Guantanamo

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Guantanamo ist eine Stadt auf Kuba, aber zum Begriff wurde der Name erst als Synonym für das von den USA unweit der Stadt und direkt an der Buch von Guantánamo errichtete Gefangenenlager. Dieses aus mehreren Einzellagern bestehende Gefangenenlager ist ein direktes Produkt und zugleich ein Sinnbild des War on Terror. Es befindet sich auf dem Gelände des US-Militärstützpunktes namens Guantanamo Bay Naval Base. Bewacht wird das einstmals 779 und heute (Mai 2011) noch 172 Häftlinge beherbergende Gefangenenlager von Guantanamo von einer aus 1300 Beschäftigten bestehenden speziellen Task Force der US-Streitkräfte. Der Philosoph Giorgio Agamben sieht Guantanamo als Symbol für die Rechtlosigkeit des Menschen in dem vom Souverän proklamierten Ausnahmezustand.

Im rechtlosen Raum leidet auch die Informationsfreiheit der Öffentlichkeit. Die Existenz des Lagers Nummer 7 wurde zwei Jahre lang erfolgreich verheimlicht. Journalisten können auf geführten Touren Teile des Lagers besichtigen, dürfen aber nicht mit Gefangenen sprechen. Im April 2011 veröffentlichte Wikileaks 779 als geheim klassifizierte Dokumente aus dem Zeitraum Februar 2002 bis Januar 2009.


Geschichte

Das Röntgenlager (2001-2002)

Die Arbeit am ersten provisorischen Lager, dem "Röntgenlager" Camp X-Ray, begann im Dezember 2001. Als am 11.01.2002 die ersten 20 Gefangenen im Guantanamo Bay Detention Camp (auch: GTMO; Gitmo) eintrafen, kamen sie in Drahtkäfige von ca. 2,5 x 2,5 Metern. Die Gefangenen, deren Zahl bald auf 300 meist in Pakistan oder Afghanistan gefangene Personen anwuchs, mussten ihre Notdurft innerhalb der Käfige verrichten (Duschen gab es nur außerhalb). Die ersten Fotografien der hinter Maschen- und Stacheldraht in orangenen Anzügen und gelegentlich mit verbundenen Augen vor schussbereiten Soldaten knieenden Gefangenen erlangten weltweite Symbolkraft. Mit der Verlegung der Gefangenen in das mit Zellenblöcken mit Metallwänden ausgerüstete Camp Delta wurde das Röntgenlager Ende April 2002 geschlossen.

Das Delta-Lager

Baubeginn für das Delta-Lager war das Jahr 2002. Welche und wie viele Teil-Lager das Lager umfasst, war lange Zeit nicht bekannt. Unstreitig ist die Existenz der Teil-Lager 1 bis 6. Hinzu kommen ein lange geheimgehaltenes Lager 7 (auch: Platin-Lager; Lager No) sowie die Teil-Lager Echo, Leguan und Psychiatrie. Das Delta-Lager verfolgt eine Art Privilegien- oder Stufensystem, wobei die Kooperation mit Wach- und Verhörpersonal über die Qualität der Unterbringung entscheidet. Im Oktober 2012 wurde von der Internet-Plattform Wiki-Leaks das Regelwerk für die Organisation von Camp Delta veröffentlicht [1].

Lager 1 bis 6

  • Lager 3 (Höchstsicherheit) ist für die Neuankömmlinge. Von dort geht es für die kooperativen Gefangenen zuerst ins Lager 2 und dann 1. Wer zudem noch als ungefährlich eingestuft wird, kommt ins Lager 4, wo die Häftlinge einige Privilegien genießen. Sie tragen weiße Kleidung, verfügen über ein eigenes Bett und einen schmalen Schrank, können ihre Mahlzeiten in einem Gemeinschaftsraum (für je 10 Häftlinge) zusammen mit anderen Gefangenen einnehmen und haben das Recht auf kleine Ergänzungen zu ihren Essensrationen sowie auf längere Zeiten zum Duschen und für körperliche Bewegung.
  • Das nach einem maximum security Gefängnis in Terre Haute, Indiana, gebaute und im Jahre 2004 eröffnete Lager 5 dient der Unterbringung von bis zu 100 nicht-kooperativen (non-compliant) Gefangenen und war im September 2006 etwa halb voll. Das US-Verteidigungsministerium berichtete, dass sich Mohammad Ahmed Abdullah Saleh Al Hanashi am 1. Juni 2009 in Lager 5 suizidierte.
  • Lager 6 wurde nach dem Vorbild von US Federal medium-security penitentiaries gebaut: individuelle Zellen um eine Gemeinschaftsfläche herum, auf der sich die Gefangenen während eines Teils des Tages gemeinsam aufhalten können sollten. Noch während der Bauzeit wurde beschlossen, dass die Gefangenen keine Zeit gemeinsam verbringen sollten. So wurde Lager 6 zur maximum security Einrichtung. Im April 2010 zeigte ein Photobericht im "Guardian" ein TV-Gerät auf der Gemeinschaftsfläche. Häftling wurden am Fußboden angekettet, während sie ihre als Privileg gewährte Fernsehzeit genossen.

