Abschreckung

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„Furcht vor üblen Folgen kann das „Sichfügen“ in den durchschnittlichen Sinngehalt einer Gewaltherrschaftsbeziehung bedingen“
Max Weber

Etymologie

dt.: Das Verb 'schrecken' leitet sich ab aus dem althochdeutschen 'screckan', welches selber eine Steigerungsform von 'scricken' ist. Beides ist indogermanischen Ursprunges und bedeutet 'springen'. Die Bedeutung 'in Schrecken geraten' entstammt also dem Wort '(auf-) springen', wie der Tiername 'Heuschrecke’ heute noch zeigt, ebenso wie das norwegische 'skrikka' gleichbedeutend mit 'hüpfen’ ist.

Als Veranlassungswort im Sinne eines aktiven 'in Schrecken versetzten' entstammt das Wort dem althochdeutschen 'screcchen' und bedeutet ursprünglich 'springen machen, aufscheuchen'. Das Wort 'abschrecken' im heutigen Sinne: 'durch Schrecken von etwas abbringen' entstammt ebenfalls diesem Ursprung, seit dem 16. Jhdt. steht es auch für 'plötzlich abkühlen' (z.B. 'Eier abschrecken'; so gibt es auch der Brockhaus als allgemeine Bedeuntung von 'abschrecken' an).

Das Wort 'ab-' als allgemeines Adverb oder allgemeine Präposition ist indogermanischen Ursprunges (apo) und daher in zahlreichen Sprachen gleichbedeutend verwendet (mhd.: ab[e]; ahd.: aba; got.: af; engl. of, off; schwed.: av). Auch mit dem griechischen 'apo' und dem lateinischen 'ab' ist das Wort verwandt. Es bedeutet in allen Fällen etwa 'von' oder 'weg'. Es kann also auch äquivalent gesehen werden zu dem lateinischen 'de-', so erklärt sich die lateinische und englische Zusammensetzung 'de-terrere' bzw. 'de-ter'. Das Wort 'terrere' entstammt dabei dem Wort 'terror', dies bezeichnet das 'in Schrecken geraten' direkter als psychischen Zustand, welcher eine Steigerungsform der gewöhnlichen Furcht ('timor') ist (vgl. Scheerer 2004, 257ff).

Das Substantiv 'Abschreckung' leitet sich davon ab und bezeichnet dann den Prozess des Abschreckens (engl.: deterrence: process of deterring).

Definition & Konzeption

Abschreckung (deterrence) und Abschreckungsstrafe (engl.: deterrent punishment):

"In criminology, the penological theory that punishment the knowledge of which is widely spread, is the most efficient method of preventing crime." (Koschnick 1992, 8)
"A punishment whose kind and severity are sufficient to prevent the repetition of a crime." (Koschnick 1992, 8)

Diese Definitionen geben einen ersten Überblick über das Thema, insgesamt ist allerdings eher von einer 'Methode' oder einem 'Konzept' auszugehen, welches auf verschiedenen Teilannahmen beruht und aus welchem sich weitere Teilkonzepte ableiten lassen.

Das Konzept der Abschreckung „beinhaltet die These, dass kriminelle Handlungen unwahrscheinlicher werden, wenn angedrohte Sanktionen

  1. dem kriminellen Handeln mit Sicherheit folgen,
  2. dem kriminellen Handeln mit geringer zeitlicher Verzögerung folgen, und
  3. so schwer sind, dass ihre Kosten, d.h. die mit ihnen einhergehenden Nachteile, den durch die kriminelle Handlung zu erzielenden Nutzen überwiegen.“ (Eifler 2002, 52f)


Teilkonzepte

generelle Abschreckung (‚general-deterrrence’):

Angedrohte Strafen sollen von der Allgemeinheit so antizipiert werden, dass kriminelle Handlungen unterlassen werden. Zusätzlich kann man die ‚execution publicity’ als eine Ergänzung zum Konzept der generellen Abschreckung sehen. Der Grad der Öffentlichkeit der Strafe, also der Sichtbarkeit durch die Allgemeinheit, wird dann in die Abschreckungswirkung mit einbezogen. Das Konzept der generellen Abschreckung entspricht im wesentlichen dem juristischen Konzept der Generalprävention, wobei die Unterscheidung zwischen positiver und negativer Generalprävention in der (angloamerikanischen) soziologischen Literatur selten zu finden ist.

spezifische Abschreckung (,specific-deterrence’):

