Environmental Criminology

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Die Environmental Criminology (E.C.) ist ein junges Untersuchungsfeld innerhalb der Kriminologie. Ihr Untersuchungsschwerpunkt liegt auf dem Raum-Zeit-Gefüge, in dem kriminelle Handlungen begangen werden. Zentral für diese Betrachtungsweise ist die Feststellung, dass bestimmte Merkmale einer Situation einen präventiven bzw. kriminogenen (kriminalitätsfördernden) Einfluss ausüben können. Die E.C. befasst sich mit den Auswirkungen von physikalischen Raummerkmalen auf (kriminelles) Verhalten. Ihre Erkenntnisse finden Verwendung für die Kriminalprävention.

Ursprünge der E.C. und der Kriminalgeografie

Die Beobachtung einer räumlich ungleichen Verteilung von Kriminalität wurde spätestens von den beiden Moralstatistikern Guerry (1833) und Quetelet (1842) belegt. In eine umfassende kriminalsoziologische Theorie einbezogen wurde der städtische Raum erstmals von den Vertretern der Chicago School. Die E.C. untersucht Verbrechen ebenfalls unter kriminalgeografischen Gesichtspunkten. Neuartig an ihrer Denkweise ist die Auffassung vom Raum als Explanans (wie auch schon in der Chicago School) in Verbindung mit einer strikten Tatorientierung: Nicht die Entstehung krimineller Dispositionen, sondern die Tat selbst soll erklärt werden. Als Wegbereiter der E.C. gelten die Beiträge von Jacobs (The death and life of great American cities), Jeffrey (Crime prevention through environmental design) und Newman (Defensible space. Crime prevention through urban design). Die Bezeichnung „Environmental Criminology“ für ein eigenständiges Untersuchungsgebiet der Kriminologie, das physikalische Merkmale der städtischen Umwelt in die wissenschaftliche Analyse von Kriminalitätsphänomenen einbezieht, gibt es allerdings erst seit den 1980er Jahren. Zwei ihrer bedeutendsten Vertreter sind Paul und Patricia Brantingham, deren Buch „Environmental Criminology“ 1981 erschien.

Theoretische Herkunft

Die verschiedenen Theorien der E.C. integrieren Ansätze aus der Psychologie (insbesondere der Environmental Psychology), der Geografie (Sozialgeografie, Wahrnehmungs- und Verhaltensgeografie) und der Soziologie. Sie sind nicht durch ein gemeinsames theoretisches Konstrukt verbunden. Das gilt auch für die Konzeptualisierung des zentralen Begriffes der Situation. Ihre Ansätze liefern üblicherweise deliktspezifische Erklärungen sowohl für individuelles kriminelles Verhalten auf der Mikroebene als auch für räumliche Verteilungsmuster von Kriminalität auf der Makroebene. Einige Ansätze der E.C. blenden Täterdispositionen konsequent aus (z.B. Routine Activity Theorie), während andere Ansätze sie in ihre Analyse einbeziehen (z.B. Rational Choice Theorie), ohne dies dabei näher zu begründen. Zu den bekanntesten Theorien der E.C. und ihren kriminalpräventiven Implikationen gehören: Routine Activity, Defensible Space (Crime Prevention Through Environmental Design), Crime Pattern Theory und Rational Choice (Situational Crime Prevention). Trotz einiger Unterschiede zwischen diesen Theorien teilen sie die grundlegende Auffassung, dass kriminelles Verhalten maßgeblich durch risikomindernde bzw. risikosteigernde Situationsmerkmale beeinflusst wird.

Präventionsansätze und Befunde der E.C.

Die Disziplin hat durch eine ganze Reihe von quantitativen und qualitativen Untersuchungen einen umfangreichen Forschungsbestand aufgebaut. Viele ihrer Befunde werden kriminalpräventiv genutzt, um Tatgelegenheiten in bestimmten Räumen und Situationen zu minimieren.


