Dei delitti e delle pene

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Dei delitti e delle pene (Von den Verbrechen und von den Strafen) ist der Titel des erstmals 1764 anonym in Livorno veröffentlichten Hauptwerks von Cesare Beccaria, in dem der Autor sich u.a. für die Abschaffung von Folter und Todesstrafe einsetzte. Das Werk wurde ein internationaler Erfolg (sieben Auflagen in sechs Monaten; Übersetzungen ins Französische, Englische, Deutsche, Polnische, Spanische und Niederländische). Es enthielt eine säkularisierte und auch für Nichtjuristen verständliche Strafrechtstheorie, die auf radikale Änderungen abzielte: „Die Gesetze, welche die Abfälle der barbarischsten Zeitalter darstellen, werden in dem vorliegenden Buch zu jenem Teil untersucht, der das Strafsystem betrifft; und es wird das Wagnis unternommen, den Lenkern des öffentlichen Glücks die Fehlleistungen dieser Gesetze in einem Stile darzulegen, welcher die unaufgeklärte und unruhige Menge fernhält“ (Beccaria 1966: 49 f.).

Entstehung

Das Buch entstand aus Diskussionen in der Akademie der Fäuste, also im Hause des Grafen Pietro Verri. Dieser schrieb an ökonomisch-politischen Arbeiten, während sein jüngerer Bruder Alessandro Verri an einer Geschichte Italiens arbeitete. Und überhaupt schien jeder in der Gruppe ein konkretes Projekt zu haben - außer Beccaria. Dieser "langweilte sich und langweilte die anderen", schrieb Pietro Verri am 1.11.1765 an seine Freunde in Mailand: "Aus Verzweiflung fragte er mich nach einem Thema, ich empfahl ihm dieses, denn ich wußte, dass es für einen beredsamen Menschen, dem die lebhaftesten Bilder zur Verfügung stehen, sehr geeignet war. Aber er wußte nichts von unserem Strafwesen. Alessandro, der das Amt eines Protektors der Gefangenen innehatte - es war dies ein Ehrenamt für junge Juristen, die zugleich als Anwälte der Armen, der Witwen und Waisen auftraten -, versprach ihm seinen Beistand. Beccaria begann auf lose Stücke Papier Ideen aufzuschreiben, wir folgten ihm dabei mit Begeisterung, brachten ihn so in Glut, daß er eine große Menge Gedanken niederschrieb; nach dem Mittagessen ging man spazieren, nahm Erörterungen, griff Fragen auf, und abends wurde geschrieben; aber für ihn ist das Schreiben so mühsam, es kostet ihn eine solche Anstrengung, daß er nach einer Stunde nachläßt und sich nicht beherrschen kann. Als er das Material zusammengebracht hatte, schrieb ich es auf, es wurde ihm eine Ordnung gegeben und es wurde ein Buch daraus" (zit.n. Alff 1966: 13 f.).

Alessandro Verris Version der Entstehungsgeschichte ist ähnlich, betont aber stärker den Eigenanteil Beccarias am Manuskript. In einem Brief an Isidoro Bianchi vom 16.04.1803 schrieb er, dass der Marchese Beccaria "viel nachdachte, bevor er schrieb, mehr als zwei Stunden konnte er der Ermüdung nicht standhalten; waren die vorbei, so legte er die Feder aus der Hand. Spät abends kehrte Graf Pietro nach Hause zurück. Der Marchese las ihm vor, was er geschrieben hatte, und nach seiner Begutachtung nahm er manchmal Veränderungen und Verbesserungen vor. Aber da dem Marchese offensichtlich die Mühe widerstrebte, seine erste Niederschrift, die voller Veränderungen war, ins reine zu schreiben, so erinnere ich mich dessen, dass mein Bruder Wert darauf legte, eigenjhändig das Werk ins reine zu schr3eiben. Er ermunterte Beccaria stets fortzufahren und sagte ihm dafür den Beifall Europas voraus" (zit.n. Alff 1966: 14 f.).

