Operative Fallanalyse

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Die Operative Fallanalyse ist eine Methode der Rekonstruktion des Tathergangs zwecks Ermittlung des unbekannten Täters. Dabei wird der Kriminalfall in seine einzelnen Bestandteile zergliedert und dann einer bestimmten methodischen bzw. systematischen Untersuchung unterzogen. Im Gegensatz zu einer strategischen Auswertung ist die „Operative Fallanalyse“ aber unter kriminalistischen Gesichtspunkten auf den Einzelfall bezogen und strebt nicht nach allgemeingültigen Aussagen.

Die „Operative Fallanalyse“ befasst sich u.a. mit folgenden Fragen:

  • WAS hat sich WANN WIE zugetragen?
  • WARUM hat es sich auf die erkennbare Weise zugetragen?

Diese Fragen dienen als Zwischenschritte für die Annäherung an die entscheidende Frage, WER die Tat begangen haben könnte.

Während die Beantwortung der erste Frage klassisch kriminalistische Arbeit voraussetzt, begegnen sich bei der zweiten Frage Kriminalistik und Kriminologie. Denn gerade mit der Frage nach dem „Warum?“ befasst sich auch die Kriminologie.

Definitionen

Der Begriff Operative Fallanalyse wurde gewählt, um zu verdeutlichen, dass sich die darunter zu verstehenden Methoden auf den einzelnen Kriminalfall beziehen und bei der operativen Fallbearbeitung unterstützend wirken sollen: „Im Bereich der deutschen und der internationalen Verbrechensbekämpfung (INTERPOL) existierten bereits die Begriffe „Kriminalitätsanalyse“ (im Sinne der „strategischen Kriminalitätsanalyse“) sowie „operative Kriminalitätsanalyse“. Bei ersterer geht es vor allem um die Analyse von Kriminalitätsphänomenen und Kriminalitätsentwicklungen, die über den Einzelfall hinaus reichen. Bei letzterer geht es vor allem um die Analyse von Großverfahren (beispielsweise im Bereich der Wirtschaftskriminalität). Deshalb wurde zur Abgrenzung davon für die im Folgenden beschriebenen verschiedenen Arbeitsmethoden, die alle dem besseren Verständnis des einzelnen Kriminalitätsfalles dienen, der Oberbegriff „Operative Fallanalyse (OFA)“ gewählt.“ [BKA 2004]

Der Begriff der „Operativen Fallanalyse“ vereinigt als Oberbegriff die verschiedenen fallanalytischen Methoden (z.B. Fallanalyse, Täterprofilerstellung) und computerunterstützte Werkzeuge (z.B. ESPE, ViCLAS) unter sich. „Operative Fallanalyse“ ist auch zugleich die Bezeichnung für die Organisationseinheiten bei den Landeskriminalämtern (Ausnahme Bayern, dort dem Polizeipräsidium München angegliedert) und dem Bundeskriminalamt (BKA), welche die fallanalytischen Verfahren anwenden.

ViCLAS (Violent Crime Linkage Analysis System)

„Analyse-System zum Verknüpfen von (sexuellen) Gewaltdelikten (Sexualdelikte) in Deutschland“ ViCLAS ist eine Datenbank, die ein Hilfsmittel für speziell ausgebildete Polizeibeamte darstellt, um Tat-Tat- bzw. Tat-Täter-Zusammenhänge aufgrund des vom Täter gezeigten Verhaltens, erkennen zu können. ViCLAS wurde speziell für Fälle der sexuell motivierten Gewaltdelikte konstruiert. Mittels des 168 Fragen umfassenden ViCLAS-Bogens sollen die entsprechenden Delikte sinnvoll strukturiert und wiedererkennbar abgebildet werden. ViCLAS bedient sich dabei der Hilfsmittel der Abstraktion und der Reduktion auf das Wesentliche, überwiegend über Multiple-Choice-Felder.

ESPE (Experten- und Spezialistendatei)

Diese beim BKA geführte Datei hilft bei der Findung von Spezialisten für alle denkbaren Fragestellungen, deren Beantwortung bei der Bearbeitung eines Kriminalfalles von Bedeutung sein können.

