Korruptionswahrnehmungsindex

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Der vom Passauer Wirtschaftswissenschaftler Johann Graf Lambsdorff entwickelte und seit 1995 jährlich von Transparency International (IT) veröffentlichte Korruptionswahrnehmungsindex (engl. Corruption Perceptions Index, CPI) ist ein Indikator für subjektiv wahrgenommene Korruption im öffentlichen Sektor auf Länderbasis. Dabei werden für die betrachteten Länder Werte zwischen 0 (das höchste Maß an wahrgenommener Korruption) und 10 (keine wahrgenommene Korruption) ermittelt.

Klassifizierung

Im Gegensatz zu objektiven Indikatoren für Korruptionsverbreitung, wie z. B. der bundesdeutschen Polizeilichen Kriminalstatistik oder dem Lagebild Korruption, ist der CPI ein auf individuellen Wahrnehmungen beruhender Index und damit ein subjektives Messinstrument. Seit Mitte der 1990er Jahre sind solche subjektiven Korruptionsindizes entwickelt worden, die sich in drei Gruppen aufteilen lassen (vgl. Dreher/Herzfeld 2005: S. 2 f).

  1. Die erste Gruppe basiert auf Länderanalysen, die von international tätigen Firmen, Ratingagenturen und Organisationen erstellt werden. Sie zeigen länderspezifische wirtschaftliche und politische Risikofaktoren auf und sollen in erster Linie dabei helfen, Investitionsentscheidungen zu treffen. Die korruptionsrelevanten Daten der Expertisen fließen dann in länderübergreifende Indizes ein. Solche Länderanalysen werden z. B. von der Economist Intelligence Group erstellt.
  2. Eine zweite Gruppe von Indizes versucht, durch Befragungen von geschäftlich tätigen Personen – dies können Angehörige lokaler Unternehmungen sein, aber auch ausländische Firmen, die in dem betrachteten Land investieren – das Ausmaß der Korruption zu beurteilen. Solche surveys werden beispielsweise vom World Economic Forum oder der Weltbank durchgeführt und veröffentlicht.
  3. Der CPI gehört zu einer dritten Gruppe von Indizes und ist ein sogenannter Metaindex. In diesem finden die Ergebnisse der vorgenannten beiden Gruppen Verwendung. Der Gebrauch eines solchen Metaindexes wird damit begründet, dass etwaige Messfehler, die durch Befragungen bzw. Ländergutachten entstehen, verringert werden können und gleichzeitig der Länderumfang erhöht werden kann.


Methodik

Der CPI wurde von Johann Graf Lambsdorff, einem Wirtschaftsprofessor an der Universität Passau, für TI entwickelt (für die nachfolgende Darstellung vgl. Lambsdorff 2008b).

Für die Verwendung einer Quelle im CPI gelten besondere Voraussetzungen. So muss die jeweilige Organisation beispielsweise ein Ranking der untersuchten Länder vornehmen, was bedeutet, dass in einer Quelle mehr als ein Land Gegenstand der Untersuchung ist. Zudem müssen innerhalb einer Quelle einheitliche Methoden als Grundlage für die Analyse bzw. Befragung vorliegen.

Darüber hinaus wird der CPI nur für solche Länder berechnet, für die mindestens drei Quellen vorliegen. Da nicht alle Quellen alle Länder abdecken und der Länderumfang nicht notwendigerweise identisch ist, kann auch der Länderumfang des CPI von Jahr zu Jahr variieren.

Sämtlichen Quellen liegt eine Definition von Korruption zu Grunde, die sich auf die öffentliche Verwaltung oder die Politik bezieht. So fragen die Asian Development Bank und die Weltbank beispielsweise nach einer möglichen Verzerrung politischer Entscheidungen zu Gunsten einzelner Interessengruppen, und die Bertelsmann Stiftung untersucht die länderspezifischen Konsequenzen für korrupte Beamte und Politiker. Korruption in der Privatwirtschaft wird hingegen nicht thematisiert; hierfür hat TI den Bribe Bayers Index entwickelt.

