Aufmerksamkeit zu verschaffen. Der Nachbau einer Zelle (8 Quadratmeter) und die Information, dass allein in Köln an jedem Wochenende rund 700 meist ausländische Jugendliche in ihren Zellen hocken - mit einem Betreuer auf 100 Gefangene - soll einerseits das Vorurteil von der angeblichen Kuschelpädagogik widerlegen und andererseits auf die Problematik hinweisen, dass die Härte der Haftbedingungen die kriminellen Karrieren eher festigt: "Härte macht roh" (Boldt 2008).
 
 
== Internationale Perspektiven ==
 
Sucht man nach positiven Perspektiven im Ausland, so bleibt jenseits der momentanen Moden letztlich vor allem eines: "Restorative Justice". Das ist auch die Richtung, in die sich die Kritik an den Boot Camps in den USA entwickelt. Statt auf Erniedrigung, Drill und Angst zu setzen, sei es besser - im Sinne von effektiver - eine Verhaltensänderung durch gemeinsame Besprechungen von Delinquenten, ihren Familien und Betroffenen zu bewirken. 


Großbritannien: Seit den 1990er Jahren schwankte die Diskussion zwischen "Colchester" und "Thorn Cross". Colchester war ein ehemaliges Kriegsgefangenenlager und Militärgefängnis, das bei den Konservativen hoch im Kurs stand, weil man Jugendliche (18-21) dort mit paramilitärischem Drill, Sport und Degradierungen ("Anbrüllen") wieder auf Kurs bringen wollte. Im Jahre 2002 kam eine Studie des Innenministeriums zu dem Schluss, dass das Programm milderen Programmen nicht überlegen sei. Insbesondere seien die harten Elemente des Trainings nicht kausal für irgendwelche positiven Effekte. Sie hätten nicht einmal dazu geführt, dass die Insassen nach ihrer Entlassung ihre Aggressionen besser im Griff hätten. Demgegenüber wurde das von der Strafvollzugsbehörde betriebene Programm des nordwestenglischen Thorn Cross der Regierung Blair als Modell für den Umgang mit jugendlichen Straftätern nahegelegt. Auch Thorn Cross war allerdings hart - wenngleich nicht militärisch und nicht erniedrigend - und galt als englische Variante der Boot Camps. Eine deutliche Verbesserung der Erfolge hat sich aus daraus nicht ergeben.
Großbritannien: Seit den 1990er Jahren schwankte die Diskussion zwischen "Colchester" und "Thorn Cross". Colchester war ein ehemaliges Kriegsgefangenenlager und Militärgefängnis, das bei den Konservativen hoch im Kurs stand, weil man Jugendliche (18-21) dort mit paramilitärischem Drill, Sport und Degradierungen ("Anbrüllen") wieder auf Kurs bringen wollte. Im Jahre 2002 kam eine Studie des Innenministeriums zu dem Schluss, dass das Programm milderen Programmen nicht überlegen sei. Insbesondere seien die harten Elemente des Trainings nicht kausal für irgendwelche positiven Effekte. Sie hätten nicht einmal dazu geführt, dass die Insassen nach ihrer Entlassung ihre Aggressionen besser im Griff hätten. Demgegenüber wurde das von der Strafvollzugsbehörde betriebene Programm des nordwestenglischen Thorn Cross der Regierung Blair als Modell für den Umgang mit jugendlichen Straftätern nahegelegt. Auch Thorn Cross war allerdings hart - wenngleich nicht militärisch und nicht erniedrigend - und galt als englische Variante der Boot Camps. Eine deutliche Verbesserung der Erfolge hat sich aus daraus nicht ergeben.
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Interessanterweise spielt die konservative Opposition (David Cameron) jetzt die Karte der Hilfe ("liebevolle Kritik"). Camerons Plädoyer für das Verstehen der sozialen Ursachen und für das Vermitteln von Hoffnung für die in miserablen Verhältnissen aufwachsenden Jungtäter wurden als "Hug a Hoodie" (umarme einen Kapuzenträger) verspottet. Gina Thomas berichtet jedenfalls aus England im Januar 2008: "Weder die verständnisvolle noch die hart durchgreifende Methode haben sich bisher bewährt." Dieselbe Autorin berichtet von einer Studie "einer englischen Denkfabrik", nach der im vergangenen Jahr 44 % der britischen Jugendlichen (Deutschland: 28%) an Prügeleien beteiligt gewesen seien.
Interessanterweise spielt die konservative Opposition (David Cameron) jetzt die Karte der Hilfe ("liebevolle Kritik"). Camerons Plädoyer für das Verstehen der sozialen Ursachen und für das Vermitteln von Hoffnung für die in miserablen Verhältnissen aufwachsenden Jungtäter wurden als "Hug a Hoodie" (umarme einen Kapuzenträger) verspottet. Gina Thomas berichtet jedenfalls aus England im Januar 2008: "Weder die verständnisvolle noch die hart durchgreifende Methode haben sich bisher bewährt." Dieselbe Autorin berichtet von einer Studie "einer englischen Denkfabrik", nach der im vergangenen Jahr 44 % der britischen Jugendlichen (Deutschland: 28%) an Prügeleien beteiligt gewesen seien.


== Literatur ==


== Literatur ==
Boldt, Kirsten (2008) Menschen statt Mauern. Kölner Stadt-Anzeiger 07.01.08.


Müller, Claus Peter (2008) Junge Türken neigen am meisten zur Gewalt. Christian Pfeiffer hat die Gewaltbereitschaft Jugendlicher untersucht. Der Kriminologe erklärt die hohen Deliktzahlen bei jungen Migranten mit deren Lebenslage. FAZ 10.01.08: 9.
Müller, Claus Peter (2008) Junge Türken neigen am meisten zur Gewalt. Christian Pfeiffer hat die Gewaltbereitschaft Jugendlicher untersucht. Der Kriminologe erklärt die hohen Deliktzahlen bei jungen Migranten mit deren Lebenslage. FAZ 10.01.08: 9.


Müller, Claus Peter (2008a) Putzen, kämpfen und 'danke' sagen. FAZ 04.01.08: 4.
Müller, Claus Peter (2008a) Putzen, kämpfen und 'danke' sagen. FAZ 04.01.08: 4.
Soldt, Rüdiger u.a. (2008) Fortbildungen und Antigewaltprogramme. Projekte für Straftäter im Jugendstrafvollzug/Bundesratsinitiative für Gesetzesnovelle. FAZ 04.01.08: 4.


Thomas, Gina (2008) Kultur der langen Messer. FAZ 10.01.08: 33.
Thomas, Gina (2008) Kultur der langen Messer. FAZ 10.01.08: 33.
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Kriminologie-Lexikon ONLINE [http://www.krimlex.de/artikel.php?BUCHSTABE=J&KL_ID=93 Jugendkriminalität].
Kriminologie-Lexikon ONLINE [http://www.krimlex.de/artikel.php?BUCHSTABE=J&KL_ID=93 Jugendkriminalität].
http://www.uni-konstanz.de/FuF/Jura/heinz/ResolutionHeinz.pdf
[[Polizeiliche Programme gegen Jugendkriminalität in Hamburg]]
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