GEOFAS (Geografisches-Fallanalyse-System)

Spezielle Softwaresysteme, die bei der Bearbeitung von geografischen Fallanalysen zum Einsatz kommen können. Auf der Basis von Wahrscheinlichkeiten werden Berechnungen erstellt, die Aussagen zu möglichen örtlichen Bezügen des Täters erlauben sollen. Hierzu bedarf es mindestens fünf unterschiedlicher Handlungsorte des Täters [Dern et al. 2003, S. 8].

Crime

Hierbei handelt es sich um ein Computerprogramm, welches sämtliche Straftaten in einem bestimmten Raum (Stadt Hamburg, Hamburg-St.Pauli, Postleitzahlenbereiche, etc) abspeichert und in Kartenform präsentiert. Auf der Landkarte werden die jeweiligen Tatorte gekennzeichnet sowie das Datum und die Art des Delikts. Durch Eingrenzungen in Bezug auf die Straftat und den Zeitpunkt kann man sich zum Beispiel alle Vergewaltigungen im Jahr 2007 für das Postleitzahlengebiet 22527 anzeigen lassen. Über die einzelnen Markierungen können außerdem die Einzelheiten des jeweiligen Falls aufgerufen werden.

Fallanalyse

„Bei der Fallanalyse handelt es sich um ein kriminalistisches Werkzeug, welches das Fallverständnis bei Tötungs- und sexuellen Gewaltdelikten sowie anderen geeigneten Fällen von besonderer Bedeutung auf der Grundlage objektiver Daten und möglichst umfassender Information zum Opfer mit dem Ziel vertieft, ermittlungsunterstützende Hinweise zu erarbeiten.“ [Dern et al. 2003, S. 3]

Täterprofil

„Täterprofilerstellung ist ein Verfahren, bei dem ein unbekannter Täter hinsichtlich seiner Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale so beschrieben wird, dass er von anderen Personen signifikant zu unterscheiden ist. Das Täterprofil ist eine fallanalytisch hergeleitete Tätertyp-Hypothese. Sie umreißt die Kategorie Mensch, die als Akteur für die Handlungen, die im Rahmen des Tatgeschehens gesetzt wurden, in Frage kommt.“ [Dern, S. 538]


Profiling in der Vergangenheit / Historie

Sofern man den Begriff des Profilings insbesondere mit der Erstellung von (biologischen) Täter- bzw. Menschentypologien in Verbindung bringt, dann scheinen Versuche in diese Richtung bereits sehr früh erkennbar zu sein. So soll der griechische Philosoph Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) bereits eine Sammlung von bestimmten Gesichtsformen, denen verschiedene Charaktertypen entsprechen sollen, gehabt haben [Hoffmann / Musolff 2000, S. 55]. Wenn man jedoch psychologische Charakterisierung und analytische Vorgehensweise als Kriterien des Profilings zugrunde legt, so wird man in der Literatur immer wieder mit den gleichen Namen konfrontiert.
So soll Dr. Thomas Bond 1888 ein erstes psychologisches Profil über den bis heute unbekannten Täter, genannt „Jack the Ripper“, erstellt haben [Fink, S. 209]. 1930 wurde das vermutlich erste bekannte Täterprofil in Deutschland in einer Sonderausgabe des „Deutschen Kriminalpolizei-Blattes“ publiziert [Hoffmann / Musolff 2000, S. 35]. Gesucht wurde der Serienmörder Peter Kürten.
1943 erhielt der Psychiater Dr. Walter C. Langer vom US-amerikanischen Militärgeheimdienst OSS (Office of Strategic Services – Vorläufer des CIA) den Auftrag, ein Persönlichkeitsprofil von Adolf Hitler zu fertigen. Da in diesem Fall nicht ein unbekannter Täter beschrieben, sondern insbesondere das (bei einer Kriegs-Niederlage) zu erwartende Verhalten einer bekannten Person prognostiziert werden sollte, ist dieses Profil von anderen Täterprofilen (besonders nach heutiger Definition) zu unterscheiden [Holmes / Holmes, S. 25 ff].
Der amerikanische Psychiater James A. Brussels hat u.a. in den 50er Jahren ein Persönlichkeitsprofil über den New Yorker „Mad Bomber“ und in den 60er Jahren zusammen mit anderen Psychologen und Psychiatern über den „Würger von Boston“ erstellt [Fink, S. 209/210].