Philosophische Grundlagen

Grundlage des Werkes ist die Idee des Gesellschaftsvertrags: Um eines sicheren und fruchtbaren Zusammenlebens willen verzichten die Menschen auf einen Teil ihrer Freiheit und legen ihn „als heiliges Depositum“ in die Hände ihres Herrschers. Das Recht ist nach Beccaria die für das Wohl und den Nutzen aller unerlässliche Einschränkung der persönlichen Freiheit. Mit der Ablehnung der Folter bezieht sich Beccaria ausdrücklich auf Montesquieu (7. Buch, 12. Kapitel von "De l’esprit des lois"). Allerdings stellt er dessen Auffassung vom Adel als nützlicher und notwendiger Zwischengewalt zwischen Krone und Volk zur Sicherung der Freiheit in Frage. Er fragt, ob der Adel „nicht vielmehr eine Schicht bildet, welche alles Ansehen und alle Chancen, an denen die Menschen beteiligt wären, auf einen sehr engen gesellschaftlichen Kreis beschränkt, den fruchtbaren und lieblichen Oasen gleich, die in den weiten Sandwüsten Arabiens auftauchen“ (XXI. Kapitel).

Reformgedanken

Abschaffung der Todesstrafe

Beccaria plädiert für die Abschaffung der Todesstrafe und deren Ersatz durch lebenslange öffentliche Zwangsarbeit. Damit ist freilich gemeint: lebenslange Strafknechtschaft bei härtesten Arbeitsbedingungen, nämlich "Fesseln und Ketten unter Schlagstock und Joch oder in einem eisernen Käfig" - und das alles öffentlich vollstreckt (Beccaria 2005: 51 f.; Naucke 2005: XXVI).

Die Todesstrafe ist weder mit dem Selbsttötungsverbot zu vereinbaren noch wirkt sie abschreckend noch lässt sie sich aus dem Gedanken des Gesellschaftsvertrags herleiten, da kein Mensch per Vertrag einem anderen Menschen das Recht einräumen würde, ihn gegebenenfalls zu töten. Abschreckung wird besser durch lebenslange Zwangsarbeit erreicht, da der Mensch kurze aufwühlende Ereignisse wie eine Hinrichtung schnell vergisst, während der regelmäßige Anblick eines dauernden Elends von nachhaltiger und läuternder Wirkung ist (Kapitel XVI).

Einschränkungen: „Der Tod eines Bürgers kann nur aus zwei Beweggründen für notwendig gehalten werden. Der erste ist dann gegeben, wenn er auch unter dem Entzug der Freiheit noch derartige Beziehungen und eine so große Macht hat, daß die Sicherheit der Nation davon betroffen ist und die Tatsache daß er lebt, eine gefährliche Umwälzung der bestehenden Regierungsform hervorrufen könnte. Der Tod eines Bürgers wird somit dann notwendig, wenn die Nation ihre Freiheit wiedererlangt oder verliert, oder in einer Zeit der Anarchie, in welcher Unordnung für das Gesetz steht. Doch während der ungestörten Herrschaft des Gesetzes, unter einer Regierungsform, welche die einmütige Zustimmung der Nation hat und nach außen wie nach innen durch die Macht und durch die Meinung, welch letztere vielleicht wirksamer als die Macht selber ist, geschützt wird (...), sehe ich keine Notwendigkeit, einen Bürger zu vernichten, es sei denn, sein Tod wäre der rechte und einzige Zügel, um die anderen von der Begehung des Verbrechens abzuhalten: und dies ist der zweite Beweggrund, aus dem die Todesstrafe für gerecht und notwendig gehalten werden kann“ (Beccaria 1966: 110 f.).

Kritik: Mit dem Hauptkritikpunkt, dass die Todesstrafe für den Staat nicht nützlich sei, tappt der Autor des Werkes in die nach ihm benannte Beccaria-Falle (vgl. Naucke 2005: XXV-XXVII). Die dunkle Seite der Aufklärung überschattet bei der Diskussion der Alternativen zur Todesstrafe das von Beccaria immer wieder beschworene Gefühl für Humanität.

Abschaffung der Folter

Die Folter ist widersinnig und unmenschlich: der Unschuldige kann dabei nur verlieren: er wird auf Verdacht mit Folter bestraft - und falls er schwach ist, gesteht er (das führt zu einer weiteren Bestrafung); falls er frei gesprochen wird, ist seine Ehre dennoch ruiniert. Der Schuldige kann durch die Folter ein kleineres Übel gegen ein größeres eintauschen: falls er stark ist, widersteht er der Folter und wird freigesprochen. Außerdem ist durch Folter jedes beliebige - auch falsche - Geständnis einholbar.

