Feministische Kriminologie

Definition

Kriminologie ist die Lehre von der Kriminalität. Als feministisch gilt ein die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau thematisierendes Wissenschaftsverständnis, das sich das Ziel setzt, diese Unterdrückung abzubauen und Optionen für ein subjektorientiertere Lebensform zu schaffen. (Kunz 2004, 76) Neuere feministische Theorien beschäftigen sich weniger mit Fragen angenommener Machthierarchien als vielmehr mit der Konstruktion von Wirklichkeit auch in Hinblick auf Geschlechterverhältnisse (z.B. Butler 1995).

Erläuterung

Das Einbringen dieser feministischen Sicht in die Kriminologie wandelt deren Verständnis. Vielerorts finden sich in der Kriminologie überwiegend Männer, die sich mit vorwiegend männlicher Kriminalität befassen und die einen Zusammenhang von weiblicher Identität und Kriminalität nur als eines unter vielen Studienobjekten behandeln.

Aus feministischer Perspektive ist Weiblichkeit ein gesellschaftliches Konstrukt, das ein zentrales Erklärungsmuster für asymmetrische Machtbeziehungen liefert, welche ihrerseits Kriminalisierungsprozesse steuern können. Weiblichkeit ist somit keine neutrale Beschreibung einer Naturgegebenheit, sondern Ausdruck eines von der jeweiligen Epoche geprägten Frauenbildes, das strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Gesellschaft zementiert und zugleich kaschiert.

Ein feministisches Wissenschaftsverständnis verlangt von der Kriminologie, den versteckten Androzentrismus und seine Verschleierung zum zentralen Thema zu machen. Die feministische Kriminologie ist somit eine pragmatische Grundorientiertung. Im einzelnen ist sie aber noch nicht ausformuliert. In der Forschungspraxis beschäftigt sie sich gerade mit den von ihr beklagten frauendegradierenden Konstruktionen juristischer Kategorien, wie zum Beispiel Abtreibung, Pornografie, Prostitution, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen (vgl. Pitch 1985; Tong 1984).

Vgl. Emanzipationsthese

Die Feministische Kriminologie ist eine Wissenschaft oder Strömung, die versucht weibliche Devianz durch verschiedenste theoretische Ansätze zu erklären und auch die Kriminologie per se feministisch zu betrachten und zu beeinflussen.

In der Feministischen Kriminologie gibt es viele Theorien und Denkansätze, jedoch sind kaum aussagekräftige Studien und Erhebungen über Frauenkriminalität vorhanden. Außerdem gibt es bis dato keine plausible Theorie, die ganzheitlich erklären würde warum Frauen grundsätzlich so viel seltener straffällig werden als Männer.


Literatur

Buthler, Judith (1995): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenezen des Geschlechts. Berlin Verlag, Berlin

Kunz, Karl-Ludwig (2004): Kriminologie. UTB, Bern

Pitch, Tamar (1985): Critical criminology, the construction of social problems and the question of rape. In: Int./Soc 13. 35-46

Tong, Rosemarie (1984): Women, sex and law. Totowa

Geschichte der Feministischen Kriminologie

Die Frauenbewegung zu Beginn der 70er Jahre erreichte, dass sowohl feministische Perspektiven als auch Frauenforschung in der Wissenschaft Einzug fanden. Beinahe jede wissenschaftliche Disziplin wurde nun feministisch beleuchtet und kritisiert. Eine der wenigen Ausnahmen stellte die (deutschsprachige) Kriminologie dar. Erst Ende der 70er und dann in den 80er Jahren wurden kriminologische Arbeiten über Frauenforschung verfasst.

1988 fand schließlich der 10. Weltkongress für Kriminologie in Hamburg statt und zum ersten Mal wurde ein Workshop zu dem Thema "Frauen und Kriminalität" abgehalten. Dieser Workshop war der mit Abstand meist-besuchte auf diesem Kongress. 1991 gab es erstmals eine Weltkonferenz feministischer ForscherInnen in Montreal.

Feministische Kriminologie wird oft als Nebenströmung der Kritischen Kriminologie gesehen. Sowohl Uta Krüger in ihrer Einleitung von Kriminologie - eine feministische Perspektive, als auch Martina Althoff/Sibylle Kappel in der ihren Einleitung des 5. Beihefts des Kriminologischen Journals mit dem Titel Geschlechterverhältnis und Kriminologie betonen aber ausdrücklich, dass die Feministische Kriminologie keine weitere Subdisziplin der Kriminologie darstellen soll, sondern auf lange Sicht gesehen die Kriminologie an sich durch eine feministische Perspektive in ihrer Entwicklung weiterbringen, wenn nicht sogar gänzlich umstrukturieren soll.


Bekannte feministische Kriminologinnen und ihre Theorien

Mit Gerlinda Smaus, Monika Frommel und Anina Mischau seien nur die bekanntesten feministischen Kriminologinnen genannt.

