Geschlossene Unterbringung (Heimerziehung)

Definition

Überwiegend wird vertreten, daß geschlossene Unterbringung zunächst einmal ein geschlossenes Heim oder Anstalt oder eine geschlossene Abteilung eines Heimes voraussetzt. Die bei einer Unterbringung in diesen Einrichtungen resultierende Freiheitsentziehung ist zu definieren als Aufenthaltsbestimmung ohne oder gegen den Willen des Minderjährigen in einer Form, daß die Betroffenen auf einem bestimmten eingegrenzten Raum festgehalten werden, ihr Aufenthalt ständig überwacht und die Aufnahme von Kontakten mit Personen außerhalb des Raumes durch Sicherungsmaßnahmen verhindert wird. Freiheitsentzug beinhaltet somit - verkürzt gesagt - den angeordneten Ausschluß der Bewegungsfreiheit eines Kindes oder Jugendlichen entgegen oder ohne dessen Willen.

Freiheitsbeschränkung und damit kein Freiheitsentzug liegt vor, wenn die körperliche Bewegungsfreiheit zur Sicherung eines pädagogischen Prozesses altersgemäß für kürzere Zeit, d. h. maximal für wenige Stunden, ausgeschlossen wird. Daher beinhalten die stationäre Betreuung in einer Einrichtung der Erziehungshilfe mit den daraus resultierenden Grenzsetzungen ebenso wenig einen Freiheitsentzug wie Maßnahmen, die begrenzte Ausgangszeiten verordnen. Darüber hinaus liegt Freiheitsbeschränkung und kein Freiheitsentzug vor, wenn das Verlassen eines Gebäudes aus Gründen das allgemeinen Schutzes erschwert wird (z.B. nächtliches Verschließen der Haustür).

Als Alternativen zur "geschlossenen Heimunterbringung" sind primär präventiv zu verstehende Angebote nach dem KJHG (§§ 11 - 17) zu nennen. Danach handelt es sich um Angebote zur Förderung der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit, des erzieherischen Kinder - und Jugendschutzes und der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie. Das neue baden-württembergische Ausführungsgesetz zum KJHG von 1996 formuliert es in § 9a so: "Ziel der Jugendhilfe ist es, durch Stärkung des differenzierten außerstationären Hilfeangebots, wie Erziehungsberatung, Sozialpädagogische Familienhilfe, Tagesgruppen, Vollzeitpflege und Maßnahmen der Suchtprophylaxe, stationäre Unterbringungen auf das fachlich Erforderliche zu begrenzen."

Geschichte

Während Kinder im deutschen Kaiserreich seit 1871 nicht vor Vollendung des 12. Lebensjahres strafrechtlich belangt werden konnten, gab es für sie dennoch das Risiko der Anstaltserziehung ohne Begrenzung. Ferner wurde als Erziehung in den Anstalten in der Regel auch die abschreckende körperliche Züchtigung praktiziert. Für manche kamen bis zu zehn, für andere sogar noch mehr Jahre Unterbringungszeiten in Frage; für viele war eine Entlassung erst mit dem 20. Lebensjahr möglich. Innerhalb von Reformbemühungen in Verbindung mit dem deutschen Jugendstrafrecht kam es zu einer Ausweitung der Straffreiheit für Kinder im Alter von 12 bis 13 Jahren.

Das durch das RJWG 1922 legalisierte "persönliche Recht des Kindes auf Erziehung" wurde nach 1933 wieder umgewandelt in ein "Recht des Staates auf Erziehung der Jugend". Zur Vermeidung von Gefährdung oder Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen bediente sich auch der faschistische Staat des gesetzlichen Erziehungsmittels der Fürsorge, allerdings in der Form von "Auslese" im Sinne nationalsozialistischer Jugendpolitik. Zahlreiche Heimzöglinge wurden dementsprechend selektiert und in geschlossenen Bewahrungsanstalten untergebracht. Die Grenze des Strafmündigkeitsalters blieb jedoch bei 14 Jahren, bis das Reichsjugendgerichtsgesetz die Strafmündigkeit in "schweren Fällen" 1945 lockerte und auch schon Minderjährige ab 12 Jahren wieder belangt wurden.

