De Huizen

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De Huizen (die Häuser) ist ein belgischer gemeinnütziger Verein, der 2012 von Lieven Nollet, Hans Claus (Direktor des Gefängnisses Oudenaarde in Belgien), Marjan Gryson, Ronald Demeyere, Eleni De Roeck und Sara De Hantsetters gegründet wurde und die Ersetzung der Gefängnisse durch eine kleine und restaurative Haftstrafe in normalen Wohnhäusern anstrebt, um die Wiedereingliederung von Straftätern zu fördern und ihr Rückfall-Risiko zu vermindern. Der Verein kooperiert mit Organisationen wie Without Walls, Touché vzw, Moderator (Forum für restaurative Justice & Mediation) und De Kiem (der Keim).

Im Jahr 2013 veröffentlichte die Liga voor Mensenrechten (Liga für Menschenrechte) das Buch Huizen - Naar een duurzame penitentiaire aanpak (Houses - Towards a sustainable penitentiary approach) mit infrastrukturellen Antworten, Gesetzesvorschlägen, Personal- und Kostenplänen, Modellen und Diskussionsbeiträgen z.B. zum Problem ablehnender Reaktionen der Anwohner (sog. Nimby-Syndrom; "not in my back-yard"). Für die Ziele der Organisation werben in der Öffentlichkeit u.a. die Schauspieler Marijn Devalck und Matthias Schoenaerts.

Konzept

Hauptziel ist die Realisierung eines ethisch verantwortlichen und sozial erfolgreichen Vollzugs von Freiheitsstrafen im 21. Jahrhundert mittels der Ersetzung großer Gefängnisse durch kleine und in normale Wohngegenden integrierte Hafthäuser, in denen die Probleme beherrschbar bleiben und die Häftlinge in ihrem Selbstwertgefühl gestärkt und an die Übernahme von Verantwortung während und auch nach ihrer Haftzeit gewöhnt werden.

De Huizen strebt kleine, differenzierte Formen maßgeschneiderter Haft an, die besser verankert und in das soziale Gefüge integriert sind. Statt einheitlicher Regeln und einer Fokussierung auf Sicherheit und Vereinzelung wird eine sinnvollere Haftzeit vorgeschlagen, in der die Gefangenen auf das Leben in Freiheit vorbereitet werden. Zu diesem Zweck wird ein individueller Lösungsplan erstellt, in dem die Häftlinge angeregt werden, ein soziales Netzwerk und eine positive soziale Rolle als Rückfallhemmnis aufzubauen.

Eine neue Vorstellung von den Zielen der Freiheitsstrafe erfordert auch eine neue Organisationsform und Infrastruktur. In den vorgeschlagenen Hafthäusern leben maximal drei Gruppen à zehn Personen. Dabei ist die richtige Differenzierung von zentraler Bedeutung. Die Ausgestaltung der Haft erfolgt entsprechend den Empfehlungen des UNO-Instituts für soziale Verteidigung (UNSDRI) aus dem Jahre 1975 - auch in einem solchen überschaubaren Rahmen, um eine stärkere Ausrichtung der Haft an der Reintegration zu ermöglichen.

UNSDRI 1975: "Große Strafanstalten können nicht auf Managementprozesse und Standardisierung verzichten. Alles, vom Essen bis zur Entspannung, muss in den Zeitplan aufgenommen werden. Die individuelle Wahl muss der Planung weichen. Die anonyme Atmosphäre in diesen großen Strafanstalten weckt Gefühle von Ohnmacht und Sinnlosigkeit, von Bitterkeit und Isolation. Die Institutionen betonen die Ablehnung derjenigen, denen sie zur Reintegration dienen, durch die Außenwelt. Sie tun also das Gegenteil von dem, was sie versuchen zu tun."

Im Gegensatz zu den derzeitigen Gefängnissen mit ihren Prinzipien der Schließung und Isolation sind die Hafthäuser als Einladung an die Inhaftierten konzipiert, sich als Teil der Gesellschaft zu begreifen und zu entwickeln. Das fängt mit dem Treffen von Vereinbarungen über die Modalitäten des Zusammenwohnens an (Reinigung, Kochen etc.), hört damit aber nicht auf, zumal die Häuser auch für Familienangehörige, Sozialarbeiter sowie die von Taten Betroffenen und deren Familien zugänglich sind.

Eine dritte Säule neben der Übersichtlichkeit (dem "Kleinen") und der Differenzierung ist die Verankerung des Strafvollzugs in der Gesellschaft. Die Hafthäuser versuchen auch, einen sozialen und wirtschaftlichen Beitrag zu den Wohnquartieren zu leisten, in denen sie sich befinden. So können Häftlinge beispielsweise ihr Küchendiplom in einem Sozialrestaurant erwerben oder das Obst und Gemüse aus ihrem Gemüsegarten sozial verkaufen. Auf diese Weise bereitet eine sinnvolle Inhaftierung auch auf das Leben danach vor. Dieser Rahmen bietet nicht nur dauerhafte Lösungen für Häftlinge und professionelle Helfer an, sondern ermöglicht auch eine differenziertere Sicht auf "Abweichungen" überhaupt.

