Crime Mapping

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Crime Mapping bezeichnet allgemein die kartografische Darstellung von Kriminalität. Heutzutage wird darunter insbesondere der Prozess der Visualisierung von Kriminalität mittels geografischer Informationssysteme (GIS) verstanden.

Als Methode ist Crime Mapping ein Teil der Kriminalgeografie.

Begriff

Der Begriff setzt sich aus den englischen Wörtern crime (sprich [kra͜im]; deutsch: Verbrechen, Straftat, Kriminalität) und mapping (sprich [ˈmæpɪŋ]; deutsch: Kartierung, Abbildung) zusammen. Vereinzelt wird im deutschen Sprachraum crime mapping mit Verbrechenskartierung übersetzt. Dies hat sich in der deutschsprachigen Literatur jedoch nicht durchgesetzt, weswegen als Fachbegriff überwiegend crime mapping benutzt wird. Grund dafür ist zum einen der im Deutschen verwendete formelle Verbrechensbegriff nach § 12 StGB und zum anderen die Tatsache, dass die englische Literatur dieses Thema prägt.

Vergleiche dazu auch Justice Mapping.

Darstellungsformen

Für das Produkt der Kriminalitätskarte kennt crime mapping zwei unterschiedliche Grundformen der Darstellung:

  • pin maps (deutsch: Stecknadel-Karten), bei denen bestimmte punktuelle Orte (z.B. Adresse eines Tatortes) mit einem Punkt (z.B. für ein bestimmtes Delikt) auf der Karte markiert werden (vgl. Abbildung 2 und 3)
  • choropleth maps (deutsch: Flächenkartogramme), bei denen bestimmte Gebiete (z.B. ganze Stadtteile) in einer bestimmten Farbe (z.B. für die Höhe der Kriminalitätsrate) markiert werden (vgl. Abbildung 4)

Diese Grundformen lassen sich kombinieren und variieren. Als Beispiel wäre es möglich, bestimmte Gebiete nach der entsprechenden Kriminalitätsrate zu markieren und darin gleichzeitig verschiedene Deliktsarten mit zugeordneten Symbolen zu kennzeichnen, deren Größe zudem nach Häufigkeit der Delikte angepasst wird. Auch dreidimensionale Darstellungsformen sind möglich.


Historie

Anfänge im 19. Jahrhundert

Abbildung 1: Historische Karte von 1829 von Balbi und Guerry

Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in Frankreich Kriminalität auf Landkarten dargestellt. Als erste gilt eine 1829 von Adriano Balbi und André-Michel Guerry erstellte Karte, in der die Verteilung von Eigentumsdelikten mit Daten über den Bildungsstand dargestellt wird.

Entwicklung zu Forschungszwecken Anfang des 20. Jahrhunderts

Im englischsprachigen Raum rückte in den USA der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts die Erstellung von Kriminalitätskarten als Hilfsmittel zur Erklärung von Kriminalität in das Blickfeld der Forschung. Die Methodik wurde ab 1929 durch Clifford Shaw an der Universität von Chicago genutzt, der dann 1942 in Zusammenarbeit mit seinem Assistent Henry McKay aus den gewonnen Erkenntnissen die Theorie der Sozialen Desorganisation veröffentlichte. Darin untersuchten die beiden den Einfluss des sozialen Raumes auf kriminelles Verhalten. Die bis dato stets von Hand erstellten Karten dienten in dieser Zeit in erster Linie als Hilfsmittel der Wissenschaft. Ende der 1960er Jahre begannen die ersten Versuche, Kriminalitätskarten computergestützt zu generieren. Aufgrund der damals nicht sehr weit vorangeschrittenen Technik und einem Mangel an qualitativen Daten schritt die Entwicklung nur langsam voran.

Entwicklung als praktisches Analysemittel von 1990 bis zur Gegenwart

Abbildung 2: pin map bei crimemapping.com
Abbildung 3: pin map von Birmingham
Abbildung 4:Flächenkartogramm von London

Dies begann sich Anfang der 1990er Jahre rasant zu ändern. Die immer moderner werdende Computertechnik, kombiniert mit einer steigenden Anzahl an elektronisch verfügbaren Daten aus polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystemen, brachte nicht nur einen Wandel in die Art der Erstellung, sondern veränderte auch den Nutzerkreis. Zusätzlich zur Wissenschaft bedienten sich immer mehr Sicherheitsbehörden der Methodik.