In der Zeit des Neubeginns nach 1945 und einer eher halbherzigen Vergangenheitsbewältigung auch im Bereich der Pädagogik tat man sich schwer mit Reformen in Jugendwohlfahrt und Fürsorgeerziehung. Die Nachkriegsgeschichte der westdeutschen Heimerziehung vor der Heimkampagne 1969 ist zwar noch kaum historisch aufgearbeitet; deutlich ist jedoch, daß gegenüber dem Thema "geschlossene Heimunterbringung" damals keine besondere Sensibilität herrschte. Obgleich es schon in den 50er Jahren institutionelle Alternativen zur Verwahrung und Kasernierung gab, war normal, daß "verwahrloste" Kinder und Jugendliche im Rahmen der Fürsorgeerziehung eingesperrt wurden. Deren Heime waren zumeist große Einrichtungen, oft in ländlicher Abgeschiedenheit und mit durchregelten Tagesabläufen, ausdifferenzierten Strafsystemen und autoritären Erziehungskonzeptionen. Diese in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene und diskutierte Heimerziehung oder besser: Heimunterbringung wurde am 28. Juni 1969 mit der sog. "Staffelbergkampagne", einer Aktion von Lehrlingen, Schülern und Studenten in einem Erziehungsheim, konfrontiert. Der Protest richtete sich allgemein gegen "repressive Heimerziehung" und somit auch gegen die "geschlossene" Unterbringung.

Die sich daran anschließende Debatte, verbunden mit dem Ruf nach einer Umgestaltung der Jugendwohlfahrt, mündete in den 70er Jahren in eine breite Diskussion um ein neues Jugendhilferecht. Als die Bundesregierung 1978 in ihrem Entwurf eines Sozialgesetzbuches (SGB) die "geschlossene Unterbringung" doch wieder aufgenommen hatte, wurde erneut eine heftige, kontrovers geführte Auseinandersetzung über die Abschaffung der "geschlossenen Unterbringung" entfacht. Jedenfalls führte dies dazu, daß diese repressive Form der Heimunterbringung so nicht in das 1990 verabschiedete SGB VIII 8 (KJHG) eingearbeite wurde.

10 Jahre später fand im Zuge konservativer Jugendpolitik eine "roll - back" - Bewegung statt, so daß die geschlossenen Heime nicht nur ein Thema in der öffentlichen und fachlichen Diskussion bildeten, sondern in einigen Bundesländern - wie z.B. Hamburg - längst wieder Realität geworden sind. War die "geschlossene Unterbringung" 1980 in Hamburg und 1995 in Schleswig-Holstein unter dem Schlagwort "Menschen statt Mauern" abgeschafft worden, so prägte der Lübecker leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Wille im November 2001 den neuen Ansatz: "Mauern und Menschen".

Recht

In allen drei Kerngebieten unseres Rechtssystems gibt es Vorschriften, die eine Freiheitsentziehung bei Minderjährigen regeln. Sie stammen folglich aus dem Zivilrecht, dem Öffentlichen Recht und dem Strafrecht. Kurz behandelt wird auch Internationales Recht.

Da es sich bei der geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen um eine Freiheitsentziehung handelt, muß das Familiengericht nach § 1631b BGB dies auf Antrag der Personensorgeberechtigten genehmigen. Die Orientierung am Kindeswohl und der Genehmigungsvorbehalt durch das Familiengericht machen deutlich, daß die geschlossene Unterbringung als letzte Möglichkeit gewertet muß. Nur die akute Gefährdung des Kindeswohls kompensiert diesen Genehmigungsvorbehalt. Die familiengerichtliche Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.

Wenn auch das Bundesverfassungsgericht zur Zulässigkeit von geschlossener Unterbringung noch kein Recht gesprochen hat, bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken an dieser Rechtspraxis. Ein im Auftrage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstelltes Rechtsgutachten gelangte nämlich 1997 zu der Erkenntnis, daß der § 1631b BGB verfassungswidrig sei.

Mit dem § 42 III SGB VIII findet sich eine Vorschrift, die explizit freiheitsentziehende Maßnahmen behandelt. Es geht hierbei um eine Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen, wenn deren Wohl gefährdet ist. Wohl meint hier eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes, des Jugendlichen oder Dritter. Bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen ist das Jugendamt verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen. Ohne Entscheidung des Familiengerichtes ist die Freiheitsentziehung spätestens mit Ablauf des Tages nach ihrem Beginn zu beenden. Bei einem Widerspruch durch die Eltern hat das Jugendamt das Familiengericht anzurufen oder die Inobhutnahme aufzuheben.

