Kriminalitätskontrolle als Industrie

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Kriminalitätskontrolle als Industrie - Auf dem Weg zu Gulags westlicher Art ist ein Buch des norwegischen Kriminologen Nils Christie.

Inhalt

In „Kriminalitätskontrolle als Industrie – Gulags westlicher Art“ thematisiert der Autor den Anstieg der Gefangenenpopulation in den hochindustrialsierten Gesellschaften, unter besonderer Beachtung der hohen und steigenden Zahlen in den USA und Russland. Die re- aktive Bewertung dieses Anstieges aus neo- klassizistischer Perspektive als Folge wachsender Kriminalitätsbelastung weist der Autor zurück und zeigt einen Zusammenhang zwischen den Institutionen der Strafrechtspflege und den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedarfen auf. Analog zu den gesellschaftlichen Kontexten um die deutschen Konzentrationslager unter nationalsozialistischer Herrschaft und die Gulags unter dem totalitären Regime der ehemaligen UdSSR finden Entwicklungen in den westlichen neo-liberalen Staaten statt, die eine Wiederholung derartigen Umgangs mit abweichenden Verhaltens nahelegen:

• wachsende Divergenz in der Verteilung des Wohlstands und im Zugang zu bezahlter Arbeit

• Wahrnehmung von unproduktiven Gesellschaftsmitgliedern als „gefährliche Klassen“ und als Unruhepotential

• Zunehmende Dominanz von utilitaristischem Denken in der Wissenschaft

• Exkludierung durch Kriminalisierung und Internierung „gefährlicher Klassen“ in Konzentrationslagern, Gulags und gegenwärtig in Haftanstalten

• Rationalisierung und Modifikation des Gefängnissystems hinsichtlich wirtschaftlicher Interessen und Aufbau eines eigenständigen, unbegrenzten Industriezweiges

• Potential der unbegrenzten Erweiterung der Gefängnispopulationen durch Finanzierungsmodelle der Wirtschaft und Entkopplung der Entscheidung von der öffentlichen Meinung

• Privatisierung staatlicher Kontrolle innerhalb und außerhalb der Gefängnisse, verbunden mit einer gleichzeitigen Verminderung persönlicher Verantwortung

• Entwicklung neuer Kontrolltechniken, deren Vermarktung und deren Anwendung

Der Autor legt dar, dass die Institutionen der Strafrechtspflege zunehmend durch unternehmerisches Denken geprägt werden. Die Erweiterung der Gefängnispopulation und der Zuwachs an technischen Kontrollmöglichkeiten ist verbunden mit der Verminderung der Schwelle zur Verhängung von Haftstrafen, der Erhöhung der Haftdauer und der Verschärfung von Bewährungsauflagen mit Folge erneuter Inhaftierungen. Wirtschaft ist auf Expansion ausgelegt. Die Gefängnisindustrie verfügt über unerschöpfliche „Rohstoffe“; ihrer Triebkraft sind keine Grenzen gesetzt. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, so der Autor, ist es notwendig moralische Gegenkräfte anzuwenden. Der Umfang der Gefangenenpopulation bedürfe einer normativen Begrenzung und ist keine abhängige Variable zum Kriminalitätsniveau einer Gesellschaft.

Quellen:

Christie, Nils (1995): Kriminalitätskontrolle als Industrie. Auf dem Weg zu Gulags westlicher Art, 2. überarb. Aufl., Centaurus-Verl.-Gesthaacht

Kritiken:

Lindenberg, Michael (1997): Kriminalitätskontrolle als Industrie. Diskussionsbeitrag zu einer Abhandlung von Nils Christie, in: Kriminologisches Journal, Heft 1/ 1997, S. 62- 67