Für das, was man heute unter Fallanalyse/Täterprofilerstellung versteht, dürften am ehesten die Entwicklungen der letzten 30 bis 40 Jahre verantwortlich sein. Nur zusammenfassend genannt werden an dieser Stelle beispielsweise die Gründung der Behavioral Science Unit (BSU) beim Federal Bureau of Investigation (FBI) in den 1970er Jahren mit ihren (wenn auch heute kritisch betrachteten) Forschungsprojekten, die zu der Erkenntnis führten, dass unterschiedliche Tätertypen bzw. –persönlichkeiten unterschiedliche Tatorte hinterlassen. Diese Erkenntnis kann als Beginn der „crime scene analysis“ (Tatortanalyse) angesehen werden, die sich dann im Laufe der Zeit in den fallanalytischen Ansatz, so wie er heute in Deutschland praktiziert wird, weiterentwickelt hat.
In den 1980er Jahren erfolgte dann die Entwicklung von VICAP durch das FBI und in den 1990er Jahren die Weiterentwicklung zu ViCLAS durch die Royal Canadian Mounted Police (RCMP).

Erste Erfahrungen mit dem US-amerikanischen Modell des Profilings wurden in Deutschland seit den 1980er Jahren im BKA gesammelt.
Am 05.02.1998 wurde dann offiziell beim BKA die OFA, so wie sie heute auch in jedem Bundesland existiert, gegründet und seit dem 07.06.2000 befindet sich ViCLAS im bundesweiten Wirkbetrieb.

Zusammenhänge mit anderen Begriffen

Bei den fallanalytischen Verfahren handelt es sich um relativ neue Methoden, die ihren Ursprung überwiegend im englischsprachigen Raum haben. Aus diesem Grund wurden insbesondere anfangs in Deutschland sehr unterschiedliche und auch synonym gebrauchte Begriffe nebeneinander verwandt. An dieser Stelle seien nur einige beispielhaft aufgeführt: Profiling, Criminal Profiling, Crime Scene Analysis / Profiling, Criminal Investigative Analysis, Offender Profiling, Criminal Personality bzw. Behaviour Profiling, Crime Behavioural Analysis, Tatortanalyse, Tathergangsanalyse, etc. Um jedoch einen einheitlichen (polizeilichen) Sprachgebrauch zu gewährleisten, wurden die zu verwendenden Begriffe eindeutig festgelegt. Bei den im folgenden aufgeführten Begriffen handelt es sich um solche, die immer wieder in Zusammenhang mit dem „Profiling“ bzw. der „Operativen Fallanalyse“ gebracht werden:


Cold case management

Unter „cold case management“ versteht man das erneute Aufrollen eines ungeklärten, länger zurückliegenden (in aller Regel Tötungs-) Deliktes, mit dem Ziel, durch eine Fallanalyse (bzw. ein Täterprofil) neue Ermittlungsansätze gewinnen zu können.

DNA/DNS (=Desoxiribonukleinsäure)

Bei DNA-Analysen wird der nicht-codierte Bereich der menschlichen Genstruktur mit dem Ziel der Identifizierung einer Person untersucht.
Auftrag einer Fallanalyse kann es auch sein, ein Raster (insbesondere Altersstruktur, Vorstrafen, geografische Parameter) für eine Massen-DNA-Untersuchung/ Massengentest zu erarbeiten.

Geografische Fallanalyse

„Die Anwendung dieser speziellen Methode erfordert besonders ausgebildete und entsprechend technisch ausgestattete Fallanalytiker. Geografische Fallanalysen dienen dazu, basierend auf der Analyse des räumlichen Verhaltens des Täters, Aussagen zu seinen möglichen örtlichen Bezügen (Ankerpunkte) abzuleiten, um die Ermittlungen auf die so priorisierten Örtlichkeiten zu fokussieren und dadurch zu ökonomisieren. Geografische Fallanalysen können bei Tatserien oder schwerwiegenden Einzeldelikten mit mehreren Handlungsorten durchgeführt werden.“ [Dern et al. 2003, S. 7]

Handschrift

Unter der Handschrift sind, vereinfacht ausgedrückt, alle Handlungen zu verstehen, die über die rein notwendigen i.S.d. Modus operandi hinausgehen. Die Literatur spricht in aller Regel von Handschrift erst, wenn sie sich über mehrere Taten hinweg erkennen lässt. Bei einer einmaligen Feststellung werden diese Handlungen als Personifizierung bezeichnet.
Im OFA-Sprachgebrauch wird jedoch auch schon bei einem einmaligen Auftreten dieser Handlungen von Handschrift gesprochen. Handschrift und Personifizierung werden auch schon mal Verhaltensfingerabdruck genannt, da sie als relativ individuell und konstant gelten.

