Abolitionismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Das Wort '''Abolitionismus''' bezeichnet Lehren und Bestrebungen zur Abschaffung rechtlich institutionalisierter Zwangsverhältnisse - insbesondere der Sklaverei, der Todesstrafe und der Gefängnisse, bzw. des gesamten staatlichen Strafrechts- und Kriminaljustizsystems. Geistesgeschichtliche Hintergründe und mögliche Querverbindungen finden sich in der Naturrechtslehre, aber auch in Strömungen des Christentums (u.a. politischer Protestantismus), im Liberalismus, Anarchismus und Sozialismus/Kommunismus. Umstritten ist die Realisierbarkeit gefängnis- oder gar strafrechtssystem-freier Gesellschaften unter den heute vorherrschenden politisch-ökonomischen Bedingungen.  
Das Wort '''Abolitionismus''' bezeichnet Lehren und Bestrebungen zur Abschaffung rechtlich institutionalisierter Zwangsverhältnisse - insbesondere der Sklaverei, der Todesstrafe und der Gefängnisse, bzw. des gesamten staatlichen Strafrechts- und Kriminaljustizsystems. Geistesgeschichtliche Hintergründe und mögliche Querverbindungen finden sich in der Naturrechtslehre, aber auch in Strömungen des Christentums (u.a. politischer Protestantismus), im Liberalismus, Anarchismus und Sozialismus/Kommunismus. Umstritten sind Wünschbarkeit und  Machbarkeit einer Abschaffung des Gefängnisses - und mehr noch des Strafens überhaupt.  


== Begriff ==
== Begriff ==
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*Die sog. Straftaten, also "kriminelle Ereignisse", unterscheiden sich nicht wesentlich von anderen "problematischen Ereignissen" im Leben der Menschen und verdienen deshalb auch keine spezielle Bezeichnung oder Reaktion - und schon gar keine staatlich monopolisierte Reaktion in Form der Kriminalstrafe. Weder die Eigenschaften der Personen ("Kriminelle") noch die Eigenschaften der Ereignisse oder Handlungen ("Straftaten") rechtfertigen eine spezialisierte Behandlung ("Bestrafung").
*Die sog. Straftaten, also "kriminelle Ereignisse", unterscheiden sich nicht wesentlich von anderen "problematischen Ereignissen" im Leben der Menschen und verdienen deshalb auch keine spezielle Bezeichnung oder Reaktion - und schon gar keine staatlich monopolisierte Reaktion in Form der Kriminalstrafe. Weder die Eigenschaften der Personen ("Kriminelle") noch die Eigenschaften der Ereignisse oder Handlungen ("Straftaten") rechtfertigen eine spezialisierte Behandlung ("Bestrafung").


