Ausantwortung

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(Die) Ausantwortung (Strafvollzugsrecht) bezeichnet das befristete Überlassen von Strafgefangenen in den befugten (amtlichen) Gewahrsam einer Polizei-, Zoll- oder Finanzbehörde (außerhalb der Justiz). Sie bedeutet ferner die temporäre Verlegung od. Überstellung einer / eines Gefangenen, bzw. Untersuchungshäftlings, meist zu Vernehmungszwecken / Begehungen des Tatortes / Gegenüberstellungen. Der etwas betagte Fachbegriff hat seinen Ursprung im sog. Ausantworten (jm. jn./etw. überstellen, übergeben, ausliefern, aushändigen).

1. Ablauf

Im Rahmen der Ausantwortung erfolgt zunächst die sog. Verbringung der / des Inhaftierten aus der Justizvollzugsanstalt, resp. dem Untersuchungsgefängnis, häufig mittels des Gefangenentransporters, zum Ort der Vernehmung. Die Verantwortung für die Sicherung des Gewahrsams (sowie die Prüfung der Zulässigkeit) trägt die jeweils ersuchende Behörde. Abschließend erfolgt die Rückverbringung der / des Gefangenen in die Haftanstalt.

2. Rechtlicher Hintergrund

Einschlägig hier (noch) das Strafvollzugsgesetz (StVollzG). Abweichungen vom Vollstreckungsplan (§ 152) – dieser bestimmt u.A. in welcher Vollzugsanstalt ein Verurteilter seine Freiheitsstrafe zu verbüßen hat - sind in den §§ 8 (Verlegung, Überstellung), 9 (Verlegung in sozialtherapeutische Anstalten), 10 (V. in den offenen Vollzug), 15 Abs. 2 (V. zur Entlassungsvorbereitung), 65 (V. zur besseren Krankenbehandlung), 76 Abs. 3 (V. zur Entbindung), 85 (V. zur sicheren Unterbringung) geregelt. Durch Beschluss der Föderalismusreform, vom 01.09.2006, ging die Gesetzgebungskompetenz, im Zusammenhang mit dem Strafvollzug, auf die Länder über. Ausgenommen §§ 109 - 122 StVollzG. - Das Verfahrensrecht wurde nicht in die Zuständigkeit der Länder übertragen! Die zuvor vorherrschende, sog. „konkurrierende Gesetzgebung“ (vgl. Art. 74 GG) wurde, mittels Art. 125 a GG, für diesen Bereich aufgehoben. Die neuen Landesgesetze werden das bisherige Bundesgesetz ablösen. Zwar tradiert die Verwaltung seit geraumer Zeit das Institut der Ausantwortung (gem. § 8) z.B. zu Zwecken von längeren Vernehmungen, Ortsterminen und Gegenüberstellungen, einzig ermangelt es ihr eines rechtlichen Fundamentes. (Die dazu in der Verwaltungsvorschrift Nr. 2 erwähnte Formulierung: „Auf begründeten Antrag darf der Gefangene einer Polizeibehörde befristet ausgeantwortet werden.“ gilt als nicht ausreichend.) Dabei unproblematisch gestaltet sich die Teilnahmepflicht der / des Gefangenen an Zeugenvernehmungen. Einschlägig hier die gesetzlichen Regelungen nach § 163 a Abs. 3 StPO. Danach gilt: „Der Beschuldigte ist verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen.“ Schwierig gestaltet sich indes die mit der Übergabe der / des Gefangenen verbundene Übertragung der Verantwortung für die Sicherung des Gewahrsams, sowie die Prüfung der Zulässigkeit. An diesem Punkt werden die das Bundesgesetz sukzessive ablösenden Landesgesetze konkreter.

2.1 Bundesgesetz (StVollzG, vom 01.01.1977)

Im StVollzG fehlt es an einer Rechtsgrundlage für die Ausantwortung!

Im Wortlaut des § 8 StVollzG heißt es:

Verlegung, Überstellung

(1) Der Gefangene kann abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere für den Vollzug der Freiheitsstrafe zuständige Anstalt verlegt werden,

1. wenn die Behandlung des Gefangenen oder seine Eingliederung nach der Entlassung hierdurch gefördert wird oder

2. wenn dies aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist.

