Ethik des Terrorismus

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Nach einer verbreiteten Ansicht ist Terrorismus schon deshalb immer verwerflich und moralisch verboten, weil es sich dabei definitionsgemäß um eine Gewaltanwendung handelt, die sich immer (zumindest auch) gegen Unschuldige richtet. Jede philosophische Überlegung, ob sich Terrorismus doch rechtfertigen ließe, wirkt kontraintuitiv. Denkbar ist aber auch, dass kontraintuitiv wirkende Argumentationen gleichwohl richtig sind.

Eine erste Rechtfertigungsmöglichkeit besteht unter dem Gesichtspunkt der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa). Das wäre der Fall, wenn eine Partei, die überproportional viele Rechtsverletzungen zu erdulden hatte, nun ihrerseits in einer Übergangsperiode Rechtsverletzungen begeht, um die andere Seite zur Einstellung der Rechtsverletzungen zu bewegen. Eine derartige Angleichung der Rechtsverletzungen auf beiden Seiten wird von Virginia Held (1991) der Fortsetzung unilateraler Rechtsverletzungen jedenfalls im Falle vergleichbarer Schweregrade der Rechtsverletzungen vorgezogen: "If we must have rights violations, a more equitable distribution of such violations is better than a less equitable distribution" (Held 1991: 78). Die Unterdrückten müssen also eine zu ihren Ungunsten ungleiche Verteilung von Rechtsverletzungen nicht unbedingt ertragen, sondern könnten die Rechtsverletzungs-Bilanz auszugleichen versuchen, indem sie zwecks Beendigung ihres Erdulden-Müssens von Rechtsverletzungen selbst Rechtsverletzungen begehen. Wenn zum Beispiel eine überlegene Konfliktpartei andauernd Rechtsverletzungen begeht, die sich (zumindest auch) gegen Unschuldige richten, dann wäre eine Retaliation mittels des Begehens vergleichbarer Rechtsverletzungen unter Umständen zu rechtfertigen.

Eine zweite Rechtfertigungsmöglichkeit besteht unter dem Gesichtspunkt der Notwehr bzw. der ultima ratio. Wenn ein Individuum, eine Gemeinschaft oder ein Staat in einer Weise bedroht wird, dass das Überleben in Frage gestellt wird, und wenn keine andere offensive Waffe zur Verfügung steht als die Ausübung von Terrorismus, dann liegt es nahe, die Anwendung dieser Waffe als gerechtfertigt anzusehen. Michael Walzer (2000: 255-263) hat diese Argumentation jedenfalls für den Fall von Staaten und für deren Rückgriff auf Terrorangriffe befürwortet. Andererseits hat er das Manifest von 58 amerikanischen Gelehrten unterzeichnet, in dem es nach dem 11. September 2001 hieß, dass "no appeal to the merits or demerits of specific foreign policies can ever justify (...) the mass slaughter of innocent persons" (Institute for American Values 2002). Da Walzer die Rechts von Staaten aber ebenfalls ausdrücklich (2000: 53-55) aus jenen von Gemeinschaften und diese wieder aus jenen von Individuen ableitet, kann für substaatliche Akteure logischerweise kaum etwas anderes gelten. Oder, wie Andrew Valls (2000: 73) fragt: "But why is it that the territorial integrity and political independence of, say, Britain, justify the resort to (...) violence that targets civilians - but the right of self-determination of a stateless nation never does?"



Literatur

  • Held, Virginia (1991) Terrorism, rights, and political goals. In: R.G. Frey, Christopher W. Morris (Hg.) Violence, Terrorism, and Justice. Cambridge: Cambridge University Press, 58-85.
  • Meggle, Georg (2003) Terror & Gegen-Terror: Erste ethische Reflexionen. In: Christian Schicha & Carsten Brosda (Hg.) Medien und Terrorismus. Reaktionen auf den 11. September 2001. Münster: LIT, 174–187.
  • Steinhoff, Uwe (2003) Die Ethik des Terrorismus. In: Christian Schicha & Carsten Brosda (Hg.) Medien und Terrorismus. Reaktionen auf den 11. September 2001. Münster: LIT, 188-197.
  • Valls, Andrew (200) Can Terrorism Be Justified? In: Andrew Valls (Hg.) Ethics in International Affairs. Theories and Cases. Lanham u.a.: 65-79.