Agrarterrorismus

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Definition

Unter Agrarterrorismus versteht man "[…] the malicious use of plant or animal pathogens to cause devastating disease in the agricultural sector. It may also take the form of hoaxes and threats intended to create public fear of such events“ [1]. Im anglophonen als auch im deutschen Sprachraum existieren unterschiedliche Bezeichnungen, die dieses Phänomen beschreiben (Agroterrorism, Agriterrorism, Agroterrorismus).

Allgemeines

Die Annahme, dass ein bioterroristischer Anschlag ohne wissenschaftliche Unterstützung seitens sog. Schurkenstaaten unwahrscheinlich ist, hat sich aufgrund der sicherheitspolitischen Entwicklungen seit den Ereignissen des 11. September 2001 und den darauf folgenden Milzbrand-Anschlägen geändert (vgl. Segarra, 2001: 1; Gewin, 2003: 107; Cupp et al., 2004). Die Möglichkeit eines agrarterroristischen Anschlags jedoch, stellte bis dato, trotz der immensen Bedeutung des Agrarzweiges für die Wirtschaftsleistung der USA und des relativ einfachen Herstellungs- und Verbreitungsprozesses agrarbiologischer Kampfstoffe, eine eher theoretische Überlegung als ein realistisches Bedrohungsszenario dar (vgl. Irlenkaeuser, 2007; Ban, 2000; Monke, 2004: 5). Agrarterrorismus findet allerdings seit 9/11 in den USA vermehrt wissenschaftliche und finanzielle Zuwendung (vgl. Gewin, 2003: 107). Ein derartiger Prozess lässt sich in Deutschland nicht feststellen. Dies verwundert in Anbetracht des Vorliegens ähnlicher Strukturmerkmale – und folglich einer ähnlich gelagerter Vulnerabilität – der amerikanischen und deutschen Viehwirtschaft.

Vehikel

Als potentielle Vehikel eines agrarterroristischen Anschlags sind Tiere und Pflanzen, Transportfahrzeuge, Menschen, die Wasserversorgung eines Betriebes etc. denkbar. Für agrarterroristische Zwecke im Bereich Viehwirtschaft sind insbesondere Tierseuchen von besonderer Bedeutung, die eine hohe Übertragbarkeit, eine hohe Infektionsrate (Morbidität) und eine relativ kurze Inkubationszeit (2-15 Tage) aufweisen (vgl. Irlenkaeuser, 2007). Die Morbiditätsrate ist im agrarterroristischen Kontext zu vernachlässigen, da aufgrund diverser tierseuchenrechtlicher Bestimmungen, die Tötung aller mit infizierten Tieren in Berührung gekommenen Viehbestände obligatorisch ist (vgl. ebd.). Ferner ist die Lebensdauer und Widerstandskraft gegen Umwelteinflüsse von Bedeutung. Unter diesen Prämissen kommen vor allem die Maul- und Klauenseuche und die Newcastlekrankheit in Betracht (vgl. ebd.; Monke, 2004: 27).

Charakteristika

Agrarterrorismus weist spezifische Charakteristika auf, die dieser Form des Terrorismus eine hohe Attraktivität für subnationale Akteure verleihen können; diese lassen sich in drei Gruppen (Auswirkungen, Vulnerabilität und Risiken) unterteilen.

