Intensivtäter

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Als Intensivtäter werden jugendliche und erwachsene Mehrfach- oder Wiederholungstäter bezeichnet, die in einem begrenzten Zeitabschnitt mehrfach kriminell in Erscheinung treten. Innerhalb der Gesamtgruppe der Straftäter stellen die Intensivtäter zwar nur einen kleinen Anteil, der jedoch einen überproportional hohen Anteil an begangenen Straftaten aufweist, etwa fünf bis zehn Prozent der jugendlichen Straftäter begehen ca. 50 Prozent der in dieser Altersklasse registrierten Straftaten (vgl. Boeger, 2011, S.8). Deswegen sind sie für die Kriminalpolitik ein wichtiges Aufgabenfeld(Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss, 1993, S.181). Meist sind die Intensivtäter polytrop, also in verschiedenen Delinquenzbereichen auffällig, wobei Gewalt gegen Menschen dominiert. Die meisten Intensivtäter werden im jugendlichen und heranwachsenden Alter aktiv und sind überwiegend männlich, weibliche Intensivtäter treten verschwindend gering in Erscheinung.

Definition

In der Polizeilichen Kiminalstatistk PKS werden als Mehrfachtäter Tatverdächtigte mit zwei, drei oder vier Fällen pro Statistikjahr definiert. Als Intensivtäter werden in der PKS Tatverdächtigte mit mehr als vier Fällen pro Statistikjahr beschrieben. Kaiser definiert Intensivtäter als "Mehrfachdelinquenten, die aufgrund von Art, Schwere und Häufigkeit des Rechtsbruchs eine besonders hohe Sozialgefährlichkeit gegenüber nur gelegentlich deliktisch handelnden Rückfalltätern erkennen lassen." (Kaiser, 1993, S.178; Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss, 1993, S.178) Von diesen unterscheiden sie sich durch eine besonders hohe Sozialgefährlichkeit aufgrund von Art, Schwere und Häufigkeit der verübten Straftaten. Die Auftrittswahrscheinlichkeit ereignet sich bei der Mehrzahl der Intensivtäter nur während eines begrenzten Zeitraums (vgl. Boegner, 2011, S.143). Eine Projektgruppe der Länder und des Bundes hat 2003 eine Begriffsbestimmung für sogenannte Mehrfach- und Intensivtäter MIT erarbeitet. Danach sind MITs Personen, die zum einen eine besondere kriminelle Energie oder erhöhte Gewaltbereitschaft gezeigt haben und in der Regel wiederholt, besonders in Massen- und/oder Straßenkriminalität, in Erscheinung getreten sind. Zudem ist bei MITs eine Negativprognose aufgrund der Wirkungslosigkeit bisheriger Erziehungs-, Straf- und Resozialisierungsmaßnahmen oder aus anderen Gründen gegeben (vgl. Bundeskriminalamt, 2010)

Entstehung und Entwicklung des Begriffs aus historischer Sicht

Entwicklung

Cesare Lombroso beschreibt in seinem Werk "l´uomo delinquente" 1876 zum ersten Mal in der Literatur den geborenen Verbrecher, also einen Menschen, der schon böse und kriminell geboren wird und an körperlichen Merkmalen wie Kopfform, Kieferstellung, Augenbrauen etc. erkannt werden kann. Dieser Gedanke wurde in mehreren nachfolgenden Theorien und Strömungen aufgegriffen, weiter ausdifferenziert, aber auch widerlegt und kritisiert. Nach Begründung der Chicagoer Schule in den 1930er Jahren wurde die Untersuchung der Lebensläufe von Straftätern forciert, um Strukturen und Änderungen im zeitlichen Ablauf einer delinquenten Karriere zu verfolgen, dies war der Anfang der Karriereforschung. Das Ehepaar Sheldon und Eleanor Glueck untersuchte mit ihrem Mehrfaktorenansatz unter anderem Faktoren, denen die größtmögliche prognostische Bedeutung zukommt, und identifizierte insbesondere drei davon: a) Beaufsichtigung der Kinder durch die Mutter b) Strenge der Erziehung und c) Ausprägung des Zusammenhalts der Familie (vgl. Hessisches Landeskriminalamt, 2008, S.47ff). Ende des 19. Jahrhunderts erfolgt die Unterteilung in Gelegenheits- und Gewohnheitsverbrecher. Terrie Moffitt unterscheidet 1993 in ihrer Two-Path-Theory adolescence-limited-offenders, deren delinquentes Verhalten sich auf die Jugendzeit beschränkt und dann verwächst, und life-course-persistent-offenders, deren antisoziales Verhalten im Kindesalter beginnt und sich bis hin zum Erwachsenenalter fortsetzt (vgl. Schwind, 2012)

