Abstraktes Gefährdungsdelikt

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Bei abstrakten Gefährdungsdelikten ist zu unterscheiden,

  • ob konkrete individuelle Rechtsgüter gefährdet werden (z.B. körperliche Unversehrtheit, konkrete Menschenwürde) oder (nur) abstrakte oder nicht genau definierbare großflächige Rechtsgüter wie z.B. die Sittlichkeit, die öffentliche Moral oder die Menschenwürde als abstraktes Gut, ohne Bezug zu realen Menschen.
  • eine Gefährdung bewiesen ist (wie die verringerte/fehlende Fahrtüchtigkeit durch Trunkenheit), oder lediglich vermutet oder durch umstrittene Indizien gestützt wird (z.B. Vermutung eines Zusammenhangs zwischen Mediengewaltdarstellung und Realgewalthandlungen)
  • die Gefährdung ein nennenswertes Ausmaß erreicht oder nur in Einzelfällen zur Verletzung eines Rechtsguts führt.

Trunkenheit im Verkehr ist eine gleichsam konkrete abstrakte Gefährdung, während der Verkauf von sog. jugendgefährdender Literatur an Jugendliche wohl eher eine abstrakt-abstrakte Gefährdung der Sittlichkeit der Jugendlichen darstellt.

Pro und Contra

Nach Carsten Lange (2005) finden sich im strafrechtlichen Schrifttum zwei Hauptströmungen zur Frage der Zulässigkeit abstrakter Gefährdungsstraftaten.

1 Die einen verteufeln ihren Einsatz generell, etwa weil sie darin die Wahl einer materiell problematischen Technik sehen, die die zu ziehenden Grenzen der Strafbarkeit noch diffuser erscheinen, oder den Verlust essentieller rechtsstaatlicher Garantien befürchten lassen.
2 Dem halten andere Autoren entgegen, daß dies prinzipiell den Weg für eine konstruktive und notwendige Diskussion für oder gegen die Legitimation abstrakter Gefährdungsdelikte versperrt. Die Diskussion bewegt sich somit in einem Abwägungsprozeß zwischen Subsidiaritätsprinzip des Strafrechts einerseits und angemessene und effektive Reaktion auf neuartige Gefahren andererseits.
3 Soweit die generelle Anwendbarkeit der abstrakten Gefährdungsdeliktsform in Frage gestellt wird, zwingt sich die Folgefrage nach einer anderweitigen Einordnung auf. So schlägt Hassemer etwa vor, das Strafrecht auf ein Kernstrafrecht zu reduzieren, und denjenigen Problemen der modernen Gesellschaft, die zu der Ausformung des „modernen“ Strafrechts geführt haben, in einem besonderen „Interventionsrecht“ zu begegnen, das seine Einordnung zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht findet.
4 Auch Zieschang lehnt die Anwendung abstrakter Gefährdungsdelikte im Kriminalstrafrecht ab und fragt sich dann weiter, ob sie zumindest im Ordnungswidrigkeitenrecht aufgehoben sein könnten. Nimmt man zwischen diesen beiden Rechtsgebieten einen lediglich quantitativen Unterschied an, so bleibt die grundsätzliche Kritik gegen eine Normierung derartiger Deliktsformen auch im OWi-Recht bestehen.
5 Nimmt man zwischen Kriminalstrafrecht und OWi-Recht einen qualitativen oder gemischt qualitativ-quantitativen Unterschied an, so stellt sich das Sanktionsmittel „Geldbuße“ lediglich als „Pflichtenmahnung gegen bloßen Ungehorsam gegen "technisches", zeit- und verhältnisbedingtes Ordnungsrecht der staatlichen Verwaltung“ (BVrfG) dar. Es fehlt die Ernstlichkeit der staatlichen Kriminalstrafe. Aufgrund der geringeren Legitimationsanforderungen und angesichts einer effektiven Nutzung als „Polizeirecht“ ist der Einsatz abstrakter Gefährdungsdelikte hier generell denkbar, wohl aber auch nicht einschränkungslos. Vielmehr hat der Gesetzgeber auch hier den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren.

Großflächige Rechtsgüter

Weblinks und Literatur

Siehe auch