Rechtsgrundlagen für eine geschlossene Unterbringung stellen ferner die Unterbringungsgesetze der Länder dar. Sie regeln die Intervention, sobald eine schwere psychische Beeinträchtigung verbunden mit einer erheblichen Gefährdung für den Betroffenen oder die Allgemeinheit zu erkennen ist. Die Maßnahmen müssen in einem angemessenen Verhältnis zu der Art und dem Grade der Gefährdung stehen, die von dem Kranken ausgeht. Das Verfahren ist bundeseinheitlich in den §§ 70 ff. des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) geregelt.

Das Strafrecht setzt Schuldfähigkeit voraus. Gemäß § 19 StGB ist schuldunfähig, wer bei Begehung der Tat noch nicht 14 Jahre alt ist. Jugendarrest gemäß §§ 16, 90 Jugendgerichts = gesetz (JGG) und Jugendstrafe nach §§ 17, 18, 91, 92 JGG heißen die freiheitsentziehenden Maßnahmen des Jugendstrafrechts. Gemäß § 71 JGG kann unter denselben Voraussetzungen, unter denen ein Haftbefehl erlassen werden kann, auch die einstweilige Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe angeordnet werden. Diese Maßnahme soll der weiteren Begehung von Straftaten entgegenwirken.

Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verbietet zwar freiheitsentziehende Maßnahmen nicht ausdrücklich, stellt aber in Artikel 37 für die geschlossene Unterbringung entscheidende Regeln auf. Artikel 37 betont, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strikt zu beachten ist. Demzufolge ist jede Form des Freiheitsentzuges bei einem Kind bis 18 Jahren nur als ultima ratio zu verhängen. Das Kind ist seinem Entwicklungsstand entsprechend zu behandeln, seine Würde ist zu achten und darf unter keinen Umständen verletzt werden. Das Recht auf Anfechtung der stationären Maßnahme ist zu gewährleisten und ein Rechtsbeistand zu stellen.


Kritik

Im folgenden skizziere ich wesentliche Argumente, die gegen oder für eine geschlossene Heimunterbringung regelmäßig vorgetragen werden. Diese sind in erster Linie aus erziehungswissenschaftlicher, psychologischer und soziologischer Perspektive entwickelt.

Für eine bundesweite Einführung geschlossener Heime spreche die Tatsache, daß Länder ohne diese Einrichtungen delinquente Jugendliche in Länder mit geschlossenen Heimen abschöben. Das ist unglaubwürdig. Aufgrund der Zugriffsmöglichkeiten auf den Educanden ließen sich erzieherische Handlungen optimieren. So seien ein strukturierter Tagesablauf gewährleistet, die Verbindlichkeit von festen Regeln zur Basis des gemeinsamen Lebens gemacht und eingeübt, die Übernahme von Pflichten eingefordert sowie die Durchführung von Maßnahmen der schulischen Ausbildung und beruflichen Orientierung sichergestellt. Dieser Mix an Interventionen diene somit der sozialen Integration. Ferner handele es sich bei der geschlossenen Unterbringung um eine Hilfe zur Erziehung entsprechend den Vorschriften des Kinder - und Jugendhilferechtes (§1 SGB VIII). Folglich gehe es dabei weder um den Zweck der Strafe noch um Sühne oder Abschreckung.

Einrichtungen der geschlossenen Unterbringung wiesen alle Merkmale einer totalen Institution auf. Dazu gehören die Häufung schwieriger Problemlagen, die Herausbildung eines subkulturellen Normen - und Wertesystems, häufig wechselnde Bezugspersonen, reduzierte soziale Betätigungs- und Lernmöglichkeiten, hoher Anpassungsdruck und die Verursachung individueller Krisen durch die gegenüber der Institution empfundene Ohnmacht.

Darüber hinaus beklagen Ausbilder wie Auszubildende, Lehrende und Lernende sowie Praktiker die unzureichende Ausbildung und Qualifizierung von Erziehern und Pädagogen für den Bereich der geschlossenen Heimunterbringung. Inhalte der Heimerziehung und Erziehungshilfen scheinen weitgehend eher randständig behandelt zu werden, so daß Erzieher und Pädagogen häufig auf die Aufgabe der Erziehung verhaltensauffälliger oder massiv gestörter Kinder und Jugendlicher in Einrichtungen der Erziehungshilfe ungenügend vorbereitet sind. Vereinzelt berücksichtigen zwar einige Bildungseinrichtungen dieses Ausbildungsdefizit und modifizieren die Inhalte ihres Curriculums entsprechend; doch ist der Mangel an qualifizierten Fachkräften der (geschlossenen) Heimerziehung unübersehbar.

