Schuldprinzip

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Das Schuldprinzip, welches auch als Schuldgrundsatz bezeichnet wird, stellt eine wesentliche Maxime des deutschen Rechtssystems dar und hat laut ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Verfassungsrang. Es beinhaltet, dass jemand nur dann für eine Tat bestraft werden kann, wenn ihm diese auch individuell zuzurechnen und vorzuwerfen ist. Es gibt demnach „keine Strafe ohne Schuld“ (lateinisch: „nulla poena sine culpa“). Das Schuldprinzip umfasst zudem, dass die Höhe der gegen den Täter verhängten Strafe an seiner festgestellten Schuld zu messen ist.

Inhalt des Schuldprinzips

Das Schuldprinzip bildet die Grundlage für das Institut der Strafe im deutschen Rechtssystem. Es hat nicht nur Bedeutung für die Entscheidung darüber, ob jemand für ein rechtswidriges Handeln bestraft wird, auch bei der Bemessung der Strafe für ein solches Handeln ist das Schuldprinzip anzuwenden.

Schuld als Voraussetzung für Strafe

Nach dem Schuldprinzip kann eine Bestrafung für eine rechtswidrige Tat nur dann erfolgen, wenn die individuelle Schuld des Täters festgestellt wurde. Die Tat muss dem Handelnden zuzurechnen und vorzuwerfen sein. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Entscheidung zum „Bewußtsein der Rechtswidrigkeit“ (s. BGHSt 2, 194) ausgeführt, dass der Mensch seine Entscheidungen an das Recht und die gesetzlich vorgeschriebenen Verhaltensweisen anzupassen hat, sobald er die sittliche Reife erlangt hat, um diese selbstbestimmt zu treffen. Schuld ist demnach die Vorwerfbarkeit eines unrechtmäßigen Handelns. Es ist die bewusste Entscheidung des Menschen für das Unrecht in Kenntnis darüber, was Recht und Unrecht ist.

Schuldangemessenheit der Strafe

Liegt ein schuldhaftes Handeln des Täters vor, ist die Höhe der gegen ihn zu verhängenden Strafe nicht nur an der Schwere der Straftat, sondern auch an der festgestellten Schuld zu bemessen. Diesbezüglich ist ein gerechtes Verhältnis herzustellen (s. BVerfGE 6, 389). Der Verstoß gegen das Recht und die darauf folgende Strafe sind aufeinander abzustimmen. Daraus ergibt sich auch, dass die Strafe die Schuld des Täters nicht übersteigen darf. Das Schuldprinzip hat also wie das Übermaßverbot die Funktion der Begrenzung der Strafe inne.

Gesetzliche Grundlagen

Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung von einer Verankerung des Schuldprinzips in Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) aus.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 GG hat die staatliche Gewalt die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Die Abwehrfunktion der Menschenwürde ist im Bereich des Strafrechts von besonderer Bedeutung, da dort höchste Anforderungen an die Gerechtigkeit zu stellen sind. Die Auffassung vom Wesen der Strafe und das Verhältnis von Schuld und Sühne sind an der Menschenwürde zu messen. Jede Verurteilung stellt einen Eingriff in den Wert- und Achtungsanspruch des jeweils Betroffenen dar. Es ergibt sich das Gebot tatangemessener Strafe, welches Teil des Schuldprinzips ist.

In seinem „nulla poena sine culpa“-Urteil (s. BVerfGE 20, 323) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass das Schuldprinzip im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) begründet ist. Dieses ist aufgrund des Art. 79 Abs. 3 GG unabänderlich. Es wird erläutert, dass ein strafrechtlicher Vorwurf immer auch eine strafrechtliche Schuld voraussetzt, da die Strafe sonst eine mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbare Vergeltung für einen Vorgang wäre, den der Betroffene nicht zu verantworten hat. Eine Bestrafung ohne Vorliegen der Schuld stellt eine Verletzung der in Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Eigenverantwortlichkeit des Menschen dar.

Ergänzend dazu, dass das Schuldprinzip aus der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen sowie dem Rechtsstaatsprinzip folgt, hat das Bundesverfassungsgericht dargelegt, dass sich ein gesetzlicher Tatbestand mit dem darin enthaltenen Unrecht und seine Rechtsfolgen aus Gründen der Gerechtigkeit aufeinander beziehen und abgestimmt sein müssen. Aus dem Gebot der Gesetzesbestimmtheit des Art. 103 Abs. 2 GG folgt, dass die gegen eine rechtswidrig und schuldhaft handelnde Person verhängte Strafe gesetzlich normiert und für diese vorhersehbar sein muss (s. BVerfGE 105, 135).