Gerlinda Smaus

Gerlinda Smaus legte 1967 ihr Diplom in Soziologie und Erwachsenenbildung an der Karls-Universität in Prag ab. (vgl. http://archiv.jura.uni-saarland.de/FB/LS/Baratta/HomepageG_Smaus.htm) Sie verfasste zahlreiche Publikationen über Strafrechtssoziologie, Kritische Kriminologie und Feministische Kriminologie.

In ihrem Aufsatz in Geschlechterverhältnis und Kriminologie kritisiert Smaus, dass sich die Wissenschaft bis zu den 1970ern komplett und nur auf den Mann bezogen habe. Mensch = Mann hieß es. Die wissenschaftliche Welt sei immer noch überdeutlich von diesem Androzentrismus geprägt. Auch weist sie ausdrücklich daraufhin, dass Smart "schon im Jahre 1976 die Überwindung des Androzentrismus verlangt - worunter sie die ausschließliche Konzentration der Kriminologie auf männliche Täter verstand." (Krim. Journal, 1995, S. 12) Eine geschlechtsneutrale Wissenschaft wäre demnach das Optimum.

Smaus fordert von einer wissenschaftlichen feministische Kriminologie, dass sie "beide progressive Theorien, die der Vergeschlechtlichung und den Definitionsansatz, vereinbaren können muss". (Krim. Journal, 1995, S. 21) In Das Patriarchat und die Kriminologie beschreibt Smaus warum sie es für unerlässlich hält zwischen biologischem Geschlecht (sex) und gesellschaftlichem Geschlecht (gender) zu unterscheiden. Smaus will in ihrem Artikel aufzeigen, dass ungeachtet des biologischen Geschlechts Männer und Frauen gleichermaßen situationsabhängig sowohl eine 'männliche' als auch eine 'weibliche' Rolle einnehmen können. Sie behauptet jeder Mensch, ob biologisch männlich oder weiblich würde das gesamte 'Rollenrepertoire' erlernen und dass man je nach Situation entweder die männliche oder die weibliche annehme.

Smaus sagt, dass "[...] die biologische Ausstattung mit bestimmten Fortpflanzungsorganen für das Verhalten nur sekundär ist [...]"(Krim. Journal, 1999, S. 30). Smaus negiert die Einteilung nach biologischem Geschlecht. Man lerne von Anfang an die komplementären Verhaltensweisen von Mann - Frau. Welche man annehme, sei aber nicht durch das biologische Geschlecht bestimmt. "Darüber hinaus ist bei den Identitäten, die keine Übereinstimmung zwischen biologischem 'sex' und sozialer bzw. kultureller Identität (gender) aufweisen (Transsexuelle, Transvestiten, Hermaphroditen), deutlich geworden, dass sich die erlernte Komponente auf die Geschlechtsidentität eines Menschen viel stärker auswirkt als die angeborene."(Krim. Journal, 1999, S. 30)

Selbst wenn ein biologischer Mann normalerweise eine männliche Rolle einnimmt, heißt das nicht, dass er nicht auch partiell, nämlich situationsabhängig, eine weibliche Rolle spielt. Der Geschlechterdualismus stellt einen wichtigen Bestandteil des Ordnungsprinzips unserer Gesellschaft dar.

Smaus sagt, dass "[...]in diesem vergeschlechtlichten Universum nicht nur Lebewesen mit bestimmten 'sex' ein Geschlecht (gender) besitzen, sondern alle Dinge, alle gesellschaftlichen Institutionen, alle Worte einer Sprache [...]".(Krim. Journal, 1999, S. 32) Sie kritisiert, dass die Tatsache dass Frauen Kinder gebären können bis heute die Einteilung zwischen Mann und Frau rechtfertigt, nämlich dass Attribute wie Rationalität oder Leistung demnach typisch männlich sind, während Eigenschaften wie Empathie und Fürsorge typisch weiblich wären.

Smaus sieht das als offensichtlichen, von Männern geschaffenen, riesigen Nachteil für Frauen an.


Monika Frommel

Monika Frommel promovierte 1997 an der Ludwig-Maximilians-Universität München in den Rechtswissenschaften. Sie ist eine bekannte Strafrechtlerin und Kriminologin. (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Monika_Frommel)

In Kriminologie im 21. Jahrhundert veröffentlichte Frommel einen Aufsatz über Feministische Kriminologie, in dem sie sowohl die Etikettierungstheorie ('arm und kriminell') als auch die These einer doppelten Unterdrückung von Frauen kritisiert und für nicht plausibel erklärt. "Anhaltende Kriminalisierungsprozesse" seien eher "typisch männliche Abstiegsprozesse"(Kriminologie im 21. Jh., S. 108) , weshalb die Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen erklärt werden müssten. Laut Frommel ignorieren aber die meisten gängigen Theorien der Kriminologie die Geschlechterfrage bzw. streifen diese lediglich.

