Anti-Aggressivitäts-Training

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Anti-Aggressivitäts-Training

Das Anti-Aggressivitäts-Training (Kurzform = AAT) ist ein gruppenpädagogisches und deliktspezifisch ausgerichtetes Training. Als Maßnahme der tertiären Gewaltprävention ist das AAT in den Praxis- und Anwendungsfeldern der Jugend-, Bewährungs- und Jugendgerichtshilfe sowie im Strafvollzug verortet. Das Anti-Aggressivitäts-Training kann als ambulante oder stationäre Maßnahme durchgeführt werden und gilt als eine Methode der „Konfrontativen PädaFetter Textgogik“.


Inhaltsverzeichnis

1. Ursprünge und Entwicklung

2. Zielgruppen

3. Ziele

4. Qualitätsstandards

5. Theoretische Grundlagen

6. Praktische Grundlagen: Inhalte und Methoden

7. Evaluation(en)

8. Kritische Diskussion

9. Literatur / Quellen


1. Ursprünge und Entwicklung

Ausgangspunkt war 1985/86 die Bildung einer interdiziplinären Arbeitsgruppe (Psychiater, Sozialarbeiter,Soziologen), welche vom damaligen Direktor der Jugendstrafanstalt Hameln (in Abstimmung mit dem niedersächsichen Justizministerium) mit der Entwicklung eines „Anti-Aggressivitäts-Trainings“ beauftragt wurde. Zu diesem Zeitpunkt stand die Entwicklung von geeigneten und spezifischen Behandlungsmaßnahmen für inhaftierte, wegen Gewalt- und Körperverletzungsdelikten verurteilte Personen im Vordergrund. Unter der Leitung des Justizpsychologen Dr. Heilemann wurden erste Ansätze und Konzeptionen erarbeitet und unter zunehmener Beteiligung des Hamburger Kriminologen und Erziehungs-wissenschaftler Dr. Weidner u. A. ab 1987 regelmässig Anti-Aggressivitäts-Trainings mit männlichen jugendlichen Teilnehmern in der JVA Hameln durchgeführt. In den Folgejahren (ab Mitte 1990) haben sich AAT’s auch außerhalb des Strafvollzuges als ambulante Maßnahmen, insbesondere in den Bereichen der Jugendgerichts-und Bewährungshilfe, etabliert. Im zeitlichen Verlauf von 1986-2009 wurde das Anti-Aggressivitäts-Training als Methode aufgrund vielfältiger Erfordernisse weiterentwickelt und z.T. auch modifiziert, z.B.: Gewährleistung von Qualitätsstandards für die praktische Arbeit in AAT-Programmen und Verbindlichkeit rechtstheoretischer Kenntnisse und deren Anwendung („non-touch-Verpflichtung“, Zeugnisverweigerungs-recht).


2. Zielgruppen

Zielgruppen des Trainings sind primär Personen(gruppen), die mehrfach (einschlägig) oder besonders schwerwiegend wegen Körper-verletzungsdelikten (Raub, räuberische Erpressung, Körperverletzung u.ä.) strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. In der Praxis stellen aktuell (Stand 2009) männliche Jugendliche und Heranwachsende im Alter von 16-21 Jahren, welchen im Rahmen einer justiziellen Auflage gem. § 10 JGG (bzw. § 23 JGG) am AAT teilnehmen, einen besonders umfangreichen Teilnehmerkreis dar.


3. Ziele

Trainingsinhalte und –methoden sind darauf ausgerichtet, eine konkrete und möglichst nachhaltige Verhaltensänderung/-modifikation bei den TrainingsteilnehmerInnen zu erzielen. Hierzu zählen Reduktion gewaltaffiner Handlungsorientierungen und Einstellungen sowie Verminderung von Aggressität durch Förderung und Erweiterung von Handlungs-kompetenzen wie Empathie, Rollendistanz, Frustrations-und Ambiguitätstoleranz. Sensiblisierung für die Ursachen und Folgen des eigenen Gewalthandelns sowie die Entwicklung alternativer Verhaltens-weisen sind weitere Themen, welche mit den TrainingsteilnehmerInnen zur Verringerung von Gewaltneigungen erarbeitet werden.Ein weiteres Ziel des Anti-Aggressivitäts-Trainings ist die zukünftige Legalbewährung.


