Arbeitshaus

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Ein Arbeitshaus ist eine Einrichtung des rechtsförmigen Freiheitsentzugs. Wer in ein Arbeitshaus kommt, bestimmen Polizei und/oder Justiz. In der Praxis sind die Insassen von Arbeitshäusern so gut wie immer Arme: einfache Arme, arme Bettler, arme Landstreicher, arme Prostituierte, arme Haftentlassene oder andere Angehörige der einkommensschwächsten sozialen Schichten. Der Aufenthalt in einem Arbeitshaus dauert normalerweise einige Monate oder (wenige) Jahre und dient einerseits (offiziell) der Einübung von Arbeitstugenden, andererseits (de facto) vor allem der Abschreckung und Disziplinierung derjenigen Populationen außerhalb der Arbeitshäuser, die angesichts der Drohung mit dem Arbeitshaus zu allerlei Dingen zu bewegen sind, die sie sonst nicht (freiwillig) täten.

Der Ursprung der Einrichtung wird weniger im Londoner "Bridewell" (ca. 1555) als vielmehr in den Zucht- (und Arbeits-) Häusern des ausgehenden 16. Jahrhunderts in Amsterdam gesehen (Tuchthuis; Rasphuis). Die in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts (Allgemeines Preußisches Landrecht von 1794) existierende Möglichkeit der strafrichterlichen Einweisung in ein Arbeitshaus wurde 1969 abgeschafft - zu einer Zeit, in der diese Institution auch anderswo in Europa aus den Gesetzen gestrichen wurde. Zu untersuchen bleibt, wo das Arbeitshaus unter diesem oder einem anderen Namen womöglich noch heute - jenseits der Metapher oder Analogie ("die heutigen Arbeitshäuser heißen Burger King und McDonald's") existiert.

Der Weg in das Arbeitshaus verlief grundsätzlich nach dem Schema: Armut und Abweichung (Bettelei, Landstreicherei, Prostitution, Diebstahl), Aufgreifen durch die Polizei; danach entweder direkte Einweisung durch die Polizei oder aber eine richterliche Verurteilung wegen kleiner Delinquenz zu einer verhältnismäßig geringen Sanktion (einige Tage oder höchstens sechs Wochen Haft), gefolgt von einer (bis zu zwei Jahre andauernden) sog. korrektionellen Nachhaft in einem Arbeitshaus. Nach dem deutschen Strafgesetzbuch reichte eine Nacht im Polizeigefängnis wegen einer Übertretung (nach § 361 des Reichs-Strafgesetzbuchs) - oder auch eine Haft von bis zu sechs Wochen wegen einer Übertretung - um sodann bis zu zwei Jahre Arbeitshaus zu bekommen, also zusammen 772 Tage in Haft zu verbringen (vgl. Ayass 1993).


Geschichte

Nach Ayass (1993) kamen vier Tendenzen zusammen, die im Verlaufe des 17. Jahrhunderts zur Verbreitung des Arbeitshauses im Zusammenhang mit einem umfassenden Erziehungsgedanken beitrugen:

  • 1. die Tradition der Hospitäler als Institutionen stationärer Armenpflege
  • 2. der erstarkende Arbeitserziehungsgedanke
  • 3. die Ablösung der Todes- und Körperstrafen durch die Freiheitsstrafe
  • 4. das Interesse an der Nutzung von Arbeitskräften (Merkantilismus).

Ein Vorläufer des Arbeitshauses war das Bridewell in London (1555). Das ehemalige Schloss Heinrichs VIII. wurde zu einem Arbeitshaus für junge Leute gemacht. Seither ist "a bridewell" auch eine Bezeichnung für Arbeits- und Besserungsanstalten für straffällig gewordene Jugendliche.

Eine klarere Traditionslinie führt zurück auf die Zucht- und Arbeitshäuser in Amsterdam (1595). Ein ehemaliges Kloster wurde dort zum ersten Zucht- und Arbeitshaus des europäischen Kontinents: "Robert von Hippel (1866-1951), die große kriminalhistorische Autorität auf dem Gebiet der Arbeitshausunterbringung und des Strafvollzugs, sah in der Amsterdamer Anstalt erstmals die moderne Freiheitsstrafe verwirklicht" (Ayass).

Von Amsterdam aus verbreitete sich das Arbeitshaus nach Deutschland und über Europa. Nachdem der Bremer Senat 1604 eine Abschrift der Amsterdamer Anstaltsordnung erbeten hatte, kam es dortselbst 1609 zur Gründung des ersten Zucht- und Arbeitshauses in Deutschland. Über Lübeck (1613), Hamburg (1620) und Danzig (1629) verbreitete sich die Institution in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts weiter. Nach dem Niedergang dieser ersten Generation von Zucht- und Arbeitshäusern kam es zu einer (repressiveren) Renaissance des Arbeitshauses seit dem Ende des 18. Jahrhunderts.