Lager 7

Das kleine und "ultra-sichere" Lager 7 (auch Platin-Lager und Nein-Lager genannt), dessen Existenz zwei Jahre lang geheimgehalten wurde, war das Aufnahmelager für die am 5./6. September 2006 von geheimer CIA-Haft in Militärhaft auf Guantanamo überstellten 14 "hochwertigen" Häftlinge, die Kapuzen tragen müssen, wenn sie in andere Teile des Lagers geführt werden. Mit der Begründung, dass die genaue Lage von Lager 7 nicht bekannt werden dürfe, wurde Anwälten der Zugang zu Lager 7 lange Zeit verwehrt. Erst als Anwälte (Suzanne Lachelier, Richard Federico) anboten, dieselben Kapuzen zu tragen, wurde ihnen Zugang erlaubt. Sie wurden in fensterlosen Transportwagen gefahren, so dass die Geheimhaltung aufrechterhalten wurde. Am 04.02.2009 schrieb Chief Military Defense Counsel Peter Masciola: "...To date, only one HVD attorney team has been permitted to inspect Camp Platinum; attorneys from such team assert that conditions of confinement may well be in violation of the law and current directives of the EO (Executive Order 13492)."

Das Leguan-Lager

Im Leguan-Lager Camp Iguana wurden zunächst Kinder interniert. Inzwischen dient das auf offiziellen Fotos hell und geräumig aussehende Teil-Lager dem Aufenthalt derjenigen Häftlinge, die nur mangels Aufnahmebereitschaft (der USA selbst sowie anderer Länder) nicht entlassen werden konnten.

Das Echo-Lager

Das auch zu Verhörzwecken benutzte Echo-Lager Camp Echo ist ein ausgelagerter Teil des Delta-Lagers und dient der Einzelhaft von "hochwertigen" Gefangenen und unter anderem auch der Haft derjenigen, über deren weiteres Schicksal Militärkommissionsverhandlungen auf dem Lagergelände entscheiden sollen. Es erlaubt Kontakt zwischen Anwälten und Gefangenen in der Nähe ihrer Zellen: "The eight feet by ten feet (2.4 m by 3 m) concrete buildings have windows in the doors, and are air-conditioned. The cell side contains a toilet and a cot. The visitor side contains a table and chairs."

Haftbedingungen

(Fehl-) Klassifikationen

  • Vier Jahre nach Lagereröffnung - am 11.01.2006 - befanden sich rund 500 Gefangene im Lager. Während der Bush-Ära wurden insgesamt 537 Gefangene in ihre Heimatländer oder Drittländer überstellt. Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Obama im Januar 2009 konnten 67 Gefangene das Lager verlassen. Anfang Mai 2011 sassen noch 172 ein.
  • Die ersten 20 Ankömmlingen galten zunächst als "die schlimmsten der Schlimmen". Das war ein Irrtum. Nachdem der erste von ihnen schon nach 9 Monaten sang- und klanglos wieder freigelassen wurde, befanden sich im Mai 2011 nur noch 12 der ersten 20 im Lager. Ob sie jemals eine Anklage sehen werden, ist zweifelhaft.
  • Die sogenannten "schmutzigen 30" unter den ersten 300 Ankömmlingen im Röntgen-Lager galten als "innerer Führungszirkel" von Al Q'aida um bin Laden und Al Zawahiri. Die in den Tora-Bora-Bergen Festgenommenen waren vielleicht aber auch nur zufällig dort gewesen. Jedenfalls wurden 10 von ihnen ohne Verfahren entlassen - die Informationen über die restlichen sind von unklarer Qualität.
  • Die Gefangeneneinschätzungen durch das Guantanamo-Personal, die sog. Detainee Assessments, belegen nach den Worten des Murat-Kurnaz-Anwalts Bernhard Docke "Ignoranz, Inkompetenz und Willkür". Geheimdienstliche Vermutungen und Irrtümer wurden wie zuverlässige staatsanwaltliche Erkenntnisse behandelt: der Gefangene Salih al-Qarani mit der Häftlingsnummer US9CD-000269 wurde als aktives Mitglied einer Londoner Qaida-Zelle bezeichnet, obwohl er zum Zeitpunkt der vermuteten Aktivitäten erst 11 Jahre alt war. In einem anderen Papier ist von einer "Bremer Zelle" die Rede, von der die deutschen Behörden nie etwas gehört hatten. Anschuldigungen gegen 255 Gefangene beruhten allein auf den Aussagen von 8 Mitgefangenen (Goetz 2011: 93, 95).