(2) Der Gefangene darf aus wichtigem Grund in eine andere Vollzugsanstalt überstellt werden.

2.2 Landesgesetze

Im Folgenden findet sich eine Auflistung jener Landesgesetze, die bereits das weichende Bundesgesetz substituieren.

2.2.1 Bayern (BayStVollzG ,vom 10.12.2007)

Artikel 10 lautet wie folgt (Abweichungen vom StVollzG kursiv markiert.):

Verlegung, Überstellung, Ausantwortung

(1) Gefangene können abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere für den Vollzug der Freiheitsstrafe zuständige Anstalt verlegt werden, wenn

1. die Behandlung der Gefangenen oder ihre Eingliederung nach der Entlassung hierdurch gefördert wird oder

2. dies aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist.

(2) Gefangene dürfen aus wichtigem Grund in eine andere Anstalt überstellt werden.

(3) Gefangene dürfen befristet dem Gewahrsam einer Polizei-, Zoll- oder Finanzbehörde überlassen werden.

2.2.2 Baden-Württemberg (JVollzGB, vom 10.11.2009)

§ 6 (Buch 3)

Verlegung, Überstellung und Ausantwortung

(1) Gefangene können abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere Justizvollzugsanstalt überstellt oder verlegt werden,

1. wenn ihre Behandlung oder Eingliederung nach der Entlassung hierdurch gefördert wird,

2. zur Prüfung ihrer Eignung für die Behandlung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung,

3. zur Durchführung einer kriminalprognostischen Begutachtung oder

4. wenn dies aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus sonstigen wichtigen Gründen erforderlich ist.

(2) In begründeten Fällen ist das befristete Überlassen von Gefangenen in den Gewahrsam einer Polizei-, Zoll- oder Finanzbehörde zulässig. Die Justizvollzugsanstalt kann zur Durchführung der Ausantwortung Anordnungen treffen.

2.2.3 Hamburg (HmbStVollzG, vom 14.07.2009)

§ 9

Verlegung, Überstellung, Ausantwortung

(1) Die Gefangenen dürfen abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere für den Vollzug der Freiheitsstrafe zuständige Anstalt verlegt werden, wenn ihre Behandlung oder ihre Eingliederung nach der Entlassung hierdurch gefördert wird oder dies aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist. (Inhaltsgleich zu § 8 StVollzG)

(2) Die Gefangenen dürfen auch verlegt werden, wenn in erhöhtem Maß Fluchtgefahr gegeben ist oder sonst ihr Verhalten, ihr Zustand oder ihre Kontakte zu anderen Gefangenen eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt darstellen und die aufnehmende Anstalt wegen der mit der Verlegung bewirkten Veränderungen der Haftverhältnisse oder wegen höherer Sicherheitsvorkehrungen zur sicheren Unterbringung der Gefangenen besser geeignet ist. (Vgl. m. § 85 StVollzG, zzgl. „die Sicherheit gefährdende Kontakte“)

(3) Die Gefangenen dürfen aus wichtigem Grund vorübergehend in eine andere Anstalt überstellt werden.

(4) § 92 bleibt unberührt.

(5) Die Gefangenen dürfen auf begründeten Antrag befristet einer Polizeibehörde übergeben werden (Ausantwortung).

2.2.4 Hessen (HStVollzG, verabschiedet am 22.06.2010, voraussichtlich gültig ab 10/2010)

§ 11

Verlegung, Überstellung und Ausantwortung

(1) Die Gefangenen können abweichend vom Vollstreckungsplan (§ 71 Satz1) in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt oder überstellt werden, wenn dies

1. zur Erfüllung des Eingliederungsauftrags,

2. aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt,

3. aus Gründen der Vollzugsorganisation oder

4. aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist.

(2) Gefangene dürfen befristet dem Gewahrsam einer Strafverfolgungsbehörde überlassen werden, wenn dies zur Erfüllung der Aufgaben dieser Behörde erforderlich ist (Ausantwortung).