Die erste Anstalt dieser neuen Arbeitshaus-Konjunktur in Preußen war die Anstalt Straußberg in Brandenburg (1791), gefolgt von Tapiau (1793) und Prenzlau (1797), Ueckermünde (1798) und vielen anderen innerhalb und außerhalb von Preußen. "Das preußische „Gesetz über die Bestrafung der Landstreicher, Bettler und Arbeitsscheuen“ von 1843 ermöglichte dann auch gegen Wohnungslose gerichtlich verhängte Arbeitshaushaft: „Wer geschäfts- oder arbeitslos umherzieht, ohne sich darüber ausweisen zu können, daß er die Mittel zu seinem redlichen Unterhalt besitze oder doch eine Gelegenheit zu demselben aufsuche, hat als Landstreicher Gefängniß nicht unter sechs Wochen oder Strafarbeit bis zu sechs Monaten verwirkt. Nach ausgestandener Strafe ist der Ausländer aus dem Lande zu weisen, und der Inländer in eine Korrektionsanstalt zu bringen.“ (Gesetz über die Bestrafung der Landstreicher, Bettler und Arbeitsscheuen. Vom 6. Januar 1843,in: Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten 1843, zit.n.Ayass 1993).

Die Arbeitshäuser - in die gegen Ende des 19. Jahrhunderts jährlich über 15.000 Personen eingeliefert zu werden pflegten und in denen sich zu jedem Stichtag auch ungefähr so viele Personen aufhielten - waren gefürchtet. Alleine der Name des Ortes, an dem sich Arbeitshäuser befanden, verbreitete Schrecken. "Als Ende der dreißiger Jahre behördenintern erwogen wurde, die Breitenauer Arbeitsanstalt zugunsten des badischen Arbeitshauses Kislau zu schließen, gab das Argument des Breitenauer Anstaltsleiters, der abschreckende Name 'Breitenau' sei in der Region unersetzbar, den Ausschlag für das Weiterführen der Arbeitsanstalt am alten Ort. (...) In erster Linie sollten die Arbeitshäuser abschrecken. Dem Besserungsgedanken der Arbeitshäuser kam dagegen im wesentlichen nur theoretische Bedeutung zu. Zwischen programmatischer Zielsetzung und tatsächlichen Zuständen klaffte in den Arbeitshäusern stets eine breite Lücke. Der Hauptadressat der Arbeitshauspädagogik befand sich nicht innerhalb, sondern außerhalb der Mauern der Arbeitshäuser. Der allgemein als hoch eingeschätzte Abschreckungseffekt des Arbeitshauses gegenüber unteren sozialen Schichten machte den eigentlichen gesellschaftspolitischen Wert der Korrektionsanstalten aus. (...) Einmütig berichtet die zeitgenössische Fachliteratur, daß Arbeitshäuser sogar weit gefürchteter als Gefängnisse waren" (Ayass 1993).

Die in England bereits mit dem Armengesetz von 1576 institutionalisierte "Große Einschließung" (vgl. Michel Foucault und Bronislaw Geremek) gelangte über die Niederlande (1595-96: Rasphuis, Spinhuis in Amsterdam) auf den europäischen Kontinent. Wie für Deutschland, so galten die Zucht- und Arbeitshäuser in Amsterdam auch für die Schweiz als Vorbilder. "In den meisten Schweizer Städten ermöglichte die Multifunktionalität der bestehenden Anstalten entsprechende Erweiterungen zu Zwangsarbeits- und Korrektionsanstalten, denen mit Beginn des 17. Jh. zahlreiche Neugründungen folgten, so z.B. in der Stadt Genf, wo im 1535 gegr. Hôpital Général 1631 eine Abt. als Maison de Discipline eröffnet wurde. Neben Genf wurden auch in Zürich 1637, Bern 1657, St. Gallen 1661 und Basel 1667 solche Zuchthäuser oder Zuchthausabt. eingerichtet. Für die weitere Entwicklung massgebl. war der Doppelcharakter dieser Anstalten: Sie blieben als Armenhäuser Institutionen der geschlossenen Armenfürsorge, wurden aber durch die Prinzipien des Freiheitsentzugs und des Arbeitszwangs zunehmend mit Zwecken des Strafvollzugs verknüpft. Arbeit wurde in den Anstalten zur korrektiven Disziplin für Deviante und Delinquente. Der damit verbundene Gedanke der Erziehung und Umerziehung der Insassen und Insassinnen zu moral. besseren und wirtschaftl. nützlicheren Mitgliedern der Gesellschaft trat im Verlauf des 18. Jh. in den Vordergrund. Die in Hausordnungen immer wieder festgelegte anstaltsinterne Disziplin (Fleiss, Arbeitsleistung, Einhalten des Stundenplans, Sauberkeit usw.), die durch spezif. Sanktionen (Körperstrafen, Isolierung) aufrecht erhalten wurde, gilt daher auch als ein über die Anstaltsmauern hinaus wirkendes Instrument gesamtgesellschaftl. Sozialdisziplinierung . Die Idee jedoch, mit der Internierung und Erziehung zur Arbeit die bettelnden Armen und Nicht-Sesshaften zu integrieren und gleichzeitig über die Anstaltsproduktion wirtschaftl. Gewinn zu erzielen, ließ sich nur selten realisieren. Die Zucht- und Arbeitshäuser hatten v.a. den Charakter von Strafanstalten" (Wolfensberger 2006).

Literatur

  • Pieter Spierenburg: Prisoners and Beggars. Quantitative Data on Imprisonment in Holland and Hamburg, 1597-1752, in: Historical Social Research 15, 1990, Nr. 4, 33-56.

Weblinks