Theoretische Erklärungsansätze

Neben den hier kurz aufgeführten Theorieansätzen, beschreiben auch Edwin H. Sutherland in der Theorie der differentiellen Assoziation, Richard A. Cloward & Lloyd E. Ohlin in der Theorie der differentiellen Gelegenheiten und Ronald A. Akers in seiner Theorie des sozialen Lernen uvm. kriminelles Verhalten nicht als angeborene, sondern erlernte Eigenschaft. Im Nachfolgenden wird auf drei Entwicklungstheorien kurz eingegangen.

Wechselwirkungstheorie von Thornberry

Thornberry beschreibt in seiner Theorie die Wechselwirkung von Kriminalität als Ergebnis schwacher Bindung an die Gesellschaft mit eingergehender mangelnder Selbstkontrolle (vgl. Theory of crime, Gottfredon & Hirschi) mit den Bedingungen, die es möglich machen, kriminelles Verhalten in der Interaktion mit anderen zu lernen (vgl. Lerntheorie nach Akers). Besonders wichtige Bindungsfaktoren sind Eltern, Schule und konventionelle Werte. Der Kontakt zu delinquenten Gleichaltrigen, die Übernahme delinquenter Werte und die Durchführung von kriminellen Handlungen sind Faktoren, die soziale Lernprozesse ermöglichen und kriminelles Verhalten verstärken.

Lebenslauftheorie oder "age graded theory of informal control" von Sampson & Laub

Störungen und Auffälligkeiten führen nicht unmittelbar zu Delinquenz, sondern indirekt über ihre Auswirkungen auf die Einbindung in die informelle Sozialkontrolle. Störungen und Auffälligkeiten aus vorangehenden Lebensphasen haben Auswirkungen auf Bindungskonstellationen in späteren Lebensphasen. Eine kumulative Anhäufung von Problemen im Jugendalter erschwert auch das Bindungsverhalten im Erwachsenenalter. Informelle Bindungen werden besonders betont, turning points wie Ehe, Arbeit oder Elternschaft können Wendepunkte für den Ausstieg aus der Delinquenz-Karriere bedeuten.

"general theory of crime" von Gottfredson & Hirschi

Nach der "general theory of crime" erklärt sich persistente, also andauernde Delinquenz, vor allem dadurch, dass die Täter über ein geringes Maß an Selbstkontrolle verfügen. Sie gibt geringe Selbstkontrolle als eine stabile Persönlichkeitseigenschaft an, die über alle Lebensphasen zu einem devianten, aber nicht immer delinquenten Lebensstil führt. Sie erklärt die Entstehung der geringen Selbstkontrolle durch Störungen in der Primärsozialisation.

Empirie

Die Erforschung der Gruppe der Intensivtäter dient nicht nur der Verminderung weiterer Straftaten oder der Prävention im Allgemeinen, sondern soll auch dazu führen, dass Strafrechtsnormen effektiver gestaltet werden, um das zukünftige Legalverhalten der Intensivtäter zu berücksichtigen. Auch dient die Forschung der Erkenntnis über Belastungs-, Rückfall- und Risikofaktoren um ggf. im Vorfeld kritische delinquente Entwicklungsmuster zu erkennen und intervenieren zu können. Polizeiliche Zahlen zu Intensivtätern beziehen sich in der Regel auf die Hellfelddaten der PKS. Berücksichtigt wird immer die Zahl der Delikte und häufig auch die Art und Schwere der Delikte (Dr. Wiebke Steffen, 2003, S.7-24). In der PKS 2014 waren von den 1.597.235 männlichen Tatverdächtigen 28,4 Prozent mehrfach im Berichtszeitraum in Erscheinung getreten. Mit 31,8 Prozent ist der Anteil der Mehrfachtatverdächtigen bei den Heranwachsenden (18 bis unter 21 Jahren) etwas höher als bei den Jugendlichen (14 bis unter 18 Jahren) mit 30,0 Prozent. Die meisten Mehrfachtatverdächtigen sind mit zwei bis fünf Straftaten auffällig (Bundeskriminalamt, PKS, 2014, S.49ff).

