Menschenwürde und Strafvollzug

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Der Begriff der Würde des Menschen

Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ [1]. Von Dürig wurde die sogenannte „Objektformel“ geprägt, wonach „die Menschenwürde getroffen ist, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird“ (Dürig, GG, Art. 1 Rn 28). Laut Bundesverfassungsgericht [2] widerspricht es der Würde des Menschen, „ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt“. (BVerfGE 27, 1 (16); 30, 1 (26); 50, 166 (175); BVerfGE 64, 274.) Die Würde des Menschen ist unverfügbar (BVerfGE 45, 187 (229)). Grundsätzlich muss Menschenwürde dynamisch verstanden werden, als ein „Kampfbegriff“, dessen genaue Inhalte als Prinzip, Regulativ und Norm in ökonomisch-sozialen, politischen und kulturellen Kontexten verstanden, erkämpft und interpretiert werden müssen (Feest, Betrifft JUSTIZ, S. 276, Sandkühler 2007, S. 66).


Das Gefängnis als totale Institution

Justizvollzugsanstalten sind als totale Institutionen[3] besonders anfällig für unmenschliche, entwürdigende und erniedrigenden Vorgehensweisen. (Feest 2007, S. 93). Foucault (1976, S. 173ff.) hat nachgewiesen, dass disziplinierende Verhaltensregeln, wie sie im Gefängnis die Regel sind, Voraussetzung für die totale, physisch-psychische Unterwerfung des Menschen in Anstalten sind. Die Reglementierung in den Dimensionen Zeit, Ort und Handlung stellt das entscheidende Element für die "Mikrophysik der Macht" dar (Foucault 1977, S. 178).

Die Frage, ob und inwieweit die Unterbringung Straffälliger in der „totalen Institution“ Strafanstalt mit der Menschenwürde vereinbar ist, ist bereits vom Bundeserfassungsgericht positiv beantwortet worden. Hierbei hat es allerdings vorausgesetzt, dass nicht nur die Normen des Grundgesetzes, sondern auch die Vorgaben des Strafvollzugsgesetzes strikt eingehalten werden (BVerfGE 45, 187; Müller-Dietz, S. 34f).

Die Verfechter der abolitionistischen Vorstellungen, wie etwa Thomas Mathiesen, gehen demgegenüber bereits grundsätzlich davon aus, dass zwangsweiser Freiheitsentzug schon von seiner Struktur her menschenunwürdige Züge trägt. (Mathiesen, (1979), 1993).

Bereits die Einordnung des Gefangenen in und seine Unterordnung unter die vielfach kriminelle Subkultur der Anstalt ist unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde problematisch. Oft ist es nicht der unmittelbare staatliche Zugriff, sondern vielmehr dessen ungewollte und teilweise unkontrollierte Folge, welche die Menschennwürde betroffener, vor allem schwächerer Gefangener beeinträchtigen können. Dies beginnt bereits mit der Aufnahme in die Vollzugsanstalt, den Initiationsriten und „Degradierungszeremonien“, denen ein Gefangener unterworfen ist oder wird, wenn nicht durch geeignete Vorkerhungen gegengesteuert wird (Müller-Dietz, S.30f).

Die besondere Gefährdungssituation im Strafvollzug, die sich durch den Gefangenen vor allem durch Übergriffe sowohl der Mithäftlinge als auch der Vollzugsbeamten stellt, erfordert daher konkrete Präventionsmassnahmen. Die Ratifikation des Zusatzprotokolls zur UN-Folterkonvention und die Einrichtung eines entsprechenden nationalen Folter-Präventionsmechanismus durch die Bundesregierung erscheint demnach angebracht (Nowak 2007, S. 23).


Die wesentlichen Grundsätze des Strafvollzugsgesetzes

Das Strafvollzugsgesetz dient u.a dem Zweck, den Vollzugsalltag in der nötigen Klarheit zu regeln und dadurch Grundrechtsverletzungen zu vermeiden. Damit ist "das Strafvollzugsgesetz als solches Auslegung des Art 1 Abs. 1 GG unter den Bedingungen der Strafhaft". (Mahrenholz nach Feest, S. 276). Das Strafvollzugsgesetz weist jedoch einige Regelungslücken auf, deren umfassende Klärung nunmehr vor dem Hintergrund der Verschiebung der Gesetzgebungszuständigkeit vom Bund auf die Länder im Rahmen der Föderalismusreform unwahrscheinlich geworden ist.

Das Strafvollzugsgesetz gilt für den Vollzug der Freiheitsstrafe, womit die Freiheitsstrafe im engeren Sinne des § 38 StGB gemeint ist, nicht im weiteren Sinne jeglicher freiheitsentziehender Strafen (wozu auch Jugendstrafe, Jugendarrest, Strafarrest nach dem Wehrstrafgesetzbuch u. ä. gehören).

Resozialisierung als Vollzugsziel

Das in § 2 Satz 1 StVollzG definierte Vollzugsziel der Resozialisierung (link) verlangt, dass der Gefangene im Vollzug der Freiheitsstrafe fähig wird, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. (link) Damit ist die Resozialisierung nicht nur einfachrechtliches Vollzugsziel, sondern Konkretisierung des Menschenwürdegebots (Feest AK § 2 Rn 4). Somit hat der an die Vollzugsanstalten gerichtete Resozialisierungsauftrag Verfassungsrang (BVerfGE 35, 202, 235; 45, 187, 238; BVerfG NJW 1998, 2202, 2203). Einem Gefangenen die zu seiner Resozialisierung notwendigen Maßnahmen und Angebote vorzuenthalten wäre demnach ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Andererseits kann aber auch die (re-)sozialisierende Einwirkung auf den Gefangenen selbst wiederem dessen Subjektsstatus und Menschwenwürde beeinträchtigen (Müller-Dietz, S. 28f).

Angleichungs- und Eingliederungsgrundsatz

Der Angleichungs- und Eingliederungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1, 3 StVollzG) gebieten es, über Verhaltensvorschriften Möglichkeiten für ein menschenwürdiges Zusammenleben zu entwickeln und "aus dem Alltag ein Stück Leben zu machen" (Feest AK § 82 Rn 1). Der Angleichungsgrundsatz erfordert es, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen wird, wobei von "menschenwürdigen Lebensverhältnissen" bzw. von "allgemein anerkannten Normen der Gesellschaft" (Europäische Strafvollzugsgrundsätze 1988, Nr. 65 a) sowie den „positive aspects of life in the community“ (European Prison Rules 2006, link on Prison Portal) ausgegangen werden muss (Feest AK § 3 Rn 7).

Freiheitsentzug und die Würde des Menschen

Lebenslange Freiheitsstrafe

Grundsätzlich muss jede Strafe in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Straftat und zum Verschulden des Täters stehen. Das Gebot zur Achtung der Menschenwürde bedeutet insbesondere, dass grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafen verboten sind (BVerfGE 45, 187 ff. und BVerfGE 72, 105 (133)). Die Dürigsche Objektformel hat das Bundesverfassungsgericht insbesondere in seinem Urteil zur lebenslangen Freiheitsstrafe bestätigt, wonach „der Täter nicht zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wertanspruchs und Achtungsanspruchs gemacht werden darf (BVerfGE 45, 187). Aus Art. 1 Abs. 1 GG in lässt sich daher die Verpflichtung herleiten - und das gilt insbesondere für den Strafvollzug - ein Existenzminimum zu gewähren, das ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst ausmacht"(BVerfGE 45, 228). Der Täter darf nicht zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs gemacht werden.