Investigative Psychology

Der Begriff der Investigative Psychology lässt sich mit Ermittlungspsychologie übersetzen und ist fest mit dem Namen David Canter, Professor für Psychologie an der University of Liverpool, verknüpft.
„Der Lehrstuhl für Ermittlungspsychologie an der britischen Universität Liverpool vertritt einen konsequenten empirischen, theoriegeleiteten, streng verhaltensorientierten Ansatz. Neben aufwendigen statistischen Methoden bilden zahlreiche Konzepte aus der Psychologie, etwa aus der kognitiven Theorie, Persönlichkeitstheorie, Verhaltens- und Sozialpsychologie eine wichtige Grundlage für die ausgefeilten wissenschaftlichen Untersuchungen.“ [Musolff / Hoffmann, S. 18]

Modus operandi

Der Modus operandi bezeichnet die Begehungsweise, also die „Art und Weise der Begehung von Straftaten und anderen kriminalistisch relevanten Handlungen“ [Kriminalistik Lexikon]. Grundsätzlich werden unter dem Modus operandi alle Handlungen verstanden, die der Verschleierung der Identität, der Zielerreichung der Straftat und der erfolgreichen Fluchtermöglichung dienen [Hazelwood / Warren, S. 134].

Proaktive Strategie

„Mit sogenannten proaktiven Strategien wird der Versuch unternommen durch die gezielte Veröffentlichung von Informationen – beispielsweise in Massenmedien – einen unbekannten Täter zu gewünschten Handlungen zu verleiten beziehungsweise von unerwünschten Verhaltensweisen abzuhalten.“ [Hoffmann / Musolff 2000, S. 19]

Rasterfahndung

Unter Rasterfahndung versteht man den „durch EDV unterstützten Dateiabgleich, der besser als systematisierte Fahndung bezeichnet wird“ [Kriminalistik Lexikon].

Der Begriff der Rasterfahndung wird insbesondere seit den Terroranschlägen des 11. September mit der „Operativen Fallanalyse“ in Verbindung gebracht, da durch die Fallanalytiker des BKA ein „Täterprofil Schläfer“ als Grundlage für eine Rasterfahndung erarbeitet wurde.

Serienmörder

Eine allgemeingültige Definition für den Serienmörder existiert nicht, vielmehr variieren die Beschreibungen je nach Untersuchungsgegenstand.
Auch ist der Begriff des Serienmörders entgegen landläufiger Meinungen nicht untrennbar mit der Fallanalyse verbunden, wie schon Harald Dern / BKA bemerkte [Dern, S. 533].

Vergleichende Fallanalyse

„Bei der vergleichenden Fallanalyse wird die Frage signifikanter Übereinstimmungen zwischen mehreren Fällen geprüft, mögliche Abweichungen bewertet und eine Aussage darüber getroffen, ob die entsprechenden Taten aus fallanalytischer Sicht einer Person oder Personengruppe zugeordnet werden können.“ [Dern et al. 2003, S. 6]

Vernehmungsstrategie

Hierunter versteht man „eine effiziente, den Eigenarten des Täters [Anm. der Autorin: des Tatverdächtigen] angepasste Befragung, welche zu dessen Überführung oder aber Entlastung führen kann.“ [Meyer]
„[Fallanalytisch fundierte Vernehmungsstrategien] haben das Ziel, von dem Tatverdächtigen möglichst viele relevante Informationen zu erhalten und – falls möglich – den Täter zu einem Geständnis zu bringen. Aber auch für die Befragung von Vergewaltigungsopfern wurden Strategien entwickelt, um möglichst schonend Angaben zu erhalten, die für eine Fallanalyse oder ein Täterprofil von Bedeutung sind.“ [Hoffmann / Musolff 2000, S. 19/20]

Versionsbildung

Eine bestimmte Art der fallanalytischen Methode, die sich bereits seit den 1970er Jahren in der DDR und anderen ehemaligen Ostblockstaaten im Einsatz bewährt hat.