==Kritik und Gegenkritk==
==Kritik und Gegenkritik==


Der häufigste Vorwurf an die Adresse von Abolitionisten ist der Utopie-Vorwurf. Der Gegenvorwurf an die Adresse der Kritiker wurde von Gerhard Mauz (1975: 7) formuliert: "Es muss nicht bis zum Ende aller Tage angeklagt und verurteilt werden. Über die Verstöße gegen unsere Vereinbarungen, die wir Gesetze nennen, als hätten wir sie wie Moses vom Berge herabgebracht, kann auch solidarisch verhandelt, sie können auch leidenschaftslos ausgetragen werden (so jedenfalls, dass nicht noch mehr Leid entsteht, so schon gelitten wird). - Es setzt dies nur voraus, dass wir darauf verzichten, über Menschen zu befinden; dass wir uns dazu entschließen, mit ihnen, für sie und damit auch für uns nach Lösungen zu trachten. - Eine Utopie? Eine Utopie ist wohl eher die Vorstellung, es könne unsere Mühe um den Austrag der Konflikte, die im Zusammenhang mit unseren Vereinbarungen entstehen, für alle Zeit im Anklagen und Verurteilen am Ziel sein - in einem Richten, das über uns richtet. Eine Utopie ist doch wohl eher die Vorstellung, wir könnten für alle Zeit damit am Ziel sein, dass wir strafen."
Der häufigste Vorwurf an die Adresse von Abolitionisten ist der Utopie-Vorwurf. Der Gegenvorwurf an die Adresse der Kritiker wurde von Gerhard Mauz (1975: 7) formuliert: "Es muss nicht bis zum Ende aller Tage angeklagt und verurteilt werden. Über die Verstöße gegen unsere Vereinbarungen, die wir Gesetze nennen, als hätten wir sie wie Moses vom Berge herabgebracht, kann auch solidarisch verhandelt, sie können auch leidenschaftslos ausgetragen werden (so jedenfalls, dass nicht noch mehr Leid entsteht, so schon gelitten wird). - Es setzt dies nur voraus, dass wir darauf verzichten, über Menschen zu befinden; dass wir uns dazu entschließen, mit ihnen, für sie und damit auch für uns nach Lösungen zu trachten. - Eine Utopie? Eine Utopie ist wohl eher die Vorstellung, es könne unsere Mühe um den Austrag der Konflikte, die im Zusammenhang mit unseren Vereinbarungen entstehen, für alle Zeit im Anklagen und Verurteilen am Ziel sein - in einem Richten, das über uns richtet. Eine Utopie ist doch wohl eher die Vorstellung, wir könnten für alle Zeit damit am Ziel sein, dass wir strafen."
Ein weiterer Vorwurf betrifft das Fehlen von positiven Gegenvorschlägen: was soll an die Stelle des Gefängnisses treten (Serienkiller, Vergewaltiger ...)? Hierauf gibt es die Antwort, dem Druck zu widerstehen (Mathiesen, [https://medium.com/@richardgarside/what-it-means-to-be-an-abolitionist-192d1c96f353 Richard Garside]) - und auf der anderen Seite die Meinung (Bianchi), dass man sich darüber zu wenig Gedanken gemacht habe und viel mehr Energie darauf verwenden müsse.


== Literatur==
== Literatur==
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*[http://www.actionicopa.org/items/153-JPP%2017-2_Mathiesen.pdf Mathiesen, Thomas: The Abolitionist Stance]
*[http://www.actionicopa.org/items/153-JPP%2017-2_Mathiesen.pdf Mathiesen, Thomas: The Abolitionist Stance]
* Mauz, Gerhard (1975) Das Spiel von Schuld und Sühne. Die Zukunft der Strafjustiz. Düsseldorf, Köln.
* Mauz, Gerhard (1975) Das Spiel von Schuld und Sühne. Die Zukunft der Strafjustiz. Düsseldorf, Köln.
 
*Mühl, Jeldrik (2015) Strafrecht ohne Freiheitsstrafen - absurde Utopie oder logische Konsequenz? Die Laufzeitleistungsstrafe als alternative Sanktion. Tübingen: Mohr Siebeck.
*[http://www.amazon.de/Penal-Abolitionism-Clarendon-Studies-Criminology/dp/0199578443/ref=sr_1_1?s=books-intl-de&ie=UTF8&qid=1438452495&sr=1-1&keywords=penal+abolitionism#reader_0199578443 Ruggiero, Vincenzo (2010) Penal Abolitionism. Oxford: OUP]
*[http://www.amazon.de/Penal-Abolitionism-Clarendon-Studies-Criminology/dp/0199578443/ref=sr_1_1?s=books-intl-de&ie=UTF8&qid=1438452495&sr=1-1&keywords=penal+abolitionism#reader_0199578443 Ruggiero, Vincenzo (2010) Penal Abolitionism. Oxford: OUP]
**[http://bjc.oxfordjournals.org/content/51/2/469.extract Besprechung von Ruggiero  2010 im British Journal of Criminology]
**[http://bjc.oxfordjournals.org/content/51/2/469.extract Besprechung von Ruggiero  2010 im British Journal of Criminology]
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