Das Schuldprinzip findet sich neben den aufgeführten Normierungen des Grundgesetzes auch in § 46 Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB) wieder. Grundlage für die Zumessung der Strafe ist demnach die Schuld des Täters. Die Komponente der Schuldangemessenheit der Strafe als Teil des Schuldprinzips wird also im Strafgesetzbuch explizit genannt. Diese bildet die Grundlage zur Ermittlung der gegen den Täter zu verhängenden Strafe in dem gesetzlich vorgegebenen Strafrahmen. § 46 Abs. 2 StGB sieht ergänzend einige Umstände vor, die bei der Zumessung der Strafe in Bezug auf den Täter und die von ihm begangene Tat abzuwägen sind.

Feststellung der Schuld im Strafverfahren

Basierend auf dem Schuldprinzip, welches besagt, dass eine Bestrafung Schuld voraussetzt, müssen dem Täter laut Bundesverfassungsgericht sowohl die Tat als auch seine Schuld nachgewiesen werden (s. BVerfGE 9, 167).

Sieht eine Strafrechtsnorm aufgrund einer besonderen Folge einer Tat eine schwerere Strafe vor (z.B. § 227 StGB – Körperverletzung mit Todesfolge), so muss gemäß § 18 StGB auch die Schuld, hier zumindest eine Fahrlässigkeit des Täters, bezüglich dieser besonderen Folge geprüft werden. Weiter ist in § 29 StGB normiert, dass jeder Beteiligte einer Straftat nach seiner eigenen Schuld bestraft wird. Hierbei kann es sich um einen Mittäter, Anstifter oder Tatgehilfen handeln. Die Schuld jedes Tatbeteiligten ist somit gesondert festzustellen und auch bei der Bemessung der Strafe individuell zu berücksichtigen.

Im Rahmen der Prüfung der Schuld sind weitere Normen zu berücksichtigen, die zu dem Ergebnis führen können, dass dem Täter die Tat nicht vorzuwerfen ist und somit eine Strafe ausschließen. Bei den Normen, die bei Vorliegen zu einer Straffreiheit des Täters führen können, wird zwischen Schuldausschließungsgründen und Entschuldigungsgründen unterschieden.

Schuldausschließungsgründe

Gründe, die die Schuld des Täters für eine rechtswidrige Tat ausschließen können, sind die Schuldunfähigkeit oder der Verbotsirrtum. Einen Sonderfall stellt zudem die actio libera in causa (a.l.i.c.) dar.

Schuldunfähigkeit

Gemäß § 19 StGB ist grundsätzlich schuldunfähig, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist. Dem liegt die unwiderlegliche Vermutung zugrunde, dass eine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit hinsichtlich einer rechtswidrigen Tat bei Kindern nicht gegeben ist.

Für Jugendliche im Alter von vierzehn bis achtzehn Jahren ist in § 3 Jugendgerichtsgesetz (JGG) normiert, dass diese nur dann strafrechtlich verantwortlich sind, wenn sie zur Zeit der Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug sind, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Man spricht von einer bedingten Schuldfähigkeit. Die Schuldfähigkeit des Jugendlichen hat der Richter im Einzelfall festzustellen. Dabei sind die Persönlichkeit und die Entwicklung des Jugendlichen sowie die Umstände der konkreten Tat zu berücksichtigen. Gegen Kinder und strafrechtlich nicht verantwortliche Jugendliche können somit keine Strafen verhängt, ihnen können lediglich Maßnahmen nach dem Sozialgesetzbuch zur Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) oder Erziehungsmaßnahmen des Familiengerichts auferlegt werden.

Eine Schuldunfähigkeit kann im Strafrecht gemäß § 20 StGB auch bei Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, bei Schwachsinn oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit festgestellt werden, wenn der Täter aufgrund einer solchen Krankheit das Unrecht der Tat nicht einsehen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Ob ein solcher Schuldausschließungsgrund vorliegt, hat das Gericht in einer zweistufigen Prüfung, die sich aus dem Aufbau des § 20 StGB ergibt, festzustellen. Dabei wird meist durch einen gesondert beauftragten Gutachter zunächst das Vorliegen einer seelischen Störung zur Tatzeit und anschließend der Einfluss dieser Störung auf die Einsicht des Täters bzw. dessen Handeln hinterfragt.