„Die Theorie und Praxis der Arbeit mit kriminalistischen Versionen wurde besonders durch die sowjetische Kriminalistik entwickelt. Mit der Bildung von Versionen werden hypothetische Verfahren zur Erkenntnis neuer Bereiche der Wirklichkeit auf der Grundlage von begründeten Annahmen und ihrer Überprüfung angewandt. Die Bildung von Untersuchungsversionen ist eine kriminalistische Methode zur Lösung von Problemsituationen, bei der mittels einer durch Tatsachen begründeten hypothetischen Annahme die Konzeption für den weiteren Gang der Untersuchung (Untersuchungstaktik) zur Realisierung eines konkreten Untersuchungsziels bestimmt wird.
(...)
D.h., dass das vorhandene Informationspotential über die Straftat und ihre Umstände nicht ausreicht, um ein bestimmtes Untersuchungsziel zu erreichen. Es wird deshalb mit begründeten Annahmen gearbeitet, die die theoretische Grundlage für die Durchführung der weiteren Untersuchungen sind. Damit liefert die Version eine begründete Konzeption für den weiteren Gang der Untersuchung.“ [Wörterbuch der sozialistischen Kriminalistik]

Mit der Aufstellung von Versionen wurden auf diese Weise Wahrscheinlichkeitsaussagen insbesondere zur Tatbegehung und Täterpersönlichkeit getroffen [Hoffmann / Musolff 2000, S. 50].


Zusammenhänge in der materiellen Realität

Mit dem Begriff des Profilings verbindet jeder seine eigenen Vorstellungen. Doch diese Vorstellungen, häufig geprägt durch reißerische Medienberichterstattung, die Unterhaltungsbranche, aber auch die „Selbstbeweihräucherungs-Publikationen“ ehemaliger Profiler, weichen teilweise erheblich von den tatsächlichen Gegebenheiten im Zusammenhang mit der Operativen Fallanalyse ab.

„Polizeiliche Fallanalytiker sind keine Hellseher, Kaffeesatz- oder Kristallkugelleser, sondern engagierte, erfahrene und spezialisierte Beamtinnen und Beamte, die sich bei ihrer Tätigkeit an den Grundsätzen von Objektivität, Seriosität und Professionalität orientieren, um die Arbeit der Verantwortlichen vor Ort nach Kräften zu unterstützen.“ [Danner, S. 130]

„Tatortanalyse und Profiling, wie sie in den OFA-Abteilungen der Landeskriminalämter und des BKA betrieben werden, erheben weder den Anspruch, Wissenschaft zu sein, noch darf man sie als Kaffeesatzleserei abqualifizieren. Es handelt sich um ausgeruhte Polizeiarbeit auf hohem Niveau. Die Profiler arbeiten mit Häufigkeiten und Wahrscheinlichkeiten, ihre Erkenntnis speist sich aus den Erfahrungen polizeilicher Ermittler und wird durch das Spezialwissen diverser Sachverständiger, die von den OFAs nach Bedarf hinzugezogen werden, angereichert. So entsteht ein gut ausgerüsteter kriminalistischer Werkzeugkoffer.“ [Rückert]

Die Fallanalyse stellt somit ein Hilfsmittel der polizeilichen Ermittlungstätigkeit dar, neben vielen anderen (z.B. DNA-Analytik, Spurentechnik) und ersetzt keinesfalls die normale kriminalistische Ermittlungstätigkeit.
Deshalb: Mit Fallanalyse alleine löst man keine Fälle und fängt keine Täter.