Das verfassungsrechtliche Hoffnungsprinzip

Darüber hinaus gebietet es die Menschenwürde, die Vollstreckung so einzurichten, dass dem Gefangenen die Hoffnung erhalten bleibt, in seinem Leben noch einmal die Freiheit zurückzugewinnen (BVerfGE 45, 187). Dieser Grundsatz hat maßgeblichen Einfuß auf die Vollzugsplanung. Dem Häftling muss - z.B. bei guter Führung und positivem psychologischem Gutachten - die Chance gegeben werden, nach einer gewissen Zeit wieder aus dem Gefängnis entlassen zu werden. Eine (menschenunwürdige) Situation der Hoffnungslosigkeit (Feest, S. 278) kann aber insbesondere dann entstehen, wenn der alters- oder krankheitsbedingte Tod in der Haftanstalt wahrscheinlich ist. Das gilt vor allem für Gefangene, die an einer tödlich verlaufenden Krankheit wie Aids leiden, denen jedoch Haftuntauglichkeit nicht bescheinigt wird, wenn auch außerhalb des Vollzuges keine Möglichkeit der Heilung besteht (Fiedeler, 2003). Eine Entlassung „zum Sterben“ erst im allerletzten Moment ist demnach unverhältnismäßig, da solche Personen entlassen werden könnten, wenn entsprechende Auffangsinstitutionen (z.B. spezialisierte Sanatorien, Altersheime etc. vorhanden wären, was aber nach wie vor nicht der Fall ist (Feest (2008), S. 279).

Die entweder mit der Strafe gleichzeitig verhängte, vorbehaltene oder nachträglich angeordnete anschließende [Sicherungsverwahrung] hat ebenfalls die Auswirkung der Hoffnungslosigkeit für die davon Betroffenen. Insbesondere die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung erscheint unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde problematisch, da hiermit der Häftling de facto dauerhaft in den Zustand der Ungewissheit versetzt wird, welcher auch wiederum maßgeblichen Einfluss auf die Vollzugsplanung hat und das Vollzugsziel der Resozialisierung stärker in den Hintergrund treten lässt.

Haftunfähigkeit

Wenn von der Vollstreckung eine nahe konkrete Lebensgefahr für den Verurteilten zu befürchten ist, ist grundsätzlich von Haftunfähigkeit auszugehen (OLG Düsseldorf NJW 1991, 765), wobei der Verfassungsgerichtshof Berlin (JR 1994, 382, 386) in der Sache “Honnecker” einen höheren Grad von Wahrscheinlichkeit verlangt hat. Eine Fortführung der Haft wäre in diesem Fall nicht mit der Menschenwürde vereinbar. Vollzugsuntauglichkeit und damit Strafaufschub der Haft ist dann geboten, wenn sich der Inhaftierte in einem körperlichen Zustand befindet, der eine sofortige Vollstreckung im Interesse der Anstalt und des Verurteilten unzumutbar macht.


Der Alltag im Strafvollzug

Die "Nebenwirkungen" des Strafvollzugs

Eine Folge der strukturellen und institutionellen Eigentümlichkeiten der Strafanstalt, v.a. des geschlossenen Vollzuges, ist es, dass es nicht möglich zu sein scheint, deren "Übelscharakter" (Müller-Dietz, S. 31) auf den zwangsweisen Entzug der Freiheit des Verurteilten zu beschränken. Die Forderung nach Beschränkung der Sanktion auf die Freiheitsentziehung hat sich – ungeachtet aller Bemühungen und Differenzierungsversuche – bis heute weder faktisch noch rechtlich verwirklichen lassen. Tatsächlich tangiert der Vollzug - zumindest in geschlossner Form - alle wesentlichen Lebensbereiche (Müller-Dietz, S. 31). Insofern ist die Forderung nach einem humanen, die Würde der Gefangenen achtenden Strafvollzug, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die Strafe allein in dem Freiheitsentzug liegt und dieser von allen zusätzlichen Leiden frei sein muß (Tiedemann 1963), unerfüllt geblieben.