Schließlich behindere der Einschluß soziale Integration und effektive, die Komplexität des Lebens berücksichtigende, Problemlösungen. Sozialisation sei nämlich zunächst ein aus dem jeweiligen Sozialraum gebundener Prozeß. Ferner fehle dem Konzept der "geschlossenen Unterbringung" eine gesicherte empirische Basis. Alltagstheorien sind schließlich kein Ersatz für Evaluation. Darüber hinaus sei ein mechanistisches Verständnis von Erziehung, das den Zögling zu einem Objekt degradiert, als überholt anzusehen. Erziehungsziele zu erreichen erfordere Zeit und wirklichkeitsgetreue Bedingungen. Tatsächlich gehe es den Befürwortern geschlossener Unterbringung, sei es bewußt oder unbewußt, um Strafe, sie etikettierten es bloß als Erziehung oder Hilfe.

Außerdem sollte sich die Jugendhilfe zu der Erkenntnis durchringen, daß die Ursachen für viele Schwierigkeiten außerhalb des unmittelbaren Einflußbereiches der Sozialpädagogik liegen. In der heutigen komplexen Welt gebe es nämlich keine Patentrezepte zur Lebensbewältigung, die hinter verschlossenen Mauern lediglich angewendet werden wollen. Die zunehmend zu beobachtenden Schwierigkeiten, das Leben in Zeiten der Globalisierung zu meistern, seien zwangsläufig mit der Entwicklung dieser Gesellschaft verknüpft und zeigten immer wieder die Grenzen der Integration und die Gefahren der Ausgrenzung auf.

Das vielleicht aussagekräftigste Argument gegen die geschlossene Heimunterbringung ist sowohl pädagogischer als auch ethischer Natur und geht von der unumstößlichen Prämisse aus, daß Erziehung nur in Freiheit möglich sei. Erziehung müsse nämlich Freiwilligkeit und Vertrauen voraussetzen; denn nur so könne ein auf einer positiven menschlichen Beziehung basierender Interaktionsprozeß gelingen. Dieses Verständnis von Erziehung gründet auf dem Humanismus, der Aufklärung und der Reformpädagogik und wendet sich naturgemäß strikt gegen einen reduktionistischen Erziehungsbegriff, der sich im wesentlichen an Bestrafung, Zwang und Unterordnung orientiert.

Aktuelles

Exemplarisch mögen die beiden folgenden Beispiele aus der Praxis die Herausforderungen veranschaulichen, mit denen die "geschlossene Heimunterbringung" immer wieder zu tun hat. Bei dem sog. "Rodalben - Fall" geht es um den gewaltsamen Tod der Erzieherin Christina K. im Jugendheim "Mühlkopf" im rheinland - pfälzischen Rodalben. In der Nacht zum 21. November 2003 war die 26jährige von drei jugendlichen Heiminsassen überwältigt und erstochen worden. Die Urteile des Landgerichtes Zweibrücken, wonach zwei der Angeklagten zu jeweils acht Jahren und einer zu fünf Jahren Jugendstrafe verurteilt wurden, bestätigte der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes im Revisionsverfahren. Folglich sind die Urteile seit dem 10. März und dem 26. April 2005 rechtskräftig.

