Ehrenmord

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Als Ehrenmord bezeichnet man die Tötung eines Menschen, der für eine Verletzung der Reputation verantwortlich gemacht wird. Das Phänomen des Ehrenmordes ist charakteristisch für traditionale agrarische Gesellschaften, wo insbesondere die Verletzung sexueller Verhaltensnormen durch weibliche Familienmitglieder als todeswürdige Verletzung der Familienehre sanktioniert werden kann. Die Tötung erfolgt häufig in der Öffentlichkeit und auf besonders grausame Art und Weise durch ein (von der Familie bestimmtes) Mitglied der vom Ehrverlust betroffenen Familie. Täter sind meist männlichen, Opfer meist weiblichen Geschlechts.

Weltweit fordern Ehrenmorde eine unbekannte Zahl von Opfern (Schätzungen rangieren zwischen 10.000 und 100.000 pro Jahr).


Begriff

In Sozialverbänden, für die die Ehre den höchsten Wert und das wichtigste "soziale Kapital" (Bourdieu) darstellt, werden Verletzungen der Ehre mit den jeweils schärfsten Sanktionen bestraft, häufig mit einer demonstrativ grausamen öffentlichen Tötung, die von den Tätern als legitim erachtet und deshalb nicht als "Mord" bezeichnet werden, sondern als Bestrafung zur Wiederherstellung der durch das Opfer "beschmutzten" Ehre.

Der Begriff des Ehrenmordes ist deshalb eine Fremdbezeichnung, keine Bezeichnung, die von den Akteuren selbst benutzt wird.

2005 wurde "Ehrenmord" zum "Unwort des Jahres" gewählt.

Das Bundeskriminalamt definiert Ehrenmorde als "Tötungsdelikte, die aus vermeintlich kultureller Verpflichtung heraus innerhalb des eigenen Familienverbandes verübt werden, um der Familienehre gerecht zu werden."

Umfang und Erscheinungsformen

Ehrenmord ist kein überaus seltenes Phänomen: weltweit werden jährlich rund 5000 Ehrenmorde polizeilich registriert - nimmt man das geschätzte Dunkelfeld hinzu, kommt man ohne weiteres auf bis zu 100.000 Fälle pro Jahr.

Ehrenmorde sind ein Phänomen traditioneller Gesellschaften. Sie gehören zum Gewohnheitsrecht in vielen ländlich geprägten Gesellschaften in Westafrika, in der südöstlichen Türkei, in Pakistan, in christlich christlich oder drusisch geprägten Gemeinschaften in manchen arabischen Ländern und bei den Hindus und Sikhs in Indien. Außerdem kommen Ehrenmorde dort vor, wo größere Einwanderermilieus dieser Art existieren, also etwa in vielen Ländern Westeuropas, in den USA und Kanada. Sehr selten oder nichtexistent sind Ehrenmorde hingegen in den meisten moslemischen Gemeinschaften Zentralasiens (einschließlich Kasachstans und Kirgistans), in Bangladesh, Sri Lanka, in Afrika südlich der Sahara, Malaysia und Indonesien.

Häufigkeit

Nach Schätzungen des Weltbevölkerungsberichts der UNO werden jährlich weltweit mindestens 5.000 Mädchen und Frauen zur Wiederherstellung der verletzten Familienehre getötet.

Pakistan

In Pakistan wurden für 1998-2003 insgesamt 4101 Ehrenmorde registriert (Warraich 2005: 79). Im Jahre 2002 wurden in der pakistanischen Provinz Sindh geschätzte 245 Frauen und 137 Männer wegen Karo-Kari (d.h. aus Gründen der Ehre, weil sie sexuelle Beziehungen außerhalb ihrer Stammesaffiliation und/oder außerhalb ihrer Religionsgemeinschaft gesucht hatten) getötet.

Am 02.09.08 verabschiedete der Senat eine Resolution, die sich für die strenge Bestrafung der "brutalen Morde" aussprach, die sich im Juli 2008 in Belutschistan ereignet hatten. Nach Zeitungsberichten waren dort drei Frauen zwischen 18 und 20 Jahren von einer Gruppe Stammesältester mit Schüssen niedergestreckt worden, weil sie ohne Zustimmung ihrer Familien heiraten wollten; zwei ältere Frauen, die ihnen zu helfen versuchten, ereilte dieselbe Sanktion. Danach seien die fünf Frauen, die zum Teil noch am Leben gewesen seien, begraben worden (FAZ 03.09.08: 8; "Mord an Frauen in Pakistan verurteilt").


Türkei

In der Türkei werden Ehrenmorde zwar auch in den Großstädten begangen, doch gehören die Täter meistens bestimmten Milieus von innertürkischen Migranten - insbesondere demjenigen der Kurden aus armen ruralen Gebieten Ost- und Südanatoliens - an (Yazgan 2009).

Alternativen

In der Praxis gibt es folgende Alternativen zum Ehrenmord:

  • Geheimhaltung der Information, die zu Ehrverlust führen könnte (z.B. einer Vergewaltigung)
  • Verheiratung (z.B. möglichst schnelle Verheiratung eines Mädchens, dessen Ehrhaftigkeit problematisiert wird)
  • Räumliche Trennung (z.B. Verstoßen der gefährdeten Person; Umzug einer ganzen Familie; oder: Wegschicken der gefährdeten Person zu entfernten Verwandten, bis Gras über die Angelegenheit gewachsen ist)
  • Warnung (z.B. verbal oder praktisch, etwa durch Abschneiden der Nase = Warnung vor Ehrenmord beim nächsten Mal)
  • Suizid der gefährdeten Person
  • Schadensersatz (z.B. Zahlung einer hohen Summe an die Familie einer entführten Braut)
  • Akzeptanz der Ehrverletzung (z.B., wenn sich die Ehrverletzung so gut auszahlt, dass ein Ehrenmord zu hohe Kosten verursachen würde - wenn also z.B. ein reicher Geliebter einer Witwe, mit der er ein Verhältnis beginnt, ein Studium finanziert)


Literatur

  • Baumeister, Werner (2007) Ehrenmorde. Münster u.a.: Waxmann.
  • Khan, Tahira S. (2006) Honor Killings: A Definitional and Contextual Overview.
  • Khan, Tahira S. (2006) Beyond Honor: A Historical Materialist Explanation of Honour-related Violence. New York: Oxford University Press (OUP).
  • Kizilhan, Ilhan (2006) "Ehrenmorde": Der unmögliche Versuch einer Erklärung. Hintergründe - Analysen - Fallbeispiele. Berlin: regener.
  • UNFPA (United Nations Population Fund/Weltbevölkerungsfonds): Ending Violence against Women and Girls. In: The State of World Population 2000, Ch 3
  • Warraich, S. (2005): Honour killings and the law in Pakistan, in: Welchman, L. / Hossein, S., ‘Honor’-Crimes, Paradigms and Violence Against Women. London: Zed Books, 78-110.
  • Yazgan, Ayfer (2009) Ehrenmorde in der Türkei. Eine Pilotstudie anhand der Berichterstattung im Jahre 2005. Unv. Diss. Hamburg (FB Sozialwissenschaften).

Filme