Moritz Liepmann

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Moritz Liepmann (08.09.1869 in Danzig - 26.08.1928 in Hamburg) - der erste Kriminologieprofessor an der Universität Hamburg (1919-1928) - war ein engagierter Gegner der Todesstrafe, des Arbeitshauses, des Zuchthauses und aller entehrenden Strafen; er setzte sich für die Entkriminalisierung der Homosexualität und für eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung ein. Aus dem Strafvollzug wollte er einen Erziehungsvollzug machen. Auch wandte er sich gegen die im Strafgesetzbuch-Entwurf von 1919 vorgesehene Sicherungsverwahrung. Der Strafgesetz-Reform-"Entwurf Radbruch" von 1922, der freilich nicht in Kraft trat, berücksichtigte u.a. Liepmanns Forderung nach einer Streichung der Straftatbestände der Sodomie, des Ehebruchs und der einfachen Homosexualität. Anders als die meisten Juristen seiner Zeit befaßte Liepmann sich auch mit der politischen Justiz und kritisierte das Gesinnungsstrafrecht des Reichsgerichts in den Kommunistenprozessen (Liebknecht 1907, Lauffenberg 1919).

Lebensdaten

  • 1891 Als Schüler von Franz von Liszt absolvierte der aus einer Bankiersfamilie stammende Liepmann nach Studien in Kiel, Leipzig und Göttingen sein Referendariat im kriminalistischen Seminar an der Universität Halle.
  • 1891 Dr. iur. („Die Entstehung des Schuldbegriffs“)
  • 1896 Dr.phil. („Die Staatstheorie des Contrat social“)
  • 1897 Habilitation für Rechtsphilosophie, Strafrecht und Strafprozess (Halle)
  • 1902 Berufung zum außerordentlichen Professor an der Universität Kiel für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Völkerrecht
  • 1903 - 1909 Dozent an der Marineakademie Kiel
  • 1910 Beförderung zum ordentlichen Professor für Strafrecht/Strafprozess/internationales Recht in Kiel
  • 1912 Gutachten zur Abschaffung der Todesstrafe (31. Deutscher Juristentag 1912). Freitag, 6. September 1912: Mit der relativ knappen Mehrheit von 470 gegen 424 Stimmen sprechen sich die Delegierten des deutschen Juristentages in der Hofbibliothek in Wien für die Beibehaltung der Todesstrafe aus.
  • 1919 Ruf an die neugegründete Universität Hamburg auf das Ordinariat für Kriminologie, Gerichtsverfassung, Prozess- und Strafrecht, Vorstandsmitglied internationale kriminalistische Vereinigung,
  • 1920 Nebenamtliche Tätigkeit als Hilfsrichter bzw. Landgerichtsrat am Landgericht Hamburg
  • „Die Reform des deutschen Strafrechts“ (1921)
  • 1923 Gründung der Arbeitsgemeinschaft für die Reform des Strafvollzugs;
  • 1928 In seinem Werk "Kommunistenprozesse" übt Liepmann Kritik am Gesinnungsstrafrecht der Justiz

Liepmann war Vorstandsmitglied der Deutschen Landesgruppe der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung. Liepmann war Gründer des Seminars für Strafrecht und Kriminalpolitik und einer Arbeitsgemeinschaft für die Reform des Strafvollzugs. Liepmann war Herausgeber der Hamburgischen Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft.

Der Protestant Liepmann, der politisch in der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) aktiv war, hatte mit seiner Frau Helene, einer Tochter des Philologen und Archäologen Carl Robert Neumeister, vier Kinder, darunter den Geiger und Dirigenten Klaus Liepmann (1907-1990), den "Father of Music" des Massachusetts Institute of Technology.

