Generalprävention

Krimpedia – Generalprävention


Einführung

Die Generalprävention ist eine Straftheorie zur Rechtfertigung von Strafe. Sie gehört als Erklärungsmodell den relativen Straftheorien (Gegenmodel: absolute Straftheorien) an, welche ziel- und zukunftsorientiert sind. Relative Straftheorien führen als Begründung für Strafe an, dass diese nötig sei, um einen erneuten Verstoß zu verhindern. Innerhalb der relativen Straftheorien steht die Generalprävention der Spezialprävention gegenüber. Während Letztere primär auf den Täter einwirken will, um diesen von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, richtet die Generalprävention den Blick auf die Wirkung der Strafe gegen den Einzelnen für und auf die Gesellschaft. Hier wirke die Bestrafung des Einzelnen entweder als Abschreckung (negative Generalprävention: Strafen des Einen um die Anderen von der Begehung abzuhalten) oder als Normbekräftigung (positive Generalprävention: Strafen des Einen um den Anderen zu zeigen, dass die Norm aktiv ist)


Einzeldarstellung

Negative Generalprävention (Abschreckungsprävention):

Durch die Vollstreckung von Strafe bekommt der potentielle Täter vor Augen geführt, welche Folgen abweichendes Verhalten hat. Dadurch verhalten sich die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft (hier: die Täter) in der Folge rechtskonform und werden von weiteren Straftaten abgeschreckt. Diese Abschreckungsprävention stellt Strafe als ein Instrument da, um ein normkonformes Verhalten gegen den Willen des Normadressaten herbeizuführen. Die Androhung eines Übels (`Strafe`) zwingt also zu einer Handlung/Unterlassung, die der Normadressat sonst nicht herbeigeführt hätte. Die negative Generalprävention sieht sich der Kritik ausgesetzt, dass die Abschreckungswirkung auf den Einzeltäter meist gering ist, da die Täter bei der Tatbegehung regelmäßig davon ausgehen nicht entdeckt zu werden. Dies deckt sich mit den Fallzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik hinsichtlich der Rückfallquoten bei Mehrfach-, und/oder Intensivtätern. Große Akzeptanz hat die Theorie nur erlangt soweit es um die Erklärung der Absenkung der Rückfallquoten bei Ersttätern geht.(Baratta, 184; Frommel 1987;


Positive Generalprävention (Integrationsprävention):

Die Vollstreckung von Strafen ist zur Normbekräftigung und Aufrechterhaltung des Rechtsbewusstseins notwendig. Im Gegensatz zur negativen Generalprävention soll Strafe hier ein Mittel sein, um, zu einer freiwilligen Normbefolgung, zu motivieren. Sie soll also selbst moralischen und erzieherischen Einfluss ausüben anstatt, dass sie mit Zwang das Ende der individuellen Freiheit, und autonomen Zustimmung zur Durchsetzung von Normkonformität mittels öffentlicher Gewalt, verfolgt. Zusammengefasst soll staatliche Strafe also nicht durch furchteinflößende und abschreckende Wirkung zur allgemeinen Normkonformität beitragen, sondern durch eine Verstärkung der inneren Bindungen an soziale Normen, sowie durch eine Förderung von Norminternalisierung und Normakzeptanz (Überblick zu den verschiedenen Versionen der Theorie bei Prittwitz, Strafrecht und Risiko, zusammenfassend auch Jakobs, Strafrecht AT; Kunz ZStW 1986, 823; Maiwald GA 1983, 49; Müller-Dietz, FS für Jescheck S. 279; Schöch, 1985;). Die positive Generalprävention sieht sich der Kritik ausgesetzt, dass der Täter hier instrumentalisiert werde, um das staatliche Ziel der Normstabilisierung zu erreichen. Diese Degradierung zum „Objekt staatlichen Handelns“ sei mit der Menschenwürde nicht zu vereinbaren. Darüber hinaus erscheint Strafe hier alleine als Argument für freiwillige Normkonformität. Dies soll dann nicht überzeugen, wenn Strafe nicht auch verstanden wird als Mittel der Vergeltung oder der individuellen Prävention, da ansonsten der ernsthafte Wille des Gesetzgebers zur Normdurchsetzung fehle (Hoffmann, 1992, Kaiser 1996. Müller-Dietz, 1996).

