Drohnenkrieger

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Auf der sicheren Seite

Der Kampfflieger geht, der Telepilot kommt: In der modernen Kriegsführung spielen unbemannte Drohnen längst eine wichtige Rolle. Gesteuert werden sie von Soldaten, die weit entfernt vom Kriegsgeschehen und mittendrin zugleich sind.

Das ist der Titel eines Beitrags von THOMAS THIEL (faz-online. 04.12.2012).

Er beginnt mit den Worten: "Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin, weil sich der Job bequem von zu Hause aus erledigen lässt."

Ca. 50 km von Las Vegas, Nevada: Creech Air Force Base, "eine der Schaltzentralen jener anonymen Streitmacht, die schon die halbe Führungsriege von Al Qaida ins Jenseits befördert hat und gerade dabei ist, das Bild des Krieges in atemraubendem Tempo zu verändern."


Der Soldat als Telekrieger

"verlässt morgens seine Wohnung, verabschiedet sich von Frau und Kind und setzt sich im ruhigen Gefühl, sie spätestens am Nachmittag wiederzusehen, in sein Auto. Ein halbe Stunde später durchquert er ein Drehkreuz und passiert, bevor er in einem der unauffälligen Blechhangars verschwindet, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Wüstenboden geschossen sind, einen Wegweiser, der ihn über die Distanz zu seinem realen Einsatzort unterrichtet: Falludscha 7369 Meilen, Kandahar 7444 Meilen, Bagdad 7447 Meilen. - Kurz darauf sitzt er auf einem komfortablen Ledersessel vor mehreren Bildschirmen, zu beiden Seiten einen Steuerknüppel in der Hand, und ist mitten im Krieg angekommen. - Den Ernst der Lage markiert ein Fadenkreuz auf dem Monitor, das sich über Hausdächer, Straßenzüge und Gebirgslandschaften bewegt, während der Soldat mit Kopfhörer den Kontakt zu den Bodentruppen hält. Drückt er den roten Knopf am Steuerknüppel, werden die lasergesteuerten Bomben aktiviert, und die Objekte auf dem Bildschirm verwandeln sich in graue Feuerbälle. Wer in Afghanistans Norden zur gleichen Zeit in den Himmel blickt, sieht nichts von der tödlichen Bedrohung, die über ihm in der Höhe schwebt. Die Drohnenpiloten haben die gleiche Uniform wie die realen Piloten, auch darüber wurde schon diskutiert, aber ihre Tätigkeit ist eine vollkommen andere."


[www.faz.net/aktuell/feuilleton/krieg-der-drohnen-auf-der-sicheren-seite-11977493.html 2/5]

"Der Typus des Telekriegers, den der Krieg gegen den Terror ausgebildet hat, ist so unheroisch wie der Krieg auf Distanz selbst. Ein Büroarbeiter, der seinen Einsatz auch im transkontinentalen Schichtbetrieb versieht: Frühschicht Irak, Spätschicht Afghanistan, dazwischen Mittagspause. Und dem die Zukunft gehört. In absehbarer Zeit werden mehr unbemannte als bemannte Flugkörper im Einsatz sein. - Ehemalige Kampfpiloten wandern zurzeit scharenweise vom Cockpit vor die Monitore. Für ihre stolze Flotte von neunzehntausend Drohnen bildet die amerikanische Luftwaffe schon mehr Fernpiloten als andere Soldaten aus. Es ist eine Heldendämmerung für den Luftkrieger, den Inbegriff militärischer Virilität."

