Bagatellkriminalität

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Als Bagatellkriminalität oder auch "Kleinkriminalität" wird die Summe geringfügiger Verletzungen von Strafgesetzen bezeichnet. Obwohl der Begriff viel benutzt wird, gilt er mangels Legaldefinition oder einer sonstigen klaren Bestimmung seines Inhalts und seiner Grenzen allgemein als "unklar und vage" (KAISER 1978), und zwar sowohl in dogmatischer als auch in empirischer und rechtspolitischer Hinsicht. Als Sammelbezeichnung für die Delikte am unteren Ende der Strafwürdigkeit verweist der Begriff der Bagatellkriminalität aber auf jeden Fall auf die Nahtstelle zwischen der strafrechtlichen Kontrolle einerseits und den weniger einschneidenden Formen sozialer Kontrolle andererseits.

Etymologie

Das Wort Bagatelle kommt aus dem romanischen Sprachgebrauch Anfang des 17 Jh. (italienisch: bagatella; französisch: bagatele, lateinisch: baca) und bedeutet eine unbedeutende, geringfügige Angelegenheit, aber auch Kleinigkeit. Die Bezeichnungen Bagatellsache und Bagatelldelikt werden seit dem 19 Jh. verwandt und bezeichnen eine unbedeutende, geringfügige Rechtssache, bisweilen auch eine Ordnungswidrigkeit. Kennzeichnend für den Begriff „Bagatelle“ ist somit im semantischen Sinne die Geringfügigkeit. Das Wort Kriminalität hat seinen Ursprung ebenfalls im 19 Jh. (französisch: criminalité; lateinisch: criminalitas) und steht für die Begehung von Straftaten oder auch Straffälligkeit.

Definition

Das StGB benennt ausschließlich die formelle Unrechtsbestimmung in Tatbeständen und ignoriert die Möglichkeit mangelnder Strafwürdigkeit nach materiellen Unrechtskriterien bei Geringfügigkeit. Verschiedene Definitionsansätze, auch die Negierung einer Definitionsmöglichkeit überhaupt, sind seit Mitte der 60er Jahre des 20 Jh. diskutiert worden, ohne dass sich ein Denkansatz durchgesetzt hätte.

Verschiedene Definitionsansätze

Eine materielle Ausgrenzung der Bagatelle aus dem Unrechtstatbestand nimmt KRÜMPELMANN (1966) vor. Nach ihm liegt der Strafrechtsordnung eine gesetzgeberische quantitative Wert- oder Unrechtsentscheidung zugrunde. Krümpelmann unterteilt das Unrecht in drei Deliktkategorien: Verbrechen, Vergehen und Übertretungen. Er beschreibt als selbständige Delikte die Delikte, die bereits per se gesetzlich mit Übertretungsstrafe geahndet werden. Als unselbständige Delikte bezeichnet er diejenigen Delikte, die dazu führen, dass Verbrechens- oder Vergehenstatbestände nicht als solche zu werten und nur mit Übertretungsstrafe zu ahnden seien. Es gelte hinsichtlich des Bagatelldeliktes herauszufinden, ob die Tat nach Handlungsunwert, Erfolgsunwert und Schuld geringfügig sei.