Situational Crime Prevention

Clark und Cornish (2003) haben aus der Rational Choice Theorie 25 Techniken der situativen Kriminalprävention abgeleitet. Eine Situation soll demnach hinsichtlich Kosten, Nutzen und Gelegenheit auf eine Art und Weise verändert werden, dass eine Straftat schwieriger, weniger ertragreich und risikoreicher wird. Ferner sollen mögliche Provokationsquellen sowie Möglichkeiten für Ausreden und Rechtfertigungen vermieden werden. Beispiele für die Umsetzung dieser fünf kriminalpräventiven Forderungen finden sich reichlich: Das schnelle Beseitigen von Graffitis bringt deren Schöpfer um den Ertrag ihrer Mühen und wirkt so demotivierend; klare Regeln und Instruktionen in einem Setting (z.B. sichtbar gemacht durch Schilder) unterbindet Ausreden von der Art „Das habe ich nicht gewusst“; Überwachungskameras und Alarmanlagen erhöhen das Entdeckungsrisiko.

Crime Prevention Through Environmental Design (CPTED)

Überlegungen zur städtebaulichen Prävention leiten sich aus dem Defensible Space Ansatz (Newman 1972) ab. Newman fand heraus, dass bestimmte bauliche Merkmale von Wohnkomplexen und deren Umgebung mit dem Kriminalitätsaufkommen in diesen Wohngebieten korrelierten. Durch die architektonische Gestaltung von Wohnhäusern und deren Umgebung sollen Räume erstens gut einsehbar sein (z.B. keine fensterlosen toten Winkel) und zweitens, als halböffentliche bzw. halbprivate Räume erkenntlich gemacht werden, damit das Territorialverhalten und Verantwortungsbewusstsein der Bewohner aktiviert werde. Auf diese Weise werde informelle soziale Kontrolle gefördert- und abweichende Verhaltensweisen unterbunden. Ferner sollen bauliche Verschönerungsmaßnahmen den Eindruck von Einfachbauweise, und damit einhergehende Stigmatisierungen der Bewohner, verhindern.


Routine Activity Theory

Die Routine Activity Theory untersucht, wie sich kriminogene Situationen (ein potentieller Täter trifft bei ausbleibender sozialer Kontrolle auf ein geeignetes Opfer/Ziel) makrostrukturell verändern. Cohen und Felson argumentierten bspw., dass die steigende Anzahl von Wohnungseinbrüchen in den USA während der 1960er und 70er Jahre durch die gleichzeitige Veränderung kollektiver Routinen (Zwei erwerbstätige Personen im Haushalt, außerhäusliche Freizeitaktivitäten) zu erklären sei. Für andere Eigentumsdelikte lässt sich folgende makrostrukturelle Begründung anführen: Die wachsende Verbreitung von kleinen und wertvollen Konsumgütern (Laptops, Handys,…) schaffe strukturell Situation, die das Diebstahlsrisiko erhöhen. In Verbindung mit dem Selbstbedienungskonzept der Warenhäuser werden alle vier Bedingungen geeigneter Beute erfüllt: Value, Inertia, Visibility und Access (VIVA).