Der Nimbus des Piloten wuchs im Ersten Weltkrieg heran, als Kampfflieger zu Rittern der Lüfte erhoben wurden und in erhabener Distanz über den Schrecken der Schlacht schwebten. Für ihre Duelle galt ein besonderer, mittelalterlichen Turnieren nachempfundener Kodex. Ernst Jünger erkannte im Flieger den Typus eines rätselhaften, gefährlichen neuen Lebens, die „schärfste Ausprägung einer neuen Männlichkeit“. Der Futurismus feierte die Artistik und Geschwindigkeit des technischen Helden, die Metallisierung des soldatischen Körpers. Im modernen Kampfjet ist der Soldat zum Prototyp des Cyborg geworden. Ohne ein Set sinnesverstärkender Instrumente, die ihm Entscheidungen abnehmen, die er in der Kürze der Zeit selbst nicht treffen könnte, ist der Kampfflieger nicht mehr zu denken. Wer sich mit der Sprache des Krieges beschäftigt, sieht, wie tief Topographie und Klima in sie eingegraben sind. Man spricht von Kugelhagel, Explosionswolken, Flammengarben, Schlachtgewitter. Der Telepilot verwaltet die Überreste der sinnlichen Realität des Krieges. Der Telepilot ist die blasse Endstation in der sinnlichen Realität des Krieges. An die Front zu ziehen heißt für ihn keinen Aufbruch ins Ungewisse, im Krieg zu sein keine besondere körperliche Anspannung und Erregung, vor allem: keine Gefahr. Das Klischee vom Krieg als Videospiel war schnell zur Hand, als die ersten Piloten ihren Platz in den Telecockpits bezogen. Fehlt das aus der Erfahrung eigenen Risikos und Leids gebildete Ethos? Senkt der Drohnenkrieg die Hemmschwelle zum Töten, wie er die Hürde für den Kriegseintritt gesenkt hat? Ist das moralische Empfinden, mit Arnold Gehlen gesprochen, auf Nahoptik eingestellt und die von der Globalisierung geforderte Fernmoral nur eine Illusion, weil sie auf Erfahrungen aus zweiter Hand basiert?"


Die Reduktion des Schlachtfelds auf seine Optik schafft sicher eine Distanz zum Geschehen, aber so banal, wie er aussieht, ist der Telekrieg sicher nicht. Die über viele Stunden verteilte Wachsamkeit, die Verantwortung, die darin liegt, Bodentruppen durch Gefahrenzonen zu steuern, und den Soldaten möglicherweise durch Hinweise auf Sprengfallen und Hinterhalte das Leben zu retten, rücken das Klischee vom stumpfsinnigen Spielkonsolenkrieger doch etwas zurecht. Der Großteil der unbemannten Kriegsluftfahrt sind ohnehin Aufklärungsflüge, die sich als Begleitschutz und Dienstleister der Bodentruppen fühlen.

Kontrollstation auf der Davis-Monthan Air Base in Tucson, Arizona


Krieg per Joystick: schon in der Sprache zeigt sich die gefährliche Nähe des Kriegs zu Alltag und Unterhaltung

[www.faz.net/aktuell/feuilleton/krieg-der-drohnen-auf-der-sicheren-seite-11977493.html 3/5]


"Nach dem Zweiten Weltkrieg war viel von der Push-Button-Gesellschaft die Rede. Gemeint war die für viele Kriegsgreuel verantwortliche Neigung von Systemen, die Verantwortung für die Folgen ihres Handelns an Subsysteme zu delegieren, und das umso leichter zu tun, als man die Folgen nicht zu Gesicht bekommt. Der Vorwurf geminderter Anteilnahme hat im Drohnenkrieg zwar auch mit dem visuellen Filter des Bildschirms zu tun, aber er betrifft noch stärker den Schwund der synästhetischen Gewalt des Krieges. Julia Encke beschrieb in ihrer Studie über den Krieg und die Sinne, in wie viel stärkerem Maß als der distanzierte, objektivierende Gesichtssinn die akustische Wahrnehmung ins Geschehen zieht. Aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs kamen die sogenannten Kriegszitterer zurück, ein pathologisches Abbild des Dauerstakkatos des Stellungskriegs mit seinen ständigen Gefechtswechseln und seiner sinnlichen Urgewalt, die den Soldaten ohne Ausweichmöglichkeit umklammert hielt."

"Der Drohnenpilot steht vor dem anderen Extrem. Er sitzt kurz nach seinem Einsatz wieder am Wohnzimmertisch und muss versuchen, im katapultartigen Wechsel zwischen Alltäglichem und Außerordentlichem seine innere Balance zu finden. Ein amerikanischer Soldat sprach mit unbeabsichtigtem Zynismus vom familienfreundlichen Krieg. Die Nähe von Krieg und Frieden kann aber auch ins Gegenteil umschlagen und die mentalen Belastungen des Krieges ungefiltert ins Familienleben importieren. Die ferngesteuerte Kriegsführung bedeutet nicht zwangsläufig eine emotionale Distanzierung. Amerikanische Drohnenpiloten berichten auch von einer zu großen Nähe zum Leben des Gegners, wenn sie Verdächtige über lange Zeit hinweg in ihrem Alltagsleben beobachten und sie als Väter oder Ehemänner kennenlernen. Der Krieg ist fern, aber man sieht ihn mit den Augen einer Drohne doch sehr genau."