Bereits die weitgehende faktische Entmündigung des Gefangenen, deren vorherrschender Ausdruck das Prinzip der Totalversorgung (im Strafvollzug) ist, die ihm die Sorge und Verantwortung für das tägliche leben abnimmt, (Müller-Dietz 33) ist nur schwer mit dem Subjektsstatus des Gefangenen in Einklang zu bringen. Grundsätzlich sollte daher nur ein Mindestmaß an Verhaltensregeln, das für ein menschenwürdiges Zusammenleben unter den Verhältnissen der jeweiligen Anstalt unabdingbar ist, gelten (AK § 4 Rn 14).

Die Unterbringung der Häftlinge

Die zwangsweise gemeinschaftliche Unterbringung von Gefangenen während der Ruhezeit widerspricht den Vollzugsgestaltungsgrundsätzen des § 3 StVollzG und ist insbesondere auch nicht mit dem Vollzugsziel der Resozialisierung (§ 2 Satz 1) in Einklang zu bringen. Auch die Mehrfachbelegung einer Einzelzelle verstößt i.d.R. gegen das Grundrecht des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und ist daher unzulässig (BVerfG NJW 2002). Auch hat der Gefangene einen Anspruch darauf, seinen Haftraum "in angemessenem Umfang" individuell auszustatten (§ 19 StVollzG), wobei sich der Gesichtspunkt der Angemessenheit sowohl danach bemisst, was einem Gefangenen zur menschenwürdigen Gestaltung seiner Privatsphäre zukommen muss, als auch danach, was ihm von den räumlichen Gegebenheiten von Seiten der Anstaltsleitung JVA zugestanden werden kann. (Kellermann AK § 19 Rn 2).

Die Regelungen zur Größe und Ausgestaltung der Räume sind im Strafvollzugsgesetz nicht klar formuliert. Für die Auslegung des Strafvollzugsgesetzes z.B. für Fragen, wann Räume "hinreichend" Luftinhalt haben und mit "ausreichend" Boden- und Fensterfläche ausgestattet sind, zieht die Rechtsprechung u.a. das Verbot unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) sowie die europäischen Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen (sog. Minima) heranzuziehen. Die European Prison Rules [4] sowie die Standards des Komitees zur Verhinderung von Folter [5]regeln weitere Einzelheiten. Allerdings legt sich die Rechtsprechung oft nicht klar fest; es liege aber "jedenfalls" dann eine Menschenwürde-Verletzung vor, wenn z.B. eine 11,54 qm große Zelle ohne abgetrennte Toilette mit 3 Gefangenen belegt sei (OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2005, 156).

Die Einwilligung des Gefangenen in menschenunwürdige Unterbringung kann seitens der Anstaltsleitung nicht vorgebracht werden, denn bei der Abgabe einer solchen Erklärung ist der Gefangene in der Regel nicht frei. Er soll über seine Menschenwürde im Strafvollzug nicht verfügen müssen. (Huchting AK § 144 Rn 5).

Mehrfach wurde Gefangenen wegen eines Verstoßes gegen die Achtung ihrer Menschenwürde durch die Unterbringung bereits eine Geldentschädigung zugesprochen (vgl. etwa OLG Karlsruhe NJW-RR 2005, 1267: 2000,- € bei zu berücksichtigenden ca. 100 Tagen U-Haft; LG Hamburg v. 22.05.03 – 303 O 28/03: 25,- € pro Hafttag). Die Anerkennung eines Anspruchs auf Geldentschädigung für menschenunwürdige Unterbringung scheitert aber häufig, obwohl im Grundsatz eine Verletzung der Menschenwürde im konkreten Fall bejaht wurde, da der Gefangene über die Unannehmlichkeit hinaus keine Beeinträchtigungen seines körperlichen oder seelischen Wohls erlitten habe, und der Missstand nicht schikanös, sondern aufgrund einer durch Überbelegung resultierenden Zwangslage geschehen sei. (LG Hannover StV 2003, 568 ff.; OLG Celle ZfStrVo 2004; BGH = StV 2005, 343 f.)

