Alphonse Bertillon

Alphonse Bertillon (* 22.04.1853 in Paris; † 13.02.1914 in Münsterlingen, Schweiz) war ein französischer Kriminalist und Anthropologe. Das von ihm entwickelte anthropometrische System zur Personenidentifizierung wurde zu seinen Ehren später Bertillonage genannt.

Alphonse Bertillon

Leben und Werk

Alphonse war Enkel des Naturforschers und Mathematikers Achille Guillard und Sohn des damals bekannten Arztes, Statistikers und Vizepräsidenten der Anthropologischen Gesellschaft von Paris, Louis-Adolphe Bertillon. Alphonse, der zeit seines Lebens oft kränkelte, unter starker Migräne litt und als Choleriker und Pedant galt, hatte schon seine Schulausbildung aufgrund mangelnder Leistungen und schlechten Benehmens vorzeitig abgebrochen. Durch Fürsprache seines Vaters fand er 1879 eine Stelle als Hilfsschreiber in der Pariser Polizei-Präfektur, wo er Beschreibungen straffällig gewordener Verbrecher auf Karteikarten zu übertragen hatte, deren Nutzen in vielerlei Hinsicht zweifelhaft war. Bertillon erinnerte sich der Arbeiten seines Vaters und stieß dabei auf die anthropologischen Untersuchungen von Adolphe Quetelet, der zu der Schlussfolgerung gelangt war, dass es keine zwei Menschen mit den gleichen Körpermaßen gebe. Auf dieser Basis entwickelte Bertillon in den Jahren 1879 bis 1880 das erste geschlossene System zur Personenidentifizierung und leistete damit einen entscheidenden Beitrag zur wissenschaftlichen Kriminalistik. Seine ersten Versuche führte Bertillon an den eingelieferten Untersuchungshäftlingen der Pariser Polizei durch. Die Messergebnisse hielt er auf Karteikarten fest. Seine Arbeitskollegen verspotteten diesen Ansatz und selbst der Polizeipräfekt von Paris legte Bertillons Bericht zunächst zu den Akten und drohte ihm sogar mit einer fristlosen Kündigung, falls er ihn noch einmal mit seinen Ideen belästigen sollte. Mit der Unterstützung seines Vaters und nach einem Wechsel an der Spitze der Präfektur durfte Bertillon seine Arbeiten fortsetzen. Bertillon hatte festgestellt, dass die Identifizierung mit steigender Zahl der Körpermaße genauer wurde. Bei der Abnahme von 11 Körpermaßen betrug das Risiko einer Verwechslung 191.304 zu 1. Er hielt dies für ausreichend und schlug daher die Verwendung folgender 11 Körpermaße vor: Körperlänge, Armspannweite, Sitzhöhe, Kopflänge, Kopfbreite, Länge des rechten Ohres, Breite des rechten Ohres (später Jochbeinbreite), Länge des linken Fußes, Länge des linken Mittel- und Kleinfingers und Länge des linken Unterarmes. Der erste größere Versuch begann im November 1882. Bertillon bekam die Erlaubnis, sein Verfahren für 3 Monate zu testen. Er erhielt zu diesem Zweck einen eigenen Raum und zwei Mitarbeiter zugeteilt. Im Februar 1883 hatte er bereits 1.800 Karteikarten erstellt. Diese waren nicht alphabetisch, sondern nach den entsprechenden Körpermaßen unterteilt. Der Testlauf endete im Februar 1883. Kurz zuvor gelang ihm, was seine Kritiker für unmöglich hielten: die Identifizierung eines rückfälligen Straftäters auf Basis seiner Körpermaße. Die Probefrist wurde daraufhin verlängert und Bertillon bekam weiteres Personal zugeteilt. Bis zum Ende des Jahres 1882 konnte er 49 Identifizierungen nachweisen. Am 1. Februar 1888 wurde Bertillon zum Leiter des polizeilichen Erkennungsdienstes befördert.

Das System wurde in vielen Ländern eingeführt. 1896 hielt das System Einzug ins deutsche Kaiserreich. Bei der Dredner Kriminalpolizei wurde ein Meßbüro eingerichtet, anschließend auch in Hamburg und Berlin. Allerdings erwies es sich als zu komplex und wurde von Praktikern kontinuierlich kritisiert. Bertillon entwickelte daraufhin ein Fahndungsbuch mit den Beschreibungen gesuchter oder des Landes verwiesener Personen. 1893 wurde Bertillon in Anerkennung seiner Dienste das rote Band der Ehrenlegion verliehen. Sein guter Ruf litt aber unter der Dreyfus-Affäre, in der er ein falsches Schriftgutachten erstellt hatte. Später wurden die anthropometrischen Maße noch durch zweiteilige Täterphotographien und gegen Bertillons Widerstand schließlich auch durch Fingerabdrücke ergänzt. Bertillon war ein Gegner der Daktyloskopie, die er für ungenau hielt. Trotzdem gelang ihm selbst 1902 die erste Identifizierung eines Mörders in Europa anhand eines Fingerabdrucks. Der Erfolg konnte Bertillon jedoch nicht umstimmen und in der Folgezeit sprach er nur ungern über diesen Erfolg. Anlässlich der Weltausstellung in Lüttich gab der Pariser Polizeipräfekt bekannt, dass in Paris 12.614 rückfällige Straftäter durch das von Bertillon entwickelte System identifiziert worden seien. - Das Ende der Bertillonage kam mit den Fahndungspannen im Zusammenhang mit dem Diebstahl der Mona Lisa aus dem Louvre im Jahre 1911. Der erst 1913 verhaftete Dieb Vincenzo Peruggia hatte sowohl auf einer Glasscheibe als auch auf einer Türklinke seine Fingerabdrücke hinterlassen. Diese waren bereits seit 1909 registriert, konnten jedoch in den Tausenden nach Körpermaßen sortierten Karteikästen nicht gefunden werden. - Alphonse Bertillon erkrankte 1913 schwer und starb am 13. Februar 1914 in Münsterlingen in der Schweiz. In seinen letzten Lebensmonaten war er fast völlig erblindet. Die Verleihung der Rosette zum Band der Ehrenlegion scheiterte an seiner Weigerung, den eigenen Fehler in der Dreyfus-Affäre zuzugeben. - Obwohl man sich in Frankreich schon bald nach Bertillons Tod von seinem System verabschiedete, blieben einige Elemente daraus bis heute im kriminalpolizeilichen Erkennungsdienst erhalten.

Literatur

  • Rhodes, Henry (1956) Alphonse Bertillon: Father of Scientific Detection. Abelard-Schuman, New York.
  • Feix, Gerhard (1975) Das große Ohr von Paris - Fälle der Sûrete. Verlag Das Neue Berlin, Berlin: 146-194.
  • Kammerer, Dietmar (2007) »Welches Gesicht hat das Verbrechen? Die ›bestimmte Individualität‹ von Alphonse Bertillons ›Verbrecherfotografie‹«, in: Nils Zurawski (Hg.): Sicherheitsdiskurse. Angst, Kontrolle und Sicherheit in einer ›gefährlichen‹ Welt, Frankfurt/Main: Peter Lang: 27-38.
  • Pavlich, George (2009) The Subjects of Criminal Identification. Punishment & Society 11, No. 2, 171-190.
  • Quinche, Nicolas (2006) Crime, Science et Identité. Anthologie des textes fondateurs de la criminalistique européenne (1860-1930). Genève: Slatkine.

Weblinks