Zusammenhänge mit anderen Begriffen

Schwellentäter

„Schwellentäter“ werden solche Kinder und Jugendliche genannt, bei denen sich spätere intensivkriminelle Karrieren schon frühzeitig im Kindergarten oder in der Grundschule abzeichnen, auch sogenannte Risikokinder. Erfasst werden hier Auffälligkeiten wie Disziplinverstöße, Unpünktlichkeit, regelmäßiges Schwänzen des Schulunterrichts, geringe Selbstbeherrschung, Gewalttätigkeiten und die Einbindung in sozial negativ auffällige Jugendgruppen- und Banden. Als Schwellentäter werden aber auch solche erwachsenen Straftäter bezeichnet, die erst an der Schwelle zum Intensivtäter stehen und welche noch nicht als Intensivtäter eingestuft werden können (vgl. Schwind, 2012, S.13).

Hangtäter

Mit Hangtäter wird ein Straftäter bezeichnet, der schon mindestens dreimal straffällig geworden ist und infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten neigt, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und der für die Allgemeinheit gefährlich ist (StGB § 66 Abs. 1 ).

Sicherungsverwahrung

Von Sicherungsverwahrung spricht man, wenn ein Täter nach Verbüßen seiner Straftat nicht entlassen wird, sondern aufgrund einer Gefährlichkeitsprognose zur Verwahrung in eine entsprechende Anstalt verbracht wird. Die Sicherungsverwahrung zählt zu den Maßregeln zur Besserung und Sicherung und ist in §§ 61 Nr. 3, 66 StGB geregelt. Sie dient in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Taten und muss bereits im Urteil verhangen werden. Vor Eintritt in die Sicherungsverwahrung muss diese durch externe Gutachter geprüft werden. Eine regelmäßige Prüfung der Voraussetzungen ist gesetzlich vorgeschrieben.

schädliche Neigungen

"Unter schädlichen Neigungen sind gemäß der Definition der ständigen Rechtsprechung erhebliche, seien es anlagebedingte, seien es durch unzulängliche Erziehung oder Umwelteinflüsse bedingte Mängel zu verstehen, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten in sich bergen, die nicht lediglich gemeinlästig sind oder den Charakter von Bagatelldelikten haben" (BGH, Beschluss vom 17. November 1987, Az. 1 StR 382/87).

Resozialisierung

Der Begriff Resozialisierung bedeutet im Allgemeinen die Wiedereingliederung in das soziale Gefüge der Gesellschaft. Im kriminologischen Bezug bezieht sie sich insbesondere auf die Wiedereingliederung von Straftätern in das gesellschaftliche Leben außerhalb der Gefängniswelt und die Befähigung durch Integration und Rehabilitation straffällig gewordener Personen zu einem Leben ohne Straftaten.

Kriminologische Relevanz

Intensivtäter treten immer wieder presse- und medienwirksam durch sehr gewalttätige Straftaten in Erscheinung. Dies schürt die sogenannte Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung und kann politisch und wahlkampfunterstützend genutzt werden. Auch die Erkenntnis, dass ein kleiner Anteil an Kriminellen für einen großen Anteil an Straftaten verantwortlich ist und dass die Resozialisierung dieser Gruppe von Intensivtätern die verschiedenen beteiligten Professionen vor eine große Herausforderung stellt, macht das Thema kriminologisch relevant. So wurden in der wohl bekanntesten Kohortenuntersuchung Piladelphia Birth Cohort Study von Wolfgang et al. von 1972 (vgl. Schwind, 2012) anhand von Polizei- und Schulakten knapp 10.000 Jungen aus dem Geburtsjahr 1945 untersucht, die vom zehnten bis zum 18. Lebensjahr in der Stadt Piladelphia ihren Wohnsitz hatten. Die chronic offenders die nur sechs Prozent der Kohorte bzw. 18 Prozent der Delinquenten ausmachten, waren für mehr als die Hälfte aller registrierten Straftaten verantwortlich (vgl. Berliner Kriminologische Studien, 2009, S.8).