Die Ungeklärtheit des Haftortes und das wochenlange Hin- und Hertransportation aufgrund eines Zuständigkeitsstreites kann ebenfalls einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellen (LG Hamburg StV 2002, 666 ).

Durchsuchungen

Durchsuchungen müssen ihren Grund in der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung haben sowie mit den allgemeinen Vollzugsgrundsätzen, dem Übermaß- bzw. Willkürverbot und den Grundrechten, insbesondere der Menschenwürde vereinbar sein. Laufende und unvermutete Durchsuchungen ohne jeden Anlaß erfüllen diese Voraussetzung nicht; sie können allenfalls in Anstalten mit höchstem Sicherheitsgrad einmal in angespannten Zeiten vorübergehend angebracht sein (Feest AK § 84 Rn 2). Nicht hinnehmbar wegen Verstoßes gegen die Menschenwürde ist es, wenn z.B. Durchsuchungen in einem unhygienischen und gesundheitsgefährdenden Raum durchgeführt werden.

Sicherungsmaßnahmen

Grundsätzlich können gegen einen Gefangenen besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach seinem Verhalten oder aufgrund seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maße Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht. Hierbei ist die Fesselung wohl die einschneidendste Massnahme, die von den Gefangenen häufig auch als Folter empfunden wird und somit unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde problematisch ist, auch wenn sie zu seinem vermeintlichen Wohl angeordnet ist. Das Verbleiben von Frauen in der Fesselung während der Entbindung in einem normalen Krankenhaus ist jedenfalls vor dem Erfordernis einer menschenwürdigen Behandlung nicht zu rechtfertigen.

Als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt kommen neben Fesseln verschiedene Mittel in Betracht. Es muss jedoch immer auch geprüft werden, ob ein Hilfsmittel der körperlichen Gewalt nicht als menschenunwürdig und damit als rechtswidrig anzusehen ist. Menschenunwürdig ist z.B. der Einsatz von Elektroschockgeräten, Dunkelzellen, Schlafentzug, Hundepeitsche, das Herunterspritzen eines Gefangenen vom Dach mittels Feuerwehrschlauch sowie der Einsatz von Diensthunden (vgl. Brühl AK § 95 Rn 5).

Disziplinarmaßnahmen

Disziplinarmaßnahmen sind grundsätzlich möglich bei schuldhafter Verletzung der Verhaltensvorschriften für Gefangene, § 82 StVollzG, müssen jedoch im Einklag mit dem Grundsatz der Menschwürde stehen. Vor diesem Hintergrund wird die Zulässigkeit des Arrests als Isolationsstrafe zunehmend in Frage gestellt (vgl. Walter AK § 103 Rn 14, § 104 Rn 6).

Das Recht auf Besuch

Jeder Häftling hat grundsätzlich Anspruch auf Besuch. Die Frage der Sexualkontakte während des Besuchs ist gesetzlich nicht geregelt und stellt insbesondere bei nicht urlaubsberechtigten Gefangenen ein Problem im Hinblick auf die Menschenwürde des Häftlings (Joester AK § 24 Rn 25). Die Unterbindung von Küssen und Umarmungen verletzt jedenfalls den Angleichungsgrundsatz aus § 3 Abs. 1 StVollzG sowie die Menschenwürde des Gefangenen.

Arbeit im Vollzug

Die Menschenwürde gebietet es auch, dass das Arbeitsentgelt, das dem Häftling für seine geleistete Arbeit zusteht, einen echten Gegenwert für die geleistete Arbeit darstellt, eine Ansicht, die vom Bundesverfassungsgericht jedoch in dieser Form abgelehnt wird (vgl. BVerfGE NJW 1998, 3337, 3342).

