Ethik des Terrorismus

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Von der Ethik des Terrorismus ist wenig die Rede, weil derlei Angriffe auf Unschuldige nach allgemeiner Ansicht per se verwerflich sind und damit keinen geeigneten Gegenstand für die Erörterung subtiler moralischer Fragen oder gar einer moralischen Rechtfertigung abgeben können. In der jakobinisch-trotzkistisch-leninistischen Tradition hat es gleichwohl einen ausgedehnten Diskurs darüber gegeben. In jüngster Zeit behandelten (vor dem 11. September) David Rapoport und Yonah Alexander (1989) "The Morality of Terrorism" - und (nach dem 11. September) der Philosoph Uwe Steinhoff "Die Ethik des Terrorismus" (2005: 156 ff.).

Uwe Steinhoff

Uwe Steinhoff diskutiert im wesentlichen zwei Rechtfertigungsmöglichkeiten: ausgleichende Gerechtigkeit und Notwehr.

Ausgleichende Gerechtigkeit

Wenn eine unterlegene Partei, die überproportional viele Rechtverletzungen seitens einer überlegenen Partei erdulden musste, ihrerseits zu Rechtsverletzungen greift, um die überlegene Partei zur Einstellung ihrer Rechtsverletzungen zu bewegen, dann kann das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa) die Rechtsverletzungen der Unterlegenen rechtfertigen.

Dass die unterlegene Partei eine Menge X von Rechtsverletzungen begeht, ist dann "gerechter", als wenn die überlegene Partei, die bereits die vorhergehenden Rechtsverletzungen beging, zu den bereits begangenen Rechtsverletzungen die Menge X von weiteren Rechtsverletzungen hinzufügte. In so einem Fall geht es nach dem Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit lediglich um eine ausgeglichene Verteilung der Rechtsverletzungen: "If we must have rights violations, a more equitable distribution of such violations is better than a less equitable distribution" (Held 1991: 78). Wenn zum Beispiel die Überlegenen in einem Konflikt andauernd Rechtsverletzungen begehen, die sich auch gegen Unschuldige richten, dann wäre auf der Grundlage des aristotelischen Prinzips der iustitia commutativa das Begehen vergleichbarer Rechtsverletzungen durch die Unterdrückten unter Umständen zu rechtfertigen.

Steinhoff lehnt die von Held vorgeschlagene Rechtfertigung des Terrorismus durch das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit jedoch ab. Ausgleichende Gerechtigkeit mache nur in Nullsummenspielen Sinn, in denen bereits eine fesgesetzte Menge von Rechtsverletzungen gegeben ist, die nun auf verschiedene Gruppen verteilt werden muss. Dies ist im Fall von Terrorismus jedoch nicht der Fall: wenn Mitglieder der in einem Konflikt unterlegenen Gruppe die Rechte von Mitgliedern der überlegenen Partei verletzen, handelt es sich folglich nicht um die Umverteilung einer bereits feststehenden Zahl von Rechtsverletzungen, sie schaffen damit vielmehr neue Rechtsverletzungen.

Notwehr

Wenn einem Individuum, einer Gemeinschaft oder einem Staat nur noch der Rückgriff auf Terrorismus bleibt, um einer existentiellen Bedrohung zu begegnen, kann das Prinzip der Notwehr (ultima ratio) die Ausübung von Terrorismus rechtfertigen.

So können sich z.B. Staaten genötigt sehen, auf Terrorismus zurückzugreifen. Michael Walzer (2000: 255-263) rechtfertigt mit dieser Argumentation z.B. die Terrorbombardements gegen die deutsche Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg.

Andererseits hat er das Manifest von 58 amerikanischen Gelehrten unterzeichnet, in dem es nach dem 11. September 2001 hieß, dass "no appeal to the merits or demerits of specific foreign policies can ever justify (...) the mass slaughter of innocent persons" (Institute for American Values 2002). Da Walzer die Rechte von Staaten aber ebenfalls ausdrücklich (2000: 53-55) aus jenen von Gemeinschaften und diese wieder aus jenen von Individuen ableitet, kann für substaatliche Akteure logischerweise kaum etwas anderes gelten. Oder, wie Andrew Valls (2000: 73) fragt: "But why is it that the territorial integrity and political independence of, say, Britain, justify the resort to (...) violence that targets civilians - but the right of self-determination of a stateless nation never does?"

