Panoptismus

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Panoptismus ist eine politische Technik zur sozialen Kontrolle.


Historische Herleitung

"parzellierende Disziplin"

Die „parzellierende Disziplin“ ist dem mittelalterlichen Umgang im Falle einer Pest Epedemie entlehnt. Eine Stadt wird im Falle der Pest auf die kleinsten Bestandteile (einzelnen Haushalte) parzelliert, um eine Ansteckung und Ausbreitung der Pest zu verhindern. Diese Zerfaserung des Großen und Unübersichtlichen in kleine und überschaubare Teile birgt überhaupt erst die Möglichkeit, den einzelnen analytisch zu erfassen und mittels "ausschließender Dualismus" zu stigmatisieren. Die parzellierende Disziplin soll Ordnung in das Chaos der ineinander verstrickten Vielfältigkeit bringen.


"ausschließender Dualismus"

Der zweite Bestandteil, der "ausschließender Dualismus" wurde bei Leprakranken etc. angewendet. Der Gesellschaftskörper wird nach beliebigen Kriterien sortiert wie z.B. gesund – krank. Wie zum Beispiel im Falle der Lepra Erkrankten welche vor die Stadtmauern verbannt und aus dem Gesellschftskörper ausgeschlossen wurden. Die entsprechenden Aspekte, nach denen Einschluss und Ausschluss erfolgen, sind dabei theoretisch beliebig und unterliegen auch einem steten kontingenten Wandel. Das Aufteilen in kleinst mögliche Letztelemente macht eine Überwachung möglich, wobei die Kriterien der dualistischen Ausschließung festlegen was genau überwacht werden soll.

Beides sind politische Techniken zur Sozialen Kontrolle.

Architektonische Metapher

Panopticon

Panoptismus leitet sich aus einem architektonischen Entwurf, von Jeremy Bentham, entstanden Anfang des 19 Jhd, für eine Kosten-Nutzen effiziente Disziplinierungsanstalt ab. Dieser architektonisch nie verwirklichte Entwurf wurde 1975 von M. Foucault in seinem Buch „Überwachen und Strafen“ als Ordnungsprinzip westlich - liberaler Staaten auf die Gesellschaft übertragen. Das Panopticon dient ihm hierbei als Metapher, um das Wirken der Disziplinarmacht zu veranschaulichen.

Die Disziplinierungsanstalt Panopticon gliedert sich zum einen in ringförmig angeordnete Zellen und zum anderen in den sich im Mittelpunkt befindlichen Kontrollturm. Hierbei ist zu beachten, dass die Gefangenen keine Möglichkeit haben, sich untereinander zu sehen oder in irgend einer weise zu kommunizieren. Des Weiteren ist für sie der Kontrollturm uneinsehbar. Vom Kontrollturm aus können alle Zellen jederzeit eingesehen werden und theoretisch kann der Aufseher in dem Turm durch ein über ihm liegendes Stockwerk von einem weiteren Aufseher wiederum kontrolliert werden usw. Der entscheidende Gedanke hierbei ist, dass der Insasse stets Objekt einer Information ist, aber nie Subjekt in einer Kommunikation. Obwohl die Überwachung sporadisch sein kann, ist sie doch durch ihre Uneinsehbarkeit allgegenwärtig.

Das Besondere an der Funktion des Panopticon´s ist es durch seine bloße Architektur ein Machtverhältnis, welches zur Disziplinierung führen soll, einmalig herzustellen und zu den geringst möglichen Kosten aufrecht zu erhalten. Die Insassen selbst internalisieren das Machtverhältnis, dem sie pausenlos und lückenlos ausgesetzt sind und spielen die herrschende Macht gegen sich selbst aus.

