Charles R. Tittle

Der us-amerikanische Devianz- und Kriminalsoziologe Charles R. Tittle (* 26. März 1939) ist vor allem für seine Control Balance Theory bekannt geworden.

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Werdegang

Tittle erwarb seinen B.A. in Geschichte 1961 am Quachita Baptist College in Arkadelphia (Arkansas), 1963 seinen M.A. und 1965 seinen PhD in Soziologie in Austin (U of Texas). Nach Arbeits- und Studienaufenthalten an verschiedenen nordamerikanische Universitäten wurde er 1974 Professor für Soziologie an der Florida Atlantic University, 1988 an der Washington State University und 2000 an der North Carolina State University (Raleigh). International bekannt wurde Tittle durch seine Control Balance Theory.

Control Balance Theory

Die "Control Balance Theory" von Charles R. Tittle ist eine Theorie der Abweichung und Kriminalität, die Teile anderer Theorien - vor allem der Abschreckungstheorie, der Anomietheorie, der Kontrolltheorie und der Theorie sozialen Lernens - in ein umfassenderes Erklärungsmodell integriert.

Der Theorie geht es um die Beziehung zwischen derjenigen Kontrolle, die eine Person über ihre Umwelt ausübt, zu derjenigen, der diese Person seitens ihrer Umwelt ausgesetzt ist. Zentraler Gedanke ist, dass ein ungleichgewichtiges Kontrollverhältnis (=control ratio) zu Versuchen der (Wieder-) Herstellung eines relativen Gleichgewichts führt, und dass diese Versuche oftmals die Form von Abweichung und Kriminalität annehmen.

In der deutschen Diskussion spielt die Control Balance Theory bislang keine große Rolle. Vielleicht gibt es auch deshalb noch keine eingeführte deutsche Übersetzung des Begriffs "Control Balance". Die intuitive Übersetzung als "Kontroll-Gleichgewichts-Theorie" ist naheliegend und nicht ganz verkehrt. Andererseits besitzt das Wort "balance" neben vielen anderen Bedeutungen auch diejenige von "Saldo" (= Differenz zwischen Soll und Haben). Tittle's Gebrauch des Begriffs (z.B. "that person's overall control balance will be somewhat different thant it would be if he oder she ...."; S. 154) legt nahe, dass Übersetzungen als "Kontroll-Saldo-Theorie" oder auch "Kontroll-Bilanz-Theorie" angemessener sein könnten.

Von der Control Balance Theory zur Control Balance Desirability

Kritik an der Control Balance Theorie (Braithwaite, 1997; Jensen, 1999; Savelsberg, 1999; Piquero and Hickman, 2002; Curry and Piquero, 2003) bewog Tittle (2004) zu einer Verfeinerung seiner Theorie. Im wesentlichen wurden die allzu starre Auslegung der Reaktionen auf ein Ungleichgewicht und Begriffsdefinitionen kritisiert.

Tittle führt zur Verfeinerung den Begriff control balance desirability ein. Zu Deutsch "gewünschtes Kontroll Gleichgewicht". Dieser Begriff ist eine zusammengesetzte Variable mit zwei Indikatoren. Zum einen die mögliche Langzeitwirkung eines abweichenden Verhaltens auf die Veränderbarkeit des Kontroll Ungleichgewichts und zum zweiten in wie weit eine gewisse Form eines Fehlverhaltens die persönliche und direkte Einbindung des Täters mit dem Opfer oder dem Tatobjekt benötigt, dass von der Abweichung betroffen ist.

Folgende sechs Punkte wurden von Charles Tittle präzisiert

  1. Vereinigung der repressiven und autonomen continua der Devianz in ein einziges continuum der control balance desirability;
  2. Aufgabe der Besorgtheit um Abweichungs-Subtypen, die vormals Bereiche der repressiven und autonomen Abweichungs-Kontinua dargestellt haben, dieses mit einer vollständigen Fokussierung auf das Kontinuum der control balance desirability und ohne Bestimmung kategorischer oder beschreibender Einteilungen;
  3. Anerkennung, dass Leute mit sowohl Kontroll-Defiziten wie mit Kontroll-Überschüssen möglicherweise nach ähnlichen Abweichungsformen innerhalb der Schwankungsbereiches eines Kontinuums der control balance desirability greifen, dieses insbesondere in mittleren Bereichen. Diese Festellung trifft eher zu als der Schluss, Leute mit Kontroll-Überschüssen würden ganz allgemein ´autonom´ abweichen, während solche mit Kontroll-Defiziten allgemein eher zur ´repressiven´ Abweichung neigen;
  4. die Entwicklung von Theorien, dass die Eintreffenswahrscheinlichkeit verschiedener Abweichungs-Ausprägungen innerhalb weiterer oder engerer Toleranzen des Kontinuums der control balance desirability abhängig ist vom Schnittpunkt dieser vier Variablen: Kontroll-Verhältnis, Gelegenheit, Zwang und Selbstkontrolle;
  5. die Änderung der Selbstkontrolle weg von einem Umstand, der das Ausmass beeinträchtigt, zu dem sich der Kontroll-Ausgleichsprozess mit grösserer oder kleinerer Kraft hin zu einer essentiellen Variablen entwickelt, die den wahrscheinlich durchzuziehenden Abweichungstyp beeinträchtigt;
  6. die Klärung der Bedeutung von Ernsthaftigkeit ohne ihre Betonung als hauptsächlicher Kontrapunkt zur Motivation und gleichzeitig ihrer expliziteren Bestimmung als Beitrag zu der wichtigeren Zwangsvariablen

Publikationen von Charles R. Tittle


  • 1985: Control Balance. Toward a General Theory of Deviance. Boulder, Colorado: Westview.
  • 2004: Refining control balance theory Theoretical Criminology, Vol. 8, No. 4, 395-428.
  • 2000: Social Deviance and Crime: An Organizational and Theoretical Approach. Los Angeles: Roxbury Press. (With Raymond Paternoster).
  • 1980: Sanctions and Social Deviance: The Question of Deterrence. New York: Praeger.
  • 1972: Society of Subordinates: Inmate Organization in a Narcotic Hospital. Bloomington: Indiana University Press.

Literatur

  • Braithwaite, John (1997). Charles Tittle’s Control Balance and Criminological Theory, Theoretical Criminology 1(1), 77–97.
  • Curry, Theodore R. and Alex R. Piquero (2003) Control Ratios and Defiant Acts of Deviance: Assessing Additive and Conditional Effects with Constraints and Impulsivity, Sociological Perspectives 46(3), 397–415.
  • Eifler, Stefanie (2002) Kriminalsoziologie, Bielefeld: transcript-Verlag.
  • Jensen, Gary A. (1999) A Critique of Control Balance Theory: Digging into Details, Theoretical Criminology 3(3), 339–43.
  • Piquero, Alex R. and Matthew Hickman (2002) The Rational Choice Implications of Control Balance Theory, in Alex R. Piquero and Stephen G. Tibbetts (eds) Rational Choice and Criminal Behavior: Recent Changes and Future Challenges, pp. 85–107. New York: Routledge.
  • Savelsberg, Joachim J. (1999) Human Nature and Social Control in Complex Society: A Critique of Charles Tittle’s Control Balance, Theoretical Criminology 3(3), 331–38.

Links

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