4. Qualitätsstandards

Qualitätsstandards für die Durchführung von AAT-Programmen sind durch das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS, Frankfurt) und das Deutsche Institut für Konfrontative Pädagogik (IKD, Hamburg/NRW/ Rheinland Pfalz) definiert worden, mit dem Ziel der Gewährleistung einer seriösen fachlichen Umsetzung. Beide Institute sind auch für die bundes-weite Ausbildung von AAT-TrainerInnen zuständig. Qualitätsstandards beschreiben u.a. Zugangsvorraussetzungen für TeilnehmerInnen und Gruppengröße, Qualifikationen der Gruppenleitung (und zusätzlicher Zertifizierungen) , Mindestdauer/zeitlicher Umfang des Trainings und pädagisch-fachliche Gestaltung/Vermittlung der Trainingsinhalte. Die Begriffe „AAT“ und „CT“ (Coolness-Training) sind durch das IKD/ISS beim Deutschen Marken-und Patentamt München seit Mitte 1990 geschützt. Dieser Sachverhalt wird in der fachöffentlichen Diskussion kontrovers erörtert, wobei sich die Positionen hauptsächlich dahingehend unterscheiden, inwiefern die Vorgehensweise eher merkantilen oder Interessen der Qualitätssicherung dient.


5. Theoretische Grundlagen

Grundlagen für die „Konfrontative Pädagogik“ und somit auch für das Anti-Aggressivitäts-Training als Methode bilden Ableitungen aus verschiedenen therapeutischen / psycho-logischen Verfahren und Theorien: Lerntheorie (Bandura), Theorie des Kognitiven Dissonanz (Festinger), Theorie der persönlichen Konstrukte (Kelly), Rational-emotive Therapie (Ellis), Konfrontative Therapie (Corsini), Provokative Therapie (Farrelly), Psychodrama („der leere Stuhl“ / Moreno) und Gestalt-Therapie (der „heisse Stuhl“/Perl). Ferner sind unter kriminologischen Bezügen vorrangig relevant: Neutralisierungsthese abweichenden Verhaltens / Neutralisationstechniken (Sykes & Matza 1957) sowie die Theorie der rationalen Wahl / Rational-Choice-Theory. Vielfach in der Literatur zum Thema vorzufinden ist der Hinweis darauf, dass sich das Anti-Aggressivitäts-Training an einem „lerntheoretisch-kognitiven-Paradigma“ (bzw. Lerntheorien nach Bandura) orientiert. Unter lerntheoretischen Aspekten beeinhaltet dies die Vorstellung, dass die Anwendung von Gewalt als „gelernte Verhaltensweise“ auch wieder verlernbar und hierdurch verminderbar ist.

6. Praktische Grundlagen: Inhalte und Methoden

Lerninhalte und -ziele des Anti-Aggressivitäts-Training sind im Rahmen von Fachstandards in einem thematisch verbindlichen Curriculum zusammengestellt, wobei im praktischen Trainingsetting zum Transfer diverse Varianten verschiedener Übungen und Methoden zur Auswahl stehen. Die einzelnen Module im AAT-Curriculum lauten wie folgt: „Aggressivität als Vorteil / Aggressivitätsauslöser / Selbstbild zwischen Ideal-und Realselbst / Neutralisierungs-techniken / Opferperspektive und Provokationstest“. Folgende Methoden finden u.a. zum Transfer der Inhalte im Praxisbezug Anwendung: Interationspädagogische Übungen, Theater- und Erlebnispädagogik, Provokationstests, Mediation und Konfrontation, Heisser Stuhl, Aktions- und Konzentrationsübungen, Deeskalations-übungen und Entspannungs-techniken. Ein „klassischer“ Trainingsverlauf analog zu den Qualitätsstandards gestaltet sich in der Praxis folgendermaßen: Im Verlauf von (mindestens) 4-6 Monaten finden wöchentlich zwei- bis dreistündige Gruppentreffen statt, mit einem TeilnehmerInnen-Pool von 6-8 Personen. Die Gruppen-leitung wird durch zwei Fachkräfte ausgeübt, wobei mindestens eine Fachkraft über eine entsprechende Zusatzqualifikation als Anti-Aggressivitäts-TrainerIn verfügt.