Neuere Definitionen beziehen das Gesamtsystem der sozialen Kontrolle mit ein. DRIENDL (1978), HIRSCH (1980) und KUNZ (1984) formulieren die Frage, ob aufgrund des geringen strafbaren Gehaltes der Bagatelldelikte entweder keine strafrechtliche Sanktion erforderlich ist oder die üblichen Kriminalsanktionen und das zu ihnen führende Verfahren als staatliche Überreaktion empfunden werden. Nach KUNZ kann sich eine Bagatelle zum einem im Unrechtstatbestand bei der materiell orientierten Strafwürdigkeitsbeurteilung im Hinblick auf den geringfügigen Handlungs- und Erfolgsunwert einer formal verübten Straftat zeigen. Zum anderen kann sie sich im Strafzumessungszusammenhang bei der umfassenden Strafbedürftigkeitswürdigung aller tat- und täterbezogenen Umstände ergeben. Bei der Strafwürdigkeitsbeurteilung sei das Bagatellunrecht Kriminalunrecht, das im Rahmen der Strafbedürftigkeitswürdigung aufgrund ihrer Geringfügigkeit nicht zwingend Strafe erfordere. KAISER (1978) definiert die Bagatelle als Sachverhalt, auf den in abgeschwächter und vereinfachter Form reagiert wird. Als charakteristisch für die Bagatellkriminalität beschreibt er das massenhafte Aufkommen im Eigentums- und Vermögensbereich und die geringe Unrechtsqualität der Taten. Kaiser betont die kriminalökonomische Belastung des Staates durch die Bagatellkriminalität. Es müsse aus generalpräventiver Sicht und aus Gründen des Opferinteresses eine kriminalpolitische Lösung gefunden werden, die auch dem sozialen Wandel entspricht. DRIENDL betont ebenfalls, dass der Anwendungsfall des Begriffes der Bagatellkriminalität in gewissem Umfang für neue Entwicklungen offenbleiben muss; die soziale Wertanschauung sei stetigen Änderungen unterworfen.

Entwicklung und Handhabung im Strafrecht

Der Gesetzgeber änderte Ende der 60er und Mitte der 70er Jahre des 20 Jh. das materielle und das prozessuale Recht.

Materielles Strafrecht

Durch die Eliminierung der Übertretungen durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) 1974 enthielt das materielle Strafrecht keine eigentlichen Bagatelldelikte mehr. Der 29. Abschnitt des zweiten Teils des StGB wurde durch Art. 1 Nr. 30 des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts gestrichen. Damit wurde die bisherige Dreiteilung der Straftaten in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen aufgegeben. In das Ordnungsrecht überführt wurden die Verkehrsübertretungen und andere als weiter sanktionsbedürftig erachtete Verhaltensweisen. Aufgrund der im StGB abstrakt formulierten Unrechtshandlung und der relativ hohen Strafandrohung für Vergehen lassen sich im Strafrecht nur im Einzelfall bei der konkreten Tatbestandserfüllung Bagatelldelikte ableiten. In diesen Bereich fallen Straftaten wie Beleidigung, Diebstahl, Betrug, Leistungserschleichung, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung bis hin zur Körperverletzung. Verbrechenstatbestände, Tötungsdelikte und qualifizierte Vergehenstatbestände sind wegen des gravierenden Unrechtsgehaltes keine Bagatellen. Aus der aktuellen Sanktionspraxis zeigt sich der hohe Anteil der Bagatelldelikte an der registrierten Kriminalität, die sich an der Grenzlinie zur Strafbedürftigkeit befinden und daher nicht zwingend Strafe erfordern. Als Konsequenz der Abschaffung der Übertretungstatbestände gehören die Bagatelldelikte als tagtägliche Massentatbestände nun zum Kernbereich des Strafrechts.

Prozessuales Strafrecht

Das erkannte Problem der Bagatellkriminalität fand seine Lösung im EGStGB im Zumessungszusammenhang über das prozessuale Strafrecht. Bei allen Eigentums- und Vermögensdelikten wird die geringfügige Tat nur auf Antrag verfolgt, siehe § 248a StGB. Hier kann die Staatsanwaltschaft schon von sich aus das Verfahren nach § 153 StPO folgenlos einstellen, wenn die Schuld gering ist und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht oder diese nach § 153a StPO dadurch beseitigt werden können, dass man dem Täter Auflagen und Weisungen wie Schadenswiedergutmachung, Geldbuße oder gemeinnützige Arbeit auferlegt. Bei sonstigen Bagatelldelikten ist unter gleichen Voraussetzungen vor einer Einstellung die Zustimmung des Gerichtes einzuholen. Mit der Einführung des § 153a StPO hat der Gesetzgeber eine strafverfahrensrechtliche Regelung gefunden, die eine neue Form der Sanktionierung außerhalb des bestehenden Kataloges des StGB ermöglicht und sich unterhalb der Kriminalstrafe bewegt. Eine registerrechtliche Erfassung nach Maßgabe des Bundeszentralregisters erfolgt nicht. In der Kommentarliteratur wird für die „geringe Tatfolge“ im Rahmen der §§ 153, 153a StPO ein Wert zwischen 25 Euro bis 50 Euro angegeben, wobei nur der Verkehrswert der Sache oder des beschädigten Gegenstandes ausschlaggebend ist. Durch die Vereinfachung des Verfahrens bei der kleineren Kriminalität sollen Kapazitäten für die zügigere Erledigung mittlerer und größerer Straftaten geschaffen werden.