Zu dem letztgenannten Aspekt steuert Seto (2003: 1259) auf der Grundlage seiner eigenen, unter anderem spiel- und evolutionstheoretisch formulierten Theorie den Gedanken bei, dass - im Gegensatz zu Terrorismus seitens substaatlicher Akteure - zwar eine Vermutung für die Rechtfertigung staatlicher Gewalt (etwa in der Form der Strafe) spreche, dass diese Vermutung aber keine Rolle mehr spiele, wenn sich die staatliche Gewalt nicht an die Regeln halte: "This means that if we are going to condemn a particular type of politically motivated violence when untertaken by terrorists, we must equally condem the same type of violence when undertaken by the U.S. Army or the CIA. If we are going to permit the justification of politically motivated violence undertaken by the U.S. Army or the CIA, we must similarly admit the possibility that similar violence undertaken by Al Qaeda may be equally justified. The fact that the U.S. Army and the CIA are agents of a state does not make their actions any more or less moral."

Martin Mosebach (2007) in seiner Rede zur Verleihung des Büchner-Preises: man kann über Gründe für den Massenmord nachdenken. Die Beispiele, die er anführte, sind solche des Terrorismus. Des Terrorismus, der von denen begangen oder befürwortet wird, die tatsächlich oder aber als Autoren illusionistisch an der Macht sind. Von Robespierre und Saint Just. Von Büchner. Von Himmler.

Nicht nur Büchner habe dem Massenmord der Jakobiner aus wohlerwogenen Gründen zugestimmt, dessen Doktrin Saint-Just "in einzigartig zukunftsträchtigen Deduktionen verkündet" habe: "Soll eine Idee nicht ebenso gut wie ein Gesetz der Physik vernichten dürfen, was sich ihr widersetzt? ... Der Weltgeist bedient sich in der geistigen Sphäre unserer Arme ebenso, wie er in der physischen Vulkane oder Wasserfluten gebraucht. Was liegt daran, wenn sie nun an einer Seuche oder an der Revolution sterben? Das Gelangen zu den einfachsten .... Grundsätzen hat Millionen das Leben gekostet, die auf dem Weg starben. Ist es nicht einfach, dass zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem geraten?"

Manche dachten, das könne Geltung beanspruchen für ihre eigene Zeit und ihre eigenen Ideen. Manche hatten historisch Erfolg. Andere wieder nicht.

Die Perspektive, aus der der Mensch nicht mehr Akteur, sondern Puppe ist, die an Fäden hängt, war damals in Mode, aber ändert sie etwas? Büchner lässt Danton sprechen: "Puppen sind wir, von unbeaknnten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts sind wir selbst." Büchners Zeitgenosse Philipp Mainländer, ein Schüler Schopenhauers, der sich auf den Belegexemplaren seines Werkes stehend und dann davon hüpfend erhängte: "Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das Grab, worin es fault." - Wenn wir alle aber Nichts sind und der König im Gegensatz zu uns ein Ich, dann ist die Köpfung des Königs die Köpfung des Ichs. Luciles Ausruf: "Es lebe der König!" ist der Protest gegen den Nihilismus, nicht mehr und nicht weniger.

Literatur

  • Held, Virginia (1991) Terrorism, rights, and political goals. In: R.G. Frey, Christopher W. Morris (Hg.) Violence, Terrorism, and Justice. Cambridge: Cambridge University Press, 58-85.
  • Meggle, Georg (2003) Terror & Gegen-Terror: Erste ethische Reflexionen. In: Christian Schicha & Carsten Brosda (Hg.) Medien und Terrorismus. Reaktionen auf den 11. September 2001. Münster: LIT, 174–187.
  • Mosebach, Martin (2007) Saint-Just. Büchner. Himmler. FAZ 30.10.07: 33-34.
  • Rapoport, David C. & Yonah Alexander, Eds. (1989) The Morality of Terrorism: Religious and Secular Justifications. New York: Columbia University Press.
  • Seto, Theodore P. (2003) The Morality of Terrorism. Loyola of Los Angeles Law Review 35:1227-1263.
  • Steinhoff, Uwe (2003) Die Ethik des Terrorismus. In: Christian Schicha & Carsten Brosda (Hg.) Medien und Terrorismus. Reaktionen auf den 11. September 2001. Münster: LIT, 188-197.
  • Valls, Andrew (2000) Can Terrorism Be Justified? In: Andrew Valls (Ed.) Ethics in International Affairs. Theories and Cases. Lanham u.a.: Rowman & Littlefield, 65-79.