Eine Schlüsselfunktion kam crime mapping ab 1994 bei der Polizeistrategie in New York zu. Bei der unter dem Namen zero tolerance bekanntgewordenen Strategie, die durch Polizeichef William Bratton und Bürgermeister Rudolph Giuliani vorangetrieben wurde, waren Evaluierungen der verschiedenen getroffenen Maßnahmen von Bedeutung. Bei wöchentlich stattfindenden „Crime Control Strategy Meetings“ wurden unter der Bezeichnung COMPSTAT (computerized statistics) Daten zur Kriminalstatistik wie Fall- und Verhaftungszahlen aufbereitet und auf Karten dargestellt. Anhand der gewonnen Erkenntnisse wurden die Maßnahmen an die neuen Kriminalitätsentwicklungen angepasst (weiterführend dazu Binninger & Dreher 1998). Die Nutzung von COMPSTAT als Führungshilfsmittel etablierte sich bei vielen US-Polizeibehörden. Zur Koordinierung der Zusammenarbeit wurde 1997 unter dem Dach des National Institute of Justice ein Crime Mapping Research Center (CMRC) angesiedelt, um Erkenntnisse der verschiedenen Behörden an einer Stelle zu bündeln (vgl. Harries 1999).

In Deutschland begann crime mapping sich um die Jahrtausendwende zu etablieren. Unter verschiedenen Namen führten immer mehr Polizeibehörden entsprechende Programme ein. Zu einem der ersten umfangreichen Programme gehörte zum Beispiel GLADIS (Geographisches Lage-, Analyse- Darstellungs- und Informationssystem) in Bayern. [1]

Heute gehört die Nutzung von crime mapping Anwendungen zum Standard jeder Analysestelle der Polizei. Anders als in den USA wird die Darstellung von Kriminalität jedoch in erster Linie fallbezogen genutzt. Wöchentliche Auswertungen analog zu COMPSTAT in den USA haben sich bislang nicht durchgesetzt.

In letzter Zeit verbreitet sich crime mapping zudem als Mittel der Öffentlichkeitsarbeit. Kommerzielle Unternehmen bereiten in den USA die Informationen der Polizei auf und veröffentlichen diese auf frei zugänglichen Karten. Hier kann jeder im Internet Informationen für seinen Wohnort über Delikt, Tatort, Tatzeit und Aktenzeichen einsehen. Ein Großteil der Polizeibehörden veröffentlicht ihre Daten über die seit 2007 existierende Plattform von The Omega Group[2].


In Großbritannien stellt die Polizei selbst aktuelle Informationen zu Delikten, ungefähren Tatorten und Stand der Ermittlungen im Internet auf Karten dar[3][4].


In Deutschland sind regelmäßig und aktuell durch die Polizei in Internet gestellte Kriminalitätskarten noch nicht zu finden. Einige Behörden beginnen, detaillierte Kriminalitätskarten für die einzelnen Stadtteile in einem Kriminalitätsatlas zu veröffentlichen (z.B. Berlin[5]).



Kriminologische Relevanz

Bei der Suche nach den Ursachen von Kriminalität, erforscht die Kriminologie auch die Zusammenhänge zwischen Raum und Kriminalität. Ein hilfreiches Mittel, Informationen zu beiden Variablen miteinander in Verbindung bringen zu können, war und ist dabei das crime mapping.

Die kriminologische Relevanz wird in der Vielzahl der Studien dazu deutlich. Einen guten Überblick zu in- und ausländischen Studien gibt Kasperzak (2000: Kapitel 2 u. 3).

Bei der kriminologischen Forschung auf zumeist kommunaler Ebene, gehört es im Rahmen sogenannter Kriminologischer Regionalanalysen zur Grundlage, die Kriminalitätslage kartografisch aufzuarbeiten, um daraus Kriminalitätsschwerpunkte zu erkennen und Präventionsansätze abzuleiten. Nicht zuletzt aufgrund der voranschreitenden Entwicklung öffentlich einsehbarer Kriminalitätskarten wird crime mapping und zum Beispiel die Auswirkungen auf Kriminalitätsfurcht auch in Zukunft von kriminologischer Relevanz sein.

Weitere praktische Relevanz

Nicht nur für die Kriminologie ist die Auswertung von Kriminalitätskarten relevant. Auch die Kriminalistik bedient sich der Methode, um durch die Markierung verschiedener Tatorte einen Überblick über mögliche Tatserien zu bekommen.