Zitate von Hans Claus

"Natürlich braucht man den Zeitgeist, um etwas zu verändern. Das Gefängnis wird sich nicht von selbst entwickeln, aber ich sehe, dass in vielen Bereichen ein Übergang stattfindet. Eine Rückkehr in den kleinen Rahmen ist heute überall in der Gesellschaft zu beobachten. Und es gibt nichts, was für den kleinen Maßstab besser geeignet ist, als die Vollstreckung der Strafe, die dem Menschen so nah wie möglich ist. Dies ist auch für die Opfer von Vorteil. Was der Täter während seiner Haft genau tut, muss den (Familienangehörigen der) Opfer bekannt sein. Das ist viel besser als eine blinde, versteckte und groß dimensioneirte Inhaftierung. Als Opfer steht man in der Kälte und hat viele Fragen."

"Ein Mensch ist ein räumliches Wesen und ein Gefängnis ist ein Raum. Wenn du also ein anderes Gefängnis willst, brauchst du ein anderes Gebäude. Du musst die grundlegende Form ändern. Und das ist es, was den heutigen Gefängnissen fehlt."

"Sehr oft kopieren Menschen die Gesellschaft im Gefängnis, aber so funktioniert das nicht; man muss sich auf die unmittelbare Umgebung einlassen, damit eine solche Inhaftierung auch in dieser Umgebung akzeptiert wird."

"Unsere Gefängnisse, wie wir sie heute kennen, sind veraltet. Sie sind ein typisches Produkt der Industriegesellschaft. Eine solche befestigte Burg, was ist das außer der Massenproduktion von Zellen für einsame Isolation? Aber einsame Isolation funktioniert nicht, das ist durch unsere heutigen Kenntnisse über die Psyche des Menschen bewiesen. Darüber hinaus ist unsere Gesellschaft viel komplexer geworden. Die Gefangenen sind besser ausgebildet und informiert, und sie sind in vielerlei Hinsicht Teil des Gemeinschaftslebens. Die Vorstellung eines Allheilmittels - und dann noch durch Isolation - ist einfach anachronistisch. Jeder in der Justiz weiß das. Jeder weiß auch, dass die Zeit reif ist ...Alle beteiligten Parteien und alle entscheidenden Parteien wissen, dass konstruktive Veränderungen notwendig sind. Es hat keinen Sinn, weiter zu bauen, wie wir es seit Jahrzehnten getan haben. Und der Bau von noch mehr Gefängnissen nach der Architektur des 19. Jahrhunderts, wie es bisher der Fall war, ist ein Zeichen des Fiaskos."

"Was wollen wir von Sträflingen? Dass sie besser werden, dass sie mit den Fehlern und auch den Gaben, die sie haben, in der Lage sind, ein Leben zu führen, in dem sie niemandem mehr schaden und zu einer besseren Gesellschaft beitragen. In einer Fabrik voller Gefangener wirst du dieses Ergebnis nicht erreichen. Im Gegenteil, du machst die Dinge noch schlimmer. Das ist nichts Neues."

"Gefangene, die nicht auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereitet sind, sind nur teuer, das haben wir berechnet."

"Eine der vielen Folgen davon ist, dass jeder Gefangene sowohl Angreifer als auch Beute ist. Niemand vertraut niemandem. Dies ist kein Biotop, das zur Erholung oder zum Ein- und Aussteigen einlädt. In einem solchen Umfeld baut ein Häftling eine subkulturelle Macht auf, schon allein um des reinen Überlebens willen. Er will die Macht unter den Gefangenen. Und wie bekommt er es? Indem man das System tritt, das ihn einsperrt. Danach ergreift das System Disziplinarmaßnahmen gegen den Häftling. Und der Gefangene wird noch aggressiver reagieren. Diesen Teufelskreis nachhaltig durchbrechen zu wollen, ist keine Angelegenheit der Rechten oder Linken. Es ist eine Frage des Realismus. In fast allen Fällen ist die Inhaftierung eine vorübergehende Angelegenheit. Wir müssen an dem arbeiten, was nach der Inhaftierung kommt."

"Wenn ich einen Anwalt, einen Polizisten und einen Gefangenen im Gefängnis habe, gebe ich allen dreien die Hand."