Grenzen und Risiken

Es gibt bisher weder eine verbindliche bzw. allgemein anerkannte Definition für Intensivtäter noch gibt es einheitliche Kriterien zur Eingrenzung des Begriffs "Intensivtäter". In fast allen Bundesländern in Deutschland ist die Anzahl der begangenen Straftaten entscheidend und meist werden bei der Beurteilung weitere Faktoren wie Art und Weise der Begehung, Art des Delikts oder eine Negativprognose des Sachbearbeiters hinzugezogen. Meist sind die Probleme, die zu einer delinquenten Entwicklung bis hin zum Intensivtäter führen, multikausal und müssen multistrategisch angegangen werden. Es herrscht Konsens darüber, dass bei der Entstehung von delinquentem Verhalten einer ungünstig verlaufenden familiären Sozialisation in der Kindheit ein wichtiger Platz eingeräumt werden muss. Fehlende oder negative Bindungen an wichtige Bezugspersonen oder der Verlust derselben, ungünstiger Erziehungsstil, Erleben von familiärer Gewalt etc.- ingesamt eine "Broken home"-Situation- führen zu individuellen Problemen und können den Weg in eine delinquente Karriere ebnen. Je früher Deliniquenz im Kindesalter auftritt, umso wahrscheinlicher ist eine negative Entwicklungsprognose. Frühe Intervention ist hier gefragt, was bedeutet, dass Mitarbeitende aus Bereichen der Gesundheitsversorgung und der Betreuung (Kindergarten, Schule, Jugendhilfe) gut geschult sein müssen, um ggf. frühe Warnsignale zu entdecken. Auch Marginalisierung, ein Ausschluss an gesellschaftlicher Teilhabe und Bildung, führt zu gesellschaftlichen Verlierern. Jedoch sind auch Risiken wie Fachkräftemangel in vielen beteiligten Berufsgruppen wie Polizei und Jugendhilfe, aber auch Kinderbetreuung und Schule, ein wichtiger Faktor. Diesen Berufsfeldern fehlt die Anerkennung in der Gesellschaft. Daneben ist ein weiteres Risiko die Etikettierung, das Abstempeln zum delinquenten Intensivtäter, was wiederum die Entwicklungsmöglichkeiten und ggf. spätere Ausbildungs- und Berufschancen verändert oder gar verschlechtert, zumindest aber das Ansehen und die Akzeptanz in der Gesellschaft, z.B. in der Nachbarschaft, schmälert.

Länderspezifische Mehrfach/Intensivtäterprogramme

Seit Beginn der 90er Jahre werden zunehmend polizeiliche "Intensivtäter-Programme" eingeführt. Ziele sind die Steigerung der Effektivität und Effizienz in der Kriminalitätsbekämpfung, die Erhöhung des Sicherheitsgefühls und die Begegnung des öffentlichen Drucks. Die einzelnen Konzepte weisen hinsichtlich Zielgruppe, Umfang und Art der vorgesehenenden Maßnahmen sowie präventiver und repressiver Ausrichtung große Heterogenität auf. Häufige Massnahmen sind die Zentralisierung der Strafverfolgungstätigkeit, Beschleunigung der Verfahrensabläufe, spezielle polizeiinterne Datenbanken/Listen, Gefährderansprachen sowie Koordination und Vernetzung der an der Jugendarbeit beteiligten Institutionen. So gibt es z.B. das Vieltäterprogramm in Hamburg, bei dem das Tatortprinzip durch das Wohnortprinzip ersetzt und die parallele Zuständigkeit unterschiedlicher Sachbearbeiter für ein und dieselbe Person begrenzt wurde. In den "Häusern des Jugendrechts" arbeiten Jugendrecht, Jugendhilfe, Polizei und Staatsanwaltschaft unter einem Dach zusammen, mit dem Ziel, die Kooperation der beteiligten Institutionen zu verbessern, angemessen und abgestimmt auf Jugenddelinquenz zu reagieren, die Jugendstrafverfahrensdauer zu verkürzen und die Prävention zu verstärken (vgl. Schwind, 2012). Ein Beispiel ist das Konzept der BASU21 (Besonders Auffällige Straftäter Unter 21 Jahren) (vgl. Weber, 2010, Frankfurt am Main). Dieses richtet sich an Kinder, Jugendliche und Heranwachsende als Zielgruppe mit dem Ziel der Prävention, Repression und Netzwerkarbeit. Außerdem liegt ein Schwerpunkt auf dem Opferschutz. Bei BASU21 findet eine Zusammenarbeit zwischen Polizei, Schule, Schulamt, Jugendhilfe, Haus des Jugendrechts, Justiz, Eltern etc. statt, daher gilt es alsmpräventive Vorstufe zu "MIT" Mehrfach-Intensiv-Täter-Programmen.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