2.2.5 Niedersachsen (NJVollzG, vom 14.12.2007)

§ 10

Verlegung, Überstellung, Ausantwortung

(1) Die oder der Gefangene kann abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere Anstalt verlegt werden, wenn

1. hierdurch die Eingliederung in das Leben in Freiheit nach der Entlassung oder sonst die Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 gefördert wird,(entspr. § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG)

2. sich während des Vollzuges herausstellt, dass die sichere Unterbringung der oder des Gefangenen auch in einer anderen Anstalt mit geringeren Sicherheitsvorkehrungen gewährleistet ist und durch die Verlegung die Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 nicht gefährdet wird,

3. ihr oder sein Verhalten oder Zustand eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt oder eine schwer wiegende Störung der Ordnung darstellt und diese durch die Verlegung abgewehrt wird,

4. ohne Rücksicht auf ihr oder sein Verhalten oder ihren oder seinen Zustand eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt oder eine schwer wiegende Störung der Ordnung nicht anders abgewehrt werden kann,

5. dies aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus einem anderen wichtigen Grund erforderlich ist. (entspr. § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG)

(2) Die oder der Gefangene darf aus wichtigem Grund in eine andere Anstalt überstellt werden.(entspr. § 8 Abs. 2 StVollzG)

(3) Die oder der Gefangene kann mit ihrer oder seiner Zustimmung befristet dem Gewahrsam einer anderen Behörde überlassen werden, wenn diese zur Erfüllung ihrer Aufgaben darum ersucht (Ausantwortung). Die Ausantwortung ist auch ohne Zustimmung der oder des Gefangenen zulässig, wenn die ersuchende Behörde aufgrund einer Rechtsvorschrift das Erscheinen der oder des Gefangenen zwangsweise durchsetzen könnte. Die Verantwortung für die Sicherung des Gewahrsams und für das Vorliegen der Voraussetzungen des Satzes 2 trägt die ersuchende Behörde.

3. Besonderheiten in U-Haft

Vernehmungen des Gefangenen richten sich nach Nr. 41 UVollzO. Dazu bedarf es eines schriftlichen Antrags oder der Zustimmung des Richters oder des Staatsanwaltes. Vernehmungen sollen nach Einschluss grundsätzlich nicht mehr stattfinden. Die Ausantwortung, d.h. die befristete Überlassung des Gefangenen in den Gewahrsam einer Polizeibehörde, ist nur mit Zustimmung des Richters zulässig.

4. Polizeiliche Bedeutung von Ausantwortung

Trotz seiner nicht ausreichenden rechtlichen Begründung (vgl. Nds. LT-Drucks. 15/3565, S.93) findet das Institut der Ausantwortung häufige Anwendung seitens der Polizeibehörden. Gründe hierfür können einerseits mit der Notwendigkeit des konkreten Ortswechsels, z.B. zur Begehung eines Tatortes außerhalb der JVA, oder geringerem technischen Aufwand (z.B.Vorhalten von spezieller Technik) verbunden sein. So können die Ermittler mit Hilfe des geständigen Untersuchungshäftlings beispielsweise den Tatverlauf am Ort des Geschehens rekonstruieren und somit „Täterwissen“ abfragen. Auch Gegenüberstellungen finden typischerweise außerhalb der JVA statt, um den Zeugen /Opfern Wege (und den belastenden Besuch einer JVA) zu ersparen. Im Rahmen zeugenschaftlicher- oder einer Beschuldigtenvernehmung (durch Ermittlungspersonen) könnte diese häufig ebenso gut innerhalb der JVA stattfinden. Mitunter wird hierzu jedoch gezielt eine Ausantwortung gewählt. Dies geschieht auch mit der Intention, ein gefälliges Vernehmungsklima zu generieren. Die zugrunde liegende Annahme besteht darin, dass der / die Gefangene die Ausantwortung als eine willkommene Abwechslung ihres / seines Alltags erlebt und mithin in eine positive Grundstimmung versetzt wird. Diese könnte die Aussagebereitschaft erhöhen. Begreift die / der Gefangene die Ausantwortung gar als eine Art vorweggenommene Belohnung, so könnte die Kooperationsbereitschaft mit den Ermittlungspersonen gesteigert werden. Zudem entfaltet ein mit Bedacht eingerichteter Vernehmungsraum der Polizei eine gedeihlichere Atmosphäre als dies innerhalb der JVA darzustellen wäre. Ein dazu gereichter Becher Kaffee und / oder eine Zigarette tragen das ihrige bei. Aus Sicht der / des Gefangenen könnte die Aussagebereitschaft auch deshalb zunehmen, da sie sich „freier“ fühlen und weniger der sozialen Kontrolle Mitgefangener ausgeliefert sind. Letzteres gilt vor allem auch dann, wenn es sich bei den gegenständlichen Ermittlungen (wie häufig) um abweichendes Verhalten handelt, dessen Schauplatz die JVA war (z.B. Körperverletzungsdelikte unter Gefangenen).