Datenschutz

Bei Anstaltsführungen muss darauf geachtet werden, dass die Besuchergruppen keine Kenntnis von personenbezogenen Daten erhalten. Aus allgemeinen Gründen der Menschenwürde sollten Führungen während der Arbeitszeit erfolgen, wenn sich keine Gefangenen in den Fluren befinden. Zellenbesichtigungen oder die Kenntnisgabe sonstiger personenbezogener Informationen sind nur mit Einwilligung der Betroffenen zulässig. Um die Freiwilligkeit der Einwilligungen sicherzustellen, ist es geboten, diese nicht erst im Rahmen der Führung, sondern vorab einzuholen. Rechtzeitig vor der Führung von Besuchergruppen sind die Gefangenen zu informieren, so dass sie die Möglichkeit haben, sich zurückzuziehen (vgl. Weichert AK § 180 Rn 51).


Die Menschenwürde Anderer

Die „Drittwirkung des Freiheitsentzugs“

Der Strafvollzug wirft regelmässig auch Probleme in Bezug auf Dritte auf. Familienanghörige, insbesondere Kinder, sind häufig unmittelbar durch den Strafvollzug betroffen. Die grundsätzliche Möglichkeit der gemeinsamen Unterbringung von Mutter und Kind wird zwar mir der Absicht begründet, Schäden abzuwenden, die dem Kind durch die Trennung von der Mutter entstehen würden, ist jedoch im konkreten Fall in der Regel mit einer Prisonierung des Kindes verbunden und berührt damit auch dessen Menschenwürde. Die mangelnde Berücksichtigung schädlicher Folgen für Kinder scheint Folge davon zu sein, dass Kinder im Strafvollzug nicht als Träger eigener Rechte akzeptiert werden. Heute wird jedoch in zunehmendem Maße bedacht, dass auch Kinder unabhängig von ihrem Alter Grundrechtsträger sind. Auch hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1968 ausdrücklich betont, dass dem Kind „als Grundrechtsträger eigene Menschenwürde und ein eigenes Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit zukommt“ (BVerfGE 24, 119). Die Einrichtung von anstaltsinternen Kinderheimen unter Aufsicht der Jugendämter scheint vor diesem Hintegrund die geeignetere Alternative zu sein (vgl. Strohmeyer 1998, S.83 ff.).

Andere am Vollzug beteiligte Personen

Auch kann in bestimmten Situationen die Menschenwürde anderer Beteiligter, wie z.B. der Vollzugsbeamten oder der Ärzte tangiert sein. So müssen z.B. medizinische Zwangsmassnahmen nicht nur für den Häftling, sondern auch für alle anderen Beteiligten zumutbar sein. Zwangsmaßnahmen, die gegen die Menschenwürde verstossen, sind unzumutbar, so z.B. wenn sie - wie im Falle der Zwangsernährung hungerstreikender Gefangener - gegen den aktiven Widerstand eines Betroffenen durchgeführt werden müssen.

Die Fesselung z.B. birgt gefährdende Aspekte auch für diejenigen, die sie vollziehen, da die Bediensteten eine Rolle einnehmen, die mit einem Sozialisationsvollzug nicht vereinbar ist. Darüber hinaus fördert die Ohnmacht eines gefesselten Menschen latente sadistische und gewalttätige Neigungen (vgl. Feest AK § 88 Rn 11).

Auch die Möglichkeit der Strafaussetzung kann unter dem Gesichtspunkt der Rechte der Vollzugsbeamten betrachtet werden, da regelmässig die Gefahr von Gewalttaten wie etwa Geiselnahmen zu Lasten Anstaltsbediensteter besonders von Menschen ausgeht, die jede Hoffnung auf Aussetzung aufgegeben haben (Volckart AK Vorb § 5 Rn 24).

