Soziales Problem

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Sachverhalt, Deutung und Anerkennung

Die empirische Analyse der Karriere sozialer Probleme befasst sich mit der Unterscheidung zwischen sozialen Sachverhalten, ihrer Deutung als Problem und der gesellschaftlichen Anerkennung der Problemwahrnehmung in einem diskursiven Prozess (Problemkarriere). Die Konstituierung von sozialen Problemen geschieht durch Deutungsmuster, die durch „Rahmungen“ (frames) erfolgen.

Deutungsmuster haben vor allem drei Aufgaben: (1) die Eindeutigkeit sozialer Prozesse herzustellen, (2) Entscheidungsprozesse zu beschleunigen und (3) verlässliche Verhaltensregelmäßigkeiten zur Verfügung zu stellen. Deutungsmuster reduzieren eine komplexe Situation auf eine für das Individuum eindeutig erscheinende Situation mit klaren Entscheidungsalternativen. Die Deutung des Problemmusters wird an die Stelle der „Realität“ gesetzt.

Dauerhafte Aufmerksamkeit und Handlungspriorität können nur erhalten bleiben, wenn die Problembeschreibung in der Öffentlichkeit kognitiv nachvollzogen werden kann und das Wertsystem, auf das Bezug genommen wird, allgemein anerkannt ist. Zudem ist der Prozess der Aufmerksamskeitssteuerung weitgehend von unbewussten Relevanzstrukturen geprägt. Von dem Konglomerat der teils unbewussten Motive hängt es ab, ob ein Problemmuster regelmäßig aktiviert wird.

Elemente der Problemkarriere

  1. Ein Name, der das Problem eingängig benennt. Soziale Probleme brauchen einen Namen, der einprägsam ist und in dem die Gefährlichkeit und Inakzeptanz des aufgegriffenen Sachverhalts mitschwingt. Es werden häufig Begriffe gewählt, die implizieren, dass die Betroffenen sich nicht selbst helfen können, sondern der Hilfe anderer bedürfen.
  2. Ein ldentifizierungsschema stellt eine operationalisierte Kurzfassung der Problembeschreibung dar, die die Oberfläche eines Problemmusters bildet. Wenn Menschen im Alltag mit einer Situation, die Handeln erfordert, konfrontiert werden, prüfen sie anhand solcher Schemata, ob der beobachtete Sachverhalt mit einem ihrer Deutungsmuster interpretiert werden kann. Wenn das der Fall ist, wird das dazugehörige Problemmuster aktiviert.
  3. Eine Problembeschreibung besteht neben der Problemdefinition vor allem aus drei Wissensbeständen: Axiomen, begründeten Feststellungen und Kausal-Attribuierungen. Problemdefinitionen beschreiben in Kurzform den thematisierten Gegenstand und enthalten (oftmals) Behauptungen über den moralischen Kontext oder über kausale Ursachen des Problems. Axiome sind Wissensbestände, die als zutreffend vorausgesetzt werden und mit inhalts-analytischen Methoden schwer näher untersucht werden können, da sie nicht argumentativ begründet sind. Leichter zu rekonstruieren sind begründete Feststellungen, für die Belege z B. Statistiken angeführt werden oder die argumentativ aus Axiomen abgeleitet worden sind.
  4. Bewertungsmaßstab und Bewertung. Die Notwendigkeit, warum Staat, Gesellschaft und einzelne Individuen etwas gegen ein Problem unternehmen müssen, ergibt sich aus dem Vergleich zwischen der Problembeschreibung und einem Bewertungsmaßstab. Die Konstituierung eines Themas als soziales Problem kann nur gelingen, wenn der geschilderte Zustand in der Öffentlichkeit als inakzeptabel erscheint. Im Bewertungsmaßstab werden die für das Problem anwendbaren ethischen Entscheidungen oftmals in dichotomer Form festgeschrieben, z. B. ,,gut" gegen ,,böse".
  5. Abstrakte Problemlösungen sind auf die Vermeidung neuer Opfer ausgerichtet, haben also präventiven Charakter.
  6. Konkrete Handlungsanleitungen regeln die unmittelbare Reaktion von Individuen für Situationen, die erfolgreich unter das Deutungsmuster subsumiert werden. Handlungsanleitungen liegen in pauschaler Form vor und müssen nur noch der konkreten Situation angepasst werden. Je nach Ausdifferenzierung des Problemmusters kann es einheitliche oder mehrere unterschiedliche Typen von Handlungsanleitungen geben.
  7. Affektive Bestandteile. Die Emotionalisierung des Problems soll Menschen motivieren, die vom Problem nicht unmittelbar betroffen sind, sich für die „Opfer“ zu engagieren.

Kollektive Akteure

Michael Schetsche unterscheidet acht kollektive Akteure in der Karriere sozialer Probleme:

  1. Betroffene treten als Akteure auf, wenn sie sich selbst als Opfer des Problems deklarieren und in der Gesellschaft Abhilfe für ihre Notlage fordern.
  2. Advokaten, d.h. Personengruppen (z.B. Sozialarbeiter, Rechtsanwälte), die stellvertretend für die Betroffenen deren Lebenslage aus beruflichen oder karitativ-humanitären Gründen als „problematisch“ definieren, sind, ebenso wie Experten, nicht primär an den Interessen der Betroffenen orientiert, sondern gegenüber ihren Mitgliedsorganisationen und deren Interessen verpflichtet
  3. Experten sind VertreterInnnen von Professionen, die die Zuständigkeit für ein soziales Problem für sich reklamieren oder von anderen Akteuren für zuständig erklärt werden. Ihnen wird aufgrund ihrer Profession und Ausbildung (z.B. ProfessorInnen, PsychologInnen, SozialarbeiterInnen) eine besondere Kompetenz bei der Beurteilung eines Problems oder bei dessen Behebung zugesprochen.
  4. Problemnutzer sind politische Parteien oder Verbände, die ein schon bestehendes Problem primär für eigene Interessen instrumentalisieren.
  5. Soziale Bewegungen (z.B. die Frauenbewegung als eine „Multiproblembewegung") sind Konglomerate von mehreren anderen Akteurstypen.
  6. Moralunternehmer meint Akteure, die soziale Probleme als Moralfragen thematisieren.
  7. Massenmedien sind gleichzeitig Akteure und Thematisierungsmedien.
  8. Der Wohlfahrtsstaat als Akteur erhält von der Öffentlichkeit die Erstzuständigkeit der Bekämpfung sozialer Probleme zugewiesen.


Weblinks und Literatur

  • Spector, M., & Kitsuse, J. (1977). Constructing social problems. Menlo Park, CA: Cummings.
What some view as a social problem, others see as a solution.