5. Kritik

Grundsätzlich betrachtet die Kritische Kriminologie die derzeitige Strafvollzugspraxis als wenig zielführend und mit ihr die „totale Institution“ Gefängnis als stark desozialisierend. Dieses muss wohl bei der Betrachtung eines auf dieser Grundlage fußenden Institutes – der Ausantwortung – vorab gesagt werden. Die jüngsten Neuordnungen des Strafvollzugs durch die Föderalismusreform stießen auf breiten Widerstand bei nahezu allen wesentlichen Organisationen der deutschen Strafrechtspraktiker und vielen Hochschullehrern des Strafrechts. Im Zuge der neuen Landesgesetzgebungen kam es zu einem „Wettstreit der Schäbigkeiten“ F. Dünkel. Seinen derzeitigen Höhepunkt findet diese wohl in der jüngst verabschiedeten hessischen Variante des Strafvollzugsgesetzes (HstVollzG). Bemerkenswert ist die über Jahrzehnte lang anhaltende Praxis der Ausantwortung, trotz mangelnder Rechtslage (vgl. unter 2). Erst im Rahmen der neuen Landesgesetze wird dieser Mangel nun nach und nach beseitigt und eine rechtsverbindliche Regelung getroffen. Den Inhaftierten stehen die üblichen strafprozessualen Rechte (z.B. § 163 a Abs. 3 StPO) zur Seite. Es darf jedoch bezweifelt werden, ob die Inhaftierten sich dieser im Rahmen einer Ausantwortung auch immer bewusst sind. Die grundsätzliche Pflicht des Erscheinens zur Vorladung durch die StA könnte dem Gefangenen eine Mitwirkungspflicht (auch in Bezug auf dessen Einlassung) suggerieren. Die Art des Verbringens an einen anderen Ort unterstreicht diesen Eindruck nicht selbstbestimmt handeln zu können. Im Rahmen der Belehrung erfolgt zwar regelmäßig der Hinweis auf die §§ 52, 55 StPO, doch selten wohnt ein Rechtsanwalt diesen Vernehmungen bei! Die bisher mangelhafte Rechtslage resultiert aus zweierlei. Zum einen geht es um das hohe Maß der mit der Ausantwortung auf die ersuchende Behörde übertragenen Verantwortung für die Sicherung des Gewahrsams. Ein Zustand an dem sich, zumindest per Verlagerung von Zuständigkeiten, kaum etwas ändern lässt. Zum anderen wurde die mangelhafte Prüfung der Voraussetzungen angemahnt. In den neuen Landesgesetzen (Niedersachsen wird hier bisher am konkretesten) werden beide Kritikpunkte schlicht an die ersuchende Behörde delegiert. Ob diese Verfahrensweise objektiv zu einem gewissenhafteren Umgang führen wird, darf wohl mindestens bezweifelt werden. Ausgerechnet der für die Strafverfolgung installierten Institution die Kompetenz der abschließenden Rechtsprüfung zuzusprechen scheint im Widerspruch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung zu stehen. Denkbar, dass eine negative Prüfung der Vorraussetzungen dem Strafverfolgungsinteresse (abgeleitet aus § 163 StPO) der ersuchenden Behörde zuwiderläuft und mithin weniger wahrscheinlich wird.

6. Literatur / Quellen

  • Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal: Strafvollzugsgesetz – Bund und Länder (5. Auflage), 2009, ISBN 9783899496253
  • Laubenthal: Strafvollzug (5. Auflage), 2008, ISBN 9783540793991
  • Feest: Kommentar zum Strafvollzugsgesetz (5. Auflage), 2006, ISBN 3472064994
  • Feest/Lesting/Selling: Totale Institution und Rechtsschutz : eine Untersuchung zum Rechtsschutz im Strafvollzug, 1997, ISBN 3531129988

7. Weblinks