In der Arbeit mit den Intensivtätern ist die Zusammenarbeit und Vernetzung der verschiedensten Disziplinen gefordert. Neben der Polizei bzw. der zuständigen Abteilung der Kriminalpolizei nehmen auch die Jugendgerichtshilfe, die Jugendhilfe im Allgemeinen, die Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychologen und Therapeuten und nicht zuletzt die Strafjustiz einen bedeutenden Platz ein. In der Psychologie z.B. ist der Blick auf das Individuum und auf die Umstände im Mittelpunkt. Der Mensch mit seiner Persönlichkeit beeinflusst die spezifische Umwelt, die wiederum auch ihn beeinflusst. Die Jugendhilfe setzt präventiv und interventiv an der Person an, sie soll Hilfestellung geben, Bedürfnisse auf legalem Weg zu erfüllen und die jugendtypischen Risikoverhaltensweisen zu lenken. In der Phase des Heranwachsens stehen die Ablösung oder Abgrenzung zum Elternhaus, die Integration in eine gleichaltrige Peergroup und die Identitätsentwicklung im Vordergrund. Die Kriminalpolizeien haben bereits mehrere Intensivtäterprogramme entwickelt und besondere Maßnahmen, wie die Gefährderansprache, erarbeitet. In Zusammenwirken mit Strafjustiz und Jugendgerichtshilfe gibt es Präventionsprogramme wie Anti-Aggressionstraining als Auflagen, in der Jugendhilfe gibt es spezielle Maßnahmenformen wie geschlossene Jugendhilfeeinrichtungen, Soziotherapeutische Wohngruppen, U-Haft-Vermeidungsgruppen etc. In manchen Bundesländern oder Städten gibt es sogenannte "Runde Tische", zu denen eingeladen werden kann, wenn ein Intensivtäter auffällig wird und über die geeigneten Interventionen und Auflagen im Vorfeld zu einer Verurteilung gesprochen werden soll bzw. wenn es um geeignete Maßnahmen vor der Entlassung geht.

Forschungsprogramme und Ergebnisse

Forschungsprojekt "Mehrfach - und Intensivtäter" des Landeskriminalamt Hessen (vgl. Bundeskriminalamt, 2010)

Zentrale Ergebnisse waren

  • Früh einsetzende Prävention ist entscheidend, frühes vernetztes Handeln aller beteiligten staatlichen Institutionen sowie der Eltern ist wichtig und sinnvoll bei der Unterstützung des Abbruchs der kriminellen Karriere
  • Deliktübergreifende und täterorientierte Bearbeitung ist dringend geboten. Die Gruppe der MIT ist sehr heterogen, das wissen sollte gebündelt werden
  • Ethnische Unterschiede sind deutlich erkennbar, Prävention muss die unterschiedlichen Problemlagen angemessen berücksichtigen.
  • Bildungs- und Ausbildungsdefizite mindern dadurch die Chancen auf berufliche Ausbildung und gesellschaftliche Integration.

Forschungsergebnisse

Das Einstiegsalter, in dem kriminelle Karrieren beginnen, wird in vielen Untersuchungen als ein wichtiges Prognosekriterium für die Intensität einer Karriere angegeben. Je früher der Einstieg erfolgt, desto wahrscheinlicher ist auch eine spätere schwere Delinquenz. Die Anzahl der polizeilichen Registrierungen im Kindes- und Jugendalter zeigt einen Zusammenhang von Jugend- und Erwachsenenkriminalität. Hinsichtlich der Dauer von kriminellen Karrieren gibt zwischen 17 Jahren und zwei bis drei Jahren. (Hessisches Landeskriminalamt, 2008, S.45-69) Belastungsfaktoren werden immer wieder als Auslöser und begünstigende Faktoren beschrieben. In einer Metaanalyse von 66 Langzeitstudien zur Gewalt und Schwere Kriminalität bei Jugendlichen haben Hawkins et al. Belastungsfaktoren gesammelt und ein Ranking erstellt.

  • individuelle Faktoren: Probleme während der Schwangerschaft oder bei der Geburt, Hyperaktivität, Aggressivität, antisoziales Verhalten etc.
  • Familie: kriminelle Eltern, Kindesmisshandlung, Armut, geringe Fürsorge duch die Eltern, Trennung von Eltern und Kind etc.
  • Schule: Schulversagen, Schulrauswurf, häufiger Schulwechsel etc.
  • Freundeskreis: delinquente Freunde, Mitgliedschaft in einer Gang etc.
  • Nachbarschaft: Armut, Ghettoisierung, Verfügbarkeit von Drogen und Waffen, Kriminelle etc.