Angewendete Strafen sollen beim Bestraften so wirken, dass dieser aus Angst vor erneuter Strafe von der Begehung weiterer Verbrechen abgehalten wird. Bezüglich der Anwendung selbst kann man auch sagen, der Bestrafte wird für die Dauer seiner Haft (bei Todesstrafe: für immer) ‚unschädlich’ gemacht (als englisches Substantiv: ‚Incapacitation’)

Verwendungsgeschichte

In seinem berühmten Werk „Über Verbrechen und Strafen“ (zuerst 1764 anonym veröffentlicht; hier 1905) entwirft Cesare Beccaria (*15.03.1738; †28.11.1794) die historisch erste Fassung des Abschreckungskonzeptes. Es gehört daher zu den ‚klassischen’ kriminologischen Grundgedanken. Beccarias Überlegungen bauen auf einem rationalem Menschenbild auf, dessen ideengeschichtlicher Hintergrund in der schottischen Moralphilosophie und dem Utilitarismus liegt (vgl. Beirne 1991; vgl. Vanberg 1975): Menschen streben Lustgewinn an und versuchen Schmerz zu vermeiden. In diesem Sinne wählen sie ihre Handlungen und da kriminelle Handlungen eine hohe Gewinnchance versprechen, liegt es Nahe, sie zu wählen. Dagegen wird eine antizipierte Strafe lustmindernd und schmerz-verursachend interpretiert. Die Strafe wird mit in die Handlungsorientierung einkalkuliert, eine abschreckende Wirkung wird dann erzielt, wenn die erwarteten Kosten der Strafe den angestrebten Nutzen einer kriminellen Handlung übersteigen. Auch die Komponenten der sozialen Kontrolle, also die Forderung nach Sanktions-Sicherheit und die Forderung, dass die Strafe ohne zeitliche Verzögerung folgen soll, sind schon bei Beccaria zu finden (vgl. Eifler 2002, 14) Der Zweck einer Strafe ist ein zweifacher: erstens hindert die Strafe den Verbrecher an der Begehung neuer Strafen. Zweitens soll sie die anderen Mitglieder der Gesellschaft davon abschrecken, eine ebensolche kriminelle Tat zu begehen. „Der Zweck ist also kein anderer, als den Verbrecher daran zu hindern, seinen Mitbürgern neuen Schaden zu zufügen und die anderen von gleichen Handlungen abzuhalten.“ (Beccaria 1905, 103) Beccarias Abschreckungsgedanke ist zwar nicht direkt dem Humanismus verpflichtet, er ist aber insofern humanistisch geprägt, als dass inhumane Strafen nicht zweckmäßig und daher tyrannisch sind, wie Beccaria am Beispiel der Todesstrafe darlegt (vgl. Beccaria 1905, 103 & 105f, vgl. Naucke 1989, 47f). Auch in den Schriften des englischen Utilitaristen Jeremy Bentham (*15.03.1748; †06.06.1832) spielt der Deterrence-Gedanke eine wichtige Rolle. Die Konzeption ist im Grunde dieselbe: Lustgewinn (‚pleasure’) und Schmerz (‚pain’) sind die Leitmotive des menschlichen Handelns. So gilt wieder, dass einzelne Menschen durch an ihnen vollstreckte Strafe von der Begehung weiterer Verbrechen abgehalten werden und auch, dass die Menschen ganz allgemein kriminelle Handlungen wählen, wenn keine adäquate Abschreckung (antizipierte Strafe) sie davon abhält (vgl. Geis 1972, 59f). Unzweckmäßig hohe Strafen lehnt Bentham ebenso ab wie Beccaria. Die Strafe ist ein Übel, welches nur eingesetzt werden darf, um größeres Übel zu verhindern.

Franz von Liszt (*02.03.1851; †21.06.1919) legt in seinem Werk „Der Zweckgedanke im Strafrecht“ (von Liszt 2002; zuerst 1883) den Schwerpunkt auf die personenbezogene Form der Abschreckung durch angewandte Strafen als Reaktion auf ein Verbrechen. Zwar erkennt er ebenso wie Beccaria und Bentham die abschreckende Wirkung der Strafandrohung (vgl. von Liszt 2002, 41); sein inhaltliches Augenmerk liegt allerdings auf der abschreckenden Wirkung der ausgeführten Strafe, also der Abschreckung eines bestimmten, bereits straffällig gewordenen Verbrechers von weiteren Taten. Abschreckung ist dann die „durch Einpflanzung und Kräftigung der der egoistischen, aber in der Wirkung mit den altruistischen zusammenfallender Motive“, um die „künstliche Anpassung des Verbrechers an die Gesellschaft“ (von Liszt 2002, 40) herbei zu führen. Die Strafe ist nicht mehr nur Rache, welche eine angenommene Ordnung restituieren soll und dient auch nicht der Verhinderung von Taten durch eine Haftzeit, während welcher derjenige keine neuen Verbrechen begehen kann, sondern dient konkret dem Zweck der präventiven Besserung: der Bestrafte soll lernen, sich nach verbüßter Haftzeit nicht erneut kriminell zu verhalten. Nach von Liszt entfaltet die angewandte Strafe ihre abschreckend-präventive und disziplinierende Wirkung beim sogenannten ‚Gelegenheitsverbrecher’: „Hier soll die Strafe (...) die Autorität des übertretenen Gesetzes herstellen, sie soll Abschreckung sein, eine gewissermaßen handgreifliche Warnung, ein „Denkzettel“ für den egoistischen Trieb des Verbrechers“ (von Liszt 2002, 49):

