Kolumbien

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Das an Panama, Ekuador, Peru, Brasilien und Venezuela sowie an den Atlantik und den Pazifik grenzende Kolumbien ist mit seinen 44,5 Millionen Einwohnern und einer Fläche von 1,14 Millionen Quadratkilometern das viertgrößte Land Südamerikas.

Politisch befindet sich das Land in einer scheinbar schizophrenen Situation: Einerseits zählt es zu den kontinuierlichen und stabilen demokratischen Systemen im lateinamerikanischen Vergleich, mit regelmäßigen Wahlen seit über hundert Jahren ohne große Unterbrechungen, mehr oder weiniger gut funktionierenden Institutionen und freien Medien (vgl. Hennecke: 2006, 77) - andererseits aber wird das Land seit über als fünf Jahrzehnten durch gewaltsam ausgetragene Konflikte zwischen linken Guerillas, rechtsextremen Paramilitärs und bewaffneten Mafia-Organisationen in einen anhaltenden bürgerkriegsartigen Zustand versetzt. „Trotz regelmäßiger Wahlen werden Kandidaten von Parteien, Führer von politischen Bewegungen und Politiker systematisch umgebracht und regelmäßig Mordanschläge an unbequemen Journalisten verübt“ (Jäger, Daun, Lambach: 2007, 110).

Das Land verfügte seit Anfang seiner Geschichte über zwei traditionelle Parteien, die Konservativen und die Liberalen, was ein exklusives Zweiparteien-System schafft (vgl. Wilke: 2003, 196). Diese Polarisierung in der Gesellschaft hatte konkurrierende soziale Gruppierungen zur Folge und somit gleichsam die Aufdeckung der sozialen Ungleichheit (vgl. Lugo-Ocando: 2008, 79).

Der interne bewaffnete Konflikt

Kolumbien ist eines der gewalttätigsten Länder der Erde. Die interne Gewalt hat eine große Präsenz in der Gesellschaft erreicht. Es ist kaum möglich, einen Kolumbianer zu finden, der keine Erfahrung mit Gewalt in irgendeiner Form gemacht hätte (vgl. Hennecke: 2006, S.78). Seit den fünfziger Jahren kämpfen die staatlichen Streitkräfte des südamerikanischen Landes mit einem so genannten Bürgerkrieg zwischen verschiedenen Guerillabewegungen und paramilitärischen Gruppierungen. Die bekannteste Guerilla-Gruppierungen, die auch von den Vereinigten Staaten und der Europäische Union als Terroristische Vereinigung bezeichnet wird, ist die von kommunistischer Ideologie geprägte FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia = Vereinigte Revolutionäre Streitkräfte von Kolumbien) und die in der kubanischen Revolution inspirierte Gruppe ELN (Ejercito de Liberación Nacional = Nationales Befreiungsheer) (vgl. Jäger, Daun, Lambach: 2007, 21).