Empirie

Ausmaß der Bagatelldelikte

Das Ausmaß der Bagatellkriminalität kann nicht genau ermittelt werden, da es bislang an einer gültigen Definition des Phänomens mangelt. Zur Erfassung der Bagatellkriminalität sind zwei Ebenen zu berücksichtigen: die registrierte Kriminalität durch die Polizeibehörden und die staatliche Reaktion.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) lässt folgendes Lagebild erkennen (2009): Der Diebstahl mit einem Straftatanteil von 38,7 % macht einen quantitativ maßgeblichen Anteil der registrierten Kriminalität aus, wobei der einfache Diebstahl 20,4 % beträgt. Dem Diebstahl folgen der Betrug mit einem Straftatenanteil von 15,8 % und die Sachbeschädigung mit 12,8 %. Auf die Eigentums- und Vermögenskriminalität entfallen 77,3 % aller polizeilich bekannt gewordenen Straftaten (ohne Verkehrsdelikte). Die PKS weist für den Diebstahl einen materiellen Schaden von insgesamt 2 Milliarden Euro auf, davon entfallen 500 Millionen Euro auf den einfachen Diebstahl. Der Schadensbereich „unter 50 Euro“ macht einen Anteil von 40 % bei einfachem und 11,2 % bei schwerem Diebstahl aus. Betrug ist mit einem Schaden von 2,2 Milliarden Euro registriert. Der Anteil aller Betrugsdelikte „unter 50 Euro“ beläuft sich auf 45,3 %. Der Anteil weiblicher Tatverdächtiger an der Gesamtkriminalität betrug 24,9 %, bei Bagatelldelikten wie einfachem Diebstahl, bei Betrug, bei Veruntreuung, bei Beleidigung und bei Unterschlagung wurde dieser Prozentsatz um bis zu 15 % überschritten.

Auf der Ebene der staatlichen Reaktion ist die Einstellungspraxis durch die Staatsanwaltschaften wie folgt gekennzeichnet (2006): Die erledigten Verfahren enden zu 11,5 % mit einer Anklage, zu 11,9 % mit einem Antrag auf Strafbefehl, zu 4,9 % mit einer Einstellung mit Auflage und zu 21,6 % mit einer Einstellung ohne Auflage. 25,5 % der Verfahren werden durch Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO erledigt. 23,3 % der Verfahren zählen zu den sonstigen Erledigungen. Die Erledigungspraxis durch die Gerichte nach Beginn der Hauptverhandlung stellt sich für 2006 wie folgt dar: Gegen 47,2 % der Angeschuldigten wird das Verfahren durch Urteil abgeschlossen. Mit einem Strafbefehl enden 2,6 % der Fälle. Für 10,3 % der Angeschuldigten endet das gerichtliche Strafverfahren mit einer Einstellung ohne Auf-lagen und für 12,7 % mit Auflagen. Gegenüber 24,2 % der Angeschuldigten werden die Ver-fahren auf sonstige Art erledigt.

Das wahre Ausmaß der Bagatellkriminalität ist weitaus größer. Bei der PKS wird nur das Hellfeld erfasst. Das Dunkelfeld wird auf 85% geschätzt.