Gesellschaftliche Übertragung

Das große Probleme der Überwachung ist „finanzieller“ Natur. Wo die Parzellierung die Möglichkeit einer lückenlosen, allumfassenden Überwachung verschafft, ist ihre tatsächliche Durchführung mit erheblichem Aufwand verbunden. Zu sagen ist, dass die lückenlose Überwachung des gesamten Gesellschaftskörpers eher eine 'Wunschvorstellung' ist, die aber in ihrer endgültigen Form nicht realisiert werden kann. Aber es reicht bereits, dass das Subjekt weiß, dass es immer überwacht werden kann. Daher muss sichergestellt werden, dass die Überwachung für den Überwachten nicht sichtbar ist. Nur so lässt sich ein Zustand schaffen, in dem das Subjekt sich immer beobachtet fühlt, ohne dass diese Beobachtung tatsächlich immer stattfinden muss.

Die Synthese dieser drei Mechanismen (parzellierende Disziplin, ausschließender Dualismus, Überwachung) zu einer Disziplinierungstechnologie bezeichnet Foucault als Panoptismus.

Diese Technologie hat zum Ziel, das Feld der Macht und die Beziehungsgeflechte der enthaltenen Subjekte in gewünschter Form zu strukturieren. Es handelt sich hier nur um eine Spielart der Macht, die die soziale Wirklichkeit prägt und strukturiert. Prägen und Strukturieren sind hier nicht absolut, also deterministisch gemeint, sondern sind in ihrer Wirkung und Reproduktion immer noch abhängig vom Einzelnen und unterliegen stetigem, kontingentem Wandel. Einmal in einer Institution manifestiert, sorgen gerade die Mechanismen der kontingenten Reproduktion für eine Verbreitung und Verflechtung der Überwachung und somit zur Disziplinierung des Gesellschaftskörpers, über die Grenzen einzelner Institutionen hinaus. Die im Gesellschaftskörper enthaltenen Subjekte internalisieren diesen Zustand der ständigen möglichen Überwachung und verhalten sich dementsprechend. Doch es ist in den betreffenden westlich industrialisierten Ländern, in diesem Falle speziell Deutschland, das Ziel, die Subjekte durch die Disziplinierung innerhalb gewisser Grenzen zu normieren und Abweichung zu minimieren. Dadurch soll die produktive Kraft des Einzelnen gesteigert und seine politische Kraft gesenkt werden. Diese Idee von Macht (Disziplinarmacht) unterscheidet sich grundsätzlich von der repressiven Macht des Souveräns und einer Macht-Konzeption Webers. Die Disziplinarmacht ist eine produktive Macht, da sie primär die Leistungsfähigkeit der ihm ausgesetzten Subjekte erhöhen soll.

Auch wenn das Panoptikon als solches nicht existiert, sieht Foucault die grundsätzlichen Mechanismen in Institutionen verwirklicht z.B. in Fabriken:

Die Belegschaft wird, orientiert an den Arbeitsabläufen, parzelliert und mangelnde Produktivität bestraft. Die Überwachung realisiert sich bereits, aufgrund der aufeinander folgenden Arbeitsschritte, durch die eigenen Kollegen.

Ein weiteres Merkmal ist die Ausweitung über die Institutionen hinaus. So wird z.B. über die Schule auch die Familie der Schüler überwacht. Des Weiteren findet auch eine Verkettung zwischen den Institutionen statt wie z.B. Leistungen in der Schule per Zeugnis an die Fabrik geknüpft wird oder Mitbürger, Schule und Jugendamt an der Überwachung der Familie beteiligt sind. So wird praktisch jeder in der Gesellschaft je nach aktuell variierender Situation und Rolle zum anonymen Überwacher. Die ständige, austauschbare, anonyme und uneinsehbare Überwachung im Gesellschaftskörper ersetzt die starre und lokal begrenzte Architektur des Panoptikons (vgl. Panoptikum).

Weiterführende Links

[1] Kleine Flashanimation, die eher die technische Seite von Überwachungstechniken zeigt.

[2] Weiterführende theoretische Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex rund um Panoptismus.

Quellen

Michél Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Suhrkamp, Auflage 10, 1994