Auch Terroristen haben Rechte

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Am 04.05.2011 veröffentlichte die FAZ einen Gastbeitrag von Kai Ambos unter dem Titel Auch Terroristen haben Rechte. (Bin Ladin durfte nicht gezielt getötet werden - auch nicht in einem bewaffneten Konflikt.)


Es handelte sich um die Kurzfassung eines wissenschaftlichen Aufsatzs. In dieser Kurzfassung schrieb Ambos:

"Terroristen, auch Usama Bin Ladin, sind Menschen. Als solche haben sie Menschenrechte. Dazu gehört auch das Recht auf Leben, auf menschliche Behandlung und auf ein faires Strafverfahren. Die fundamentalen Menschenrechte gelten auch im Ausnahmezustand. Das Recht auf Leben wird in Friedenszeiten nur ausnahmsweise außer Kraft gesetzt, insbesondere in Fällen der Notwehr. Wenn es stimmt, dass Bin Ladin unbewaffnet war und gezielt getötet wurde, kann Notwehr, also ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf die zugreifenden Spezialkräfte, ausgeschlossen werden. Theoretisch möglich ist dann noch deren irrtümliche Annahme einer Notwehrlage. Objektiv bleibt die Tötung damit aber rechtswidrig. Sie dient damit - anders, als der amerikanische Präsident meint - nicht der Gerechtigkeit, sondern erweist ihr einen Bärendienst. - Ein Rechtsstaat behandelt auch seine Feinde mit Menschlichkeit. Er verhaftet Terroristen und bringt sie vor Gericht. Genauso wie es Deutschland mit der Rote Armee Fraktion getan hat und heute mit Angehörigen von Al Qaida tut. Wird die Schuld dieser Personen gerichtlich festgestellt, können sie zu schweren Strafen, in Amerika sogar zur Todesstrafe, verurteilt werden. Eine Tötung ohne Gerichtsverfahren ist eine extralegale Hinrichtung, für die Unrechtsstaaten vor Menschenrechtsgremien angeklagt werden. - Im Krieg, im "bewaffneten Konflikt" stellt sich die Rechtslage etwas anders dar. Hier können Menschen getötet werden, wenn und solange sie sich unmittelbar an den Feindseligkeiten beteiligen. Im internationalen Konflikt wird das Tötungsverbot für Kombattanten, im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt für Kämpfer oder De-facto-Kombattanten aufgehoben. Diese können, wie schon in dieser Zeitung dargelegt (Kreß/Nolte, "Staat und Recht" vom 31. Dezember 2009), unter bestimmten Voraussetzungen auch gezielt getötet werden, wobei insbesondere die Verhältnismäßigkeit zu wahren ist, also etwa weniger schwerwiegende Maßnahmen (Festnahme) vorrangig sind und unnötige zivile Opfer vermieden werden müssen. Geschieht dies auf ausländischem Hoheitsgebiet, so muss der Territorialstaat der Operation zustimmen; sonst liegt eine völkerrechtswidrige Souveränitätsverletzung vor. Entgegen manchen Äußerungen in diesen Tagen autorisieren die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, insbesondere Al Qaidas, weder Operationen auf fremdem Hoheitsgebiet noch die Festnahme oder gar Tötung von Terroristen. Am ehesten lässt sich aus ihnen noch die klassische Verpflichtung zur Auslieferung oder Aburteilung von Terrorismusverdächtigen entnehmen. Die Zulässigkeit einer gezielten Tötung scheidet hier allerdings schon deshalb aus, weil sich die Vereinigten Staaten - entgegen der irreführenden Rhetorik vom "Krieg gegen den Terrorismus" - nicht in einem bewaffneten Konflikt mit Al Qaida befinden. Ein lose und dezentral organisiertes terroristisches Netzwerk erfüllt nicht die Voraussetzungen einer Konfliktpartei im Sinne des humanitären Völkerrechts. Es fehlt ihm vor allem an einer zentralisierten und hierarchischen militärischen Kommandostruktur und der Kontrolle eines bestimmten Gebiets. Ruft man gleichwohl den weltweiten bewaffneten Konflikt gegen Al Qaida aus, so wird die gesamte Welt zum Schlachtfeld und das klassische Verständnis des bewaffneten Konflikts als einer auf ein bestimmtes staatliches Hoheitsgebiet beschränkten militärischen Auseinandersetzung ins Uferlose ausgedehnt. Wird man nicht bestreiten können, dass es in bewaffneten Konflikten zu gewissen Grenzüberschreitungen kommen kann, etwa beim Rückzug einer Konfliktpartei in das Hoheitsgebiet eines Nachbarstaates (wie etwa der afghanischen Taliban in das benachbarte Pakistan), so bleibt doch diese extraterritoriale Ausdehnung an den territorialen Ausgangskonflikt gebunden und macht nicht die ganze Welt zum Schlachtfeld mit unabsehbaren Folgen für die zum militärischen Ziel erklärten Terrorismusverdächtigen. In letzter Konsequenz überzieht ein solcher weltweiter Kampf alle Staaten mit Krieg, in denen sich "Terroristen" aufhalten, obwohl der kriegführende Staat sich mit diesen Staaten gar nicht im Krieg befindet. Endlich: Selbst wenn man einen bewaffneten Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Al Qaida annehmen wollte, können auch dann nur solche Personen zum Ziel militärischer Angriffe werden, die sich unmittelbar an den Feindseligkeiten beteiligten. Sie müssen etwa selbst militärische Operationen durchführen oder solche befehligen oder maßgeblich planen. Sie müssen noch eine andauernde Kombattantenfunktion ausüben. Auch das ist bei Bin Ladin keineswegs sicher, weil er nach Ansicht vieler nur noch spiritueller Führer von Al Qaida ohne Einfluss auf konkrete militärische Operationen war. - Jenseits dieser komplexen und durchaus strittigen Rechtsfragen stellt sich die noch viel grundlegendere Frage, ob die westliche Welt ihren terroristischen Feinden jegliches Lebens- und Menschenrecht versagen und sie zum militärischen Freiwild erklären will. Die Frage stellen heißt, sie zu verneinen. Die moralische und politische Überlegenheit einer freien und demokratischen Gesellschaft besteht gerade darin, dass sie auch ihre Feinde als Personen mit Mindestrechten behandelt und sich nicht mit ihnen gemein macht. Deshalb führt man gegen Terroristen keinen "Krieg", sondern man bekämpft sie mit den Mitteln des rechtsstaatlichen Strafrechts. Nur dies erweist der Gerechtigkeit tatsächlich einen Dienst und ist die Grundlage der Überwindung des terroristischen Unrechts."