Bei den Personenbefragungen werden - sofern vorhanden - immer auch ältere Veröffentlichungen zur Glättung des Durchschnitts herangezogen (smoothing effect). Auf dieses Verfahren wird bei den Ländergutachten verzichtet, da Rangfolgeänderungen von professionellen Ratingagenturen ganz bewusst und nach sorgfältigen Prüfungen (peer reviews) erfolgen, und damit Zufallsfehler als unwahrscheinlich gelten (vgl. Lambsdorff 2008a: S. 239).

Für die Berechnung des CPI werden den Ländern nun Werte zwischen 0 und 10 zugeschrieben. Ein niedriger Wert zeugt dabei von einer hohen wahrgenommenen Korruption, ein hoher Wert entsprechend von einer niedrigen wahrgenommenen Korruption. Da die einfließenden Quellen zwar ebenfalls korruptionsrelevante Rankings vornehmen, diese aber nicht unbedingt der Skala des CPIs entsprechen, müssen die Skalen für den CPI standardisiert werden. Hierzu werden die matching percentiles für die Länder der neuen Quelle ermittelt. Dabei wird der CPI des Vorjahres genommen, und der Wert (Score) des dortigen Erstplatzierten wird dem erstplatzierten Land der neuen Quelle zugeordnet. Der Zweitplatzierte des älteren CPI gibt seinen Score an den zweiten Platz der neuen Quelle ab usw. Mit diesen neuen Scores, die nun der Skala des CPIs entsprechen, gehen die Länder in den neuen CPI ein.

Kritik

In den CPI fließen sowohl Länderanalysen als auch surveys ein. Jede Quelle für sich birgt damit das Risiko, die ihnen möglicherweise inhärenten Verzerrungen mit in den CPI einzubringen.

Der Vorteil von externen Länderanalysen besteht darin, dass Analysten aus der Distanz unvoreingenommen urteilen können, ohne einem home-country bias zu unterliegen (vgl. Lambsdorff 2008b: S. 6). Lokale Standards können die Einschätzungen in surveys von ansässigen Personen verzerren, wenn sie keine Vergleichsmöglichkeiten haben. In bestimmten Regionen der Welt wird Korruption in einem gesellschaftlichen Kontext überhaupt gar nicht verurteilt, sie ist vielmehr kulturell verankert und akzeptiert. Es ist nur logisch, dass die Frage, ob Korruption dort als Problem angesehen wird, eine andere Antwort liefert als in Kulturen, in denen Korruption auch gesellschaftlich verpönt ist (vgl. Dietz 1998: S. 53-56). Und selbst in solchen Ländern können mangelnde Pressefreiheit und Zensur die Aussagekraft der Befragungen einschränken. Die CPI-Quelle Freedom House beispielsweise fragt unter anderem nach der medialen Thematisierung von Korruption (vgl. Freedom House 2011: S. 20.) in einem Land. Fraglich ist hier, inwieweit Verlass auf die subjektiven Bewertungen ist, wenn in dem jeweiligen Land ein hohes Maß an medialer Kontrolle herrscht.

Andersherum können aber auch die Experteneinschätzungen Wahrnehmungsverzerrungen aufweisen. Genauso wie lokale Ansässige möglicherweise einem home-country bias unterliegen, können Außenstehende bei fehlendem Verständnis für die Kultur und Gepflogenheiten eines Landes eine Fehleinschätzung abgeben, lautet hier die Begründung (vgl. Wei/Shleifer 2000: S. 309).

Die Komposition eines Indexes aus vielen einzelnen Indizes birgt außerdem die Gefahr, zu eilig auf die dahinter liegende Methodologie zu vertrauen, wenn er Quellen von unterschiedlicher bzw. allgemein niedriger Qualität vereint. Getreu dem Motto garbage-in/garbage-out muss das Ergebnis einer solchen Analyse immer unter Berücksichtigung der verwendeten Quellen interpretiert werden (vgl. Sedlmeier 1996: S. 58). Ein intertemporaler Vergleich ist zudem nur dann möglich, wenn auch die Methoden der einzelnen Quellen und der Länderumfang über die Zeit gleich bleiben. Ebenfalls problematisch ist ein Vergleich zwischen Nationen, wenn für sie nur wenige Quellen zur Verfügung stehen. Zwar werden nur Länder aufgenommen, für die mindestens drei verschiedene Quellen zur Verfügung stehen - ob es jedoch drei oder zehn Evaluierungen ausgesetzt wurde, kann für die Validität des Ergebnisses durchaus von hoher Bedeutung sein.