Crime Pattern Theory

Die Crime Pattern Theory untersucht sowohl den situativen Einfluss auf individuelles Täterverhalten als auch die Ursachen für bestimmte aggregierte Verteilungsmuster von Kriminalität. Auf der individuellen Ebene spielen der Aktivitätsraum des Täters und sein kognitives Abbild der Stadt (mentale Landkarte) eine wichtige Rolle bei seiner Suche nach geeigneten Tatgelegenheiten. Nur bestimmte Orte einer Stadt kommen üblicherweise für die Suche in Frage. Entsprechende Studien aus Journey-to-Crime-Research stellen übereinstimmend fest, dass die Anzahl der Delikte in Abhängigkeit von der Distanz zum Wohnort durch eine Pareto-Funktion, die sog. Distance-Decay-Function, am besten beschrieben werden kann. Crime Templates sind Scripts (im psychologischem Sinne), die dem Täter helfen, eine Situation ohne großen kognitiven Aufwand als eine günstige Gelegenheit zu erkennen und entsprechend zu handeln. Bestimmte Orte einer Stadt bieten Merkmale, die dem Crime Template einiger Menschen entsprechen. Die Ermittlungsmethode Geographic Profiling nutzt diese und weitere Befunde der E.C.. Makroanalytisch betrachtet sind Hot Spots für bestimmte Delikte ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass die städtische Umwelt Einfluss auf die aggregierten Kriminalitätsmuster nimmt (vgl. z.B. Sherman 1989). Dabei konzentrieren sich viele Delikte nicht nur an besonders betriebsamen Orten in der Stadt (Aktivitätsknoten), wo es alleine aufgrund der hohen Nutzerzahlen zu einer gesteigerten Zahl krimineller Handlungen kommt. Nicht alle Aktivitätsknoten sind hot spots, und nicht alle hot spots liegen an Aktivitätsknoten. Hot Spots lassen sich unterscheiden in Crime Generators und Crime Attractors. Das erhöhte Kriminalitätsaufkommen in Crime Generators entsteht dadurch, dass eine hohe Anzahl von Menschen bestimmten Tatgelegenheiten ausgesetzt wird, und Delikte ohne feste Tatabsichten begangen werden (z.B. spontane Ladendiebstähle in Kaufhäusern oder Schlägereien vor Kneipen). Crime Attractors hingegen werden von Menschen mit festen Tatabsichten aufgesucht, um ein Delikt zu begehen (z.B. Diebstahl aus KFZ in Parkhäusern). Einige Untersuchungen haben gezeigt, dass das Nebeneinander bestimmter Raumtypen (Juxtaposition) kriminogene Wirkung entfalten kann. So zeigte eine Untersuchung von Brantingham und Brantingham (1990), dass Singleappartements in der Nähe von Einkaufszentren ein überdurchschnittlich hohes Viktimisierungsrisiko haben, weil die ohnehin schon risikobelasteten Ziele an einem Aktivitätsknoten liegen, und somit in den Aktivitätsraum einer größeren Anzahl potentieller Täter fallen. In einer ganzen Reihe weiterer Studien wird der Einfluss bestimmter Raumtypen und konkreter Raummerkmale (z.B. Kioske, Beleuchtung, Sitzgelegenheiten,…) auf das Kriminalitätsaufkommen in Hot Spots und anderen städtischen Räumen untersucht. In den Untersuchungsbereich der Crime Pattern Theorie fallen ebenfalls Studien, die Veränderungen von Kriminalitätsaufkommen und räumlicher Kriminalitätsverteilung in Verbindung mit Einrichtungen des öffentlichen Personennahverkehrs erforschen.

Literaturhinweise

  • Birkbeck, C. & LaFree, G. (1993) "The Situational Analysis of Crime and Deviance. In: Annual Re-view of Sociology, 19, S. 113-37.
  • Brantingham, L.P., Brantingham, P.J. (1981): Environmental criminology. Beverly Hills, CA.
  • Clarke, R.V., Cornish, D. B. (2003): Opportunities, precipitators and criminal decisions: A reply to Wortley’s critique of situational crime prevention. In: Crime Prevention Studies 16, S. 41–96
  • Cohen, L. E., Felson, M. (1979): Social change and crime rate trends: A routine activity approach. In: American Sociological Review, 44, S. 588 – 608
  • Hadamitzky, G. (2015): Crime Mapping - Digitale Kriminalitätskartierung in Zeiten der Risikogesellschaft. Frankfurt am Main.
  • Sherman, L.W., Gartin,G.P., Buerger, M.E.(1989): Routune activity and the criminology of spaces. In: Criminology, 27, S. 27-55
  • White, R. (2008) Crimes against nature: environmental criminology and ecological justice. Cullompton: Willan Publishing.