Ausländerkriminalität

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Unter Ausländerkriminalität wird ganz überwiegend die Summe von strafrechtlich mißbilligten Handlungen verstanden, die von Nichtdeutschen im Sinne von Art. 116 GG, also allen Menschen ohne deutschen Pass, in der Bundesrepublik Deutschland begangen werden. Zurückgegriffen wird hierbei auf die Tatverdächtigenbelastungszahlen (TVBZ) in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS).

Nach einem anderen Ansatz ist Ausländerkriminalität ein durch Verfolgungsinstanzen, Bevölkerung, Wissenschaft und Medien erschaffenes Konstrukt, mit dem Interessen verschiedenster Art verfolgt werden (Kubink).

Probleme und Kritik statistischer Auswertung

Während in den Medien und der Öffentlichkeit regelmäßig aus den bloßen Zahlen der PKS Aussagen über Kriminalität gezogen werden, besteht unter Kriminologen Einigkeit darüber, dass ein Vergleich der TVBZ zwischen Deutschen und Nichtdeutschen nicht ohne weiteres möglich ist. Teilweise wird angenommen, dass die PKS gar keine Rückschlüsse auf Kriminalität zulässt (Brüchert, 1).
In der Mehrzahl wird jedoch auf die im folgenden kurz erläuterten Verzerrungsfaktoren hingewiesen, um die vor einem Vergleich lediglich kontrolliert werden müssten (Rebmann, 174 ff).

Dunkelfeld

Die PKS enthält lediglich Informationen über das Hellfeld und somit über die Registrierung von Tatverdächtigen.

Bevölkerungsstatistik

Bestimmte Gruppen von Nichtdeutschen sind in der Bevölkerungsstatistik nicht enthalten, treten aber dennoch als Tatverdächtige in der PKS auf. Hierzu gehören Illegalisierte, Touristen/Durchreisende, Besucher, Grenzpendler und Stationierungskräfte. Das führt bei einer Umrechnung der Tatverdächtigen auf 100000 Einwohner automatisch zu einer höheren TBVZ in der Kategorie der Nichtdeutschen.

Strukturelle Zusammensetzung

Das Geschlecht, das Alter und die soziale Herkunft haben Einfluss auf das Risiko, in der PKS als tatverdächtig registriert zu werden.
Der Anteil männlicher Personen zwischen 20 und 30 Jahren, der generell einem hohen Registrierungsrisiko unterliegt, ist in der Kategorie der Nichtdeutschen deutlich überrepräsentiert.
Darüber hinaus leben Nichtdeutsche häufiger in Großstädten und gehören zu einem größeren Teil unteren Einkommens- und Bildungsschichten an.
Das alles sind Faktoren, die zu einem höheren Registrierungsrisiko und somit zu einer hohen TVBZ führen.

Ausländerspezifische Delikte

Ungefähr ein Fünftel der in der PKS erfassten Delikte von Nichtdeutschen sind Tatbestände aus dem Ausländer- und Asylverfahrensgesetz. Diese Delikte können tatbestandlich nur oder eher von Nichtdeutschen begangen werden. Demgegenüber haben Delikte, die ausschließlich von Deutschen begangen werden können, keinen erheblichen Einfluss auf die PKS.

Selektivität strafrechtlicher Sozialkontrolle

Die PKS wird wesentlich durch das Anzeigeverhalten der Bevölkerung sowie der Verfolgungsintensität durch die Polizei bestimmt.
Eine erhöhte Anzeigebereitschaft der Bevölkerung sowie eine erhöhte Protokollierungsbereitschaft der Polizei gegenüber Nichtdeutschen wirkt sich insofern negativ auf die TVBZ aus (Kubink, 54 f; Mansel 1989, 156)

Begriffsgeschichte

Während es die Kategorie der Nichtdeutschen bereits seit Einführung der PKS im Jahre 1953 gibt, begann eine Diskussion um die hierin erfassten Daten erst seit der Anwerbung der Gastarbeiter seit Beginn der 60er Jahre.
Die kriminologische Diskussion drehte sich um Ausmaß und Struktur des Verhaltens der Gastarbeiter, so dass bis Mitte der 80er Jahre auch nicht von Ausländer-, sondern von Gastarbeiterkriminalität gesprochen wurde.
Heute stehen in der Diskussion die Delinquenz junger Nichtdeutscher und Asylbewerber im Vordergrund (Villmow 1995, 155; Brüchert, 2). Seit den 90er Jahren wird das Schlagwort Ausländerkriminalität zunehmend zum Politikum. Die Regierungspolitik begann öffentlich auf die Kriminalität von Ausländern hinzuweisen und der Begriff fand zunehmend Eingang in die Medien (Villmow, 1999).
Zeitgleich wurde er in der kriminologischen Wissenschaft kritisiert und eine Erfassung der Kategorie der nichtdeutschen Taverdächtigen in Frage gestellt, da schon der Begriff an sich Überfremdungsängste hervorrufe und nationale Abwehrmechanismen hervorrufe (Prinz, 657.). Die kriminalstatistische Ausweisung von Nichtdeutschen impliziere einen Zusammenhang zwischen dem Status des nicht deutsch seins und Kriminalität (Walter 1993, 347).

Zusammenhänge mit anderen Begriffen

Mit dem Begriff der Ausländerkriminalität werden zahlreiche andere Begriffe von kriminologischer Relevanz in Verbindung gebracht, ohne dass hieraus jedoch tatsächlich auf objektive Zusammenhänge geschlossen werden könnte.
Vielmehr sind gezogene Verbindungen ein Indikator für den eigenen Standpunkt zum Themenkomplex Ausländerkriminalität.

Zusammenhänge mit der Wirklichkeit

Von tatsächlicher Relevanz ist die Diskussion um Ausländerkriminalität in mehrfacher Hinsicht. Furcht vor Kriminalität und Furcht vor Nichtdeutschen ist in Deutschland weit verbreitet (Rebmann, 1). Der Begriff der Ausländerkriminalität ist somit in besonderer Weise geeignet, Ängste zu mobilisieren und zu instrumentalisieren.
Indem Nichtdeutsche in der Politik zunehmend als kriminelle Problemgruppe dargestellt werden, wird impliziert, dass Kriminalitätskontrolle ohne eben diese Gruppe leichter wäre (Herz, 22). Innere Sicherheit und Kriminalität sind ausgezeichnete Wahlkampfthemen, durch die ein Klima geschaffen wird, in welchem sich repressive Gesetzesänderungen einfacher durchsetzen lassen. Das Bild des kriminellen Fremden, das durch den Begriff der Ausländerkriminalität transportiert wird, wirkt sich darüber hinaus entscheidend auf die Lebensqualität von Nichtdeutschen in der Bundesrepublik Deutschland aus. Hierdurch werden Vorurteile bedient, die nicht zuletzt in rassistischer Gewalt enden. (Bornewasser 1995; Niggli 1993)

Kriminologische Relevanz

Die kriminologische Relevanz wird durch den jeweiligen Standort bestimmt.Soweit die PKS als Maßstab für Kriminalität anerkannt und aus ihr nach Bereinigung der statistischen Verzerrungen eine spezifische Höherbelastung von Nichtdeutschen herausgelesen wird, stellt sich aus dieser Sicht die Frage nach den Ursachen und möglichen Präventionsstrategien.
Die gängigsten Erklärungsmodelle sind hierbei die Kulturkonfliktthese und der Deprivationsansatz (Pfeiffer, 1995, 13 ff). Soweit Kriminalität jedoch als das Ergebnis eines gesellschaftlichen Definitions- und Zuschreibungsprozesses begriffen wird, kann die registrierte Kriminalität von Nichtdeutschen nicht als direkte Folge ungünstiger sozio-kultureller oder ökonomischer Grundbedingungen verstanden werden.
Eine Ursachenforschung muss von diesem Standpunkt aus konsequenterweise abgelehnt werden, das Ausländerkriminalität lediglich das Ergebnis eines Konstitutionsprozesses ist.

Weblinks


Literatur

  • Brüchert, Oliver: Die Ausländerkriminalität sinkt nicht! Der Zusammenhang von Kriminalstatistik und Rassismus; Bürgerrechte und Polizei/Cilip 65 – 1 /2000
  • Herz, Ruth: Die Kategorie Ausländer: Bedarfsforschung für die Kriminalpolitik?; in: NK/99, 20 – 23.hh
  • Kubink, Michael: Verständnis und Bedeutung von Ausländerkriminalität; Eine Analyse der Konstitution sozialer Probleme; 1993.
  • Narr, Wolf-Dieter; Bürgerrechte und Polizei/Cilip 65 – 1/2000)
  • Pfeiffer, Christian: Das Problem der sogenannten Ausländerkriminalität – empirische Befunde, Interpretaionsangebote und (kriminal-)politische Folgerungen; KFN Forschungsberichte Nr. 42, 1995.
  • Rebmann, Matthias: Ausländerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland.
  • Villmow, Bernhard:o Ausländerkriminalität, in : Kleines Kriminologisches Wörterbuch; 3. Aufl. 1993.o Ausländer in der strafrechtlichen Sozialkontrolle, in: ""BewHi"" 2/95, 155 – 169.
  • Walter, Michel; Kubinek, Michael: Ausländerkriminalität – Phänomen oder Phantom der (Kriminal-) Politik?, ""MschKrim"" 1993, 306-317.