"Während der traditionelle Bomberpilot seine tödliche Last weit über dem Boden abwirft, um gleich darauf abzudrehen, ohne Ziel und Wirkung vor Augen gehabt zu haben, muss der Drohnenpilot zusehen, wie Körper von Soldaten zerfetzt oder die Leichen von Zivilisten aus Trümmern geborgen werden. Die Intimität mit dem Gegner macht die emotionale Belastung im Drohnenkampf ungleich höher als bei herkömmlichen Fernwaffen oder dem Befehl von oben. In einem Kriegsvideo im Netz wandert das Objektiv einer Aufklärungsdrohne über eine umkämpfte irakische Stadt, bis es sich an einem Lastwagen festsaugt, aus dessen Heck eine schwarze Rauchwolke quillt. Einige Meter entfernt liegt der Lastwagenfahrer tot auf dem Boden. Um ihn schart sich eine Gruppe irakischer Kämpfer und malträtiert ihn mit Tritten und Steinen. Der Drohnenpilot muss machtlos zusehen. Er sieht die Hinterhalte, die Heckenschützen hinter den Mauern viel besser als die Soldaten am Boden, manchmal kann er einen warnenden Hinweis geben, manchmal muss er tatenlos zusehen, wie das Unglück seinen Lauf nimmt."

Nicht anders als der konventionelle Krieg hinterlässt der Drohnenkrieg seine Spuren, aber es sind andere Spuren. Amerikanische Soldaten berichten von existentiellen Konflikten und Schuldgefühlen nach der Entscheidung über Leben und Tod. Die „Washington Post“ schrieb von hohen Burn-out-Raten im Lager der Drohnenpiloten. Was auf der Gegenseite als ständige Angstanspannung und diffuses Bedrohungsgefühl erlebt wird, empfinden Drohnenpiloten als das nagende Bewusstsein, nicht unter Einsatz des eigenen Lebens zu kämpfen und aus dem Hinterhalt zu töten. Zwar sprechen amerikanische Soldaten auch von herkömmlichen Symptomen, von Adrenalinanstieg und aufgestelltem Nackenhaar, wenn der Schussbefehl kommt. Aber der Tod ist ein kalkulierter Akt, der nicht mit Situationszwang, dem er oder ich, und dem eigenen Risiko aufgerechnet werden kann. - Die unklare moralische Situation verschärft das Dilemma. Das Image des sauberen Krieges hat der Drohnenkrieg eingebüßt. Wie viele Zivilisten ihm zum Opfer fielen, lässt sich nur vermuten. Schätzungen gehen in den Bereich von Tausenden. Die

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amerikanische Regierung ist bemüht, das Bild des nebenwirkungsfreien Kampfes möglichst intakt zu halten, und hält sich bedeckt. Dabei macht schon die Streuweite der Drohnenraketen mit einem Radius von zwanzig bis sechzig Metern die medizinische Metapher vom chirurgischen Einsatz unglaubwürdig. Ist die Kampfdrohne die ethisch neutrale Waffe, als die Verteidigungsminister de Maizière sie auch der Bundeswehr empfiehlt, oder ist sie eine Waffe von besonderer Tücke, die Entscheidungen über Tod und Leben auf unzugängliche Kommandoebenen verlagert?


Die amerikanische Regierung scheint zumindest keine Kriegserklärung für ihre chirurgischen Eingriffe für nötig zu halten. Über die Auswahl der Todeskandidaten hat der Geheimdienst die Kontrolle übernommen. Die Todesurteile bekommt kein Richter zu sehen. Die Verlagerung der Kriegsführung auf die Ebene der Geheimdienste hat Kritik an der Depolitisierung des Krieges laut werden lassen. Kriege, die offiziell nicht so genannt werden dürfen, würden bedenkenlos geführt, weil sie keine Todesopfer in den eigenen Reihen forderten, dem Druck der Bevölkerung und der Kontrolle der Parlamente entzogen seien.