Auswirkungen

Ökonomische Auswirkungen

Die ökonomischen Wirkungen eines agrarterroristischen Anschlags sind als enorm einzuschätzen, da nicht nur die unmittelbaren, sondern auch die mittelbaren (Multiplikations-)Effekte zu berücksichtigen sind. Im November 2008 war z.B. die Zahl der deutschen landwirtschaftlichen Betriebe mit Rinderhaltungen auf 187 317 zu beziffern; die Gesamtzahl der Rinder betrug zu diesem Zeitpunkt 12 987 543 (vgl.[2]). Der Wirtschaftsbereich „Land- und Forstwirtschaft und Fischerei“ erwirtschaftete 2008 insgesamt ca.19,6 Milliarden Euro der gesamten Bruttowertschöpfung der Bundesrepublik Deutschland (vgl.[3]). Ein agrarterroristischer Anschlag auf diesen wichtigen Wirtschaftszweig würde erhebliche ökonomische Auswirkungen haben. Neben diesen direkten Verlusten sind die, aus dem Bekanntwerden einer Tierseuche resultierenden, Exporteinbuße zu berücksichtigen. Doch auch der Binnenmarkt wäre durch verminderte Verkäufe von agrarabhängigen Betrieben wie Lebensmittelherstellern, Farm Input Supply, Lebensmittelgeschäften etc. betroffen (vgl. Monke,2004: 6). Schließlich sind die enormen Kosten mit einzukalkulieren, die der Regierung durch die Eindämmung und Ausrottung infizierter Tiere, sowie der Entschädigung der Produzenten entstehen.

Psychosoziale und politische Auswirkungen

Die psychosozialen Auswirkungen eines agrarterroristischen Anschlages sind sowohl beim betroffenen Landwirt, als auch bei der allgemeinen Bevölkerung zu lokalisieren. Durch die mutwillige Leidzufügung und den enormen erlittenen wirtschaftlichen Schaden bedingt, können bei den Betroffenen massive psychische Störungen wie Depressionen, Stress und Angst auftreten (vgl.Irlenkaeuser, 2007). Auf einer weiter gefassten Ebene stellt die „Kommunikationsstrategie“ eines Angriffes auf die Lebensmittelsicherheit (food security) ein probates Mittel dar, der Öffentlichkeit das Bild einer handlungsunfähigen Regierung und Verwaltung zu vermitteln und dadurch schließlich auch politischen Druck zu erzeugen (vgl. ebd; Monke, 2004: 2 ff.). Die aus epidemiologischen und außenhandelspolitischen Gründen vorgenommenen Massentötungen von Nutztieren, bergen zudem ein hohes Konfliktpotential, das zu Spannungen mit betroffenen Landwirten und Tierschützern führen kann (vgl. Irlenkaeuser, 2007; Nestle, 2004; Monke, 2004: 6)

Vulnerabilität

Zunächst ist festzuhalten, dass die Vulnerabilität von Viehwirtschaftsbetrieben von der Stallungsweise des Viehbestands unabhängig ist. Tiere in Anbindehaltung als auch in Laufstallhaltungen werden, aufgrund diverser gesetzlicher Bestimmungen, nicht dauerhaft im Stall gehalten und in regelmäßigen Abständen freilaufen gelassen. Diese Agrarflächen sind meist freiliegend und unbefugten Personen leicht zugänglich. Ohnehin ist es fraglich, ob die Stallungen mehr Schutz vor terroristischen Angriffen bieten. Ferner befindet sich meist eine hohe Zahl von Tieren in beengten Stallungsverhältnissen untergebracht; dies ermöglicht eine rasche Ausbreitung von Tierseuchen unter dem Viehbestand (vgl. Monke, 2004). Neutiere werden für gewöhnlich nicht von Viehbestand separiert, was zu einer Ausbreitung einer bislang unbemerkten Seuche führen kann. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass die (Jung-)Tiere routinemäßig im Produktions- und Verarbeitungsprozess vom Geburtsort zum Stall bis zur eventuellen Schlachtung mehrfach transportiert werden (vgl. ebd.; Ban, 2000). Dies bietet Terroristen zahlreiche Möglichkeiten der Intervention.