In der Realität sieht es so aus, dass Fallanalysen in Deutschland im Team-Ansatz bearbeitet werden, d.h. mindestens drei ausgebildete Fallanalytiker arbeiten zusammen an einem Fall [Dern et al. 2003, S. 3]. Man bedient sich hierbei der Synergieeffekte der Kleingruppe.
Die „Operative Fallanalyse“ versteht sich zudem als multidisziplinärer Arbeitsbereich, deshalb spielen gerade Disziplinen wie Medizin (Rechtsmedizin), Biologie (DNA, Bodenanalysen, Insektenkunde) oder die Psychologie eine bedeutende Rolle. Wenn es erforderlich ist, werden Experten aus diesen Bereichen an der Fallanalyse beteiligt.
„Grundsätzlich ist die Durchführung einer Fallanalyse, also die Rekonstruktion des Einzelfalles auf Vortatphase, eigentliche Tatphase und Nachtatphase sowie die Analyse von Täter- und Opferverhalten anhand objektiver Befunde klassische kriminalistisch-kriminologische Arbeit und fällt somit in die Fachkompetenz erfahrener Kriminalbeamte/innen.“ [Danner, S. 129]


Beispiel des Hamburger LKA zum geografischen Ansatz

Zum Zeitpunkt der Fußball-WM in Deutschland 2006 kam es in den frühen Morgenstunden im Bereich eines S-Bahnhofs zu einer überfallartigen sexuellen Nötigung. Es gab keine Zeugen und keine Hinweise auf die Person des Täters, der kaum körperliche Gewalt angewendet hatte. Das Opfer befand sich auf dem Weg zur Arbeit als es zu dem Übergriff kam.

Meist gehen einer solchen sexuellen Überfalltat andere Straftaten voraus, die jedoch nícht im sexuellen Bereich liegen müssen. Da auf Grund der Abgelegenheit des Tatorts außerdem davon ausgegangen wurde, dass der Täter aus dem näheren Umfeld kam, wurde eine bestimmte Altersklasse aller dort wohnhaften männlichen Personen mit mindestens einer Vorstrafe untersucht. Das Ergebnis waren knapp hundert Verdächtige, denen man jedoch allesamt nichts nachweisen konnte.

Als es zu einer weiteren Überfalltat in der Nähe kam, bei der es sich offensichtlich um den gleichen Täter handelte, konnte der Ansatz etwas verändert werden. Der Täter hatte gegenüber der Frau erwähnt, dass er ein 18 Monate altes Kind hat. Nun wurden über das Einwohnermeldeamt aus dem Postleitzahlengebiet des Tatorts und dem angrenzenden Gebiet alle Kinder dieser Altersgruppe ermittelt und tatsächlich konnte darüber der Täter gefunden werden.

Ein weiterer Ansatz war die Tatsache, dass der Täter eine volle Bierflasche bei sich hatte. Es wurde davon ausgegangen, dass es sich dabei um kaltes (frisches) Bier handelt, da niemand gern warmes Bier trinkt. Das bedeutet jedoch, dass es erst kurz vor der Straftat gekauft worden sein konnte, da es bei langem Transport (im Sommer) andernfalls viel zu warm wäre. Zu der Tatzeit waren noch nicht sehr viele Tankstellen in der Umgebung geöffnet und tatsächlich hatte man den Täter an einer der Tankstellen beim Kauf des Bieres gesehen.

(Aus Schutz vor Missbrauch solcher Darstellung handelt es sich nur um eine sehr oberflächliche Schilderung der polizeilichen Arbeit. So kann die Arbeit jedoch zumindest ein wenig veranschaulicht werden.)