Kriminalpolitische Positionen

  • Aufsehen erregte sein vehementer Einsatz gegen die Todesstrafe (Dt. Juristentag 1912).
  • Kritisch stand er der lebenslangen Freiheitsstrafe gegenüber. In diesem Zusammenhang entwickelte er eine Dreiphasen-Theorie des Vollzugsverlaufs:
Erstens das Stadium hochgradiger Erregung, d.h. der verzweifelten Auseinandersetzung mit der deprimierenden Haftsituation und den Nachwirkungen der Untersuchungshaft und der Verurteilung.
Das zweite Stadium ist ein Prozess der Selbsterhaltung, in dem der Gefangene einen Kampf gegen die zerstörerische Kraft des Eingesperrtseins führt bzw. versucht, sich seelisch zu stabilisieren und an seine Lage zu gewöhnen.
Das nach ca. 20 Jahren Haft einsetzende dritte Stadium bringt ein Abflauen der Affekte, Resignation, Misstrauen und Verbitterung – sozusagen ein Dahinvegetieren.
  • Mit seiner interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft für die Reform des Strafvollzugs zielte er auf die Einrichtung eines Erziehungsvollzugs.
  • Die Diagnosen von "Unerziehbarkeit" auf der Basis "erbbiologischer" Betrachtungen, wie sie von der ersten "Kriminalbiologischen Sammelstelle" im Zuchthaus Straubing erstellt wurden, hielt er (auf der 22. Tagung der Deutschen Landesgruppe der IKV im Jahre 1927) für unsinnig und gefährlich.
  • Liepmann setzte sich ferner für eine Revision des (allzu sehr auf die Gesinnung abstellenden) politischen Strafrechts ein.
  • Ebenso wie Franz Exner beschäftigte sich auch Moritz Liepmann mit den kriminalsoziologischen Fragen des Ersten Weltkriegs. Hiervon zeugt vor allem auch sein letztes, 1928 vollendetes und im Jahre 1930 posthum veröffentlichtes Werk, "Krieg und Kriminalität in Deutschland".

Wirken in Hamburg

An der Universität Hamburg gründete Liepmann das "Seminar für Strafrecht und Kriminalpolitik", gab die "Hamburgischen Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft" heraus (die mit seinem Tod endeten), betätigte sich in der Gefängnisdeputation und wirkte nebenamtlich als Landgerichtsrat in einer Strafkammer und am Schwurgericht. Er war im Vorstand der Deutschen Landesgruppe der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (IKV), kandidierte einmal für den Reichstag (auf einem aussichtslosen Listenplatz der Demokratischen Partei) und gehörte zu den Gründern der interdisziplinären 'Arbeitsgemeinschaft für Reform des Strafvollzuges' (vgl. Sieverts 1969: 45). Zu Liepmanns Schülern gehörten Eduard Guckenheimer und Hilde Benjamin, Rudolf Sieverts und viele andere.

Zitate

Für die Verlängerung der Freiheitsstrafe anstelle der im E 1919 vorgesehenen Sicherungsverwahrung (Liepmann 1921: 135):

"Also. Verlängere man die Freiheitsstrafe, solange die Gemeingefährlichkeit präsumtiv fortdauert und gestalte sie vernünftig aus. Das heißt: Man verzichte auf den mechanisierten Trott, der den Menschen zur Maschine und damit unbrauchbar fürs Leben macht und versuche immer wieder, alles, was in ihm gut und brauchbar ist, herauszubilden und zu befestigen. Und man höre nicht auf in der praktischen Betätigung des unerschütterlichen Glaubens, dass kein Mensch verloren ist."


Moritz-Liepmann-Haus

Moritz-Liepmann-Haus, Alsenstraße 8, 22769 Hamburg

Von 1972 bis Februar 2005 gab es das Moritz-Liepmann-Haus (MLH; erbaut 1910 und im Hamburger Stadtteil Altona-Nord gelegen) im Hamburger Strafvollzug. Lieselotte Pongratz war an der Gründung beteiligt. Das Haus war eine Anstalt des sogeannten Überleitungsvollzuges mit 45 (38 Männer/7 Frauen) Plätzen für Strafgefangene, die sich dort bis zu 12 Monate lang auf ihr Leben in Freiheit vorbereiten konnten. Je nach sozialpädagogischer Beurteilung konnten die BewohnerInnen innerhalb des Hauses einer Arbeit nachgehen, später auch außerhalb.