Im Zuge konservativer Machtübernahme und eines damit einhergehenden jugendpolitischen Paradigmenwechsels in der Freien und Hansestadt Hamburg wurde die "geschlossene Heimunterbringung" wieder eingeführt. Seitdem steht der Name "Feuerbergstraße" für ein Symbol reaktionärer Kinder - und Jugendpolitik. Fachleute äußern erhebliche Zweifel an der Verfassungskonformität dieser Einrichtung; spezifische schwere Verstöße gegen Grundrechte, wie z.B. das unerlaubte Öffnen der für die Zöglinge bestimmten Post und das rechtswidrige Einsperren und Festhalten nach Fristablauf des einschlägigen Einweisungsbeschlusses sowie die Betreuung oder besser: Verwahrung durch Mitarbeiter von Sicherheitsunternehmen (securitas) an Stelle von Pädagogen werden regelmäßig kritisiert. Zahlreiche Ausbrüche sind dokumentiert, Gewalt dürfte den Alltag und das soziale Miteinander bestimmen. Insbesondere scheint die Verhängung von Einzelhaft mit weitgehender Isolation auch schon von Kindern (13 Jahre) einen Tiefpunkt an Menschenverachtung und auch Konzeptionslosigkeit widerzuspiegeln. Zur Zeit beschäftigt sich ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß mit den Vorgängen in dem geschlossenen Heim "Feuerbergstraße". Das Interesse der Öffentlichkeit scheint jedoch eher gering zu sein, so daß davon auszugehen ist, daß die Verantwortlichen ihren jugendpolitischen Kurs in dieser Frage beibehalten werden.

An dieser Stelle soll zwar keineswegs versucht werden, das Phänomen der Gewalt zu erlären oder zu rechtfertigen, weil es dafür zu vielschichtig ist; doch ist darauf hinzuweisen, daß die Auseinandersetzung und Problematisierung derartiger gewalttätiger Exzesse wie im Jugendheim "Mühlkopf" in Rodalben und auch der Entweichungen und Fluchtversuche in der Feuerbergstraße zunehmend einseitig unter dem Aspekt von Sicherheitsvorkehrungen geschieht. Demzufolge reduziert sich die Frage nach geeigneten Präventionsmaßnahmen darauf, ob die Mauern hoch genug und die Fenster und Türen fest verschlossen seien. Nach psychischen Ursachen, die in der Tiefe der Seele eines Kindes oder Jugendlichen verborgen sind, zu fragen, ist wohl nicht mehr zeitgemäß. Viele Heiminsassen sind seit Beginn ihres Lebens mindestens vernachlässigt, mit Liebesentzug bedacht oder gar mißhandelt worden. Führt eine geschlosene Unterbringung zu weiteren Erfahrungen von Ausgrenzung, Schuld, Mißachtung und Gewalt, so kann auch nicht erwartet werden, daß die Zöglinge ihren Bezugspersonen mit Achtung, Verständnis, Vertrauen und Respekt gegenübertreten.

Kurz vor Fertigstellung dieses Artikels erfuhr ich zufällig am 20.03.2006 in der Sendung Kulturjournal auf N3 von der Gründung eines Vereins ehemaliger Heimkinder und dem Erscheinen eines neuen Buches mit dem Titel "Schläge im Namen des Herrn" von Peter Wensierski, welches das Thema der "geschlossenen Heimunterbringung" aus der Perspektive der Heimzöglinge, insbesondere der 50er und 60er Jahre, beleuchtet, dokumentiert und analysiert.

Literatur

  • Arbeitsgruppe "Geschlossene Unterbringung": Argumente gegen geschlossene Unterbringung in Heimen der Jugendhilfe. 2. Aufl. Frankfurt a. M. (IGFH) 1997.
  • Günder, Richard: Praxis und Methoden der Heimerziehung. Entwicklungen, Veränderungen und Perspektiven der stationären Erziehungshilfe. 2., erw. und akt. Aufl. Freiburg i. Br. 2003.
  • Kupffer, H. (Hrsg.); Martin, K.-R. (Hrsg.): Einführung in Theorie und Praxis der Heimerziehung. 6., erw. Aufl. Wiebelsheim 2000.
  • Münder, J. u.a.: Frankfurter Kommentar zum SGB VIII: Kinder und Jugendhilfe. 4., vollst. überarb. Aufl. Weinheim, Berlin, Basel 2003.
  • Planungsgruppe Petra: Was leistet Heimerziehung? Ergebnisse einer empirischen Studie. Frankfurt a. M. (IGFH) 1988.
  • Post, Wolfgang: Erziehung im Heim. Perspektiven der Heimerziehung im System der Jugendhilfe. 2., überarb. Aufl. Weinheim und München 2002.
  • Wolf, Klaus (Hrsg.): Entwicklungen in der Heimerziehung. Münster 1995.
  • v. Wolffersdorff, C.: Geschlossene Unterbringung in Heimen. Kapitulation der Jugendhilfe? 2., akt. und erw. Aufl. Weinheim und München 1996.