Viele Fehleinschätzungen beruhten nach Ansicht des ehemaligen (September 2005 bis Oktober 2007) Chefanklägers, des Air-Force-Oberst a.D. Morris Davis, auf zwei Widersprüchen:

  • Erstens: Konflikt zwischen CIA-Interessen, aus den Gefangenen anschlagsrelevante Informationen herausholen (egal wie, präventiv orientiert) und Militärinteressen, Beweise für zurückliegende Taten zu sammeln.
  • Zweitens: Das Militär hatte keine guten Verhörspezialisten. "Wir hatten Piloten und Panzerfahrer ausgebildet, aber keine Verhörspezialisten. Als heuerten wir Leute von Privatfirmen an, darunter viele junge Männer, die kaum Erfahrung in diesem Bereich hatten. Man kann das in den jetzt veröffentlichten Dokumenten sehen: Da wimmelt es von logischen Fehlern, die Analysen sind schwach. Es wurden falsche Schlüsse gezogen" (Morris 2011: 94).


Folter, Suizid

  • Nach der Amtsübernahme durch Generalmajor Geoffrey Miller, der mehr Informationen aus den Gefangenen herausholen sollte, entschlossen sich zwischen dem 18. und 26. August 2003 23 Gefangene zum Suizid durch Erhängen. Als das 2005 bekannt wurde, erklärte das Pentagon, die Gefangenen hätten den Betrieb "stören" und das neue Personal "herausfordern" wollen. Menschenrechtsorganisationen hielten Foltermethoden für ursächlich (FAZ 26.01.05: 2).
  • 2009 wurde ein 43-Seiten-Bericht des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) vom Februar 2007 internet-öffentlich. 780 Männer waren insgesamt interniert gewesen. Sie kamen aus Dutzenden von Staaten. Im April 2009 befanden sich dort noch ca. 240 Gefangene. Die Bush-Regierung hatte 60-80 davon anklagen wollen. Weitere 60 galten z.T. seit langer Zeit nicht mehr als gefährlich und sollten freigelassen werden. 105-125 sollten ohne Anklage interniert bleiben. Militärankläger hatten 21 Anklageschriften vorbereitet. Der IKRK-Bericht betraf 14 sog. Platinum-Gefangene, mit denen Gespräche geführt worden waren, also mutmaßliche Planer von großen Attentaten einschließlich des 11.09.2001. Die 14 Gefangenen um Khalid Scheich Mohammed und Ramzi Binalshib waren vom 6.-11.10. und 4.-14.12.2006 in Guantánamo vernommen worden. Sie waren auf Geheiß von Präsident Bush im September 2006 von verschiedenen CIA-Gefängnissen nach Guantánamo geflogen worden. Das IKRK hielt die Aussagen der Gefangenen für glaubwürdig. Das IKRK kritisierte in dem Bericht die Hilfe von Medizinern bei Misshandlungen: "Die Gefangenen hätten übereinstimmend berichtet, dass medizinische Kräfte teilweise oder ständig anwesend waren, als sie von ihren Vernehmern geschlagen wurden oder ihr Kopf gegen die Wand gehämmert wurde, als sie mit den Armen an die Decke ihrer Zelle gekettet, nackt ausgezogen, in Kisten eingeschlossen sowie Hunger, extremer Kälte, lauter Musik und fortgesetztem Schlafentzug ausgesetzt wurden. Teilweise hätten die Mediziner direkt bei den Misshandlungen assistiert, etwa beim simulierten Ertränken (Waterboarding), über das drei der 14 Gefangenen berichteten" (Rüb 2009).
  • Während der Tortur von Khalid Scheich Mohammeds wurden der Sauerstoffgehalt seines Blutes und sein Puls gemessen. Mediziner drohten einem anderen Häftling, dass seine ärztliche Versorgung von seiner Zusammenarbeit mit den Vernehmungsbeamten abhänge. "In manchen Fällen habe das medizinische Personal Anweisungen gegeben, mit den „harschen“ Verhören „fortzufahren, Methoden zu korrigieren oder diese einzustellen“. Der Gefangene Wald bin Attasch berichtet, während er mit den Armen an der Decke seiner Zelle angekettet gewesen sei und sein linker Fuß den Boden kaum berührt habe (Attaschs rechter Unterschenkel wurde wegen einer früheren Verletzung amputiert), habe offenbar ein Arzt den Umfang seines Knöchels regelmäßig gemessen und das Ende der Tortur angeordnet, als die Schwellung offenbar bedrohliche Ausmaße angenommen hatte" (Rüb 2009).
  • Mohammed al-Kahtani wurde einen Monat oder länger völlig isoliert gehalten und extremen Temperaturen ausgesetzt: "Sie haben ihn nackt vor Soldatinnen gestellt, sie haben ihm gedroht. Sie wendeten die Methode des systematischen Schlafentzugs an (...) Susan Crawford hat später zugegeben, dass dies Folter war (...) Kahtani sitzt immer noch in Guantanamo. Und auch die Obama-Regierung ignoriert diesen Fall. Sie ist den Vorwürfen der Folter nie nachgegangen, wie das Gesetz es verlangt hätte" (Morris 2011: 95).
  • "Übereinstimmend berichten die Gefangenen, sie hätten während ihres Fluges nach Guantánamo von den CIA-Geheimgefängnissen an unbekannten Orten, der zwischen drei und 30 Stunden gedauert habe, Windeln tragen müssen, weil sie die Toiletten nicht hätten aufsuchen dürfen. Während des gesamten Fluges seien sie angekettet sowie an Händen und Füßen gefesselt gewesen, zudem habe man ihnen die Augen verbunden und auf die Ohren schalldichte Kopfhörer gesetzt, aus denen teilweise leise Musik zu hören gewesen sei. Alle 14 Gefangenen berichteten, sie seien nach ihrer Festnahme zwischen März 2002 und Mai 2005 mehrere Tage bis zu einem Monat lang in dem betreffenden Land - in neun Fällen Pakistan - festgehalten worden, ehe man sie mehrfach zu unterschiedlichen Geheimgefängnissen an verschiedenen Orten in jeweils wohl anderen Staaten geflogen habe" (Rüb 2009).