Es ist davon auszugehen, dass es keine spezifischen Kriterien gibt, die ausschließlich für MIT zutreffen. Es handelt sich bei Intensivtätern um Personen, die diagnostisch und prognostisch betrachtet einfach viele ungünstige oder auch für das Hineingeraten in verfestigte kriminelle Verläufe förderliche Kriterien aufweisen bzw. auf sich vereinigen (vgl. Hessisches Landeskriminalamt, 2008, S.172-174).

  • Mängel und Defizite im Leistungsbereich
  • Mängel und Defizite im Freizeitbereich, namentlich unstrukturiertes Freizeitverhalten
  • Mängel und Defizite im Kontaktbereich, namentlich eine starke Orientierung an eine delinquenten Freundeskreis oder enge Bidnungen an ein typisches "Altstadt-Milieu"
  • problematische Werthaltungen und Relevanzbezüge
  • biografische Belastungen, wie die Herkunft aus besonders problematischen sozialen und ökonomischen Verhältnissen

Literaturverzeichnis

Bücher

  • Boeger, Annette, Jugendliche Intensivtäter, 1. Auflage, 2011, ISBN 978-3-531-17295-8
  • Kaiser, Günther in Kaiser, Günther/ Kerner, Hans-Jürgen/ Sack, Fritz/ Schellhoss, Hartmut (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch (S. 178 – 182). 3. völlig neubearbeitete und erweiterte Auflage, 1993, ISBN 3-8252-1274-2
  • Kunz, Karl-Ludwig, Kriminologie, 6.vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, 2011, ISBN 978-3-8252-3591-8
  • Lamnek, Siegfried, Theorien abweichenden Verhaltens I, 9. durchgesehene Auflage, 2013, ISBN 978-3-8252-3935-0
  • Lamnek, Siegfried, Theorien abweichenden Verhaltens II, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, 2008, ISBN 978-3-7705-4646-6

Studien und Dokumentationen

  • Berliner Kriminologische Studien, Band 8, Jugendliche Mehrfach- und "Intensivtäter", 2009, ISBN 978-3-8258-1961-3
  • Bundesgerichtshof BGH, Beschluss vom 17. November 1987, Az. 1 StR 382/87
  • Bundeskriminalamt, "Junge Mehrfach- und Intensivtäter- Gelingt der Wissenstransfer zwischen kriminologischer Forschung und polizeilicher Praxis?", Tagung 17.November 2010, Wiesbaden, pfd-Datei unter [1], zuletzt online am 10.03.2016
  • Bundeskriminalamt PKS 2014
  • Hessisches Landeskriminalamt, Band 1, "Mehrfach- und Intensivtäter in Hessen", 2008, [2], zuletzt online am 10.03.2016
  • Goerdeler, Jochen, "Mehrfach- und Intensivtäter", kriminologische Aspekte, in Polizei & Sozialarbeit XIII, 18. Juli 2006, Hofgeismar, pdf-Datei unter [3], zuletzt online am 10.03.2016
  • Schwind, Jan-Volker, "Intensivtäter und Intensivtäterprogramme der Polizei - bezogen auf Gewalttätigkeiten junger männlicher Rechtsbrecher", Masterarbeit, 2012, Bochum, pdf-Datei unter [weihmann.info/images/Schwind Masterarbeit.pdf]
  • Strafgesetzbuch unter [www.gesetze-im-internet.de/stgb], zuletzt online am 10.03.2016
  • Weber, Matthias, MIT Tagung im Bundeskriminalamt, BASU21, 17.11.2010, Frankfurt am Main, in pdf-Datei unter [4], zuletzt online am 10.03.2016

Fachzeitschriften

  • Bericht der gemeinsamen Projektgruppe des Unterausschusses Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung der AG Kripo und Justiz, S.6) bei Sonka, C. & Riesner, L., Junge „Mehrfach- und Intensivtäter“ - Implikationen für die Auswahl in polizeiliche Programme in Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 2012, S.119–127
  • Dr. Steffen, Wiebke, "Mehrfach- und Intensivtäter" in ZJJ - Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 2003
  • Dr. Steffen, Wiebke, "Mehrfach- und Intensivtäter: Aktuelle Erkenntnisse und Strategien aus dem Blickwinkel der Polizei" in ZJJ - Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 2003, S. 152-15
  • Huck, Lorenz, Jugendliche "Intensivtäter/innen" - Argumente gegen die Personalisierung mehrfacher strafrechtlicher Auffälligkeiten in Zeitschrift Forum Kritische Psychologie Nr. 53, 2009, S. 34-49