Kurz vor der Schließung lobte das Strassenmagazin Hinz & Kunzt das MLH: "Nach ihrer Arbeit dürfen die Bewohner täglich bis zu acht Stunden außerhalb des Gebäudes verbringen. Zu ihren Zimmern besitzen sie einen eigenen Schlüssel. Sie können Besucher mit auf ihr Zimmer nehmen. Und die Fenster haben keine Gitter. Doch Einschränkungen gibt es natürlich auch: Nach der Arbeit müssen sich alle Bewohner zurückmelden, bevor sie ihre Freizeit nutzen können. Um 23.30 Uhr müssen sie spätestens wieder da sein."

Eingangsbereich

Justizsenator Roger Kusch verfügte 2005 die Schließung des Hauses, das bis 2009 leerstand. In die 28 kleinen Zimmer zog 2010 der Verein "Sponsoren für Hamburg" ein und machte das Haus zum Haus Bürgerschaftlicher Engagements (HBE).

Eigentlich war die Wiedereröffnung des MLH im Rahmen der schwarz-grünen Koalition angedacht gewesen. Im September 2008 wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die bereits im November 2008 einen Bericht vorlegte. Die von der Arbeitsgruppe ermittelten umfassenden Sanierungs- und Instandsetzungsbedarfe führten dazu, dass von dem Vorhaben letztlich Abstand genommen wurde.

Veröffentlichungen von Moritz Liepmann

  • Die Staatstheorie des "contrat social". - Halle a.S.: Kämmerer, 1896
  • Die Rechtsphilosophie des Jean Jacques Rousseau: ein Beitrag zur Geschichte der Staatstheorieen. - Berlin : J. Guttentag, 1898
  • Einleitung in das Strafrecht : eine Kritik der kriminalistischen Grundbegriffe. - Berlin : Häring, 1900
  • Duell und Ehre. Ein Vortrag. 1904
  • die anträge der deutschen antiduell-ligua. 1904.
  • Der Kieler Hafen im Seekrieg F. Vahlen, 1906
  • Der fahrlässige Falscheid des Zeugen. - Kiel [u.a.] : Lipsius & Tischer, 1907
  • Tagungsbericht Moritz Liepmann, in: Der Gerichts-Saal 70 (1907), 44–78.
  • Nach welchen Gesichtspunkten ist für Zwecke des Seebeuterrechts die feindliche oder neutrale Eigenschaft der Ware zu bestimmen? : ein Reformvorschlag.Leipzig : Duncker & Humblot, 1907
  • Die Kriminalität der Jugendlichen und ihre Bekämpfung: Vortrag gehalten auf der "Versammlung norddeutscher Frauenvereine" am 11. September 1908 in Kiel. - Tübingen : Mohr, 1909
  • Die Beleidigung. - Berlin : Puttkammer & Mühlbrecht, 1909
  • Die Todesstrafe: ein Gutachten (Ist die Todesstrafe im künftigen deutschen und österreichischen Strafgesetzbuch beizubehalten?) Berlin: Guttentag (de Gruyter) 1912 (auch: Ffm: Keip 1978).
  • Von Kieler Professoren : Briefe aus 3 Jahrhunderten zur Geschichte der Universität Kiel. - Stuttgart [u.a.] : Dt. Verl.-Anst., 1916
  • Die Pflege des Völkerrechts an den deutschen Universitäten: eine Denkschrift. - Berlin : Engelmann, 1919
  • Der Friedensvertrag und der Völkerbund. - Hamburg: Gente, 1920
  • Die Bedeutung der Reichsverfassung für die geistige Kultur Deutschlands/ Moritz Liepmann. - Hambg: Gente, 1920
  • Die Reform des deutschen Strafrechts: kritische Bemerkungen zu dem "Strafgesetzentwurf". - Hamburg : Gente, 1921
  • Die neuen "Grundsätze über den Vollzug von Freiheitsstrafen" in Deutschland : [Referat]. - Berlin [u.a.]: de Gruyter, 1924
  • Die Psychologie der Vernehmung des Angeklagten im deutschen Strafprozeß (1924) ZStW 44: 668 ff.
  • Liepmann, M./Zürcher, E. (1925) Unschuldig Verurteilte. Der neue Kampf um alte Freiheiten in der Urschweiz. Gutachten.
  • Gefängnisstudienreise nach den Vereinigten Staaten. - [1926]
  • Das Strafverfahren und die Organisation der Strafgerichte. - Berlin : Herbig, 1926
  • Amerikanische Gefängnisse und Erziehungsanstalten : ein Reisebericht/ Moritz Liepmann. - Mannheim [u.a.] : Bensheimer, 1927
  • Die kriminalpolitischen Grundgedanken des Entwurfs eines Deutschen Strafvollzugsgesetzes, in: Mitteilungen der IKV, N.F. 3. Band, 1928: 129 ff.
  • Kommunistenprozesse: ein Rechtsgutachten/ Moritz Liepmann. - München : Drei Masken Verl., 1928
  • Krieg und Kriminalität in Deutschland/ Moritz Liepmann. - Stuttgart [u.a.] : Dt. Verl.-Anst. [u.a.], 1930