Weitere Forderungen

  • Abschaffung grausamer Strafen
  • Willkürverbot für die Polizei
  • Strenge Bindung der Richter an das Gesetz. Keine Willkür beim Strafen: nur das Gesetz bestimmt die Fälle, in denen gestraft wird, die Richter haben bei der Anwendung der Strafen keinen *Entscheidungsspielraum.
  • Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen
  • Gewährung ausreichender Zeit für die Verteidigung
  • Zügige Abwicklung des Strafverfahrens
  • Unschuldsvermutung (in dubio pro reo)
  • Abschaffung des Strafzwecks der Vergeltung zugunsten der Abschreckung
  • Prävention geht vor Repression: "Besser ist es, Verbrechen vorzubeugen als sie zu bestrafen" (1966: 148).
  • Proportionalität von Verbrechen und Strafe
  • Gleichheit vor dem Gesetz. Keine Privilegien für den Adel. Die Gesetze sollen klar und einfach sein. Und sie sollen öffentlich bekannt sein. Freiheit der ökonomischen Betätigung soll von Gesetzen so gelenkt werden, dass keine zu große Kluft zwischen Arm und Reich entsteht.
  • Gewissheit im öffentlichen Bewusstsein, dass jeder Gesetzesbruch bestraft wird.
  • Keine Strafe bei Verbrechen, die von ihrer Natur aus in der Mehrzahl der Fälle straflos bleiben, da sonst die Strafe zu einem Anreiz wird (z.B. Ehebruch). Gesetzlicher Schutz Schwächerer um z.B. lediger Mütter, Homosexueller
  • Vorbildwirkung des Souveräns, der die Todesstrafe abgeschafft hat und damit nicht mehr zum Mörder wird.
  • Belohnung der Tugend; Erziehung.
  • Vernünftige und milde Gesetze statt willkürlicher Begnadigungen: "Mit der Milderung der Strafen werden Milde und Verzeihen weniger notwendig. (...) Die Milde (...) müßte bei einer vollkommenen Gesetzgebung, wo die Strafen milde sind und das Gerichtsverfahren auf geregelte und zügige Weise vor sich geht, ausgeschlossen sein" (1966: 156).
  • Durchsetzung des Grundsatzes „nulla poena sine lege“
  • Beschränkung der Strafbarkeit auf sozialschädliches Verhalten. Einziger Maßstab für die Beurteilung von Strafen ist der Schaden, der der Allgemeinheit und Einzelpersonen zugefügt wird.

Rezeption

In der Spannung zwischen den unmenschlichen Rechtsverhältnissen und der fast übereinstimmenden Ablehnung derselben durch die Philosophen war der Erfolg Beccarias gesichert. Er war einer der ersten Denker der Neuzeit, der sich mit Fragen der Rechts- und Kriminalpolitik befasste und weitreichende Vorschläge zur Verhinderung des Verbrechens machte. Er war der aristokratischen Republik Venedig gefährlich; veranlasste Gegenschrift des Mönches Ferdinando Facchinei. Alessandro Verri schrieb Verteidigungsschrift, die anonym erschien.

Einfluss auf Gesetzesreformen in England, Russland, Schweden, bei den Habsburgern, auf die Gesetzgebung einiger amerikanischer Staaten. Diderot, d’Alembert, Helvétius, Holbach und Voltaire waren begeistert. Luden Beccaria nach Paris ein (besuchte nur eine Veranstaltung, fuhr dann aus Heimweh zurück. Der ihn begleitende Alesandro Verri versuchte Beccaria zurückzuhalten. Streit zwischen den Verris und Beccaria. Pietro Verri sähte Zweifel an der Eigenständigkeit von „Dei delitti e delle pene“. Nach Pietros Tod bestätigte Alessandro Verri die Autorenschaft Beccarias). Katharina die Große lud ihn danach nach Petersburg ein, um an ihrer Gesetzgebung mitzuwirken – kam nicht. Voltaire und Diderot kommentierten die Abhandlung zustimmend.- Kant, Hegel und Schopenhauer hielten Beccarias Argumente gegen die Todesstrafe nicht für überzeugend. 1766 vom Papst auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt

Ausgaben

Deutsche Übersetzungen in absteigender Reihenfolge: