Beschaffungskriminalität

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Beschaffungskriminalität (engl. "drug related crime") ist ein Sammelbegriff für Delikte, die in einem Zusammenhang zwischen dem Konsum von Rauschmitteln und deren Abhängigkeit stehen. Es geht um das Beschaffen von Mitteln zur Finanzierung des Konsums von illegalen Rauschmitteln. Durch kriminelle Handlungen werden illegale Rauschmittel oder die benötigten finanziellen Mittel zur Beschaffung derer erwirkt. In diesem Zusammenhang werden auch die Begriffe "drogenbezogene Straftaten" oder "Versorgungsdelinquenz" verwandt. Beschaffungskriminalität wird dem Deliktsbereich der Rauschgiftkriminalität zugeordnet. Hier muss Beschaffungskriminalität jedoch von der Rubrik der professionellen, profitorientierten Rauschgiftkriminalität abgegrenzt werden, da sich diese durch den bloßen Gewinnorientierungsgedanken charakterisiert. Täter dieser Rubrik sind größtenteils keine Drogenkonsumenten, sondern gehören der organisierten Kriminalität an. In der Vergangenheit wurden zahlreiche Ansätze, um Beschaffungskriminalität einzudämmen, diskutiert und teilweise auch umgesetzt, dennoch ist es bislang nicht gelugen, sie merklich zu reduzieren. Beschaffungskriminalität lässt sich in folgende zwei Bereiche unterteilen.

Man spricht von der direkten Beschaffungskriminalität, wenn die Delikte darauf abzielen, an die Rauschmittel selbst zu gelangen. Darunter fallen Straftaten wie beispielsweise Apothekeneinbrüche, Rezeptfälschungen oder auch der Diebstahl von Rauschmitteln sowie deren Substitute. Sie werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik separat ausgewiesen.

Von indirekter Beschaffungskriminalität oder auch klassischen Beschaffungskriminalität spricht man bei Straftaten, die der Besorgung von Geldmitteln zur Beschaffung der Droge dienen. Dazu gehören unter anderem Diebstahl, Raub, Einbruch sowie der Handel von Betäubungsmitteln. Die indirekte Beschaffungskriminalität ist im Lagebild der Rauschgiftkriminalität nicht erfasst.


Gesetzliche Grundlagen: Betäubungsmittelgesetz (BtMG)

Die Geschichte des Betäubungsmittelgesetzes

Das Opiumgesetz von 1920 wurde erst 1971 novelliert. In den Jahren 1968 und 1969 stieg die Anzahl der Rauschgiftdelikte um 151,8%. Des Weiteren kam eine Vielzahl neuer Substanzen wie beispielsweise Heroin auf den Schwarzmarkt. Die Grundlagen des Opiumgesetzes reichten nicht mehr aus, um auf diese veränderte Situation zu reagieren und machte eine Reform des Gesetzes notwendig. 1972 trat das "Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln" in Kraft. Ziel war es, die Rauschgiftkriminalität sowie die Sucht zu bekämpfen. Mittels einer Kann-Vorschrift (§ 11 V BtMG) war es dem Richter möglich entweder Hilfe oder Strafe zum Einsatz kommen zu lassen. Die Rauschgiftkrimianlität, vor allem aber die Beschaffungskriminalität stieg jedoch weiterhin an. Hinzu kamen viele Fälle von Drogentoten, hauptsächlich Herointoten. Diese Situation verlangte eine Neugestaltung des Betäubungsmittelrechts. 1979 wurde bereits ein Entwurf des neuen Grundsatzes "Theapie statt Strafe" vom Bundeskabinett verabschiedet. Er enthielt allerdings keine Regelungen zum Ausbau der Strafaussetzungsmöglichkeiten. Erst 1982 trat das heutige Betäubungsmittelgesetz in Kraft.

Die Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes

Im BtMG ist definiert, welche Suchtmittel in Deutschland illegal sind. Des Weiteren benennt der Gesetzgeber bestimmte Handlungen im Zusammenhang mit diesen Suchtmitteln als strafbar. Hierzu zählen unter anderem der Anbau, die Herstellung, der Erwerb sowie der Besitz dieser Substanzen (§§ 29 bis 30 BtMG). In Deutschland ist der Konsum von illegalen Drogen aufgrund des Prinzips der Straflosigkeit von Selbstschädigung nicht unter Strafe gestellt. Das Betäubungsmittelgesetz regelt auch den gesellschaftlichen Umgang mit den Betäubungsmittelabhängigen.