Mit Blick auf das internationale Strafrecht sieht sich die Generalprävention durchaus auch kritischen Stimmen gegenüber. So trage die negative Generalprävention nicht, da die weltweite Straflosigkeit der meisten Völkerrechtsverbrechen und die Selektivität internationaler Strafverfolgung zu einer äußerst geringen Abschreckungswirkung führe. Als Gegenargument wird angebracht, das selbst selektive Gerichtsverfahren wegen ihres durchschlagenden öffentlichen Bekanntheitsgrads eine abschreckende Wirkung haben. Gerade weil staatlich begangene Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit oft vollkommen straflos geblieben sind, muss man diesen Missstand mit Hilfe des internationalen Strafrechts verändern.

Hinsichtlich der positiven Generalprävention lässt sich feststellen, dass internationales Strafrecht zu einer stärkeren internationalen Normbekräftigung fundamentaler Menschenrechtsnormen und des humanitären Rechts führt. Es entsteht langfristig eine Vorbildfunktion der internationalen Strafgerichte oder Strafverfahren in Drittstaaten für die dortige nationale Justiz (Beispiel: Fall Pinochet). Ferner habe das internationale Strafrecht Einfluss auf die lokale Juristen-, Polizei- und Militärausbildung. Straflosigkeit vergangenen Unrechts befördert in Postkonfliktgesellschaften die allgemeine Normerosion und kann zu erneuter Gewaltanwendung beitragen.

Kritik an der Kritik

Ob jede begangene Straftat die generalpräventive Wirkung des Strafrechts widerlegt, kann durchaus in Zweifel gezogen werden, da wohl unstreitig sein muss, dass viel mehr Verbrechen begangen würden, wenn es keine Strafrechtspflege gäbe. Der Staat bezweckt mit der Strafe nicht nur die Abschreckung des präsumtiven Täters durch Androhung eines Übels, dessen Eintritt durch die Tat ausgelöst wird, sondern ist vor allem bemüht, die Allgemeinheit durch gerechte Strafgesetze und deren maßvolle und gleichmäßige Anwendung in ihrem Rechtsbewusstsein zu stärken und zu freiwilligem Rechtsgehorsam zu erziehen.

Aktuelle Rechtslage

Das geltende Strafrecht hat den Gedanken der Spezialprävention in § 46 Absatz 1 Satz 2 StGb, § 1 StVollzG aufgenommen. Generalpräventive Erwägungen finden sich durch den Begriff der „Verteidigung der Rechtsordnung“ in §§ 47 Absatz 1, 56 Absatz 3 StGB und bilden mit dem Schuldprinzip des § 46 Absatz 1 Satz 1 StGB die Grundlage für die gegenwärtigen Straferwägungen der Gerichte für Erwachsene. Im Bereich des Jugendstrafrechts dürfen generalpräventive Straferwägungen regelmäßig nicht zur Strafbegründung herangezogen werden. Dies ist dem besonderen täterorientierten Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts geschuldet.