'7. Evaluationen

Im Zeitraum von 1987-2009 liegen für das Anti-Aggressivitäts-Training Evaluationen von unterschiedlichen Instituten und Institutionen vor. In der Literatur oft zitiert und unterschiedlich interpretiert wird eine vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachen (KFN) durchgeführte Rückfallstudie zum AAT mit Inhaftierten / ehemals Inhaftierten in der Jugendanstalt Hameln (Zeitraum = 1987-1999). So konnten bei den „AAT-Trainierten“ im Vergleich zur Kontrollgruppe der „AAT-Untrainierten“ keine ehrheblichen Unterschiede bei dem Datenabgleich zu Rückfallraten, -häufigkeiten und –geschwindigkeiten festgestellt werden. Lediglich der Aspekt der Rückfallintensivität gestaltete sich bei der Gruppe der „AAT-Trainierten“ geringer, jedoch in der Differenz zur Kontrollgruppe unterhalb der Grenze zur statistischen Signifikanz. Das Ergebnis der Studie unterliegt im fachlichen Diskurs unterschiedlichen Deutungsmustern. Während einige Autoren das Ergebnis als Beleg für die Unwirksamkeit des Anti-Aggressivitäts-Trainings werten, verweisen andere Autoren wiederum auf den Sachverhalt, dass bei der Kontrollgruppe der „AAT-Untrainierten“ zu berücksichtigen ist, dass viele Personen aus der Kontrollgruppe in andere Angebote und Maßnahmen zur Therapie und Resozialisierung in Hameln eingebunden waren. Somit ließe sich im Hinblick auf die Rückfallquoten in beiden Untersuchungsgruppen lediglich eine Wirksamkeit von re-sozialisierenden Maßnahmen nachweisen, wobei neben dem Anti-Aggressivitäts-Training auch andere Konzepte wie z.B. soziale Trainingskurse ähnliche Ergebnisse erzielen.

8. Kritische Diskussion

Sowohl die „Konfrontative Pädagogik“ als solche, wie auch das Anti-Aggressivitäts-Training als Methode sind in der sozialpädagogischen Praxis und noch deutlicher in der wissenschaftlichen Diskussion nicht unum-stritten. Im Besonderen gilt dies für einen Trainingsbestandteil, dem sogenannten „Heißen Stuhl“. Eine Gegenüberstellung der verschiedenen, z.T. konträren Positionen und Argumentationen kann an dieser Stelle aufgrund begrenzter Kapazitäten und der inhaltlichen Komplexität des Sachverhaltes nicht erfolgen, lediglich eine kurze Vorstellung von thematischen Schwerpunkten.

Folgende Aspekte werden in Fachartikeln zum Thema regelmässig aufgeführt, diskutiert und erfahren verschieden gelagerte Interpretionen und Beurteilungen:

Die wissenschaftlich-fundierte, systematische und psychologisch-pädagogische Begründung der Methode Die Methode als solche unter pädagogischen, psychologischen soziologischen und kriminologischen Gesichtspunkten (Theorie & Praxis) Rechtliche Grundlagen Medienberichterstattung (TV) Alternative Maßnahmen zum Anti-Aggressivitäts-Training AAT/Anti-Aggressivitäts-Training als patentrechtlich geschütztes Warenzeichen (vgl. hierzu Ausführungen zum Thema „Qualitätsstandards)

Die Vielfältigkeit von konträren Stellungnahmen im wissenschaftlichen und praxisbezogene Diskurs ergibt sich im Vergleich verschiedener, im Literatur-Verzeichnis (s.u.) aufgeführter Fachartikel, insbesondere Publikationen in der Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe (ZJJ) sowie Krim.Journal, 34. Jg. 2002.

'9. Literatur / Quellen

Heyder, Bernd: „Die Konfrontative Pädagogik auf dem Prüfstand“. Stellungnahme zu H.-J. Plewig in: ZJJ, 01/2008, S.52-59, in Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe/ZJJ, 02/2008: S.183-184

Kilb, Rainer & Weidner, Jens & Jehn, Otto: Gewalt im Griff, Band 3. Weinheim und Basel: Beltz, 2003

Ohlemacher,T.u.a.: Anti-Aggressivitäts-Training und Legalbewährung, in: Bereswill,M. (Hg.): Interdisziplinäre Beiträge zur kriminologischen Forschung. NOMOS Verlag 2001

Plewig, Hans-Joachim: Neue deutsche Härte – Die „Konfrontative Pädagogik“ auf dem Prüfstand (Teil 1), in: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe/ZJJ, 04/2007: S.363-369

Plewig, Hans-Joachim: Neue deutsche Härte – Die „Konfrontative Pädagogik auf dem Prüfstand (Teil 2), in: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe/ZJJ, 01/2008: S.52-59

Röskens, Klaus: Tatkonfrontation: Keine neue deutsche Härte, sondern sozialpädagogisache Notwendigkeit, in: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe/ZJJ, 03/2008: S.279-282

Schanzenbächer, Stefan ed.: Gewalt ohne Ende. Neue Perspektiven durch Anti-Aggressivitäts-Training und konfrontative Pädagogik in Brandenburg. Freiburg i.Br.: Lambertus-Verlag GmbH, 2004

Scherr, Albert: Mit Härte gegen Gewalt? Kritische Anmerkungen zum Anti-Aggressivitäts und Coolness-Training, in: Krim.Journal, 34. Jg. 2002: S. 304-311

Weidner; Jens: Anti-Aggressivitäts-Training für Gewalttäter. 3. Aufl,.Bonn/Bad-Godesberg: Forum.Verlag, 1995