Der siebente Abschnitt: Betäubungsabhängige Straftäter

Im siebenten Abschnitt des BtMG wird auf die betäubungsabhängigen Straftäter eingegangen. Konkret sagt der § 35, auch bekannt unter dem Schlagwort "Therapie statt Strafe", aus, dass jemand, der wegen einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist und laut Urteil die Straftat aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, seine Strafe zu Gunsten einer Drogentherapie mit Zustimmung des Gerichts zurückstellen lassen kann. Laut § 36 BtMG kann die Zeit des Aufenthalts in der Einrichtung auf die Strafe angerechnet werden.

Mögliche Ursachen für Beschaffungskriminalität

Die meisten Drogenabhängigen, die Beschaffungsdelikte begehen sind heroinabhängig. Heroin ist eine sehr schnell und stark abhängigkeitserzeugende Substanz, bei der im Laufe der Zeit immer höhere Dosen benötigt werden, um den Suchtdruck oder auch die Entzugserscheinungen zu lindern. Entzugserscheinungen äußern sich beispielsweise in Form von motorischer Unruhe mit Schweißausbrüchen und Frösteln sowie fiebrigen Krämpfen. Im Laufe der Zeit kommt es je nach Dauer der Abhängigkeit und zunehmender Toleranzentwicklung gegen die Wirkung des Rauschmittels zu wachsenden Kosten. Da Heroinabhängige durch ihre Lebensumstände, geprägt von Beschaffungskriminalität und der Beschaffung des Rauschmittels, meist nicht mehr über einen geregelten Tagesablauf und ein festes Einkommen verfügen, entwickelt sich parallel zur Beschaffungskriminalität für das Rauschmittel eine weitere Beschaffungskriminalität zur Bestreitung des Lebensunterhaltes. In vielen Fällen entwickelt sich zusätzlich auch eine sogenannte Folgekriminalität.

Küfner beschreibt in drei Hypothesen in welcher Weise Drogenabhängigkeit und Kriminalität zusammenhängen.

Kriminell weil drogenabhängig

Laut dieser Hypothese ist Kriminalität eine zwangsläufige Folge der Drogenabhängigkeit. Mit Beginn der Abhängigkeit kann der Drogenkonsument seine gewohnten Lebensbezüge nicht mehr aufrechterhalten und muss zur Finanzierung seines Konsums auf kriminelle Handlungen zurückgreifen.

Drogenmissbrauch, weil kriminell

Diese, der ersten entgegengesetzte Hypothese, beruht auf der Annahme, dass ungünstige Milieubedingungen zu delinquentem Verhalten führen, das letztendlich in eine kriminelle Karriere mündet, die auch den Konsum von Drogen beinhaltet. Drogenmissbrauch ist dieser Hypothese zufolge Ausdruck oder Folge eines davor bestehenden kriminellen Verhaltens.

Drogenmissbrauch und Kriminalität als Ausdruck eines devianten Lebensstils

Diese Hypothese besagt, dass Drogenmissbrauch und Delinquenz den gleichen Risikofaktor haben, nämlich einen in der Kindheit und Jugend entwickelten devianten Lebensstil, also ein verfestigtes Muster abweichender Verhaltensweisen. Kriminalität kann bei einem devianten Lebensstil sowohl in Kombination mit Drogenmissbrauch als auch unabhängig davon auftreten.

Aktuelle Daten und Fakten

Die polizeiliche Kriminalstatistik 2006 verzeichnet im Bereich der direkten Beschaffungskriminalität 2234 erfasste Fälle, das heißt 1,1% mehr als 2005 (2210). 79,8% dieser Delikte wurden von männlichen, 20,2% von weiblichen Tätern begangen. 2006 wurden in der Statistik 19319 erstauffällige Konsumenten harter Drogen erfasst, 23,2% sind Heroinkonsumenten. Die indirekte Beschaffungskriminalität ist nicht in der polizeilichen Kriminalstatistik erfasst. Oftmals sind Täter, die Delikte wie Raub oder Diebstahl begehen, der Polizei nicht als Drogenkonsumenten bekannt. Das Dunkelfeld dürfte besonders im Bereich der indirekten Beschaffungskriminalität infolge dessen sehr hoch sein. Straftaten wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz betreffen etwa 6% (bei Jugendlichen 7,2%, bei Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren 10,6%) aller Verurteilungen. Im Jahr 2005 betrug die Zahl derjenigen, die wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetzes inhaftiert wurden 9277. Demnach sind 15,4% der männlichen und 20,1% der weiblichen Häftlinge aufgrund eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz inhaftiert. In den Vollzugsanstalten finden regelmäßig Sicherstellungen von Drogen statt. Für das Jahr 2004 wies die Landesstatistik für Hessen 120 Sicherstellungen auf.

