Alejandro Aponte

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Nach Alejandro Aponte (2006: 299 ff.) liegen dem Feindstrafrecht als politischem Strafrecht zwei Entscheidungen zugrunde: die Entscheidung über den Ausnahmezustand und die Entscheidung darüber, gegen welchen Feind sich die Normen richten sollen. Ausschnitt aus S. 300:

Der Feind als konstruierter Feind

Der Feind ist immer ein konstruierter Feind. Es gibt immer eine Entscheidung über die Feindschaft und über den Feind. Dies ist natürlich nicht nur eine besondere Eigenschaft im kolumbianischen Fall, sondern eine ganz allgemeine. Der Notstand ist nicht nur mit dem Ausnahmezustand verbunden, sondern auch mit Sondersystemen, wie zum Beispiel den Sondernormen gegen die organisierte Kriminalität oder gegen den Terrorismus, die Ausnahmen zu den normalen Spielregeln herstellen. So kann man beispielsweise auf die Frage von Hefendehl in einer Arbeit über die organisierte Kriminalität, was denn nun eigentlich organisierte Kriminalität ist und wer denn diese Verbrechen überhaupt begeht, folgendes antworten: Die Entscheidung darüber, wer der Feind ist und wie er behandelt wird, ist vor allem eine politische Entscheidung.

Es ist darum naiv zu glauben, dass der Feind vor allem derjenige ist, der sich wie ein Feind benimmt. Sicherlich benehmen sich Terroristen, Selbstmordattentäter oder Kriegsverbrecher ganz extrem wie Kriminelle. Aber in einem so diffusen Bereich wie den Normen gegen die organisierte Kriminalität, gegen den Drogenhandel, Geldwäsche oder den Terrorismus wird der wirkliche Gehalt dieser Normen und vor allem ihr Ziel von einer Entscheidung definiert. Der Feind ist nicht unbedingt derjenige, der sich so benimmt, sondern der als solcher definiert wird.

Die von der Kriminologie entwickelte Kategorie der "Definitionsmacht" kann in diesem Zusammenhang weiterhelfen. Und jedes Land und jede Gesellschaft muss für sich selbst herausfinden, wo die Zentren der Definitionsmacht sitzen. In Kolumbien ist es ganz klar, dass im Zusammenhang mit dem Drogenhandel es nicht die Regierung ist, die darüber entscheidet, was den Drogenhandel ausmacht und wer dazu gehört. Diese Entscheidungen werden in Machtzentren getroffen, die nicht einmal in unserem Land liegen.

Absolute und relative Feinde

Wenn man weiß, dass der Feind vor allem ein konstruierter Feind ist, kann man auch verstehen, dass das Feindbild der politischen aktuellen Situation unterliegt. Der Feind von heute ist nicht unbedingt der Feind von morgen. Aber man kann dann auch einen weiteren sehr interessanten Sachverhalt sehen: Es gibt nämlich relative Feinde und absolute Feinde. In einem konfliktreichen Szenario, wie es in Kolumbien gegeben ist, kann man diesen Unterschied genau sehen. Das Feindstrafrecht wird nicht immer gegen die als absolut betrachteten Feinde angewendet, zum Beispiel gegen einen Terroristen. Im Gegenteil, und das ist auch Teil des Feindstrafrechts, häufig werden gegenüber bestimmten Akteuren, die eine politische Entscheidung in einen Friedensprozess integriert hat, Amnestien und Begnadigungen ausgesprochen. Sie wurden im Strafprozess meistens sehr gnädig verurteilt. Sowohl die Guerilleros als auch heutzutage die Paramilitärs wurden in Sonderverfahren sehr wohlwollend behandelt. Das Prinzip, das hinter diesen Zugeständnissen steckt, war das Anerkennen des politischen Charakters ihrer Handlungen. Aber dieses Anerkennen ist eine eminent politische Handlung, sie hängt nicht von den begangenen Taten ab, sondern sie ist die Grundlage einer politischen Entscheidung.

Heutzutage gibt es beispielsweise ein Sondergesetz namens "Ley de Justicia y Paz" (Gesetz zur Sicherung des Friedens und der Sicherheit"), das, zumindest zurzeit, auf Mitglieder von ultrarechten paramilitärischen Gruppen angewendet wird. Diese waren in schwerste Verbrechen und Verletzungen der Menschenrechte verwickelt. Aber heutzutage sind sie Teil des Friedensprozesses mit der aktuellen Regierung und erhalten Vorteile aus dem genannten Gesetz. Wie schwer auch ihr Verbrechen gewesen sein mag, ihre Strafe bewegt sich immer zwischen fünf und acht Jahren Haft, die sie tatsächlich verbüßen müssen. Und dieses Gesetz ist auch und vor allem Feindstrafrecht, nur in diesem Fall wird es auf diejenigen angewendet, die eine politische Entscheidung zu relativen Feinden gemacht hat. In diesem Fall könnten die internationale Gemeinschaft oder Menschenrechtsorganisationen meinen, dass es sich um Schwerverbrecher handelt, die eine sehr hohe Strafe verdienen würden. Aber dies ist irrelevant. Das einzig Wichtige ist, dass die politische Entscheidung ihnen ihren heutigen Status verliehen hat. Und darum wiederholen wir hier noch einmal: Es ist pure Naivität und Demagogie zu glauben, dass der Feind derjenige ist, der sich auch so benimmt. Wir wiederholen: Der Feind ist eine Konstruktion.

Wenn man sich nun eingehender mit diesem Dilemma beschäftigt, so findet man heraus, dass die erwähnte Wahlmöglichkeit in Wirklichkeit nur formaler Art ist. D. h. das zentrale Problem des Feindstrafrechts ist seine inhärente Gefahr, zu einer reinen de-facto-Antwort in der deinstitutionalisierten Ausübung der strafrechtlichen Reaktion zu verkommen. Wenn, wie Walter Benjamin behauptet, in der juristischen Ordnung eine rechtssetzende (S. 302; Heft 8-9/2006) und eine rechtserhaltende Gewalt existiert, so dass es in jedem juristischen System eine Gewalt gibt, die notwendig ist, um dieses Recht zu erhalten, so kann diese Gewalt gleichzeitig zu einer Bedrohung der juristischen Ordnung werden. Die Macht, die nötig ist, um das Recht zu erhalten, wird zu ihrer eigenen Bedrohung, da diese Macht zu einer Macht ohne Grenzen werden kann.

Diese grundlegende Tatsache, die es in jedem Strafrechtssystem egal welcher Art gibt, verschärft sich noch im Falle eines Feindstrafrechts. In diesem Fall muss Gewalt ausgeübt werden, um diese Art von Rechtsmodell aufrecht zu erhalten, und diese Gewalt ist im wesentlichen gegen die Rechte und Garantien gerichtet und kann daher in der Praxis unbegrenzt ausgeübt werden, so dass sie die Art von Recht ersetzen kann, die sie erst eingesetzt hatte. Daher wird das Feindstrafrecht in Wirklichkeit zu einem unbegrenzten Instrument der Machtausübung und kann sich über den guten oder schlechten Willen eines Polizisten, Staatsanwaltes oder Richters, seine Auswirkungen zu begrenzen, hinwegsetzen.

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