Empirische Studien

Empirische Studien beschäftigten sich mehrheitlich mit der Frage, wie die Staatsanwälte die §§ 153 f. StPO im Hinblick auf Bagatellkriminalität nutzen. Alle Studien haben gemeinsam, dass die herausgearbeiteten Kriterien gering bzw. widersprüchlich waren, aber zum Schaden eine Aussage treffen konnten. Die Studien machen deutlich, dass es nicht auf den Täter und dessen Tat, sondern auf die Zuständigkeit der jeweiligen Staatsanwaltschaft ankommt.

KUNZ (1977) konnte im Rahmen seiner Forschung keine Kriterien zu einer Einstellung erschließen. Er stellte fest, dass die Staatsanwaltschaft ohne spezielles kriminalpolitisches Konzept agiere. Es gebe keine pauschale Schadensgrenze, sondern lediglich eine relative, deliktspezifische. Es fehle an Transparenz und Kontrolle der nichtöffentlichen Einstellungspraxis seitens der Staatsanwaltschaft. HERTWIG (1982) folgte aufgrund seiner Untersuchung von Verfahrenseinstellungen diesem Ergebnis. 58,8 % der eingestellten Eigentums- und Vermögensdelinquenz hatten einen Schadensbetrag in Höhe von bis zu 50 DM. Im Gegensatz zu Kunz benennt er allerdings einstellungsbegünstigende Faktoren: das Vermeiden einer Strafregistereintragung bei nicht vorbestraften Tätern, besonders geringe Schuld bei atypischen Tatsituationen, erhebliches Mitverschulden des Geschädigten, schwerwiegende Folgen für den Täter selbst, Beweisschwierigkeiten sowie die geringe Höhe des materiellen Schadens. KOTZ (1982) ermittelte folgende einstellungsfreundliche Kriterien: das Geständnis des Beschuldigten, keine (erfasste) Vorbelastung und einen geringen Schaden, wobei die Sanktionsintensität parallel zur Schadenshöhe ansteigt. Eine Einstellung erfolgte nahezu regelmäßig, wenn der Schaden unter 20 DM lag, bis zu 50 DM war eine Einstellung durchaus möglich, ab 50 DM kaum noch anzutreffen. PASCHMANNS (1988) untersuchte den Bereich der Opportunitätseinstellungen und betonte ebenfalls, dass es sich bei den Einstellungen um Ermessensentscheidungen der Staatsanwälte im Einzelfall handele und sich jeglicher grundsätzlicher Festlegung entziehe.

Kriminologische Relevanz

Die Kriminologie beschäftigt sich hinsichtlich der Bagatellkriminalität auch mit deren Sonderstellung in der Verbrechenswirklichkeit, insbesondere mit der Verbrechenskontrolle. Bagatelldelikte sind eine Massenerscheinung. Mit steigender Geringfügigkeit des Delikts vergrößert sich das Dunkelfeld. Die enorme Höhe der Dunkelziffer wird mit der mangelnden Anzeigebereitschaft bei geringem Schaden erklärt. Aus diesem massenhaften Auftreten ist ersichtlich, dass die Bagatellkriminalität nicht auf einige schwere Rückfalltäter zurückzuführen ist. Straftaten mit erheblichem kriminellen Gehalt, wie schwerer Raub, sind in der Normalbevölkerung kaum vertreten. Bagatellkriminalität ist, wie die Empirie bestätigt, üblich, episodenhaft und nahezu ubiquitär. Alle Mensch wurden im Laufe ihres Lebens, insbesondere als Jugendliche, entsprechend auffällig (Beispiele sind: Diebstahl am Arbeitsplatz, Leistungserschleichung und Beleidigung). Der typische Bagatelltäter lebt im Gegensatz zu den Rückfalltätern in sozialer Unauffälligkeit. Dieses Kriminalitätsphänomen ist kriminologisch so interessant, weil es kaum verlässliche aussagekräftige Statistiken und Zahlen gibt. Der Kriminalitätsbereich als Massendelikt verursacht einen immensen volkswirtschaftlichen Schaden. Auffällig ist bei der Bagatellkriminalität die sonst untypische Geschlechterverteilung gegenüber den anderen Kriminalitätsphänomenen und bestätigt damit das Bild weitgehender Normalität der Täter. Im Hinblick auf die Verbrechenskontrolle und das juristische Verfahren der Einstellungen kommen kriminologische Fragen zu der Gleichbehandlung der Beschuldigten, des Opferschutzes, der generalpräventiven Effizienz, der Kapazität und der Kosten des Kontrollsystems auf.