Krieg ohne Täter

"Die neue Waffentechnik hat die politischen und ethischen Regeln des Krieges außer Kraft gesetzt. Der Krieg ist keine fest umgrenzte Zone mehr, in dem der Soldat nicht als persönlicher Feind galt, und in dem es nicht nur als Rechtsverstoß, sondern auch als Verletzung des Ehrenkodex betrachtet wurde, ihn hinter den feindlichen Linien zu töten. Seit George W. Bush 2001 den Krieg auf alle Terroristen Al Qaidas unabhängig von ihrem Aufenthaltsort erklärt hat, und seit Barack Obama die amerikanischen Drohnenangriffe auf das nicht zum Kriegsgebiet zählende pakistanische Territorium ausdehnte, droht ein Krieg ohne rechtliche, örtliche und zeitliche Grenzen, der nach geheimdienstlicher Agenda geführt wird und den gegnerischen Soldaten als rechtlosen Verbrecher behandelt. Auch nach dem Abzug aus Afghanistan ist die klandestine Fortsetzung des Krieges mit selektiven Einsätzen zu vermuten. - Der texanische Militärforscher Armin Krishnan beschreibt in seinem Buch „Gezielte Tötung“ das Szenario eines globalen Dauerkriegs mit rund um die Uhr im Einsatz befindlichen Minidrohnen, die unerwünschte Personen nach Mafiaart eliminieren. Ihr Einsatz zur sozialtechnischen Disziplinierung der eigenen Bevölkerung könnte bald folgen. Es wird dann entscheidend sein, wer von Regierungen und Geheimdiensten zum gefährlichen Individuum erklärt werden kann. In der Militärforschung werden derzeit sogenannte bionische Wespen diskutiert, insektenartige Flugobjekte, die mit kleinsten Mengen von Sprengstoff oder Gift einzelne Gegner ohne Hinweis auf den Täter ausschalten sollen. Je geringer die Spur, desto leichter die Entscheidung zum kriegerischen Einsatz. - Das ungleich verteilte Risiko macht diesen unsichtbaren Krieg aber nicht zu einem Kampf ohne Einsatz auf Seiten der Fernpiloten. Die traumatischen Schäden von Kriegsteilnehmern sind erst mit dem Krieg in Afghanistan ins öffentliche Bewusstsein gelangt. Weil sie dem soldatischen Selbstbild widersprechen, werden sie noch häufig verschwiegen, verdrängt oder in Eigenregie therapiert. Zu den typischen Anzeichen des Kriegstraumas gehören neben dem permanenten Alarmzustand im Alltag die unvermittelt wiederkehrenden Bilder des Geschehens. Weil das Trauma meist mit einer Sinnesüberforderung verbunden ist, spielt das sinnliche Moment bei seiner Verarbeitung eine besondere Rolle. In seinem Kriegstagebuch „In Stahlgewittern“ schreibt Ernst Jünger nicht umsonst von der Erlösung, die für die Soldaten darin gelegen habe, „dem Feinde in die Augen blicken zu können“. Der unfassbare Krieg Die Summe der olfaktorischen, visuellen, taktilen und akustischen Reize, wie sie bei einer Bombenexplosion auf den Soldaten einprasseln, können in der Kürze des Augenblicks nicht komplett verarbeitet und in den entsprechenden Bereichen des Gehirns als distinkte Erinnerungsbilder abgelegt werden. In fragmentarischen Stücken wandert das Abbild in einen dem Bewusstsein unzugänglichen Bereich, aus dem es die Traumatherapie wieder herauszulösen und zusammenzusetzen versucht. Nur wer das vollständige Bild vor Augen habe, sagen Traumaforscher, könne mit dem Ereignis seinen Frieden machen.


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"Auch abstrakte Bilder können Traumen verursachen. Aber es sind weniger Ohnmachtserfahrung und sinnlicher Schock als die moralische Bedrängnis des Tötens und die grüblerische Versenkung nach getaner Tat, die dem Drohnenpiloten auf der Seele lasten. „Es gab einen guten Grund, die Leute zu töten, wie ich es getan habe, und ich gehe ihn in meinem Kopf wieder und wieder und wieder durch“, sagte ein amerikanischer Drohnenpilot der „International Herald Tribune“. Während die posttraumatische Belastungsstörung eine Reaktion auf die sinnliche Wucht des Krieges ist, antwortet das Leeregefühl der Drohnenpiloten auf die Unfassbarkeit und Körperlosigkeit des Telekriegs. Im Pentagon wird über eine Tapferkeitsmedaille für Drohnenpiloten nachgedacht."