Bei Kapitaldelikten ist die geografische Fallanalyse ein Teil der Operativen Fallanalyse (OFA). Durch Erkennen von sogenannten Ankerpunkten wird bei Serienstraftaten versucht, von der räumlichen Verteilung der Tatorte Hinweise auf den Wirkungsbereich und damit den ungefähren Aufenthaltsort des Täters zu erlangen.

Genutzt werden Erkenntnisse zur Verteilung von Kriminalität zudem für die Organisationstruktur der Polizei.


Kritik

Hauptkritikpunkt an crime mapping ist die suggerierte Objektivität, die professionell erstellte Karten vermitteln und die damit einhergehende Missbrauchsgefahr durch die Ersteller. Die hochwertig aussehenden Karten könnten die allgemeinen Verzerrungsfaktoren vergessen lassen. Häufig liegen einer Karte lediglich Hellfelddaten zugrunde, bei denen die gleiche begrenzte Aussagekraft wie bei der Polizeilichen Kriminalstatistik zu beachten ist.

Hinzu kommen spezifische Probleme bei der kartografischen Abbildung von Kriminalität. Problematisch ist das Kennzeichnen von Straftaten deren exakter Tatort nicht genau bekannt ist. Als Musterbeispiel gilt hier die Darstellung von Taschendiebstählen in Bussen oder Bahnen. Der genaue Tatort ist nicht bekannt, das Bedürfnis, einen bestimmten Punkt zu markieren, kann daher zu Behelfsmaßnahmen wie dem Markieren der Endhaltestelle führen. In der Folge wird an dem Ort der Endhaltestelle eine erhöhte Kriminalität angezeigt, die an diesem Ort jedoch nicht vorhanden ist.

Bei der kartografischen Darstellung von Kriminalitätsraten für bestimmte Gebiete besteht die Gefahr, dass örtliche Besonderheiten nicht sichtbar werden. Findet zum Beispiel ein Volksfest auf einem Marktplatz statt, wodurch die Zahl der erfassten Körperverletzungsdelikte ansteigt, so ist dies nicht unbedingt auf einer Karte zu erkennen, der gesamte ausgewählte Stadtteil wirft jedoch eine erhöhte Kriminalitätsbelastung aus.

Die Folgen könnten sein, dass bei der Veröffentlichung ohne entsprechende Hinweise diese Räume stigmatisiert werden. Die Gefahr von realen wirtschaftlichen Schäden besteht, wenn die Karten etwa durch Verknüpfung mit Online-Immobilienbörsen zu einer Minderung der Preise in der stigmatisierten Gegend führen.

Außerdem besteht die Möglichkeit, mit dem Verweis auf solch zweifelhaft zustande gekommenen Kriminalitätskarten Gefahrengebiete zu rechtfertigen und eine Erforderlichkeit der Ausweitung von Eingriffsmaßnahmen zu begründen.


Einzelnachweise


Weblinks


Literatur

  • Binninger, Clemens & Dreher, Gunther (1998): Der Erfolg des New Yorker City Police Departments in der Kriminalitätsbekämpfung. Von New York lernen? In: Dreher, Gunther& Feltes, Thomas (Hrsg.) Das Modell New York: Kriminalprävention durch "Zero Tolerance"?. Holzkirchen/Obb, 16-42
  • Boba Santos, Rachel (2013): Crime analysis and crime mapping. 3. Auflage. Los Angeles [u.a.]
  • Hadamitzky, Gregor (2015): Crime Mapping - Digitale Kriminalitätskartierung in Zeiten der Risikogesellschaft. Frankfurt am Main
  • Harries, Keith (1999): Mapping Crime: Principle and Practice. Washington. Abrufbar unter https://www.ncjrs.gov/pdffiles1/nij/178919.pdf (abgerufen am 05.02.2014)
  • Kasperzak, Thomas (2000): Stadtstruktur, Kriminalitätsbelastung und Verbrechensfurcht: Darstellung, Analyse und Kritik verbrechensvorbeugender Maßnahmen im Spannungsfeld kriminalgeographischer Erkenntnisse und bauplanerischer Praxis. Holzkirchen/Obb
  • Vogt, Sabine (2001): Crime Mapping – Voraussetzungen und Anwendungsbedingungen am Beispiel US-amerikanischer Entwicklungen. Wiesbaden
  • Weisburd, David; McEwen, Tom (Hrsg.) (1998): Crime Mapping and Crime Prevention. New York