Ära Obama

  • Bei seinem Amtsantritt dekretierte Obama die Schließung von Guantanamo binnen eines Jahres. Prozesse gegen Häftlinge sollten vor einem Bundesgericht in New York stattfinden. Der US-Kongress sperrte aber alle Mittel für eventuelle Transporte von Guantanamo-Häftlingen auf das amerikanische Festland. Im März 2011 ebnete Obama daher notgedrungen den Weg zur Wiederaufnahme der Militärtribunale und skizzierte zugleich einen Weg, wie die Fälle der 172 noch in Guantanamo verbliebenen Häftlinge bearbeitet werden sollten. Bis Ende 2011 sollen im "Camp Justice" auf dem ehemaligen Flughafengelände der Militärbasis Prozesse gegen Chalid Scheich Mohammed und Ramzi Binalshibh sowie drei Mitangeklagte beginnen. Rund zwei Dutzend Prozesse sollen folgen. Wie man mit den weiteren Gefangenen umgeht, ist noch ungewiss.

Bezug zu Deutschland

Aufarbeitung

Die strafjuristische Aufarbeitung der Foltervorwürfe stößt auf erheblichen Widerstand.

"Zwi­schen 2004 und 2007 wur­den in Deut­sch­land und Fran­k­reich ins­ge­s­amt drei Straf­an­zei­gen ge­gen ame­ri­ka­ni­sche Re­gie­rungs­mit­g­lie­der, un­ter an­de­rem den ehe­ma­li­gen Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Do­nald Rums­feld, und An­ge­hö­ri­ge der St­reit­kräf­te we­gen Kriegs­ver­b­re­chen, Fol­ter und wei­te­ren Straf­ta­ten in den Mi­li­tär­ge­fäng­nis­sen Gu­an­tá­na­mo und Abu Gh­raib ge­s­tellt. Die je­weils zu­stän­di­gen An­kla­ge­be­hör­den in Karls­ru­he und Pa­ris ver­zich­te­ten je­doch in al­len Fäl­len auf die Auf­nah­me von Er­mitt­lun­gen. Da­ge­gen ein­ge­leg­te Rechts­mit­tel wur­den von den Ge­rich­ten ver­wor­fen" (ECCHR 2007).

Die Bürgerrechtsorganisation Democracy Now! und andere bemühen sich weiterhin um Aufklärung und Aufarbeitung.

Literatur

  • Davis, Morris (2011) "Alles war auf einer Lüge aufgebaut". DER SPIEGEL 18: 94-95.
  • Goetz, John u.a. (2011) Eine kafkaeske Maschinerie. DER SPIEGEL 18: 93-95
  • Rüb, Matthias (2009) Folter in Guantanamo. Die Ärzte assistierten den Ermittlern. FAZ 09.04., aufgerufen am 25.04.09 unter: http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0 Doc~E55DA5C81E78846AD8128990DDEE46BF5~ATpl~Ecommon~Scontent.html
  • Willemsen, Roger (2007) Hier spricht Guantanamo. Frankfurt: Fischer.

Links