Erklärungsansätze

Eine allgemeingültige Erklärung für die Entstehung von Bagatelldelikten liegt nicht vor. Es wird davon ausgegangen, dass die Bagatellkriminalität aufgrund ihrer Nähe zu rechtlich gebilligtem Verhalten eine Geringschätzung erfährt, da ein solches Handeln auf der Schwereskala des kriminellen Verhaltens zuunterst steht. Zudem wird angenommen, dass der Abbau der informellen sozialen Kontrolle im Nahraum, neue Gesellschaftsstrukturen sowie die fortschreitende Verstädterung der Kleinkriminalität förderlich seien. Dies zeigt sich auch in einer Änderung des Täter-Opfer-Verhältnisses (Viktimologie). Viele Bagatelltäter versuchen ihr Selbst- und Fremdbild vom „ordentlichen Bürger“ aufrechtzuerhalten bzw. zu rechtfertigen und das begangene Unrecht mit allgemein anerkannten Schuldzuweisungen an das Opfer zu neutralisieren (Neutralisationstechniken). Dies darf aber an der Schutzwürdigkeit des Opfers nichts ändern.

Kriminalpolitik: Lösungsmöglichkeiten

Es werden neben den außerstrafrechtlichen Lösungsvorschlägen die prozessuale und die materiellrechtliche Lösung diskutiert. Alle Reformvorschläge sehen das strafrechtliche Verfahren als zu aufwendig an und zu diskriminierend für bagatelldelinquentes Verhalten. Sie wollen Bagatellkriminalität nicht nur sektoral, sondern allgemein umfassend lösen.

Ein außerrechtlicher Lösungsansatz geht dahin, die Bagatellkriminalität aus dem Strafrecht auszugliedern und in das Zivilrecht zu verlagern (1965/66). Ein weiterer außerrechtlicher Vorschlag von BAUMANN (1972) besteht darin, die Bagatellkriminalität in das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) zu überführen. Es gibt verschiedene prozessuale Reformvorschläge zur Beibehaltung der §§ 153 f. StPO. Die ARBEITSGRUPPE „STRAFVERFAHRENSREFORM“ (1975) von Bund und Ländern empfiehlt ein vereinfachtes richterliches Strafbescheidsverfahren mit mündlicher Verhandlung für die Kleinkriminalität. FELZER (1994) stellt sich vor, bei einer zu erwartenden Geldstrafe die Tagessätze auf 30 Tage zu begrenzen und die Einstellungspraxis durch Richtlinien zu steuern. Die HESSISCHE KOMMISSION „KRIMINALPOLITIK ZUR REFORM DES STRAFRECHTS“ (1995) regt an, Bagatellgrenzen einzurichten und durch das Streichen von Zustimmungserfordernissen nach § 153 StPO eine Verfahrensvereinfachung zu erreichen. OSTENDORF (1995) will den § 153 StPO erweitern. Der Beschuldigte soll freiwillig eine Wiedergutmachung in Form des doppelten Wertersatzes leisten. WEIGEND (1997) schlägt eine Richtliniensteuerung hinsichtlich der Verfahrenseinstellung in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) vor. In diesem Rahmen könnten „einstellungsfreundliche“ und „einstellungsfeindliche“ Umstände geregelt werden. Als weitere Ergänzungsvorschläge wird neben der Einführung einer Begründungspflicht die Einführung eines obligatorischen Zustimmungserfordernisses des Gerichts bei einer Verfahrenseinstellung oder die Einführung einer subsidiären Privatklage erwogen. Bei den Strafgeldmodellen (1998) soll der staatliche Strafanspruch gegenüber der prozessualen Lösung nicht nur angedroht, sondern auch realisiert werden, da eine Ahndung der Tat sofort möglich und damit spürbar für den Täter ist. NAUCKE (1965) formuliert einen materiellrechtlichen Ansatz, der von der Einführung von Bagatelltatbeständen innerhalb der jeweiligen Norm des „Besonderen Teils“ des StGB handelt. Ein weiterer materiellrechtlicher Lösungsansatz beschäftigt sich mit einer Generalnorm im „Allgemeinen Teil“ des StGB. In diesem Rahmen schlägt HIRSCH (1980) die Einführung der neuen Deliktkategorie „Verfehlung“ vor. In verfahrensrechtlicher Hinsicht regt er die Schaffung eines vereinfachten gerichtlichen Verfahrens unterhalb der Kriminalgerichte („Friedensgerichte“) für diese Delikte an. KUNZ (1984) formuliert eine neue Deliktkategorie unterhalb des Vergehens: „geringfügiges Vergehen“. Er wünscht ebenfalls ein vereinfachtes gerichtliches Verfahren, eine mündlichen Vorverhandlung mit einzelrichterlicher Zuständigkeit. Er geht von einem Schadensausgleich und der Wiedergutmachung des begangenen Unrechts aus. HORSTMANN (2002) schließt sich Hirsch mit seiner Deliktkategorie an. Als staatliche Reaktion sieht er vor der Kriminalstrafe die Geldbuße an erster Stelle. Zudem empfiehlt er den Ausbau des Strafbefehlsverfahrens. NAUCKE (1976) formuliert bezüglich der Generalnorm im „Allgemeinen Teil“ des StGB die Überführung der §§ 153 StPO in das materielle Strafrecht des StGB. Zur Erfassung aller Bagatelldelikte empfiehlt er eine noch zu findende Methode der Abgrenzung. Zusätzlich zum Strafbescheidsverfahren regt er ebenfalls die Schaffung eines vereinfachten mündlichen richterlichen Strafverfahrens für Kleinkriminalität an.