Neben der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB sieht das Strafgesetzbuch in § 21 StGB auch eine verminderte Schuldfähigkeit vor, wenn die Fähigkeit der Einsicht des Täters aufgrund einer in § 20 StGB aufgeführten seelischen Störung gemindert ist. Die reguläre Strafe kann dann gemildert werden. Zudem können Maßregeln der Besserung und Sicherung (s. §§ 61 ff. StGB) angeordnet werden, wenn festgestellt wird, dass jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Diese Maßregeln dienen dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren rechtswidrigen Handlungen des Täters, wenn dieser als gefährlich eingestuft wird.

Verbotsirrtum

Gemäß § 17 S. 1 StGB handelt ein Täter ohne Schuld, wenn ihm bei der Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, fehlt und er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat dazu in seinem Urteil zum „Bewusstsein der Rechtswidrigkeit“ (s. BGHSt 2, 194) ausgeführt, dass sich jemand in Unkenntnis über die Existenz einer Norm nicht gegen das Unrecht entscheiden kann. Allerdings kann von jedem Teilnehmer der Rechtsgemeinschaft erwartet werden, dass er sein eigenes Handeln prüft, an seinem Gewissen misst und entsprechende Rechtsunsicherheit beseitigt. Wenn der Täter unter diesen Umständen das Unrecht seines Handelns hätte erkennen können, ist die Schuld nicht ausgeschlossen. Die Strafe kann jedoch gemäß § 17 S. 2 StGB gemildert werden.

Sonderfall actio libera in causa (a.l.i.c.)

Das Rechtskonstrukt der a.l.i.c. ist umstritten und wurde auch in der Rechtsprechung noch nicht abschließend bewertet. Es stellt einen rechtlichen Sonderfall dar, in dem sich der Täter bewusst in den Zustand der Schuldunfähigkeit, beispielsweise durch übermäßigen Konsum von Alkohol oder Betäubungsmitteln, versetzt, um dann eine Straftat zu begehen. Kann dem Täter dieses Vorgehen nachgewiesen werden, so wird ein schuldhaftes Handeln des Täters angenommen und §§ 20, 21 StGB greifen nicht. Ergänzend kann auch § 323a StGB (Vollrausch) herangezogen werden.

Entschuldigungsgründe

Neben den Schuldausschließungsgründen sieht das Strafgesetzbuch in § 33 und § 35 Entschuldigungsgründe vor.

Entschuldigender Notstand

Der entschuldigende Notstand ist in § 35 StGB normiert. Demnach handelt derjenige ohne Schuld, der in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden. Kann dem Handelnden die Gefahr jedoch zugemutet werden, so wird ein schuldhaftes Handeln angenommen. Das Gesetz sieht allerdings vor, dass die Strafe entsprechend gemildert werden kann.

Notwehrexzess

Einen weiteren Entschuldigungsgrund stellt der Notwehrexzess gemäß § 33 StGB dar. Die Notwehr, hierbei handelt es sich im Gegensatz zum Notwehrexzess um einen Rechtfertigungsgrund, ist in § 32 StGB geregelt. § 32 Abs. 2 StGB definiert, dass Notwehr eine Verteidigung ist, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Überschreitet die sich oder einen Anderen verteidigende Person die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird diese laut § 33 StGB nicht bestraft.

Weitere Entschuldigungsgründe

Neben dem entschuldigenden Notstand und dem Notwehrexzess kann auch ein Handeln aufgrund eines dienstlichen Befehls, so z.B. bei Soldaten oder Vollzugsbeamten, einen Entschuldigungsgrund darstellen. Analog zu § 35 StGB kann zudem ein übergesetzlicher entschuldigender Notstand angenommen werden.

Literatur

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  • Theune, Werner in: Laufhütte, Heinrich Wilhelm; Rissing van Saan, Ruth; Tiedemann, Klaus (2006): Strafgesetzbuch – Leipziger Kommentar, Zweiter Band, §§ 32 bis 55
  • Weber, Klaus (2014): Rechtswörterbuch

Weblinks