Empirie

Das Abschreckungskonzept wurde in einer Vielzahl von empirischen Studien überprüft, wobei die unterschiedlichen Ergebnisse im Gesamtbild keine klaren Rückschlüsse auf die abschreckende Wirksamkeit von Strafen zulassen. In den 50er Jahren des 20.Jhdts wurden in den USA die ersten empirischen Studien zur Abschreckung erstellt. Diese beziehen sich hauptsächlich auf die vermutete abschreckende Wirkung der Todesstrafe, zumeist auch direkt verbunden mit der Häufigkeit von Tötungsdelikten (vgl. z.B. Sellin 1959). Bei seinem Vergleich der Häufigkeitszahlen von Tötungsdelikten in Staaten der USA mit Todesstrafe und ohne Todesstrafe konnte Sellin (1959) keine unterschiedlichen Trends ausmachen und schloss daher, dass die Todesstrafe keine abschreckende Wirkung habe. In der Folge zeigten verschiedene Studien stark unterschiedliche Ergebnisse, die meisten dieser Studien waren ökonomische Ansätze, welche das utilitaristische Menschenbild von Beccaria und Bentham übernommen haben. Ehrlich (1975) meinte, mit seinem methodischen Vorgehen nachweisen zu können, dass jede (zusätzliche) Exekution bis zu acht weiterer Tötungsdelikte verhindern kann (vgl. Ehrlich 1959, 398; vgl. Albrecht 1993, 159). Gibbs (1968), der ähnlich vorgeht wie Sellin, findet die abschreckende Wirkung von Strafen bestätigt. Tittle (1969), der über Tötungsdelikte hinausgehend auch andere Deliktarten operationalisiert hat, findet sie unabhängig davon ebenfalls bestätigt. Hingegen zeigen Chiricos & Waldo (1970) in ihrer Studie, obwohl diese methodisch an jene beiden von Gibbs und Tittle anschließt und deren Vorgehensweisen spezifiziert, dass es keine oder bestenfalls geringe Zusammenhänge zwischen Bestrafung und Kriminalitätsraten gibt. Diese Studien beziehen sich jedoch nur auf die ‚general-deterrence’ und auch nur auf die beiden Gesichtspunkte der Strafsicherheit (‚certainty of punishment’) und der Strafschwere (‚severity of punishment’), der Punkt zur geringen zeitlichen Verzögerung (‚celerity of punishment’) bleibt ungeprüft (vgl. Chiricos / Waldo 1970, 215).

Kriminologische Relevanz und Kritik

Die lange Verwendungsgeschichte und die häufige empirische Prüfung des Abschreckungskonzeptes legen die Vermutung nahe, dass es auch in der allgemeinen Theoriebildung noch Verwendung findet.

Zunächst einmal ist es ein integraler Bestandteil der kriminologischen Rational Choice Perspektive. Diese befasst sich mit den Strukturen der Entscheidungsfindung, welche zu einer ‚kriminellen’ Handlung führt, besonders unter Berücksichtung der Situation, in welcher sie stattfindet.

„It is assumed, in other words, that crime is purposive behaviour designed to meet the offender’s commonplace needs for such things as money, status, sex and excitement, and that meeting these needs involves the making of (sometimes quite rudimentary) decisions and choices, constrained as these are by limits of time and ability and the availability of relevant information.” (Clarke/Felson 1993, 6)

Der »kriminell« Handelnde strebt einen Nutzen an und um diesen bestmöglich zu erreichen, berechnet er unter Einbeziehung der zur Verfügung stehenden Informationen und Mittel die beste Wahl als Grundlage der Handlung. Diese analytische Perspektive wird mit der Annahme zur negativen Antizipation von Strafen kombiniert, findet der Abschreckungsgedanke in einer situationsbezogenen und deliktspezifischen Fassung seine Anwendung als ein Teil des kriminologischen RC –Ansatzes (vgl. Cornish/Clarke 1987, 934).