Frommel weist auf den Ansatz hin dass Frauen eher dahingehend erzogen werden eine passive Rolle einzunehmen, was bezogen auf beruflichen Erfolg und das gesellschaftliche Leben einen Nachteil darstellt, bezogen auf die Kriminalität aber ein Vorteil ist. Da die Etikettierungstheorie viele Autoren überzeugt, neigen diese dazu den geringen Frauenanteil in der Kriminalität auch als Folge einer Diskriminierung zu sehen, Frommel aber hält geschlechtsspezifische Nachteile für mittlerweile ausgeglichen und lehnt die These einer generellen Diskriminierung von Frauen ab. Außerdem dürfe man Theorien, die auf eine schichtspezifische Diskriminierung zutreffen nicht auf eine geschlechterspezifische umdeuten, da Geschlecht und Schicht unterschiedliche Wirkungen hätten.

Frommel weist auch auf die Kritik von Scheerer und Hess hin, dass die Etikettierungstheorie dazu neige, nur den Kriminalisierungsprozess und nicht das Verhalten der Delinquenten aufzuzeigen, was beim Geschlechtsfaktor noch unpassender wäre. Auch die 'Ritterlichkeitsthese' von Geißler/Marißen erklärt Frommel für nicht plausibel, da die unterschiedlichen Zahlen allein durch das unterschiedliche Verhalten zu erklären seien. Zur Zeit gäbe es keine plausible Erklärung dafür, dass Männer offensichtlich sehr viel öfter kriminell werden als Frauen, es falle aber auf, dass auch "extreme Positivkarrieren"(Kriminologie im 21. Jh., S. 117) eher von Männern erreicht werden würden.

Als Juristin richtet Frommel ihren Fokus in diesem Artikel auch auf das Strafjustizsystem, dass ihrer Meinung nach zwar selektiv sei, aber nicht "systematisch schichtdiskrimierend"(Kriminologie im 21. Jh., S. 110). Es fände keine Willkür der Instanzen statt, jedoch eine mittelbare Diskriminierung, denn Delinquenten ohne sichtbare soziale Integration würden durchweg härter/konsequenter bestraft werden, d.h. Strafrecht unterstützt soziale Ungleichheit nicht, benachteiligt jedoch unkooperative Delinquenten. Schlussendlich fordert Frommel, dass der Staat angemessen auf asymmetrische Gewaltverhältnisse reagieren müsse.


Anina Mischau

Anina Mischau promovierte 1996 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg in Soziologie. Sie beschäftigt sich vor allem mit Frauenforschung, wobei einer ihrer Schwerpunkte bei der feministischen Kriminologie liegt. (vgl. http://www.netzwerk-frauenforschung.nrw.de/details_wiss.php?id=84)

Mischau ist vor allem durch ihr bekanntes und in Bereichen der feministischen Kriminologie viel zitiertes Werk Frauenforschung und feministische Ansätze in der Kriminologie. Mischau kritisiert, dass in fast allen Arbeiten, die sich mit den Eigenheiten von Frauenkriminalität beschäftigen, diese ausschließlich am biologischen Geschlecht 'weiblich' fest gemacht werden. Aus dieser Kritik heraus versucht sie neue theoretische Ansätze einer feministischen Kriminologie zu entwickeln.

In Geschlechterverhältnis und Kriminologie wurde ein Aufsatz von Mischau mit dem Titel "Einige Gedanken über die Chancen einer feministischen Wissenschaft(skritik) in der kritischen Kriminologie". Hier versucht Mischau zu verdeutlichen, dass eine feministische Perspektive für die Kriminologie ganz entscheidend ist. Denn es müssten nicht nur die alten patriarchischen Strukturen aufgezeigt, erkannt und durchbrochen werden, sondern man müsse sich auch viel intensiver mit der Geschlechterfrage auseinander setzen.

Literatur

  • Althoff, Martina/Kappel, Sibylle: Geschlechterverhältnis und Kriminologie, Kriminologisches Journal 5. Beiheft 1995, Juventa Verlag, Weinheim
  • Krüger, Uta (Hrsg.): Kriminologie: eine feministische Perspektive Centaurus-Verlagsgesellschaft, Bamberg 1992
  • Liebl, Karlhans (Hrsg.): Kriminologie im 21. Jahrhundert GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007
  • Löschper, Gabi/ Smaus, Gerlinda: Das Patriarchat und die Kriminologie, Kriminologisches Journal 7. Beiheft 1999, Juventa Verlag, Weinheim
  • Mischau, Anina: Frauenforschung und feministische Ansätze in der Kriminologie, Centaurus-Verlagsgesellschaft, Heidelberg 1997


Weblinks