Drogenpolitische Zusammenhänge

Die deutsche Drogenpolitik kriminalisiert den Produzenten, den Händler sowie den Drogenkonsumenten selbst. Drogenkonsum wird als abweichendes Verhalten und als Krankheit definiert und stellt deshalb ein gesellschaftliches Problem dar. Dieses Problem wird in Deutschland unter Strafe gestellt, um einerseits abzuschrecken, andererseits Therapiemotivation zu erzeugen. Die Konsumenten illegaler Drogen nehmen eine Position zwischen der strafrechtlichen Verfolgung und der ihnen unterstellten Behandlungsbedürftigkeit ein. Diese beiden politischen Perspektiven gehen davon aus, dass die Reduktion von Rauschgift- und Beschaffungskriminalität sowie eine Therapiemotivation der Drogenabhängigen nur mit Hilfe des staatlichen Zwangs erfolgen können. Der Gebrauch von illegalen Substanzen wie beispielsweise Heroin führt, sobald er öffentlich wird, zur Stereotypisierung, Diskriminierung und Ausschluss. Die zentralen politischen Rahmenbedingungen der Drogenpolitik basieren auf Grundannahmen, die speziell im Drogenbereich von Werteentscheidungen abhängen. Die Gesellschaft illegalisiert den Gebrauch, Besitz und Erwerb von bestimmten Substanzen und macht aus diesen Handlungen somit einen Straftatbestand. Auf die Konsumenten wird von staatlicher Seite ein Verfolgungsdruck ausgeübt, mit dem Ziel die Konsumentenzahl möglichst gering zu halten. Auf der anderen Seite entspringt ein großer Teil der aktuellen psychischen, physischen und sozialen Probleme der Heroinkunsumenten aus der repressiven Drogenpolitik.

Modelle der deutschen Drogenpolitik

Jedes der folgenden aufgeführten Modelle ist in seiner Struktur abhängig von kommunalpolitischen Entscheidungen zur Regulierung des Drogenproblems sowie von den politischen Rahmensetzungen des Landes und/oder der Bundesregierung und der jeweiligen gültigen Drogengesetzen. Während noch vor einigen Jahren das Modell der Kontrolle, und später das therapeutische Modell vorherrschend waren, setzt sich jetzt auch in Deutschland neben diesen bestehenden Modellen das Modell der Schadensminderung zunehmend durch. Die Inhalte dieser Modelle werden im Folgenden kurz beschrieben.

Das Modell der Kontrolle

Ziel dieses Modells ist die Kontrolle der Drogenproblematik, die Repression, das Meistern des Drogenproblems. Die drogenpolitischen Akteure stellen den Abstinenzgedanken in den Vordergrund und handeln nach der Vorstellung einer drogenfreien Gesellschaft. Es geht um eine umfassende soziale und politische Kontrolle des Drogenhilfesystems. Der Anspruch einer drogenfreien Gesellschaft schließt Modelle wie beispielsweise die Vergabe von Heroin an Schwerstabhängige gänzlich aus.

Das therapeutische Modell

Drogensucht wird hier als Krankheit definiert. Der Staat ist zur Wahrung der Volksgesundheit legitimiert und somit verpflichtet, die Drogenabhängigen zu heilen. Die Drogensucht als Krankheit wird allerdings nur symptomatisch behandelt, daher werden die sozialen Bedingungen der Drogenproblematik nicht berücksichtigt. Das therapeutische Modell zeichnet sich aus durch die absolute Ausrichtung auf das Ziel Abstinenz, die Behandlung der Drogensucht und die Dominanz staatlicher Einrichtungen.