Geschichte

Diese Idee, andere durch die Bestrafung eines Täters von der Begehung ähnlicher Taten abzuschrecken (sog. Abschreckungseffekt) findet sich schon in der Philosophie der griechischen Antike. Häufig wird in diesem Zusammenhang der Dialog Protagoras von Platon genannt, in dem es in 324a,b (Kapitel: Jeder hält diese Tugden für lehrbar, nach der Ausgabe von Heinz Hofmann, Gesammelte Werke) heißt: "Denn wenn du bedenken willst das Bestrafen der Unrechttuenden, was damit wohl gemeint ist, so wird schon dieses dich lehren, dass alle Menschen glauben, die Tugend sei zu erwerben. Denn niemand bestraft die, welche Unrecht getan haben, darauf seinen Sinn richtend und deshalb, weil einer eben Unrecht getan hat, außer wer sich ganz vernunftlos wie ein Tier eigentlich nur rächen will. Wer aber mit Vernunft sich vornimmt, einen zu strafen, der bestraft nicht um des begangenen Unrechts willen - denn er kann ja doch das Geschehene nicht ungeschehen machen - sondern des zukünftigen wegen, damit nicht auf ein andermal wieder weder derselbe noch einer, der diesen bestraft gesehen hat, dasselbe Unrecht begehe. Und indem er dieses beabsichtigt, denkt er doch wohl, dass die Tugend kann angebildet werden; denn der Ablenkung (Abschreckung) wegen straft er ja. Dieser Meinung sind also alle zugetan, welche Strafen verhängen von Volks wegen und zu Hause." Später übersetzt Seneca (1. Jahrhundert v.Ch.): "Nemo prudens punit quia peccatum est, sed ne peccetur" (Kein vernünftiger Mensch straft, weil jemand gesündigt hat, sondern damit nicht gesündigt werde." (De ira I, 19,7) Dieser Satz gilt einigen als die Idee der Generalprävention (vgl. Killias 2002, 441). Berühmt wurde die Theorie der Generalprävention im 18. und 19. Jahrhundert, auch durch Autoren wie Cesare Beccaria, Samuel von Pufendorf und Anselm von Feuerbach, welche die Auffassung vertraten, dass Kriminalität dann durch die Androhung harte Strafen bekämpft werden könne, wenn das Verhängen dieser Strafen auch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Vor allem die Gesetzgeber des 18. und 19. Jahrhunderts wurden von der Theorie der Generalprävention beeinflusst. Ausgehend von einem rationalistischen Menschenbild herrschte die Auffassung, es genüge, bestimmte Handlungen unter Strafe zu stellen, schwere Strafen vorzusehen und diese mit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Verhängung abzusichern. Selbstverständlich mussten dafür die Strafen zuvor öffentlich bekannt gemacht werden (Veröffentlichung der Gesetze in Gaststätten und anderen öffentlich zugänglichen Orten). Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen Zweifel an der Theorie der Generalprävention auf. So verschob sich die Präferenz der Strafrechtler vor allen Dingen nach dem Marburger Manifest von Franz von Liszt (1883) auf die Spezialprävention. In neuerer Zeit hat der reine Gedanke der Generalprävention wieder Auftrieb erhalten durch die Schriften des Bonner Strafrechtsprofessors Günther Jakobs, welcher sich im Rahmen der Diskussion zwischen Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht auch kritisch mit den dahinter stehenden Begründungen für Strafe auseinandergesetzt hat. Jakobs geht dabei davon aus, dass „Der prinzipiell Abweichende bietet keine Garantie personalen Verhaltens; deshalb kann er nicht als Bürger behandelt, sondern muß als Feind bekriegt werden.“ (Jakobs, Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, in: HRRS Ausgabe 3/2004, S. 90). Er ersetz also mittelbar das Recht durch den Krieg. Wobei Jakobs hier den Feind nicht, wie der NS-Staatstheoretiker Carl Schmitt, als den Andersartigen (hostis) verstehe, sondern als den gefährlichen Verbrecher (inimicus) (Jakobs, Feindstrafrecht? – Eine Untersuchung zu den Bedingungen von Rechtlichkeit, in: HRRS Ausgabe 8-9/2006, S. 294). Vor diesem Hintergrund kann aber als Strafzweck eine Spezialprävention mit Blick auf zukünftige Handlungen des Täters im Sinne einer Einwirkung nicht mehr angenommen werden.

Literaturnachweise

• Baratta, A. 1984: Integrations-Prävention. Eine Systemtheoretische Neubegründung der Strafe, in: KrimJ 2/1984, 132-148 • Schöch, H. 1985: Empirische Grundlagen der Generalprävention, in: Festschrift für H.-H. Jescheck zum 70. Geburtstag, Berlin, 1081-1105 • Frommel, M. 1987: Präventionsmodelle in der deutschen Strafzweck-Diskussion, Berlin • Schumann, K. 1989: Positive Generalprävention, Heidelberg • Hoffmann, P. 1992: Zum Verhältnis der Strafzwecke Vergeltung und Generalprävention in ihrer Entwicklung und im heutigen Strafrecht, Göttingen • Kaiser, G. 1996: Kriminologie, Heidelberg • Müller-Dietz, H., 1996: Prävention durch Strafrecht: Generalpräventive Wirkungen, in: Jehle, J.-M. (Hg): Kriminalprävention und Strafjustiz, Wiesbaden, 227-261 • Müller-Dietz, Heinz; Integrationsprävention und Strafrecht: in, Festschrift für Jescheck, Bd 2 S. 813, 822 • Jacobs, Strafrecht Allgemeienr Teil, DeGruyter, 2. Auflage 1991 •Kunz, Karl- Ludwig, Prävention und gerechte Zurechnung, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, (ZStW) Bd. 98 (1986), 823ff • Maiwald, Manfred 1983: Die Verteidigung der Rechtsordnung – Analyse eines Begriffs, in GA 1983, 49 • Ha, Tae-Young (2000): Belastende Rechtsprechungsänderungen und die positive Generalprävention. Heymann, Köln. • Hofmann, Peter (1995): Vergeltung und Generalprävention im heutigen Strafrecht. Shaker, Aachen. • Kalous, Angela (2000): Positive Generalprävention durch Vergeltung. Roderer, Regensburg. • Müller, Jens (1996): Ökonomische Grundlagen der Generalprävention. Eine Auseinandersetzung mit kriminalökonomischen Modellen. Lang, Frankfurt/M. • Neuß, Frank (2001): Der Strafzweck der Generalprävention im Verhältnis zur Würde des Menschen. Ein unaufgelöster Konflikt. Shaker, Aachen.