Literatur

  • Dreher, Eduard: Die Behandlung der Bagatellkriminalität in: Wenzel, Hans/Stratenwerth, Günter (Hg.): Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag (Berlin, 1974)
  • Driendl, Johannes: Wege zur Behandlung der Bagatellkriminalität in Österreich und der Schweiz, ZStW 90 (Berlin, 1978)
  • Hirsch, Hans Joachim: Zur Behandlung der Bagatellkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland – unter besonderer Berücksichtigung der Stellung der Staatsanwalt¬schaft, ZStW 92 (Berlin,1980)
  • Kaiser, Günther.: Möglichkeiten der Bekämpfung von Bagatellkriminalität in der Bundes-republik Deutschland, ZStW 90 (Berlin,1978)
  • Kaiser, Günther: Bagatellkriminalität in: Kaiser, Günther/Kerner, Hans-Jürgen/Sack, Fritz/Schellhoss, Hartmut (Hg.): Kleines kriminologisches Wörterbuch (Heidelberg, 1993)
  • Krümpelmann, Justus.: Die Bagatelldelikte. Untersuchungen zum Verbrechen als Steige-rungsbegriff, Schriften zum Strafrecht Bd. 4 (Berlin,1966)
  • Kunz, Karl-Ludwig: Das strafrechtliche Bagatellprinzip, Schriften zum Strafrecht Bd.57 (Berlin, 1984)
  • Kunz, Karl-Ludwig: Die Einstellungen wegen Geringfügigkeit durch die Staatsanwalt-schaft. Eine empirische Untersuchung in kriminalpolitischer Absicht (Königstein, 1980)
  • Lampe, Ernst-Joachim: Vorschläge zur prozessualen Behandlung der Kleinkriminalität, Deutsche Wiedervereinigung: Band I (Köln, 1993)
  • Priebe, Klaus: Zur Kodifizierung der „Bagatellkriminalität“ in Deutschland und Europa (Grasberg, 2005)
  • Rössner, Dieter: Bagatelldiebstahl und Verbrechenskontrolle (Frankfurt; 1976)

Weblinks

  • Portmann, Maik (o.J.) Bagatellkriminalität in: KrimLex [[1]] (29.03.2011)