Es gibt jedoch auch theoretische Überlegungen, welche von einer genau umgekehrten Wirkung von Strafen auf den Einzelnen ausgehen. Die grundlegenden Thesen des labelling approach nach Lemert und Becker gehen davon aus, dass Strafen sekundäre Devianz bzw. eine kriminelle Karriere bedingen und daher nicht abschreckend, sondern amplifizierend wirken. Nach Beckers Konzeption ist auch die Möglichkeit gegeben, dass antizipierte Strafen zu versteckt abweichendem Verhalten leiten, was in der gesellschaftlichen Häufung letztendlich zur Bildung von Subkulturen führt (vgl. Becker 1996).

materielle Realitäten

Die in den USA geführte politische Debatte um abschreckende Strafen wird dominiert von zwei strittigen Punkten:

1. der Anwendung der Todesstrafe als ‚capital-punishment’ zur Abschreckung von den Delikten, welche mit dieser Strafe bedroht sind.

2. dem Incapacitation-Gedanken, welcher seine Extremform in der Todesstrafe und im kalifornischen ‚three Strikes & you’re out’ findet.

In europäischen Großstädten wird zunehmend versucht, durch Videoüberwachung potentielle Täter abzuschrecken, wobei jedoch auch zur Debatte steht, ob dies lediglich Verlagerungseffekte (‚crime replacement’) erzeugt.

Literatur

  • Albrecht, Hans-Jörg (1993): „Generalprävention“, in: ‚Kleines Kriminologisches Wörterbuch’, herausgegeben von Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss, C.F. Müller Jurisitscher Verlag ""GmbH"", Heidelberg 1993
  • Beccaria, Cesare (1905): „Über Verbrechen und Strafen“, herausgegeben von Esselborn, Verlag Wilhelm Engelmann, Leipzig 1905
  • Becker, Howard S. (1996): „Outsiders – Studies in the Sociology of Deviance”, The Free Press, New York / London / Toronto / Sydney / Singapore 1996
  • Beirne, Piers (1991): „Inventing Criminology: The ‚Science Of Man’ in Cesare Beccaria’s Dei Dellite E Delle Pene (1764)”, in: Criminology, Volume 29 (1991), pp. 777-820
  • Clarke, Ronald V. & Felson, Markus (1993): „Introduction: Criminology, Routine Activity and Rational Choice”, in: ‚Routine Activity and Rational Choice, Advances in Criminology, Volume 5’, herausgegeben von: Clarke / Felson, Transaction Publisher, New Brunswick and London 1993
  • Cornish, Derek B & Clarke, Ronald V. (1987): „Understanding Crime Displacement – An Application of Rational Choice Theory”, in: Criminology, Volume 25 (1987), pp. 993-947
  • Chiricos, Theodore C. & Waldo, Gordon P. (1970): „Punishment and Crime: An Examination of some empirical evidence”, in: Social Problems 1970, pp. 200-217
  • Ehrlich, Isaac (1975): „The Deterrent Effect of Capital Punishment: A Question of Life and Death“, in: The American Economic Review, Volume 65, Issue 3 (Jun., 1975), pp. 397-417
  • Eifler, Stefanie (2002): „Kriminalsoziologie“, transcript verlag, Bielefeld 2002
  • Geis, Gilbert (1972): „Jeremy Bentham 1748-1832“
  • Gibbs, Jack P. (1968): “ Crime, Punishment and Deterrence”, in: The South-Western Social Science Quarterly, pp. 515-530
  • Naucke, Wolfgang (1989): „Die Modernisierung des Strafrechts durch Beccaria“, in: Deimling (Hg.), ‚Cesare Beccaria’, Heidelberg 1989
  • Scheerer, Sebastian (2004): „Terror“, in: ‚Glossar der Gegenwart’, herausgegeben von Bröckling / Krasmann / Lemke, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2004, S. 257-262
  • Sellin, Thorsten: „The death penalty“, Philadelphia 1959
  • Tittle, Charles (1969): „Crime Rates and legal Sanctions“, Social Problems 16, pp. 409-423
  • Vanberg, Viktor (1975): „Die zwei Soziologien“, Mohr Verlag, Tübingen 1975
  • Von Liszt, Franz (2002): „Der Zweckgedanke im Strafrecht (1882/83)“, ‚Juristische Zeitgeschichte – Kleine Reihe’, herausgegeben von Vormbaum, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2002

Weblinks