Aufgaben der Kriminologie im neuen Reich

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Während zu Beginn des Dritten Reiches die Ansicht vertreten wurde, dass die Kriminologie als Kind der Aufklärung und des Rationalismus für den NS-Staat bedeutungslos geworden sei, bemühte sich Franz Exner in seinem Aufsatz über die Aufgaben der Kriminologie im neuen Reich (1936) um den Nachweis der eher zunehmenden Bedeutung dieser Wissenschaft.

Die von der Kriminologie betriebene "Tatsachenforschung auf dem Gebiet von Verbrechen und Strafe" ist nach Exner eine Art Feindaufklärung: "Alles Strafrecht ist Kampfrecht. Wer seinen Gegner wirksam bekämpfen will, muß ihn kennen, muß seine Stellung und Kräfte kennen, die Kampfesmittel, die er anwendet, die stakren und schwachen Seiten, die er bietet, die Ziele und Erwägungen, von denen er sich leiten läßt. Im Kampf gegen das Verbrechertum ist es die Aufgabe der Kriminologie diese Kenntnis zu vermitteln" (4).

Dem Gesetzgeber vermittelt die Kriminologie Fakten über Umfang und Schwere, Ursachen und Erscheinungsformen der Kriminalität.

Dem Richter vermittelt die Kriminologie Wissen über die Beeinflussbarkeit von Straftätern. Zu Rechtsbegriffen gewordene kriminologische Begriffe ("gefährlicher Gewohnheitsverbrecher" oder "gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher", "aus Arbeitsscheu", "für die öffentliche Sicherheit erforderlich", "nicht mehr erforderlich ist" etc.) können nur über Tatsachenforschung gefüllt werden. Die immer häufiger erforderlich werdenden Prognosen erfordern wissen darüber, wie sich bestimmte Personen unter bestimmten Umständen zu verhalten pflegen. Es geht also darum, "Erfahrungen zu sammeln über das Wesen, dei kriminelle Verhaltensweise und die Beeinflußbarkeit bestimmter Persönlichkeitstypen" (7).

  • Zu dieser Typenforschung gehören: die Persönlichkeits- und die Erbforschung (Zwillingsforschung; Sippenuntersuchungen).
  • Notwendig ist aber auch "eine intensive Beschäftigung mit dem Umweltproblem", d.h. mit "der Bedeutung der Familienverhältnisse, des Arbeitsmarktes, der politischen Wandlungen usw." (9f.).
  • Katamnestische Untersuchungen (Nachuntersuchungen über bedingte Entlassung aus der Sicherungsverwahrung, dem Arbeitshaus, der Trinkerheilanstalt etc.; Entmannung; Strafvollzug).
  • Gesetzesevaluation: Zielerreichung, Implementationsprobleme (wie üben Richter und Vollzugsbeamte ihre weiten Ermessensspielräume aus?); Nachuntersuchung bei Sicherungsverwahrten und Nicht-Sicherungsverwahrten, bei entlassenen Zuchthausgefangenen etc.
  • Neugestaltung des Gefängniswesens (Klassifikation der Anstalten, Klassifizierung der Verurteilten)
  • Erforschung des Volksempfindens, d.h. der wirklich herrschenden Werturteile.

Erforderlich ist nach Exner "eine politische Erkenntnis, eine immer klarer werdende Einsicht in die Aufgaben, die der Strafrechtspflege im Gefüge des neuen Staates gestellt sind. Und andererseits eine kriminologische Erkenntnis: ein schrittweises Eindringen in die Welt der kriminologischen Tatsachen; kann doch bei einem Hauptteil jender Aufgaben einzig und allein Tatsachenforschung uns darüber belehren, ob die Strafrechtspflege das Erwartete wirklich leistet und auf welchen Wegen sie es zu lesiten künftig imstande wäre" (16).


Quelle

  • Exner, Franz (1936) Aufgaben der Kriminologie im neuen Reich. Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform, 27. Heft 1:1-16.