Schliesslich gibt § 97 StVollzG den Vollzugsbediensteten die Möglichkeit, eine Anordnung des Vorgesetzten nicht auszuführen, wenn diese die Mennschenwürde verletzt. Hierbei handelt es sich nicht nur um eine Schutzvorschrift zugunsten der Inhaftierten, sondern nicht zuletzt auch der Vollzugsbediensteten, da sie sich nicht der Begehung menschenunwürdiger Massnahmen schuldig machen müssen, was seinerseits ihre Menschenwürde tangieren könnte.


Literatur

Altenhain, G. A. Das Grundrecht der Menschenwürde und sein Schutz im Strafvollzug. Zeitschrift für Strafvollzug, 37, 156-16, 1988

Feest, Johannes: Strafvollzug zwischen Sicherheit und Behandlung - Wo bleibt die Menschenwürde?, in: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) GmbH (Hrsg.) Ist die Menschenwürde unantastbar? - Wie steht es mit Strafvollzugsbediensteten, Gefangenen und ihren Opfern? Frankfurt a. M. 2003, 31 - 38.

Feest, Johannes (Hrsg.), Kommentar zum Strafvollzugsgesetz (AK-StVollzG), 5. Auflage, Neuwied, 2006

Feest, Johannes, Justizvollzugsanstalten: Totale Institutionen, Folter und Verbesserungen der Prävention. In: Deutsches Institut für Menschenrechte: Prävention von Folter und Misshandlung in Deutschland, Baden-Baden, 2007

Feest, Johannes, Menschenwürde im Strafvollzug in: Betrifft JUSTIZ Nr. 94, Juni 2008, S. 276-280

Fiedeler, Silke Maria, Das verfassungsrechtliche Hoffnungsprinzip im Strafvollzug - ein hoffnungsloser Fall? Grundlagen, Grenzen und Ausblicke für die Achtung der Menschenwürde bei begrenzter Lebenserwartung eines Gefangenen, Frankfurt a.M., 2003

Foucault, Michel, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, 1976

Kawamura, G. / Reindl, R. (Hrsg.) Menschenwürde und Menschenrechte im Umgang mit Gefangenen. Freiburg i. Br. 2000, S. 61ff.

Maunz, Theodor/Dürig, Günter, Grundgesetzkommentar, Band I, Art. 1-11, München 2008

Mathiesen, Überwindet die Mauern! Die skandinavische Gefangenenbewegung als Modell politischer Randgruppenarbeit, Neuwied, (1979), 1993

Müller-Dietz, Heinz Menschenwürde und Strafvollzug, Berlin, New York, 1994

Nowak, Manfred, Geleitwort des UN-Sonderberichterstatters gegen die Folter: Die Bedeutung des Zusatzprotokolls im weltweiten Kampf gegen die Folter in: Deutsches Institut für Menschenrechte: Prävention von Folter und Misshandlung in Deutschland (Hrsg.), Baden-Baden, 2007

Sandkühler, Hans-Jörg (Hrsg.) Menschenwürde. Philosophische, theologische und juristische Analysen, Frankfurt a.M., 2007

Schäfer, Karl Heinrich/Sievering, Ulrich O. (Hrsg.), Strafvollzug und Menschenwürde : Gustav Radbruch - Wegbereiter des Strafvollzugs des Grundgesetzes, Frankfurt am Main, 2001

Sonnen, Bernd-Rüdiger/Schulte, Ostermann, Juleka, Prävention von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe in Jugendarrest- und Jugendvollzugsanstalten in Deutschland. In: Deutsches Institut für Menschenrechte: Prävention von Folter und Misshandlung in Deutschland, Baden-Baden, 2007

Strohmeyer, Simone: Menschenwürde und Strafvollzug, Hagen, 1998

Tiedemann, Die Rechtsstellung des Strafgefangenen nach französischem und deutschem Verfassungsrecht 1963, S. 113 ff.

Weis, Staatliches Strafen: Markierungen, Degradierunge und Rituale auf einer Reise ohne Wiederkehr, in: Festschrift f. Blau zum 70. Geburtstag, 1985, S. 405 ff. (415ff.)