Die Gefängnisse des 21. Jahrhunderts sollen keine Pfründe für die Gefängnisbauindustrie sein und auch nich so spektakulär, dass sie Besucher von nah und fern anlocken: "Es gibt viele kleine, unscheinbare Haftanstalten, die voneinander getrennt und über das ganze Land verteilt sind. Diese Häuser bieten Platz für bis zu drei Gruppen von zehn Personen. Der Begriff "Häuser" deutet auf einen radikalen Bruch mit stereotyper Inhaftierung hin, kann aber auch Verwirrung stiften, das gebe ich zu. Bestimmte Haftanstalten für bestimmte Gefangene können tatsächlich wie ein Haus aussehen und sich in einem Wohngebiet befinden. Andere sind kleinere Institutionen, die mehr oder weniger sicher sind und die mehr oder weniger von der Außenwelt isoliert sind. Aber sie befinden sich nie in einem Industriegebiet ... Ihr Platz in einer Gemeinschaft ist entscheidend; wir müssen uns mit ihnen entwickeln."

"Kleiner Maßstab ist der Motor, der alle anderen Änderungen in Bewegung setzt. In einem Zentrum für zehn Menschen zum Beispiel muss ein Gefangener nicht so hart gegen das System kämpfen, um zu beweisen, dass er jemand ist. Er hat nicht einmal diese Chance. Gerade weil es Klarheit gibt, verschwindet die Hackordnung. Das Personal - und nicht nur die Wachen - haben Kontakt mit ihm. Menschliche Beziehungen sind vielfältig. Es gibt andere Gesetze. Er wird mehr mit sich selbst kämpfen. Das tut weh. Bei solchen Gefängnisstrafen werden Fortschritte erzielt. Wenn Sie eine Person mehr als eine Person ansprechen, können Sie sich besser um sie kümmern.

....Wir müssen langsam aber sicher erkennen, dass Zwangshilfe auch eine Strafe ist. Und wir müssen die Zivilisation zum Wohle der Gesellschaft als Ganzes weiterentwickeln. Es gibt so etwas wie den typischen Verbrecher nicht. Sich um den Gefangenen zu kümmern, bedeutet auch, sich um sich selbst zu kümmern. Wenn jedem Gefangenen ein individueller Planer zur Verfügung gestellt wird, der seinen gesamten Weg geht, erhöht sich die Erfolgschance. Weil die Verantwortung des Häftlings wächst. Und weil er die ganze Zeit an seinem Bewährungsplan arbeitet und auf die Rolle vorbereitet ist, die er in der Gesellschaft spielen wird."

Auf die Frage, warum sein Engagement in den drei Jahrzehnten seiner Tätigkeit als Anstaltsleiter nicht in Zynismus umgeschlagen ist: "Meine Aufgabe ist es, Menschen, die etwas falsch gemacht haben, wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Ich habe zu viele Gefangene auf diesem Weg leiden sehen. Ich habe zu viele verlorene Möglichkeiten gesehen. Und ich glaube an Entschlossenheit und Veränderung. Ich sehe auch, wie sie stattfinden. Außerdem habe ich genügend Unterstützer. Menschen, die für die gleiche Menschenwürde kämpfen; wir entzünden uns gegenseitig und lassen das Feuer brennen."

Aktivitäten

De Huizen erstellt seit einiger Zeit in Zusammenarbeit mit Politikern, Wissenschaftlern und Praktikern Geschäfts-, Personal- und Architekturpläne. Einige Ideen wurden von der belgischen Regierung in recht bescheidenem Rahmen aufgegriffen.

  • 2016 erklärte Justizminister Koen Geens, dass er als Reaktion auf die Gefängnisstreiks künftig auf kleinere Anstalten setzen werde.
  • Im Juni 2018 plädierte Claus für die Ersetzung der derzeit 35 großen Haftanstalten durch 900 wesentlich kleinere Haftanstalten.
  • Im August 2018 sprach sich das Justizministerium (Federale Overheidsdienst Justitie) für die Einrichtung von Übergangshäusern in Flandern und Wallonien für ausgewählte Gefangene aus. Dort sollen das Erlernen von Selbständigkeit, der Aufbau eines Netzwerks, die Suche nach einem Arbeitsplatz und allgemein das Erlernen sozialer Kompetenzen für das Leben nach der Haft im Mittelpunkt stehen.

Siehe auch

Weblinks und Literatur


  • Hans Claus, Kristel Beyens, Ronny De Meyer, Marjan Gryson & Liesbeth Naessens, Hrsg. (2013) Huizen - naar een duurzame penitentiaire aanpak. Brüssel: Academic & Scientific Publishers. (= Ergebnis eines Projekts der Liga voor Mensenrechten über "Differenzierte Vollstreckung von Strafen")
  • McSweeney, George (2018) Redefining the prison: Transitioning back to society. M.A. thesis Master of Architecture Professional, United Institute of Technology (PDF). Von de Huizen inspirierte Pläne für eine neue Hafthaus-Architektur.