Beide bewaffneten Gruppen wurden Anfang der 1960er Jahren gegründet und haben als Ziel die Erlangung der Zentralgewalt in Kolumbien. Unter den Zielen der FARC finden sich Entwicklungsprogramme für ländliche Regionen, Vorschläge für eine nicht-militärische Lösung des Drogenproblems und ein Verbot des Einsatzes des Militärs im Inneren (vgl. Jäger, Daun, Lambach: 2007, 43). Diese Ziele möchten sie gewaltsam durchsetzen und zwar mit Attentaten gegen die Infrastruktur des Landes wie etwa Wasser- und Elektrizitätswerken oder Ölforderungsanlagen. Auch das Entführen von Menschen gehört zu ihrer Strategie, um Lösegelder zu erpressen oder die Entführten gegen die vom Staat gefangen genommenen Guerilleros auszutauschen. Zwar sind sowohl die Basis wie auch die Ziele der beiden marxistisch-leninistischen Guerillabewegungen ähnlich, jedoch definieren sich die ELN selbst noch als pro-kubanische Revolution. „Die Erlangung der Macht durch das Volk und die Zerstörung der nationalen Oligarchie und der staatlichen Streitkräften, welche diese unterstützen, sowie der ökonomischen, politischen und militärischen Interessen des nordamerikanischen Imperialismus.“ (Jäger, Daun, Lambach: 2007, 22) Ein weiterer Unterschied zwischen den Guerillagruppen der FARC und der ELN ist die Herkunft ihrer Anhängerschaft. Die erste Gruppe bestand von Anfang an, aus Kleinbauern und Pächtern, die ihren Landbesitz verteidigen wollten, während die ELN von Viehzüchtern gegründet wurde, vor allem zur Verteidigung ihres Gebietes gegen die Guerilla. Die Mitglieder der ELN kamen zum großen Teil aus der gebildeten Mittelschicht. Der Zulauf bei der Rekrutierung ist alarmierend, aktuell hat die FARC ca. 18.000 und die ELN ca. 3.500 Kämpfer (vgl. Jäger, Daun, Lambach: 2007, 22). Zuletzt bezeichneten sich sowohl die FARC als auch die ELN als politische Bewegungen. Obwohl die FARC in den letzten Jahren zwei bedeutsame Verluste erfahren hat, kann nicht die Rede von einem baldigen Scheitern der Gruppe sein. Im Gegensatz, um die Lücken der desertierten Kämpfer aufzufüllen, werden Kindersoldaten rekrutiert. Die alarmierenden Daten sprechen von ungefähr 7.000 Minderjährigen im Jahr 2010 (Schuster: 2010, 15). Die ELN war im Jahr 2005 von den beiden gewalttätigen Gruppen die erste, die in Kontakt mit der Regierung in la Havanna (Kuba) kam.

Auf der anderen Seite des Konfliktes stehen die rechtsgerichteten Paramilitärs, die auch in der ersten Hälfte der 1960er Jahren entstanden sind. Sie wurden der Öffentlichkeit aber erst in den 1980er Jahren bekannt (vgl. Hennecke: 2006, 82). Die paramilitärische Gruppen AUC (Autodefensas Unidas de Colombia = Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens) wurde als ein Dachverband im 1997 gegründet. Das vordergründige Ziel der Paramilitärs war es, das Guerillaproblem zu eliminieren, aber auch eine gewisse Macht im Land zu vertreten. Die paramilitärischen ‚Säuberungsaktionen’ sind bekannt, in denen sie „gezielt alles umbringen, was ihren Vorstellungen von Moral und ordentlicher Lebensführung widerspricht, vor allem Angehörige von Randgruppen (Straßenkinder, Prostituierte, Homosexuelle)“ (Von Trotha: 1997, 145). Diese Gruppen finanzieren sich in der Regel durch Drogenhandel und sind verantwortlich für zahlreiche blutige Massaker an der Zivilbevölkerung. Die Mitgliederzahl liegt bei rund 20.000 Kämpfern, die aber für ihre Mitarbeit entlohnt werden.

Das ‚Gesetz über „Justicia y Paz“ (Gerechtigkeit und Frieden) hat im großen Teil eine Demobilisierung der rechtsgerichteten paramilitärischen Gruppen erreicht, trotzdem gibt an dem Gesetz verschiedene Kritik, unten anderem, weil dieses Gesetz durch bestimmte Amnesieregelungen Ex-Mitgliedern der gewalttätigen Organisationen, die zum Teil für zahlreiche Morde verantwortlich sind, Straffreiheit ermöglicht. Die Europäische Union führt seit 2006 die FARC, ELN und AUC als Terrororganisationen.

