John Braithwaite über Terrorismus

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Die wichtigste Arbeit von John Braithwaite über Terrorismus ist sein Aufsatz "Pre-empting Terrorism" aus dem Jahre 2002.

Modelle der Terrorbekämpfung

  • Kriegsmodell
  • Kriminalitätsmodell
  • Internationale Beziehungen-Modell

Das Kriegsmodell kann die physische Eliminierung von Terroristen zum Ziel haben, darüber hinaus aber auch eine Komponente der Abschreckung enthalten.

Modelle der Abschreckung

  • Statisches Modell von Bentham: Wahrscheinlichkeit x Höhe der negativen Sanktion = Wahrscheinlichkeit der Regelbefolgung.
  • Reaktanzmodell von Brehm & Brehm (1981): Eskalierende Drohung bewirkt sowohl mehr Abschreckung als auch mehr Reaktanz; der Abschreckungseffekt ist die Differenz zwischen beiden Wirkungen. Reaktanz hängt von der Wahnehmung einer Bedrohung wichtiger Freiheiten des Bedrohten ab. Je weniger bedeutungsvoll die Einschränkungen für die Betroffenen, desto höher die Abschreckungs- und desto geringer die Reaktanzwirkung. In Terrorkonflikten ist die Gegenseite bestrebt, die Aktionen der anderen Seite als Bedrohung zentraler Freiheitswerte der eigenen Seite darzustellen, um die Reaktanz zu stärken.
  • Modell der internationalen Beziehungen (responsiv, dynamisch)


Reaktanz und prozedurale Gerechtigkeit

Nach Tom Tyler (1990) sind Menschen zum Gehorchen bereit, wenn sie das Verfahren, das zu einer Anordnung führte, als prozedural fair wahrnehmen. Kontrolle von Terrorismus ist dann erfolgversprechend, wenn die Maßnahmen dynamisch und responsiv sind, d.h. wenn sie der "responsiven regulatorischen Pyramide" folgen, also an der Basis der Pyramide ansetzen und es mit Dialog, Versöhnung und kreativen Problemlösungen versuchen (= restorative justice). Nachdem diese erste Stufe ohne Erfolg erschöpfend probiert wurde, geht man zur Stufe der Abschreckung über. Man unterstellt hier einen rationalen Akteur, der sein Eigeninteresse erkennt und sich entsprechend verhalten kann. Gute Diplomatie vermag es, bei individuellen und kollektiven Akteuren, bei denen zunächst nur das irrationale oder inkompetente Selbst erkennbar scheint, das rationale und verantwortliche Selbst hervorzulocken und zum Gesprächspartner zu machen. Erst wenn diese zweite Stufe ohne Erfolg ausprobiert wurde, kommt man zur dritten Stufe der Unschädlichmachung (incapacitation), die auch ohne die Einsichtsfähigkeit der Gegenseite funktionieren kann. Sobald die eigenen Aktionen eine positive Reaktion hervorrufen, sollte man de-eskalieren - so wie es auch die Graduated Reduction in Tension (GRIT) Theorie der Internationalen Beziehungen vertritt.

Regulation von Terrorunterstützern

Aus der Restorative-Justice-Perspektive (und derjenigen der Internationalen Beziehungen) hätte nach dem 11. September 2001 die Herausforderung für die USA darin bestanden, die afghanische Führung von der Unrichtigkeit ihrer Analogie ("wir haben die Sowjets vertrieben, also können wir auch die USA vertreiben") zu überzeugen - und die Auslieferung von Bin Laden zu bewirken. Zumindest wäre es fair gewesen, an der Basis der Eskalationspyramide anzufangen. Und es wäre effizienter gewesen, wenn man bedenkt, wie wenig die Unschädlichmachung funktionierte und wie kontraproduktiv viele Anti-Terror-Aktionen waren.

Saddam Hussein

Aus der Restorative-Justice-Perspektive (und derjenigen der Internationalen Beziehungen) war der Fehler der USA nicht der Verzicht auf die Einnahme Bagdads im ersten amerikanischen Anti-Irak-Krieg, sondern das Versäumnis, vor der Kuwait-Invasion kristallklar auf die Konsequenzen einer Kuwait-Invasion durch Saddam Hussein hinzuweisen. Die Kriegsvermeidungsmöglichkeiten waren nicht ausgeschöpft worden. Dann wurde die Eskalation nicht langsam, sondern übereilig und übertrieben organisiert. Danach kam es nicht schnell genug zu einer De-Eskalation. Man machte gewissermaßen alles falsch, was man falsch machen konnte.

