Aktuarische Kriminalpolitik

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Aktuarische (d.h. eine der Versicherungslogik folgende, auf versicherungsstatistischen Methoden der Risikoprognose basierende) Kriminalpolitik ist der Inbegriff der "Kriminalpolitik der Spätmoderne" (Karl-Ludwig Kunz). Sie unterscheidet sich von der Kriminalpolitik der klassischen Moderne durch eine Verlagerung des Interesses von der Besserung des Straftäters auf die Gewährleistung innerer Sicherheit mittels Kontrolle von Risikopopulationen.

"Kriminalitätsrisiken werden nunmehr durch statistische Aufbereitung registrierter Ereignisse und Zuordnung der Ereignisse zu typischen Merkmalen von Situationen und Personen errechnet. So werden Wahrscheinlichkeitsaussagen darüber möglich, unter welchen Bedingungen mit dem Auftreten welcher krimineller Ereignisse zu rechnen ist. Diese Risikoanalyse erlaubt die Entwicklung risikomindernder und -begrenzender Interventionen. An die Stelle des ehrgeizigen Unterfangens, die Individuen vermittels Strafe zu tadeln und damit motivierend anzusprechen, tritt der vermeintlich ideologisch indifferente Versuch, Räume zu besetzen, Situationen zu beherrschen und damit Kriminalitätsrisiken zu beeinflussen. Kontrolltheoretisch geht es damit nicht mehr um individuelle Verhaltensbeeinflussung, sondern um Lenkung von Aktionsmöglichkeiten durch vorbeugende Regulierung. Mit dem versicherungsstatistischen Verständnis von Kriminalitätsrisiken verlagert sich das kriminalpräventive Interesse von der tat- und täterbezogenen Reaktion hin zur möglichst risikoarmen Gestaltung von Alltagssituationen. Im Vordergrund steht nunmehr das Ziel einer vorbeugenden Bestimmung von Kriminalitätsrisiken und einer Gefahrenminimierung vor Eintritt eines Schadens. Im übrigen tritt neben das kriminalpräventive Anliegen der Reduzierung von Kriminalität dasjenige der Verminderung gesellschaftlicher Verunsicherung durch Kriminalität. Während die Eignung der Strafe zur individuellen Verhaltensbeeinflussung überwiegend skeptisch eingeschätzt wird, gewinnt die strafrechtliche Repression eine neue Bedeutung als symbolisches Mittel zur Bestärkung von Rechtsvertrauen und zum Abbau gesellschaftlich dysfunktionaler Verunsicherung. Daraus ergibt sich ein grundlegender Wandel des kriminalpolitischen Selbstverständnisses" (Kunz 2006).


Literatur

  • Harcourt, Bernard E. (2007) Against Prediction. Profiling, Policing, and Punishment in an Actuarial Age. Chicago, London: The University of Chicago Press.

(aufgerufen 19.02.2008)