Authority bias

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Als Autoritäts-Bias oder authority bias bezeichnet Sebastian Scheerer (2013) die systematische kognitive Verzerrung des kriminologischen Diskurses aufgrund der Übernahme der Perspektive staatlicher Institutionen, welche die Geschichte dieser akademischen Disziplin begleitete und belastete. Erst die kritische Kriminologie thematisierte einige Aspekte dieser Verzerrung (vgl. insbesondere Howard S. Beckers Topos der Hierarchie der Glaubwürdigkeit).

Die Kriminologie entstand und entwickelte sich als Wissenschaft für die innere Sicherheit, d.h. für die Interessen des Staates am reibungslosen Funktionieren der staatlichen Institutionen, die für Sicherheit und Ordnung zu sorgen hatten, und der gesellschaftlichen Prozesse von Produktion und Reproduktion. Für die menschliche Sicherheit interessierte sich die Kriminologie nur in dem Maße, in dem sie als Nebeneffekt der inneren Sicherheit mit dieser in eins gesetzt werden konnte. Menschliche Sicherheit war also kein originärer Bezugspunkt der Kriminologie.

Die Identifizierung der Kriminologie mit der Perspektive des Staates führte dazu, dass etwa der Begriff der Würde weniger mit dem Bürger als mit Staat und Recht verbunden wurde. Man orientierte sich an einer Perspektive, die der preußische Staatsrechtler Friedrich Julius Stahl (1833: 372) in die Worte gefasst hatte, dass die Strafjustiz ("Strafgerechtigkeit") nichts anderes sei als "die Herstellung der Herrlichkeit des Staates durch die Vernichtung oder das Leiden dessen, der sich wider sie empört hat." Angesichts der Lokalisierung aller Herrlichkeit beim Staate und seiner Strafgewalt blieb für die Wahrnehmung der Würde des Einzelnen und für die Zielvorstellung, dass das Recht die Würde der Person zu schützen haben könne, nicht viel Platz. Kurzum: das Bedürfnis der Kriminologie nach staatlicher Nützlichkeit ließ ein Interesse an der Prävention von Verletzungen der Menschenwürde gar nicht erst aufkommen. Fragen nach Verletzungen und nach dem Schutz der menschlichen Würde blieben fachwissenschaftlich ohne Adressat und ohne Ort.


Literatur

  • Scheerer, Sebastian (2013) Kriminologie der Menschenwürde (erscheint in: Deppert, Wolfgang, Hrsg., Die Würde des Menschen - was sie bedeutet, wie sie verletzt und wie sie geschützt werden kann. Leipzig: Universitätsverlag)