Das Drogenhandeln als Finanzierungsmittel

Der Drogenhandel als Einnahmenquelle ist eine wesentliche Gemeinsamkeit von FARC, ELN und AUC in Kolumbien, trotz ihrer abweichenden Ideologien. So hat sich der Drogenhandel zusätzlich zum internen bewaffneten Konflikt addiert, was für die Regierende die Arbeit komplizierter macht. Neben der Drogenökonomie, die den Anbau und die Weiterverarbeitung von Drogen (Kokain) sowie den Schmuggel und Verkauf monopolisiert, zählen generieren die gewalttätigen Akteure noch weitere finanzielle Ressourcen, beispielweise aus der Ölindustrie durch Erpressung von Schutzgeldern und die Einahmen aus Lösegeldern durch Entführungen. „Heute sind paramilitärischen Gruppen an allen Stufen der Kokainherstellung beteiligt.“ (vgl. Jäger, Daun, Lambach: 2007, 64-65). Kolumbien liegt seit vielen Jahren weltweit auf Platz eins der Drogenproduktion (v. a. Kokain).

Diese Trennung in einen legalen, demokratischen Teil des Systems und einen illegalen, von Chaos und Gewalt geprägten, lässt sich allerdings bei näherem Hinsehen nicht auf Recht erhalten. So werden auf der einen Seite linke Aktivisten in Parteien, Gewerkschaften und NGOs systematisch und gewaltsam aus dem legalen Bereich verdrängt, während andererseits zahlreiche Fälle von Zusammenarbeit paramilitärischer Todesschwadrone mit Regierungsmitgliedern nachgewiesen wurden. Der Konflikt, dessen Ursprung in dem im Land herrschenden extremen Armutsgefälle zu suchen ist, wird zu einem großen Teil durch den Handel mit illegalen Drogen finanziert, in den alle bewaffneten Akteure verwickelt sind. Trotz der Daten gibt es in Kolumbien kaum Präsenz von Anti-Kriegs-NGOs, weil sich das Land offiziell nicht im Krieg befindet, bzw. kein interner Krieg deklariert ist. Den Kampf gegen die Gewalt in Kolumbien erweist sich seit diesem Jahrzehnt als erfolgreicher, was die Statistiken des Staates belegen: Viele Entführte wurden entlassen, wie die ehemaligen Kandidatin zur Präsidentschaftswahl, Ingrid Betancourt, die 6 Jahre als Geisel der FARC verbrachte und in dieser Zeit sogar ein Kind bekommen hat. Trotz der erwähnten strukturellen Probleme ist das Land für den Weltmarkt geöffnet und prosperiert bei einem jährlichen Wirtschaftswachstum von rund 7 %. Dieses Ergebnis spiegelt sich allerdings nicht in der Struktur der Bevölkerung wieder. Rund 45% der Kolumbianer leben in Armut, ca. 15% der Bevölkerung galten als extrem arm im Jahr 2010 (vgl. Jäger, Daun, Lambach: 207, 62-63. Das Land arbeitet im Rahmen der Guerilla- und Drogenproblematik eng mit der US-amerikanischen Regierung zusammen.

Menschenrechte und Pressefreiheit

Zwar wird in Artikel 20 der geltenden kolumbianischen Verfassung von 1991 die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit garantiert (vgl. Jäger, Daun, Lambach: 2007, 124) aber die Realität widerspricht dem Gesetzt. Das offiziell bestehende Recht auf freie Meinungsäußerung wird im Alltag kaum wahrgenommen. Es gibt keine staatliche Zensur, doch die Zensur beginnt in den Köpfen der Menschen, denn kaum ein Journalist möchte sich und seine Familie unnötigen Risiken aussetzen. Als Folge besitzt der Inhalt der Medien kaum kritische Sendungen, die mit den Mitteln des investigativen Journalismus die Handlung der Politiker hinterfragen. Vor einiger Zeit erhielt einer der bekanntesten investigativen Journalisten Kolumbiens, Hollman Morris, mehrere Morddrohungen. In der Regierung von Alvaro Uribe wurde Morris öffentlich zum „Komplizen des Terrors“ gemacht, was einer versteckten Todesandrohung bedeutend nahe kommt.

Einige internationale Organisationen bestätigen zumindest eine teilweise gewährleistete Pressefreiheit in Kolumbien. Laut dem jährlichen Freedom House Index für 2010 sind die Medien in Kolumbien „teilweise frei“. In der von „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlichten Rangliste der Pressefreiheit allerdings, belegte Kolumbien im selbem Jahr Platz 145. Im Vergleich zum Vorjahr eine Verschlechterung, in dem Kolumbien auf Platz 126 landete. Damit wird gezeigt, dass die Situation der Pressefreiheit in Kolumbien sich verschärft hat. Darüber hinaus wird in einem weiteren Bericht derselben Organisation von einem allgemeinen „Klima der Einschüchterung“ in Kolumbien gesprochen. Zusätzlich wurde das Land im Jahr 2010 unehrenhaft zu einem der Top 5 der gefährlichsten Länder für Presserfreiheit gewählt.

Die kolumbianische Stiftung Fundación para la Libertad de Prensa (FLIP) veröffentlicht jedes Jahr die Zahlen der Opfer der Presseeinschränkung und im Jahr 2010 registrierte sie 125 Verstöße gegen die Pressefreiheit. Obwohl dieses ein Rückgang von etwa 25% gegenüber 2009 signalisiert, wurden darunter auch 2 Journalisten ermordet.

Nach einer Umfrage der kolumbianischen Universidad de la Sabana in der Journalisten aus dem Jahr 2003 befragt wurden, bestätigten diese die Guerilla, paramilitärischen Gruppen und Drogenmafia als die größten Bedrohungen für die Pressefreiheit (Jäger, Daun, Lambach: 2007, 124).

Las Voces del Secuestro

Seit 1994 gibt es eine Sendung in CARACOL Radio, die das erste Programm in der Welt für Entführten produziert: Las Voces del Secuestro = Die Stimmen der Entführung. Die entführten Menschen in dem Land können jedes Wochenende sowie an Weihnachten und Feiertagen ihre Stimme hören lassen. Dieses Radioprojekt wurde vom kolumbianischen Kriegsjournalisten Herbin Hoyos Medina gegründet nach dem er selber für 17 Tage von der FARC entführt wurde. Hier wird den Entführten der FARC erlaubt, den Austausch von Botschaften mit ihren Angehörigen aus humanitären Gründen zu tätigen. Eine erholsame Gelegenheit für Entführte, eine kurze Zeit aus ihrem Alltag zu fliehen. In dieser Radiosendung, die aus privaten Geldern finanziert wird, können die Protagonisten bzw. Opfer des bewaffneten Konflikts selbst zu Wort kommen. Ehemaligen Entführte bestätigen, dass die Guerilleros ihnen erlauben Radio zu hören und jedes Wochenende, wenn sie nicht fliehen müssen, können sie die Sendung hören.

Die Methode dieser Sendung wird durch eine Ankündigung des Moderators, der den Name des Entführten, den Ort und das Datum der Entführung erwähnt begonnen. Im Anschluss können die Angehörigen ihre Botschaft live senden. Den Guerilleros ist bewusst, dass durch diese Botschaften ihre Geiseln etwas motiviert werden, was ein Vorteil für die FARC ist, um ihre ständige Flucht im Urwald von Militärs und den AUC weiter zu ermöglichen. Einige Geiseln versuchen Selbstmord oder verweigern sich weiter zu fliehen oder zu essen, was ihnen das Leben kosten kann. Einige sind seit vielen Jahren entführt und haben sogar Kinder auf der Flucht bekommen.

Krieg als Tatsache dem Feindstrafrecht: Zwischen Unvoreingenommenheit und Stellungnahme

Alejandro Aponte deckt mit seiner Dissertation das wahre Gesicht des „Feindstrafrechts“ in Kolumbien und bezeichnet es als Strafrechtsordnung im permanenten Ausnahmezustand. Im Jahr 1990 gab es Notstandsstrafrecht in dem südamerikanischen Land, in dem die Ermordung von 100 Beamten der Justizverwaltung durch angebliche „Drogenterroristen“ geführt wurde. Der Prozess verzichtet auf eine öffentliche Hauptverhandlung und wird insgesamt „geheim“ geführt, in dem Richter und Staatsanwälte „ohne Gesicht“ gegenüber dem Angeklagten stehen und diese beurteilt. Für das Urteil spielt eine große Rolle die sogenannte „geheime Identität“ der Zeugen.Die Rechtslage der „Justiz ohne Gesicht“ fängt mit einer vorläufigen Festnahme an, was nichts anderes als der Beginn einer jahrelangen Freiheitsentziehung ohne juristische Kontrolle bedeutet. Dieses Problem betrifft 50% der inhaftierten Personen in Kolumbien und die Untersuchungshaft verwandelt sich in die eigentliche Strafe. Meistens dauert es länger als die zu erwartende Freiheitsstrafe.

Die Verfolgung von Straftaten in Kolumbien wird nicht nur durch Staatsanwaltschaft und Polizei durchgeführt, sondern auch durch eine besondere Einheit der kolumbianischen Streitkräfte, die auch Aufgaben der Kriminalpolizei übernimmt.Alejandro Aponte kritisiert die „formaler Natur“ des kolumbianischen Staates, in den von der Guerrilla beherrschten Gebieten keine Präsenz des Staates, außer den militärischen Einheiten, zu sehen sind. Als materiell-rechtlichen Ebene können Sonderstrafrahmen und Strafschärfungsvorschriftenkommen zu den bestehenden Normen des "Bürgerstrafrechts" defi niert werden z.B: die Körperverletzung dann unter eine höhere Strafe gestellt, und dem Anwendungsbereich der "Justiz ohne Gesicht" zugeordnet, wenn die Tathandlung "terroristische Ziele" verfolgt oder der Täter einer "gesetzlich nicht autorisierten bewaffneten Gruppe" angehört (Aponte 2002, 116). Damit erkennt man eine gewisse Dramatisierung der bestehenden Problemlagen (d. h. der Bedrohung durch Terrorismus, Drogenhandel, Organisierte Kriminalität usw.) und ist schließlich kein adäquates Mittel zur Lösung sozialer Konflikte. Deshalb wird solch „Feindstrafrecht“ als eine Scheineffizienz bezeichnet. Nach Aponte ist sie "Justiz ohne Gesicht„ eine Art Inhaftierungs- und Verurteilungsmaschinerie. Außerdem handelt es sich bei den Inhaftierten nicht um die Spitzen des organisierten Drogenhandels, sondern überwiegend um sozial benachteiligte Personen, die dazu gezwungen wurden.

Der Kolumbianer zeigt dabei auf, dass die Regelungstechnik des Gesetzgebers gezielt auf unbestimmten Rechtsbegriffen aufgebaut ist, die von den "Richtern ohne Gesicht" im Sinne einer einzelfallbezogenen Abwägungsdogmatik ausgelegt werden können und als Ergebnis bleibt es daher weitgehend dem Zufall überlassen, ob eine Tathandlung als eine dem "Bürgerstrafrecht" unterworfene „normale“ Körperverletzung oder als ein terroristischer Akt eingeordnet wird. Der kolumbianische Fall zeigt allgemein die Bedingungen auf, dass das "Feindstrafrecht" auch in modernen Demokratien errichtet, praktiziert und legitimiert werden kann. Die Darstellung und Kritik des "effizienten“ Feindstrafrechts in Kolumbien mündet letztendlich in eine Befürwortung für ein liberales "minimales" Strafrecht, dessen Aufgabe der Schutz von Rechtsgütern repräsentiert, die für das "Zusammenleben der Menschen in der Gemeinschaft unerlässlich sind" (Aponte 2000, 352).


Überlegungen

Das Szenario in Kolumbien zeigt, dass die politische und wirtschaftliche Macht mit den Medien eng verworben sind. Der Journalismus und seine Berichterstattung sind traditionell mit der politischen und kulturellen Geschichte des Landes verbunden und ergibt sich aufgrund schwacher Institutionen auf der einen und dem exklusiven politischen Zwei-Parteien-System und einer starken katholischen Prägung auf der anderen Seite (vgl. Lugo-Ocando: 2008, 78).

Seit 2002 kann von einem Beginn des Friedenprozesses in Kolumbien gesprochen werden und zwar unter der Regierung von Alvaro Uribe, der erste Schritte mit seiner versprochenen ‚harten Hand’ der Politik gegen Gewalt durchsetzte. Unter Uribes Initiativen ist das bekannte und erfolgreiche Gesetz ‚Frieden und Gerechtigkeit’ entstanden, das im Laufe seiner Periode vor allem die Integration von ca. 32.000 ehemaligen Kämpfern der paramilitärischen AUC in der Gesellschaft erreichte.

Die mangelnde Präsenz der Sicherheitskräfte in nicht-urbanen Territorien ist ein weiteres Problem. In den peripheren Regionen des Landes sind die bewaffneten Gruppen präsenter als die Polizei oder die Armee. In diesem Kontext ist teilweise sogar die Rede von Staatszerfall.

Ein Paradoxon in der kolumbianischen Gesellschaft ist die Attributierung der Gewalt auf die Guerilla als einzige Verantwortliche, während das Verhalten der Paramilitärs eher selten thematisiert wird. Das ist „keine gute Basis für einen dauerhaften Frieden“ (Schuster: 2010,18-19). Besonders kompliziert zu bekämpfen ist die Korruption auf Seiten von Militärs und ungefähr einem Drittel der kolumbianischen Abgeordneten, die mit den rechtsgerichteten Paramilitärs kooperieren und somit eine Parapolítica schaffen. In Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Regierung wurde der sog. "Plan Colombia" entwickelt, der nicht nur die gewalttätigen Akteure in dem Land bekämpfen sollte, sondern die mit ihnen kooperierenden kollidierten Drogenhändlern.

Die Mordrate ist zwischen 2002 und 2009 von 20.000 auf 15.000 Fälle zurückgegangen (Schuster: 2010,19). Obwohl die Zahlen eine positive Veränderung zeigen, kann noch nicht von einer Niederlage der gewalttätigen Gruppierungen oder einem Postkonflikt gesprochen werden. Unter den Opfern des bewaffneten Konflikts befinden sich Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und Gewerkschafter.

Literatur

  • Hennecke, Angelika: Zwischen Faszination und Gewalt: Kolumbien – unser gemeinsamer Nenner. Frankfurt am Main, 2006.
  • Jäger, Thomas/Daun, Ana/Lambach, Daniel: Die Tragödie Kolumbiens. Staatszerfall, Gewaltmärkte und Drogenökonomie. Wiesbaden, 2007.
  • Sven Schuster: Kolumbien: Frieden im Krieg? In: Welt Trends: Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 73, 2010.
  • Von Trotha, Trutz (Hrsg.) Soziologie der Gewalt. Sonderheft/1997. Wiesbaden, 1997.
  • Wilke, Jürgen (Hrsg.): Massenmedien in Lateinamerika. Erster Band: Argentinien, Brasilien, Guatemala, Kolumbien, Mexiko. Frankfurt am Main, 1992.
  • Wilke, Jürgen (Hrsg.): Alte und neue Medien in Lateinamerika. Hamburg, 2003.
  • Zelik, Raul: Die kolumbianischen Paramilitärs. „Regieren ohne Staat?“ oder terroristische Formen der inneren Sicherheit. Münster, 2009.