Literatur

  • Ackermann, Rolf (2010) Kriminalistische Fallanalyse. Hilden: Polizeiverlag.
  • Bundeskriminalamt, Hg. (1998)Methoden der Fallanalyse. Ein internationales Symposium; BKA-Forschungsreihe, Band 38.1, Wiesbaden.
  • Bundeskriminalamt, Hg. (2009) Die operative Fallanalyse in der Hauptverhandlung. Wiesbaden.
  • Burghard, Waldemar / Hans Werner Hamacher / Horst Herold / Horst Howorka / Edwin Kube / Manfred Schreiber / Alfred Stümper (Hrsg.): Kriminalistik Lexikon, 3. Auflage / 1996, Kriminalistik Verlag, Heidelberg [Kriminalistik Lexikon]
  • Hoffman, Jens / Cornelia Musolff: Fallanalyse und Täterprofil; BKA-Forschungsreihe, Band 52, Wiesbaden 2000 [Hoffmann / Musolff 2000]
  • Danner, Klaus: OFA – Die neue Wunderwaffe? Eine (kritische) Betrachtung über Erfahrungen und Probleme beim Aufbau der Operativen Fallanalyse (OFA) in Baden-Württemberg; Die Kriminalpolizei, Heft 4/00, S. 126-130 [Danner]
  • Dern, Harald: Operative Fallanalyse bei Tötungsdelikten. Oder: Eine notwendige Abgrenzung zum „Täter-Profiling“; Kriminalistik 8/00, S. 533-541 [Dern]
  • Dern, Harald / Michael Schu / Heinz Erpenbach / Gerd Hasse / Alexander Horn / Jürgen Kroll / Andreas Tröster / Michael C. Baurmann und Jens Vick: Fallanalyse bei der deutschen Polizei. Die Qualitätsstandards der Fallanalyse sowie das Anforderungsprofil und der Ausbildungsgang für Polizeiliche Fallanalytiker in Deutschland; Bundeskriminalamt, Wiesbaden 2003 (http://www.bka.de/lageberichte/weitere/ofa_qualitaetsstandards.pdf; so am 28.08.2004) [Dern et al. 2003]
  • Dern, Harald / Roland Frönd / Ursula Straub / Jens Vick / Rainer Witt: Geografisches Verhalten fremder Täter bei sexuellen Gewaltdelikten: Bundeskriminalamt, Wiesbaden 2004 (http://www.bka.de/lageberichte/weitere/geografisches_verhalten.pdf; so am 04.09.2004) [Dern et al. 2004]
  • Egg, Rudolf (Hrsg.): Tötungsdelikte – mediale Wahrnehmung, kriminologische Erkenntnisse, juristische Aufarbeitung, Schriftenreihe der Kriminologischen Zentralstelle e.V., Band 36, Wiesbaden 2002
  • Felson, Marcus / Ronald V. Clarke: Opportunity Makes the Thief. Practical theory for crime prevention; Home Office London, Police Research Series – Paper 98, London 1998 (http://www.homeoffice.gov.uk/rds/prgpdfs/fprs98.pdf; so am 12.09.2004) [Felson / Clarke]
  • Fink, Peter: Immer wieder töten. Serienmörder und das Erstellen von Täterprofilen, VDP 2001 [Fink]
  • Hazelwood, Robert R. / Janet I. Warren: The relevance of fantasy in serial sexual crime investigation. In: Robert R. Hazelwood und Ann Wolbert Burgess (Hrsg.): Practical aspects of rape investigation. A multidisciplinary approach. Second edition, CRC Press 1999 Hazelwood / Warren]
  • Holmes, Ronald M. / Stephen T. Holmes: Profiling violent crimes. An investigative tool. Third Edition, Sage Publications 2002 [Holmes / Holmes]
  • Meyer, Caroline B.: Das Täterprofil aus interdisziplinärer Sicht, unter besonderer Berücksichtigung des Strafprozessrechts (http://www.criminalprofiling.ch/taeterprofil-aufsatz-meyer.html; so am 28.08.2004) [Meyer]
  • Ministerium des Innern (Hrsg.), Autorenkollektiv: Wörterbuch der sozialistischen Kriminalistik, 1. Auflage / 1981, Ministerium des Innern – Publikationsabteilung [Wörterbuch der sozialistischen Kriminalistik]
  • Musolff, Cornelia/Hoffmann, Jens, Hg. (2002) Täterprofile bei Gewaltverbrechen. Mythos, Theorie und Praxis des Profilings, Springerverlag 2002 [Musolff / Hoffmann 2002]
  • Robak, Markus (2004) Profiling: Täterprofile und Fallanalysen als Unterstützung strafprozessualer Ermittlungen - Polizeiliche Methoden und deren kriminalpolitische bedeutung. Münster: LIT.
  • Rückert, Sabine: Tatort-Analyse; DIE ZEIT 16/2004 (http://zeus.zeit.de/text/2004/16/Tatort; so am 07.05.2004) [Rückert]
  • Turvey, Brent (2006) Criminal Profiling. An introduction to behavioral evidence analysis. London.
  • Wippler, Alice (2008) Die Operative Fallanalyse als Beweismittel im Strafprozess. Münster: LIT.


Weblinks


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