Das Modell der Schadensminderung

Ziel dieses Modells ist es, die Schäden für einzelne Personen und das Gemeinwesen, welches in direktem Zusammenhang mit Drogen steht, zu vermeiden oder zu reduzieren. Das Modell der Schadensminderung ist aufgrund der Folgeerscheinung und der wachsenden Kriminalität und Stigmatisierung von Konsumenten illegaler Drogen entstanden. Hinter dem Modell steckt die Vorstellung, dass wir in einer pluralistischen Gesellschaft leben, in der Drogenkonsum auf verschiedene und nicht vorhersehbare Art und Weise auftritt. Aufgrund dieser komplexen Problemstellung ist eine Reihe verschiedener Maßnahmen, die auf die Bedürfnisse von Drogenabhängigen zugeschnitten sind, notwendig. Die zwei wichtigsten Elemente des Modells sind "Harm reduction" sowie die Politik der Normalisierung. Das Konzept der "Harm reduction" ist in England entstanden. Bei diesem modernen Konzept steht nicht mehr nur der Abstinenzgedanke im Vordergrund, sondern auch die Verminderung der Folgeschäden des illegalen Drogenkonsums sowie die Kriminalisierung. Nach diesem Modell können abstinenzorientierte Langzeittheapien und Heroinvergabe an Schwerstabhängige nebeneinander existieren, sich quasi ergänzen. Unter der Politik der Normalisierung versteht man den Gedanken, dass eine Gesellschaft ohne Drogen eine Illusion darstellt.

Kritik am Begriff

Der Begriff Beschaffungskriminalität ist uneindeutig. Das Wort Beschaffung ist in seiner Bedeutung nicht klar eingegrenzt, da nicht erläutert wird, was beschafft werden soll. Auch das Erwerben illegaler Suchtmittel ist kriminell, begrifflich wird dies jedoch nicht der Beschaffungskriminalität zugeordnet. Die Bezeichnung Beschaffungskriminalität grenzt Straftaten, die aufgrund der Sucht begangen werden von den profitorientierten Rauschgiftdelikten ab. Im Betäubungsmittelgesetz wird dieser Begriff jedoch nie erwähnt. Ausschließlich in den §§ 35 ff. wird auf betäubungsmittelabhängige Straftäter eingegangen. Der englische Begriff für Beschaffungskriminalität "drug related crime" kann mit dem deutschen Oberbegriff Rauschgiftkriminalität verglichen werden. Allerdings gibt es im englischen keine Abstufung, die sich auf betäubungsmittelabhängige Straftäter bezieht. Einerseits kommt der Begriff Beschaffungskriminalität den süchtigen Straftätern entgegen, andererseits ist er nicht greifbar genug. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass ein Teil der Beschaffungsdelikte nicht in der polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesen sind.

Anwendung des Begriffs auf andere Bereiche

In seinem Buch "Beschaffungskriminalität- Interdependenzen von Sucht, Spiel und Vermögensdelikten" überträgt Armand Mergen den Begriff Beschaffungskriminalität auf einen süchtigen Casinospieler. Die sogenannten Jetons, die der Spieler braucht um seiner Sucht nachzugehen, vergleicht Mergen mit der Droge. Der Casinospieler verliert oftmals Geld in hohen Summen. Um seine Sucht weiterhin befriedigen zu können, muss er innerhalb kürzester Zeit hohe Geldbeträge aufbringen. Dazu begeht er kriminelle Handlungen, jedoch anders als ein Drogensüchtiger, in den Bereichen Korruption, Wirtschaftskriminalität und Betrugsdelikten.

Literatur

  • Brisach/Ullmann/Sasse/Desch: "Planung der Kriminalitätskontrolle", Stuttgart u.a. 2001.
  • DHS - Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hg.): "Suchtprobleme hinter Mauern - Drogen, Sucht und Therapie in Straf- und Maßregelvollzug", Freiburg im Breisgau 2002.
  • Deutscher Caritasverband (Hg.): "Drogenhilfe und Drogenpolitik - Expertengespräch", Freiburg im Breisgau 2002.
  • Jürgen Friedrich: "Drogen und soziale Arbeit", Opladen 2002.
  • Tilmann Holzer: "Die Geburt der Drogenpolitik aus dem Geist der Rassenhygiene - Deutsche Drogenpolitik von 1933 bis 1972", Norderstedt 2007.
  • Andrea Kaiser: "Was erreicht die deutsche Drogenpolitik? - Eine ökonomische Analyse des illegalen Drogenmarktes", Marburg 1996.
  • Armand Mergen: "Beschaffungskriminalität - Interdependenzen von Sucht, Spiel und Vermögensdelikten", Heidelberg 1990.
  • Sebastian Scheerer: "Die Genese der Betäubungsmittelgesetze in der Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden", Göttingen 1982.
  • Willi Seitz (Hg.): "Kriminal und Rechtspsychologie - Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen", München u.a. 1983.
  • Heino Stöver: Drogenfreigabe - Plädoyer für eine integrative Drogenpolitik, Freiburg im Breisgau 1994.

Weblinks