Risiken

Die Beschaffung, Kultivierung und die schließliche Anwendung von Tierseuchenerregern stellt, nach Meinung zahlreicher Forscher keinen anspruchsvollen Prozess dar; darüber hinaus besteht für die Akteure keine bzw. nur geringe Infektionsgefahr (vgl. Wheelis, 2002; Irlenkaeuser,2007; Monke, 2004; Ban, 2000). Dies senkt das persönliche Risiko des Terroristen. Die Tatsache, dass ein agrarterroristischer Angriff mit Tiererregern zu keinen menschlichen Verlusten führt, kann als moralische Entlastung empfunden werden (vgl. Irlenkaeuser, 2007; Ban, 2000: 3). Weiterhin ist es schwierig, zwischen einem natürlichen Ausbruch einer Tierseuche und einem bewusst herbeigeführten Ereignis zu unterscheiden (vgl. Ban, 2000: 3). Zudem wird die Rückverfolgung der Täter durch die Inkubationszeit erschwert, die zum Teil bis zu 14 Tagen dauern kann. Summa summarum führen diese Faktoren dazu, dass die Begehung eines agrarterroristischen Anschlags ein geringes Entdeckungsrisiko darstellt; dies kann die Tatgeneigtheit der Akteure fördern.

Zwar konstantieren Irlenkaeuser (2007), als auch Monke (2004: 2), dass Agrarterrorismus nicht die Zerstörungskraft von klassischen Massenvernichtungswaffen und folglich nicht den gleichen (medialen) „Schock-Effekt“ besäße, doch fasst man die Erkenntnisse – enorme Auswirkungen eines Anschlages, eine hohe Vulnerabilität des Zielobjektes und ein geringes persönliches Risiko – zusammen, so lässt sich die Gefährdungslage durch einen agrarterroristischen Anschlags als ernst einstufen.

Literatur

  • Ban, J. (2000). Agricultural biological warfare: An overview. Chemical and Biological Arms Control Institute.
  • Chalk, P. (2001). The US agricultural sector: a new target for terrorism? Janes Intelligence Review,13(2), 12-15.
  • Chalk, P. (2004). Hitting America's soft underbelly: The threat of deliberate biological attacks against the US agriculture and food industry. Santa Monica, CA: Rand.
  • Chalk, P. (2005). Trends in terrorism: threats to the United States and the future of the Terrorism Risk Insurance Act. Rand.
  • Cupp et al (2004). Agroterrorism in the US: key security challenges for the 21st century. Biosecurity and Bioterrorism, 2(2), 97-105.
  • Davis, R.G. (2001). Agricultural bioterrorism. New frontiers: global threats. Iowa State University,Ames.
  • Dept, W., & World. (2002). Terrorist threats to food: guidance for establishing and strengthening prevention and response.
  • Fong, I.W., & Alibek, K. (2005). Bioterrorism and Infectious Agents: A New Dilemma for the 21st Century. New York: Springer.
  • Gewin, V. (2003). Bioterrorism: agriculture shock. Nature, 421(6919), 106-108.
  • Hennessy, D.A. (2008). Economic Aspects of Agricultural and Food Biosecurity. Biosecurity and Bioterrorism: Biodefense Strategy, Practice, and Science, 6(1), 66-77.
  • Irlenkaeuser, J.C. (2007). Agroterrorismus am Beispiel von Tierseuchen. Österreichische Militärische Zeitschrift, 2. Im Internet abrufbar unter: [4]
  • Kohnen, A., & Preparedness, E.S.o.D. (2000). Responding to the threat of agroterrorism: Specific recommendations for the United States Department of Agriculture. No.: ESDP, 52.
  • Monke, J. (2004). Agroterrorism: threats and preparedness. Paper presented at the CRS Report for Congress. Im Internet abrufbar unter: [5]
  • Nestle, M. (2003). Safe food: Bacteria, biotechnology, and bioterrorism. University of California Press.
  • Parker, H.S., & Studies, N.D.U.I.f.N.S. (2002). Agricultural bioterrorism: a federal strategy to meet the threat. Institute for National Strategic Studies, National Defense University.
  • Rasco, B., & Bledsoe, G.E. (2005). Bioterrorism and food safety. Boca Raton: CRC Press.
  • Segarra, A. (2001). Agroterrorism Options in Congress. Im Internet abrufbar unter: [6]
  • Wheelis, M., Casagrande, R., & Madden, L.V. (2002). Biological attack on agriculture: low-tech,high-impact bioterrorism. BioScience, 52(7), 569-576.
  • Whitby, S. M. (2002). Biological warfare against crops . Houndmills, Basingstoke, Hampshire; New York: Palgrave.

Weblinks