Als Herausgeber:

  • Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft. Abhandlungen aus d. Seminar f. Strafrecht u. Kriminalpolitik an d. Hamburgischen Universität. 1921-1929. 12 Bände. Autoren: Curt Bondy, Walter Herrmann, Max Grünhut, Rudolf Sieverts, Moritz Liepmann, Clara Maria Liepmann u.a. Titel der Reihe. Von Klara (Clara) Maria Liepmann (1927): Die Erziehung der Gefangenen zu korporativem Verantwortungsbewußtsein: eine Untersuchung über den kriminal-politisch-pädagogischen Wert der Insassenselbstverwaltung. Hamburg (auch: Mannheim ; Berlin ; Leipzig : J. Bensheimer, 1928) Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft, Heft 12. Von Clara Maria Liepmann auch: Music in Institutions, by Willem Van De Wall, Assisted by Clara Maria Liepmann. New York : Russell Sage (1936)
  • Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform

Veröffentlichungen über Moritz Liepmann

  • Festschrift 1930
  • Goltsche, Friederike (2010) Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch) Berlin/New York: de Gruyter (S. 102 ff.).
  • Monika Frommel: Moritz Liepmann (11.12.11)
  • Hüser-Goldberg, Ruth (1977) Das kriminalpolitische Programm von Moritz Liepmann (1869 - 1928). Jur. Diss. Hamburg.
  • Rechtsstaatsidee und Erziehungsstrafe. Abhandlungen zur Erinnerung an Dr. Iur. Dr. Phil. M. Liepmann (1930) Von seinen Schülern. Autoren: Arthur Wegner, Curt Bondy, Edvard Guckenheimer, Moritz Liepmann, Max Grünhut, Herbert Ruscheweyh, Walter Rothholz, Hans Grossmann-Doerth, Oskar Schumacher, Rudolf Sieverts, Clara Maria Liepmann. Heidelberg: C. Winter.
  • Sieverts, Rudolf (1969) Moritz Liepmann (1878-1928), In: Lebensbilder Hamburgischer Rechtslehrer. Veröffentlicht von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens der Universität Hamburg. Hamburg: Selbstverlag, S. 45-51.
  • Volbehr/Weyl Professoren und Dozenten Univ. Kiel 1956, 38, NDB, DBE

Weblinks

Foto von Moritz Liepmann