Auch sollten die Hintergründe und politischen bzw. wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Quellen berücksichtigt werden, um mögliche Verzerrungen der Ergebnisse zu identifizieren. „Because the [..] ratings are important in determining IDA [International Development Association, Organisation der Weltbank, d. V.] allocations for the World Bank's lower-income countries, the Bank's country teams could benefit from proposing higher-than-warranted ratings" (Knack 2006, S. 11 f.)

Trotz der aufgezeigten Gefahren, die ein Metaindex wie der CPI birgt, zeigen Untersuchungen, dass trotz der unterschiedlichen Methoden und der unabhängigen Erhebungen deutlich hohe Korrelationen zwischen den jeweiligen Quellen bestehen (Durchschnitt der Koeffizienten für den CPI 2008: 0,78). Dies lässt vermuten, dass die vorgenannten Risiken eines home-country bias oder einer externen Fehleinschätzung im Großen und Ganzen ausbleibt. Als Begründung führt Johann Graf Lambsdorff auf, dass die Befragten möglicherweise „a rather universal ethical standard“ haben und „seem to have a good grasp of a country's culture and appear free of prejudice“ (Lambsdorff 2008b, S. 6). Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass sich die Experten bei ihren Einschätzungen an anderen Quellen oder vorangegangenen CPI-Werten orientieren und das Ergebnis damit einem Zirkelschluss unterliegt (vgl. Knack 2006: S. 21).

CPI 2011

Für den CPI 2011 (veröffentlicht am 1. Dezember 2011) wurden insgesamt 17 Quellen verwendet, die von 13 verschiedenen Organisationen hierfür bereitgestellt wurden. Darunter befinden sich gemeinnützige Organisationen wie die Weltbank oder das Weltwirtschaftsforum, aber auch private Beratungs- und Analyseunternehmen (vgl. Transparency International 2011a).

Der CPI 2011 umfasst 183 Länder (CPI 2010: 173) und deckt damit rund 95 % aller UN-Mitgliedsstaaten ab. Keines der Länder erreichte den Höchstwert von 10. An der Spitze stehen in absteigender Reihenfolge Neuseeland (Wert: 9,5), Dänemark (9,4) und Finnland (9,4). Am unteren Ende stehen Myanmar (1,5), Nordkorea (1) und abschließend Somalia (1). Deutschland belegt mit einem CPI-Wert von 8 Platz 14 der Rangfolge (CPI 2010: 7,9 auf Platz 15). Rund drei Viertel (73 %) aller untersuchten Länder haben einen CPI-Wert von unter 5 (vgl. Transparency International 2011b).

Kriminologische Relevanz / Fazit

Der CPI ist für die (kriminologische) Forschung eine Kennzahl, um univariat die wahrgenommene Verbreitung von Korruption zu beschreiben und zu analysieren. Darüber hinaus kann beispielsweise der Einfluss unabhängiger Variablen (wie z. B. Ausgaben für korruptionsbekämpfende Maßnahmen, Entwicklungsstand einer Gesellschaft, Arten von politischen Systemen) auf den CPI mittels Regressionsanalysen statistisch bestimmt und somit mögliche Ursachen für Korruption identifiziert werden. Solche Studien, wie sie etwa von Paolo Mauro (1995), Beata Smazynska und Shang-Jin Wei (2000) oder Vito Tanzi und Hamid Davoodi (1997) existieren, sind weit verbreitet und finden insbesondere in der Institutionenökonomie Verwendung.

Der große Vorteil des CPI liegt in der hohen Anzahl der Länder, die von ihm erfasst werden und in den unterschiedlichen Dimensionen von Korruption, welche in seine Berechnung mit einfließen. Jedoch sollte bei der Verwendung des CPI stets darauf geachtet werden, welche Methodik dem Index zugrunde liegt. Verzerrungseffekte bei der Erhebung, die unterschiedliche Anzahl von Quellen für ein Land und spezifische politische und wirtschaftliche Interessen der Quellenorganisationen müssen bei der Ergebnisinterpretation berücksichtigt werden. Letztlich muss jedem Anwender bewusst sein, dass es sich lediglich um einen Indikator für die tatsächliche Verbreitung von Korruption handeln kann.

Literatur

Weblinks