Die fatale Sequenz war also Unter-Abschreckung, gefolgt von Über-Abschreckung, gefolgt von unzulänglicher De-Eskalation. Dasselbe Muster zeigte sich auch bei Bush II. und seiner Reaktion auf den Terrorismus: "Unter-Reaktion, gefolgt von Über-Reaktion, gefolgt von dem Versäumnis zu demobilisieren" (2005: 101).

Eindämmung und Vergrößerung

Positive Beispiele aus restaurativer und regulativer Sicht:

  • Nelson Mandela führte seine Organisation in den leider notwendigen bewaffneten Kampf, der auch zivile Ziele hatte (Energieversorgung), riet aber von der Tötung von Zivilisten ab. Die Eskalation war graduell und auf die Gewinnung der "hearts and minds" der Weltöffentlichkeit gerichtet. Als er an die Macht kam, ging es ihm um restorative justice und seine ehemaligen Gefängniswärter saßen bei seiner Amtseinführung neben ihm.


  • General George Marshall führte die US-Regierung zu der Überzeugung, dass eine militärische Kapazität für einen Landkrieg in Nordwesteuropa zur Niederringung Deutschlands erforderlich war; als der Sieg errungen war, führte er eine punitiv eingestellte US-Bevölkerung und -Regierung zu einer Versöhnungspolitik, welche die Fehler von Versailles vermied. Marshall war immer engagierter für die Eskalation - und dann auch für die De-Eskalation - wenn es erforderlich war, als die Leute um ihn herum. Als Eindämmungs-Politiker verhinderte Marshall neue große Kriege nach 1945 - und als Vergrößerungsstratege gelang ihm die Ausdehnung des Bereiches der Demokratie. Marshalls Nachfolger (John Foster Dulles) versuchte Eindämmung in Lateinamerika und zerstörte dabei gleichzeitig auf Jahrzehnte hinaus die Möglichkeit der Ausdehnung, indem er Militärdiktaturen in Kauf nahm oder installieren ließ. Ähnliches gilt für die Politik des Westens gegenüber der arabischen Welt, wo man autoritäre Marionettenregierungen finanziert.

Das zerrissene Netz von US-Terror-Kontrollen

Eindämmungsversagen: US-Widerstand gegen eine internationale Abmachung zur Kriminalisierung von Terror-Finanzierung in den 1990ern; Verzicht auf "target hardening" gegen Flugzeugentführungen vor dem 11. September 2001; als man versuchte, den Präsidenten in seiner Sommerferienidylle mit Warnungen über bevorstehenden Entführungen zu stören, führte dieses Alarmniveau nicht einmal zur Benachrichtigung von Flugkapitäten oder Fluggesellschaften.

Vergrößerungsversagen: Versagen bei der Demokratisierung Palästinas (souveräne Demokratie), bei der Schaffung erträglicher Lebensbedingungen in Flüchtlingslagern in Pakistan und anderen Rekrutierungsgegenden für Al-Kaida. Aber auch in früheren Zeiten hatte man versagt bei der Demokratisierung Irans, des Irak vor 1990, Afghanistans nach 1989 und Saudi-Arabien .... "US-Ermutigung von Terrorismus in einer Zeit, die dann in einer anderen Zeit wieder zurückkehrt, um den Terrorismus gegen die USA zu wenden, ist kein neues Phänomen" (2005: 104). Die CIA organisierte 1985 einen terroristischen Bombenanschlag in Beirut, der dem Oklahoma City Anschlag ähnelte, 80 Personen tötete, 250 verwundete und die eigentliche Zielperson unbeschädigt entkommen ließ. Während die USA die Grundlagen der globalen Eindämmung des Terrorismus unterminierten, war der größte Riss im amerikanischen Anti-Terror-Netz die aktive Förderung von Terrorismus in den 1960er bis 1980er Jahren.

Häufig führt eine akute Bedrohung zur Vernachlässigung von Vergrößerung zugunsten von Eindämmung - aber das ist ein Fehler.

Die Strafverfolgung von Terroristen ist vielleicht der Kriegsführung überlegen. Man sehe sich die Erfahrungen Italiens mit den Roten Brigaden an.

Weblinks